BSG Beschluss v. - B 5 RS 48/12 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Divergenzrüge - Unzulässigkeit der Geltendmachung einer neuen Rechtsfrage bzw Rechtsprechungsabweichung nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist - kein "Nachschieben" von Gründen nach Fristablauf

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Instanzenzug: Az: S 7 RA 3695/96 W 05 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 21 R 846/10 Urteil

Gründe

1Das die Berufung der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns (geboren: 1919, gestorben: 1998) gegen den zurückgewiesen.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Verfahrensfehler und Divergenz.

3Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

5Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

6Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

8Mit diesen Fragen hat er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan. Denn es bleibt schon offen, welche konkreten revisiblen (Bundes-)Normen iS von § 162 SGG ausgelegt und/oder an welchem höherrangigen Recht gemessen werden sollen, um die Rechtseinheit zu wahren oder das Recht fortzubilden.

9Soweit sich die Beschwerdebegründung auf die "Abschließenden Bemerkungen des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" vom beruft, lässt sie unerörtert, warum es sich bei diesen sog "concluding observations", die im Staatenberichtsverfahren nach Art 16 ff des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) vom ergehen, um Bundesrecht handeln könnte. Im Übrigen bleibt unklar, auf welche völkervertragsrechtliche(n) Bestimmung(en) des IPwskR sich die Klägerin überhaupt stützen will und dass diese Bestimmungen, die als revisibles Bundesrecht in Betracht kommen (zur Revisibilität völkerrechtlicher Verträge: BVerwGE 134, 1, 20; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 162 RdNr 4b), ohne weitere normative Ausgestaltung durch innerstaatliche Rechtsetzungsorgane unmittelbar anwendbar sind, also nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignet und hinreichend bestimmt sind, wie innerstaatliche Rechtsvorschriften zu wirken (zu diesen Voraussetzungen allgemein vgl: BVerwGE 87, 11, 13; 92, 116, 118; 134, 1, 20). Schließlich legt die Begründung nicht dar, welchen Sachverhalt das LSG festgestellt hat und ob gerade im Blick hierauf die angesprochenen Probleme im erstrebten Revisionsverfahren klärungsfähig wären.

10Ebenso wenig sind Verfahrensmängel schlüssig dargetan. Soweit die Klägerin Verletzungen des Amtsermittlungsprinzips (§ 103 SGG) und des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG) geltend macht, "dass ihr im GG verbürgtes Recht auf Gehör durch ungenügende Untersuchungen durch das Gericht und wegen der Unterlassung von Beweiserhebungen nicht ausreichend berücksichtigt bzw. sogar verletzt" werde, hat sie weder Fundstelle oder Wortlaut prozessordnungskonformer Beweisanträge wiedergegeben noch behauptet, derartige Anträge am Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG aufrechterhalten und damit alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.

11Von vornherein nicht divergenzfähig sind die "Abschließenden Bemerkungen des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte", weil es sich dabei um keine Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG handelt. Dasselbe gilt, soweit die Klägerin innerhalb des angefochtenen LSG-Urteils "eine unüberbrückbare Divergenz" erblickt. Auch angebliche "Widersprüche" innerhalb der Rechtsprechung des BVerfG vor und nach 2004, namentlich zwischen dem "Leiturteil" vom (1 BvL 32/95 ua - BVerfGE 100, 1 ff = SozR 3-8570 § 10 Nr 3) einerseits und dem , 1 BvL 2/08 - BVerfGE 126, 233 ff = SozR 4-8570 § 6 Nr 5) andererseits können nicht zur Revisionszulassung führen.

12Soweit die Klägerin vorträgt, das LSG habe "fehlerhafte Auffassungen zur Systementscheidung des RÜG und zur Rentenüberleitung, insbesondere zum Inhalt des in Bezug genommenen zugrunde gelegt", ist damit ebenfalls keine Rechtsprechungsabweichung dargetan. Missversteht oder übersieht das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz und wendet deshalb das Recht fehlerhaft an, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung einer Abweichung iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil infrage stellt, was nicht der Fall ist, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN). Unter diesen Umständen hätte die Klägerin vertieft darauf eingehen müssen, warum es sich bei der behaupteten Abweichung des Berufungsgerichts nicht lediglich um eine falsche Rechtsanwendung im Einzelfall handelt, in der ein eigener Rechtssatz des Berufungsgerichts gerade nicht zum Ausdruck kommt (vgl im Einzelnen BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 45).

13Darüber hinaus kann die Revision wegen Divergenz nicht zugelassen werden, wenn das Berufungsgericht eine Tatsache, die für den geltend gemachten Anspruch erheblich sein würde, noch nicht festgestellt hat und damit derzeit nur die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht und nach weiterer Sachverhaltsaufklärung entscheidungserheblich werden kann ( - BeckRS 2008, 57913 RdNr 6 mwN). Das erstrebte Revisionsverfahren darf nicht mit einer Aufhebung und Zurückverweisung, sondern muss mit der Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage enden können. Die Klägerin trägt aber schon selbst vor, dass ihr Rechtsstreit "erst durch die nach der zuzulassenden Revision erfolgende Rückverweisung" abschließend entschieden werden kann.

14Soweit die Klägerin nach Fristablauf (hier: ) neue, bisher nicht aufgeworfene Rechtsfragen im Zusammenhang mit § 6 Abs 2 Nr 4 AAÜG iVm Art 3 Abs 1 GG bzw eine neue Abweichung von der Rechtsprechung des BSG geltend macht, ist ein solches, beim BSG am eingegangenes Vorbringen unzulässig. Ein "Nachschieben von Gründen" nach Ablauf der Begründungsfrist ist nicht mehr möglich (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 10 RdNr 4; EG 4/00 B - Juris RdNr 13; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, aaO, § 160a RdNr 13b).

15Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

16Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2013:300413BB5RS4812B0

Fundstelle(n):
CAAAJ-58173