Instanzenzug: Az: NotZ (Brfg) 4/22 Urteilvorgehend Az: NotZ (Brfg) 4/22 Beschlussvorgehend Az: NotZ (Brfg) 4/22 Beschlussvorgehend Az: Not 5/21 Urteilnachgehend Az: NotZ 1/23 Beschluss
Gründe
1I. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass sein Amt als Anwaltsnotar nicht mit dem Ablauf des Monats erlischt, in dem er das 70. Lebensjahr vollendet (§§ 48a, 47 Nr. 1 BNotO). Er meint, dies verstoße gegen das sich aus Art. 21 GrCh, Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ergebende Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Der Senat hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom (NotZ(Brfg) 4/22, z.Veröff.best) zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der am eingelegten Anhörungsrüge und der am erhobenen Nichtigkeitsklage.
2II. Die gemäß § 111b Abs. 1 BNotO, § 152a Abs. 2 VwGO zulässige Anhörungsrüge ist nicht begründet. Der Senat hat den gesamten Vortrag des Klägers zur Kenntnis genommen, geprüft und erwogen. Er hat ihn nach einer Beweisaufnahme auf der Grundlage seiner Feststellungen aber anders bewertet als der Kläger. Das stellt keine Gehörsverletzung dar.
3Dies gilt insbesondere auch für den Vortrag des Klägers zur Anzahl der Rechtsanwälte und zu der Zusammensetzung, insbesondere der Altersstruktur, der Anwaltschaft (Rn. 34 ff. des Urteils). Unzutreffend ist die Rüge, der Senat habe das Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom übergangen, in dem er vorgetragen habe, beachtliche Teile der zugelassenen Rechtsanwälte seien als reine Unternehmensanwälte, nur teilzeitmäßig oder gar nicht anwaltlich tätig, weshalb 2022 nur noch wenig mehr als 100.000 "in Kanzlei" niedergelassene Anwälte tätig gewesen seien. Der Senat hat dieses Vorbringen berücksichtigt und bei seiner Beurteilung im Wesentlichen auf die Rechtsanwälte mit Einzelzulassung abgestellt.
4Im Übrigen ist die Zahl jüngerer Rechtsanwälte ohne weiteres genügend, um demographisch ausreichenden Nachwuchs zu gewährleisten. Die vom Kläger insoweit ohnehin verfristet angestellten Berechnungen und das ihnen zugrundeliegende Zahlenwerk begründen hieran keine Zweifel. Das ergibt sich schon daraus, dass der Gesetzgeber 1991 die Einführung der Altersgrenze bereits bei einer Zahl von in diesem Jahr 59.455 bundesweit, das heißt einschließlich von in den Bereichen des hauptberuflichen Notariats (§ 3 Abs. 1 BNotO), zugelassenen Rechtsanwälten für erforderlich gehalten hat und dies verfassungs- sowie unionsrechtlich nicht zu beanstanden war. Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Altersstruktur 1991 aufgrund der zu diesem Zeitpunkt auf den Arbeitsmarkt drängenden geburtenstarken Jahrgänge sich von der heutigen Altersstruktur unterschieden haben wird. Am waren aber 61.582 Rechtsanwälte mit Einzelzulassung tätig, die unter 50 oder höchstens 50 Jahre alt (Senat, Urteil vom , aaO Rn. 34 mwN) und somit weit von der Zugangsaltersgrenze des § 5 Abs. 4 BNotO entfernt waren. Damit überstieg die Zahl der 2022 tätigen jüngeren Rechtsanwälte diejenige bei Einführung der Altersgrenze, wobei diese zudem alle Altersgruppen, also auch die der über Fünfzigjährigen, umfasste. 1991 entfielen folglich auf die Bezirke mit Anwaltsnotariat (§ 3 Abs. 2 BNotO) weniger jüngere Rechtsanwälte als 2022. Abgesehen von dem Umstand, dass der Kläger zu Unrecht von der von ihm errechneten Zahl von 17.240 bis 50 Jahre alten im Bereich des Anwaltsnotariats tätigen Rechtsanwälte sämtliche - auch über 50 Jahre alten Anwaltsnotare abzieht - verkennt er bei seiner Berechnung schon im Ausgangspunkt, dass es lediglich darauf ankommt, ob die Bewerberverhältnisse sich derart (massiv) gewandelt haben, dass der Gesetzgeber seinen von den Gerichten schon aus Gründen der Gewaltenteilung zu respektierenden weiten Gestaltungsspielraum (vgl. Senat, Beschluss vom - NotZ(Brfg) 5/14, DNotZ 2015, 227 [juris Rn. 8]) beziehungsweise den ihm nach der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs zustehenden weiten Ermessensspielraum (, Slg. 2007, I-8566 Rn. 68 f. - Palacios; vom - C-159/10, C-160-10, Slg. 2011, I-6919 Rn. 65 - Fuchs und Köhler und vom - C-914/19, NJW 2021, 2183 Rn. 30 - GN; Senat, Urteil vom aaO Rn. 14; Schmahl, EuR 2022, 612, 632 mwN) überschritten hat. Das ist aber demographisch angesichts der obigen Zahlen nicht erkennbar, auch nicht unter Zugrundelegung der vom Kläger beziehungsweise von der von ihm in Bezug genommenen Veröffentlichung ohne belastbare Daten oder sonstige Nachweise behaupteten Zahl von lediglich 100.000 "tatsächlich" in Vollzeit tätigen Rechtsanwälten. Die vom Kläger behauptete "Schrumpfung und Vergreisung" der Anwaltschaft stellt vor diesem Hintergrund lediglich ein Schlagwort dar, dass das Vorliegen eines demographisch ausreichenden Nachwuchspotentials jedenfalls zurzeit nicht in Zweifel zu ziehen vermag.
5Entgegen der Ansicht des Klägers liegt auch keine Überraschungsentscheidung vor. Bereits das Oberlandesgericht hat darauf abgestellt, dass es durch die Aufhebung der Altersgrenze für Interessenten noch schwieriger werde, ihre Aussichten auf Erlangung einer Notarstelle einigermaßen zuverlässig abzuschätzen; je geringer diese Erwartung sei, desto geringer sei auch die Wahrscheinlichkeit, dass Bewerber die zeit- und kostenaufwändige Ausbildung auf sich nähmen. Im Berufungsverfahren haben sowohl der Beklagte als auch die Bundesnotarkammer zutreffend darauf hingewiesen, dass im Anwaltsnotariat nicht das Prinzip der Amtsnachfolge gilt und jeder neue Notar sich erst einen Stamm von Urkundsbeteiligten aufbauen muss, während ältere Notare auf ihren bestehenden Kundenstamm zurückgreifen können. Verbleiben die älteren Kollegen im Amt, wird den neuen Notaren die Chance genommen, Urkundsgeschäfte in auskömmlichem Umfang erst zu akquirieren. Dies wurde in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert. Ohne dass es für die Anhörungsrüge darauf ankommt, ist anzumerken, dass der Kläger im Übrigen bei seinen Ausführungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer ausgeschriebenen Stelle verkennt, dass die von den Landesjustizverwaltungen angesetzten Bedürfniszahlen ein Ausscheiden der älteren Notare mit einem (über-)großen und wirtschaftlich besonders attraktiven Urkundenaufkommen - wie es auch beim Kläger nach seinem eigenen Vorbringen vorliegt - gerade voraussetzen.
6Unbegründet ist ferner die Rüge, es sei überraschend gewesen, dass der Senat die Aussage der Vertreter der Bundesnotarkammer in der mündlichen Verhandlung zu den oftmals sechsstelligen Kosten für den Betrieb einer Notarstelle (vgl. Rn. 32 des Urteils) berücksichtigen werde. Die vom Kläger erstmals mit der Anhörungsrüge bestrittenen Ausführungen waren Bestandteil der intensiven Erörterungen in der mündlichen Verhandlung unter anderem zu den gestiegenen Investitionen in eine Notarstelle, deren Amortisation für Interessenten am Anwaltsnotariat fraglich bleibt, wenn das Urkundenaufkommen etablierter Notare nicht durch deren altersbedingtes Ausscheiden in planbarer Weise "frei" wird. Im Übrigen ist anzumerken, ohne dass es für die Entscheidung über die Anhörungsrüge darauf ankommt, dass der Kläger in seinem beim Bundesverfassungsgericht eingereichten, auch dem Senat vorgelegten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die monatlichen Vorhaltekosten für seine Notarstelle mit 20.000,00 € beziffert hat.
7Daraus, dass die entsprechenden Ausführungen der Vertreter der Bundesnotarkammer nicht in das Sitzungsprotokoll aufgenommen wurden, konnte der Kläger nicht den Schluss ziehen, dass diese für den Senat unbedeutend seien. Das Protokoll wurde - für alle Beteiligten der mündlichen Verhandlung ersichtlich - gemäß § 161 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 105 VwGO, § 111b Abs.1 Satz 1 BNotO ohne die Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO geführt. Dementsprechend wurden auch alle anderen Ausführungen der Vertreter der Bundesnotarkammer nicht in das Protokoll aufgenommen.
8III. Die Nichtigkeitsklage dürfte nicht statthaft sein (§ 153 VwGO, § 579 ZPO). Sie ist auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt und dient nicht dazu, eine - wie hier - vom Gericht des Ausgangsverfahrens in Kenntnis der Problematik bereits beantwortete Rechtsfrage erneut zur Überprüfung zu stellen oder der Partei außerhalb der für die Anhörungsrüge geltenden Fristen weitere Gehörsrügen zu ermöglichen (vgl. , NJW 2022, 3459 Rn. 20 ff. mwN; , juris Rn. 14 mwN). So dürfte es hier liegen. Der Senat hat sich mit der Frage befasst, ob ein Vorabentscheidungsersuchen nach den dafür geltenden Maßgaben erforderlich ist. Er hat das verneint, weil den nationalen Gerichten nach der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs die Überprüfung zugewiesen ist, ob die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten im jeweiligen Fall einen gerechten Ausgleich zwischen den verschiedenen widerstreitenden Interessen gefunden haben oder der Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aus Gründen des Alters ausgehöhlt wird. Soweit der Kläger meint, der Senat habe eine Vorlagepflicht durch bewusstes Nichtberücksichtigen entscheidungserheblichen Sachvortrags verletzt, dürfte ein Nichtigkeitsgrund schon nicht dargelegt sein, weil die Nichtigkeitsklage, wie ausgeführt, nicht dazu dienen darf, die für die Anhörungsrüge geltenden Fristen (§ 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO, § 152a Abs. 2 VwGO) zu umgehen. Gleiches dürfte für die wegen der Einholung des Gutachtens erhobene Rüge gelten, weil in Bezug auf die Endentscheidung ein Fall von § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO insoweit schon nicht vorliegt. Dass die Ergebnisse des Gutachtens nicht zutreffen, macht der Kläger im Übrigen nicht geltend. Er hat sie sich zu eigen gemacht und zudem nach Vorlage des Gutachtens das gegen die Mitglieder des Senats eingelegte Ablehnungsgesuch zurückgenommen.
9Über die unstatthafte Nichtigkeitsklage kann der Senat gemäß § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO durch Beschluss entscheiden (vgl. , juris Rn. 12 f.). Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:131123BNOTZ.BRFG.4.22.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-59723