BVerwG Beschluss v. - 2 B 2/23

Unzulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen Übermittlung einer als "Entwurf" gekennzeichneten Beschwerdebegründung

Leitsatz

Die elektronisch übermittelte Begründung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, die auf allen Seiten in großer Schrift und deutlich erkennbar als "Entwurf" gekennzeichnet ist, wahrt nicht die erforderliche Schriftform.

Gesetze: § 55a Abs 3 Alt 1 VwGO, § 55d S 1 VwGO, § 81 Abs 1 S 1 VwGO

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 1 L 4/22 Urteilvorgehend VG Halle (Saale) Az: 5 A 196/20 HAL Urteil

Gründe

11. Die Klägerin wendet sich gegen ihre fristlose Entlassung aus dem Dienstverhältnis einer Soldatin auf Zeit.

2Die 1988 geborene Klägerin wurde im April 2016 in das Dienstverhältnis einer Soldatin auf Zeit für zwölf Jahre berufen und zuletzt als Stabsgefreite auf einem Dienstposten in der Kompanie eines Logistikbataillons verwendet. Im Januar 2020 entließ die Beklagte die Klägerin aus dem Dienstverhältnis einer Soldatin auf Zeit. Die gegen die Entlassungsverfügung eingelegte Beschwerde der Klägerin wies die Beklagte zurück.

3Der Klage auf Aufhebung der Entlassungsverfügung und der Beschwerdeentscheidung hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Begründung der hiergegen erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde ist auf allen Seiten in großer Schrift und deutlich erkennbar als "Entwurf" gekennzeichnet.

42. Die Beschwerde ist unzulässig.

5a) Die Beschwerde wurde nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils begründet (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Der beim Berufungsgericht (§ 133 Abs. 3 Satz 2 VwGO) am aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach eingegangene mit "Entwurf" gekennzeichnete Schriftsatz vom selben Tag kann die Frist nicht wahren. Er genügt nicht der Schriftform, die nach einhelliger Auffassung auch für die Beschwerdebegründung erforderlich ist (stRspr, vgl. nur 1 B 92.02 - Buchholz 310 § 81 VwGO Nr. 17 S. 7).

6Die Schriftlichkeit soll gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Es muss aber auch feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (stRspr, vgl. GmS-OGB, Beschlüsse vom - GmS-OGB 1/78 - BVerwGE 58, 359 <365> und vom - GmS-OGB 1/98 - BVerwGE 111, 377 <379>; 5 B 8.16 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 117 Rn. 3; Urteil vom - 2 C 21.19 - BVerwGE 168, 74 Rn. 34; vgl. auch - NJW 2002, 3534 <3535>). Ein solcher (Verkehrs-)Wille kann dem durchgängig als "Entwurf" gekennzeichneten anwaltlichen Schriftsatz vom nicht entnommen werden.

7Vorbereitende anwaltliche Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen sind gemäß § 55d Satz 1 VwGO als elektronisches Dokument zu übermitteln. Die Regelung gilt in entsprechender Anwendung von § 141 Abs. 1 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 253 Abs. 4 ZPO auch für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision und deren Begründung (BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 23.22 - juris Rn. 2 und vom - 7 B 22.22 - juris Rn. 3).

8Die vom Prozessbevollmächtigten verwendete qualifizierte elektronische Signatur (§ 55a Abs. 3 Alt. 1 VwGO) tritt dabei von ihren Rechtswirkungen an die Stelle einer eigenhändigen Unterschrift (Ulrich, in: Schoch/Schneider, VwGO, 44. EL, März 2023, § 55a Rn. 69; Buchheister, in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 55a Rn. 6; Holtbrügge, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 55a Rn. 8; v. Albedyll, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 55a Rn. 6; Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 55a Rn. 5a). Die Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur oder eines sicheren Übermittlungswegs i. S. v. § 55a Abs. 3 VwGO sichert die Identität des Urhebers und die Authentizität des Dokuments ( 8 C 4.21 - Buchholz 310 § 55a VwGO Nr. 5 Rn. 5). Sie soll dem elektronischen Dokument insbesondere im Hinblick auf dessen "Flüchtigkeit" und sonst spurenlos mögliche Manipulierbarkeit eine dem Papierdokument vergleichbare dauerhafte Fassung im Sinne einer "Perpetuierungsfunktion" verleihen (vgl. - BGHZ 184, 75 Rn. 12).

9In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zwar auch anerkannt, dass die Unterschrift einem verfassten Schriftstück außerdem die Erkennbarkeit verleiht, als für den Rechtsverkehr bestimmt zu sein, um damit das Entwurfsstadium zu verlassen ( 9 C 40.87 - BVerwGE 81, 32 <33> sowie Beschluss vom - 6 B 2.61 u. a. - BVerwGE 13, 141 <143>). Hinterlegt der Prozessbevollmächtigte allerdings auf jeder Seite seines Schriftsatzes großflächig diagonal im Hintergrund des Fließtextes den Begriff "ENTWURF", steht auch in Ansehung der qualifizierten elektronischen Signatur nicht hinreichend sicher fest, dass er dem Gericht ein prozesserhebliches Schriftstück zuleiten wollte. Ein solches Wasserzeichen dient dazu, ein Dokument als vorläufig und noch nicht für den Rechtsverkehr freigegeben zu kennzeichnen. Das steht im Gegensatz zu dem mit der Unterschrift grundsätzlich einhergehenden und zur Wahrung der Schriftform erforderlichen Bekenntnis zum Schriftsatz (vgl. 9 C 40.87 - BVerwGE 81, 32 <33>).

10b) Der Klägerin ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren. Unabhängig davon, dass ein Wiedereinsetzungsantrag nicht gestellt wurde, war ihr Prozessbevollmächtigter (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO) nicht ohne Verschulden verhindert, die Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten. Ein Rechtsanwalt hat für die rechtzeitige ordnungsgemäße Einreichung von Schriftsätzen Sorge zu tragen und Bedienungsfehler bei der elektronischen Übermittlung zu verantworten (vgl. 15 ZB 22.286 - NJW 2022, 3169; Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 60 Rn. 20).

11Weder vorgetragen noch ersichtlich ist, weshalb der Prozessbevollmächtigte den behaupteten "Scrollfehler" durch eine - auch in Ansehung der in wenigen Stunden ablaufenden Frist zumutbare - Prüfung der im Ausschnitt vorgelegten Ausfertigungsoberfläche der Kanzleisoftware vor dem Versenden nicht hätte vermeiden können. Zwar dürfen prozessuale Fristen bis zu ihrer Grenze ausgenutzt werden; dass ein Verfahrensbeteiligter bis zum letzten Tag der Frist abwartet, ehe er eine fristgebundene prozessrechtliche Erklärung abgibt, kann ihm daher nicht vorgeworfen werden. Schöpft er allerdings die Begründungsfrist bis zum letzten Tag aus, hat er wegen des damit verbundenen Risikos aber erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen ( 1 C 10.23 - juris Rn. 15 m. w. N.; - NJW 2006, 2637 Rn. 8 m. w. N.). Dies gilt nicht nur im Hinblick auf möglicherweise auftauchende Übertragungsprobleme, sondern auch für die Sicherstellung der Formerfordernisse, ohne die die Frist nicht gewahrt werden kann.

123. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:211223B2B2.23.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 10 Nr. 14
KAAAJ-59044