BGH Urteil v. - 3 StR 185/23

Gesetze: § 35 Abs 1 S 1 StGB

Instanzenzug: Az: 3 StR 185/23 Beschlussvorgehend LG Wuppertal Az: 23 KLs 25/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (Fälle II.2. und 3. der Urteilsgründe im Folgenden: Fälle II.2. und 3.) sowie wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.1.) unter Einbeziehung weiterer Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und einen Vorwegvollzug der Strafe vor der Maßregel bestimmt. Die hiergegen mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat die Aufhebung des Maßregelausspruchs zur Folge; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

21. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen unterstützte und beriet der hinsichtlich des Anbaus von Hanf versierte Angeklagte die Betreiber einer Cannabisplantage bei der Aufzucht der Pflanzen. Auf diese Weise arbeitete er Schulden seines Schwagers ab. Einer der Betreiber hatte angekündigt, dass dem Schwager „ins Knie geschossen“ werde, sollten die Rückstände nicht ausgeglichen werden; eine Drohung, die der Angeklagte „ernst nahm und ernstnehmen durfte“ (Fall II.1.). Zwei weitere Cannabisplantagen betrieb er in eigener Regie (Fälle II.2. und 3.).

3Soweit es die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt betrifft, hat die Strafkammer unter Zugrundelegung der zum Urteilszeitpunkt geltenden Rechtslage mit dem psychiatrischen Sachverständigen ausgeführt, der erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen Tat und Hang sei gegeben, weil der Angeklagte, bei dem aufgrund jahrelangen regelmäßigen Konsums von Cannabis und Kokain eine psychische Abhängigkeit von diesen Betäubungsmitteln vorliege, die hier gegenständlichen Taten „jedenfalls auch“ zur Beschaffung ausreichender Finanzmittel für deren Erwerb begangen habe.

42. Die auf die Sachrüge veranlasste materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat weder zum Schuldspruch noch zum Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

5Der Erörterung bedarf lediglich der Schuldspruch in Fall II.1.. Dieser ist entgegen den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts rechtsfehlerfrei. Ein sachlichrechtlicher Mangel ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass das Landgericht die Prüfung eines entschuldigenden Notstandes nach § 35 Abs. 1 StGB nicht vorgenommen hat, denn hierzu bestand kein Anlass. Im Einzelnen:

6Der Entschuldigungsgrund des § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB setzt voraus, dass der Täter in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden. Nicht anders abwendbar ist die Gefahr dann, wenn bei einer Ex-ante-Betrachtung kein milderes, gleichermaßen zur Gefahrenabwehr geeignetes Mittel vorhanden ist (vgl. , juris Rn. 13; MüKoStGB/Müssig, 4. Aufl., § 35 Rn. 27 ff.; LK/Zieschang, 13. Aufl., § 35 Rn. 57 ff.; Schönke/Schröder/Perron, StGB, 30. Aufl., § 35 Rn. 13 ff.; SSW-StGB/Rosenau, 5. Aufl., § 35 Rn. 12 i.V.m. § 34 Rn. 13; jeweils mwN). Als anderweitige Abwendungsmöglichkeit in diesem Sinne ist grundsätzlich die rechtzeitig mögliche Inanspruchnahme behördlicher Hilfe vorgreiflich (vgl. , BGHSt 39, 133, 137; vom - 1 StR 658/97; vom - 1 StR 483/02, BGHSt 48, 255, 259 f.; Beschluss vom - 2 StR 347/96, BGHR StGB § 35 Abs. 1 Gefahr, abwendbare 1; MüKoStGB/Erb, 4. Aufl., § 34 Rn. 115; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 34 Rn. 9a).

7Nach diesen Maßstäben bestand für den Angeklagten ohne Weiteres die Möglichkeit, die Drohung der Plantagenbetreiber gegenüber den zuständigen Behörden anzuzeigen und deren Tätigwerden zur Abwehr der Gefahr abzuwarten. Ein Ausnahmefall, in dem Anderes gelten konnte, liegt - zumal mit einer Verletzung des Schwagers nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht unmittelbar zu rechnen war - nicht vor.

83. Hingegen unterliegt der Maßregelausspruch der Aufhebung, denn die Strafkammer hat bei ihrer Unterbringungsentscheidung nach § 64 StGB - seinerzeit zutreffend - die frühere Rechtslage zugrunde gelegt, die durch das seit dem geltende Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts - Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt - vom (BGBl. I Nr. 203) hinsichtlich der tatbestandlichen Anforderungen an eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verschiedene Verschärfungen erfahren hat. Für die revisionsrechtliche Nachprüfung derartiger „Altfälle“ ist - mangels Eingreifens einer Übergangsregelung - gemäß § 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO die Neuregelung maßgeblich (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 6 StR 405/23, juris Rn. 6; vom - 5 StR 246/23, juris Rn. 2; vom - 6 StR 316/23, juris Rn. 6; vom - 5 StR 345/23, juris Rn. 2; vom - 1 StR 354/23, juris Rn. 1, 4; vom - 6 StR 452/23, juris Rn. 2; vom - 5 StR 407/23, juris Rn. 2; Urteile vom - 4 StR 136/23, NStZ-RR 2024, 13, 14; vom - 1 StR 214/23, juris Rn. 10).

9Zwar trifft auch unter Zugrundelegung der strengeren Maßstäbe des nunmehr geltenden § 64 Satz 1 StGB nF die Annahme des Landgerichts zu, bei dem Angeklagten bestehe ein Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Die zumindest psychische Abhängigkeit des Angeklagten von Cannabis und Kokain stellt nach ihrem in den Urteilsgründen dargestellten Umfang eine Substanzkonsumstörung dar, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 44 ff., 69; , NStZ-RR 2024, 13, 14; Beschluss vom - 6 StR 346/23, juris Rn. 11).

10Es fehlt jedoch bislang an hinreichenden Feststellungen zu dem erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Substanzkonsum des Täters und der Begehung von Straftaten. Die nach früherer Rechtslage ausreichende Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe die hier gegenständlichen Taten „jedenfalls auch“ zur Beschaffung ausreichender Finanzmittel für den Erwerb von Betäubungsmitteln begangen, belegt nicht, dass - wie nunmehr erforderlich - seine Taten „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann ausreichen, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen eines solchen Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht - unter sachverständiger Beratung - positiv festzustellen (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 46 ff., 69 f.; BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 246/23, juris Rn. 3 f.; vom - 6 StR 316/23, juris Rn. 8; vom - 5 StR 345/23, juris Rn. 2; vom - 5 StR 407/23, juris Rn. 2; Urteil vom - 1 StR 214/23, juris Rn. 11 ff. mwN).

11Weil das Landgericht den durch die Neufassung des § 64 StGB veränderten und für die Senatsentscheidung nach § 2 Abs. 6 StGB und § 354a StPO maßgeblichen Anordnungsmaßstab noch nicht hat berücksichtigen können und insoweit weitere Feststellungen möglich erscheinen, bedarf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erneuter tatgerichtlicher Prüfung und Entscheidung. Die zugehörigen Feststellungen sind aufzuheben, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

12Durch die Aufhebung der Unterbringungsentscheidung wird zugleich der Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe vor der Maßregel die Grundlage entzogen. Sollte das neue Tatgericht wiederum die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anordnen, wird es die Dauer des Vorwegvollzugs nach § 67 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 nF StGB nunmehr bezogen auf den Zweitdritteltermin zu berechnen haben.

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ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:141223U3STR185.23.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-59872