Entscheidung über Verfahrenskostenhilfe und Zulässigkeit des Rechtsmittels
Leitsatz
Der verfahrenskostenhilfebedürftige Rechtsmittelführer ist auch dann unverschuldet an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels gehindert, wenn er ein wegen bestehenden Anwaltszwangs unzulässiges persönliches Rechtsmittel eingelegt und dafür Verfahrenskostenhilfe beantragt hat. Das Rechtsmittelgericht hat auch in diesem Fall zunächst über die beantragte Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, bevor es das Rechtsmittel als unzulässig verwirft (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 289/15, FamRZ 2016, 209).
Gesetze: § 113 Abs 1 FamFG, § 233 ZPO, § 234 ZPO
Instanzenzug: Az: 21 UF 102/23vorgehend Az: 301 F 17/21
Gründe
I.
1Das Amtsgericht hat die Ehe der Beteiligten geschieden und festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Gegen diesen der damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit am beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben vom persönlich Beschwerde eingelegt und diese begründet. Gleichzeitig hat er die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Mit am beim Oberlandesgericht eingegangenem privatschriftlichem Schreiben hat der Antragsgegner die Beschwerde erneut eingelegt und begründet sowie nochmals Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts gestellt. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde als unzulässig, weil nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt, verworfen und zugleich das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners wegen fehlender Erfolgsaussichten zurückgewiesen, weil die Beschwerde unzulässig sei. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen die Verwerfung seiner Beschwerde.
II.
2Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit die Beschwerde des Antragsgegners verworfen worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
31. Das Rechtsmittel richtet sich allein gegen die Entscheidung über die Verwerfung der Beschwerde, nicht aber gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe. Es ist zwar nicht explizit auf die Entscheidung über die Verwerfung der Beschwerde beschränkt worden und auch der Antrag enthält keine solche ausdrückliche Beschränkung. Da allerdings eine Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung über die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe mangels Zulassung durch das Oberlandesgericht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 574 Abs. 1 ZPO nicht statthaft wäre (vgl. - juris Rn. 1 und BGHZ 184, 323 = FGPrax 2010, 154 Rn. 5 mwN) und die Beschwerdebegründung die Versagung von Verfahrenskostenhilfe der Sache nach unbeanstandet lässt, ist die Rechtsbeschwerde als konkludent auf die Verwerfungsentscheidung beschränkt anzusehen.
42. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Antragsgegners auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, das den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 278/22 - FamRZ 2023, 1982 Rn. 6 mwN).
53. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Beschwerdegericht hätte die Beschwerde nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen dürfen, dass diese entgegen § 114 FamFG nicht von einem Rechtsanwalt eingelegt worden ist. Denn der Antragsgegner hat mit Schreiben vom innerhalb der Beschwerdefrist die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe beantragt.
6a) Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist Verfahrenskostenhilfe beantragt hat, ist bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen oder rechtzeitig zu begründen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste. Das gilt auch dann, wenn neben dem Verfahrenskostenhilfegesuch ein unzulässiges Rechtsmittel eingelegt worden ist. Da der Verfahrenskostenhilfe beantragende Beteiligte wegen seiner Bedürftigkeit gehindert ist, einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen, ist ihm, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, nach Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Beschwerdegericht hat dementsprechend zunächst über das Verfahrenskostenhilfegesuch zu entscheiden (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 289/15 - FamRZ 2016, 209 Rn. 6 mwN).
7b) Daran gemessen durfte das Oberlandesgericht die Beschwerde nicht gleichzeitig mit der Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners verwerfen. Es hätte vielmehr zunächst über die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe entscheiden müssen, weil dem Antragsgegner - bei Nachholung der formwirksamen Beschwerdeeinlegung und -begründung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist - Wiedereinsetzung in den Lauf der Beschwerde- und der Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren gewesen wäre.
8Der Antragsgegner musste nach den gegebenen Umständen insbesondere nicht mit der Ablehnung seines Verfahrenskostenhilfeantrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen, weil er ausweislich der innerhalb der Beschwerdefrist vorgelegten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der beigefügten Belege als Empfänger von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch nicht in der Lage war, die Verfahrenskosten selbst zu tragen.
9Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts stand einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch nicht entgegen, dass ein Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der nach § 113 Abs. 1 FamFG für die Beschwerdeeinlegung maßgeblichen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingegangen ist. Die Frist zur Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beginnt bei einem innerhalb der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist gestellten Verfahrenskostenhilfeantrag regelmäßig nicht vor der Zustellung der Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag. Früher beginnt die Frist nur, wenn der Beteiligte - etwa wegen eines gerichtlichen Hinweises, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht vorliegen - schon zuvor nicht mit einer Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe rechnen konnte (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 689/13 - NJW-RR 2014, 1347 Rn. 23 f. mwN).
10Mangels vorheriger Entscheidung des Oberlandesgerichts über das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners war das durch dessen Bedürftigkeit bedingte Hindernis, einen Rechtsanwalt für das Beschwerdeverfahren zu beauftragen, nicht behoben und hatte daher die Frist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den Lauf der Beschwerdefrist - und der Beschwerdebegründungsfrist - entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts vor der Verwerfungsentscheidung nicht zu laufen begonnen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 234 Abs. 2 ZPO). Der Antragsgegner musste auch nicht wegen des zuvor ergangenen Hinweises des Oberlandesgerichts auf die Unzulässigkeit der Beschwerde bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit einer Versagung von Verfahrenskostenhilfe rechnen. Er durfte darauf vertrauen, dass das Oberlandesgericht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach bei rechtzeitig gestelltem Verfahrenskostenhilfeantrag zunächst über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden ist (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 289/15 - FamRZ 2016, 209 Rn. 6 mwN), entsprechen und ihn nicht durch eine gleichzeitige Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag und die Verwerfung der Beschwerde rechtlos stellen würde.
11Auf die weiteren vom Oberlandesgericht angestellten Erwägungen kommt es daher nicht an.
124. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben.
13Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass mit der Zustellung dieses Beschlusses die Wiedereinsetzungsfrist hinsichtlich der abgelaufenen Beschwerde- und der Beschwerdebegründungsfrist zu laufen beginnt. Dem Beklagten bleibt es unbenommen, erneut Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu beantragen (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO; vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 289/15 - FamRZ 2016, 209 Rn. 9 und vom - XII ZB 51/11 - FamRZ 2011, 881 Rn. 15).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:100124BXIIZB510.23.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 9 Nr. 10
NJW-RR 2024 S. 553 Nr. 9
NJW-RR 2024 S. 553 Nr. 9
CAAAJ-58896