Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 20 W 33/22vorgehend AG Wiesbaden Az: 7100 II 60/22nachgehend Az: 3 ZB 1/22 Beschluss
Gründe
1Die Antragstellerin und Betroffene begehrt Verfahrenskostenhilfe für eine von ihr erhobene Rechtsbeschwerde, mit der sie das Ziel verfolgt, die Rechtswidrigkeit der mittlerweile durch Zeitablauf erledigten Verlängerung ihrer elektronischen Aufenthaltsüberwachung feststellen zu lassen.
I.
21. Die in Deutschland aufgewachsene Betroffene reiste als 16-Jährige nach Syrien aus und gliederte sich dort als Mitglied in die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) ein. Im November 2019 kehrte sie nach Deutschland zurück, wurde verhaftet sowie zu einer zweijährigen Jugendstrafe unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft ordnete das Amtsgericht im März 2021 nach § 31a Abs. 1 und 2 Satz 3 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) an, dass sie zur Verhütung von terroristischen Straftaten für die Dauer von drei Monaten eine sogenannte elektronische Fußfessel zu tragen habe. Gleiche Anordnungen ergingen im August 2021 und im November 2021. Dagegen hat die Betroffene jeweils Beschwerden und gegen die daraufhin ergangenen abschlägigen Entscheidungen des Oberlandesgerichts (zugelassene) Rechtsbeschwerden erhoben. Wegen der Einzelheiten des vorstehenden Sachverhalts wird auf die Beschlüsse des Senats vom (3 ZB 3/21, NStZ-RR 2022, 187, 188), vom (3 ZB 5/21, juris Rn. 2 ff.) und vom heutigen Tag (3 ZB 7/21) verwiesen.
32. Am hat das Amtsgericht zum vierten Mal eine elektronische Aufenthaltsüberwachung befristet bis zum angeordnet. Auch hiergegen hat die Betroffene eine Beschwerde eingelegt, die das Oberlandesgericht am zurückgewiesen hat. Zu diesem Zeitpunkt war ihm die Entscheidung des Senats vom (3 ZB 3/21, NStZ-RR 2022, 187) noch nicht bekannt. Es hat der Rechtssache deshalb ebenso wie den vorangegangenen Verfahren im Hinblick auf klärungsbedürftige Fragen bei der Auslegung und Anwendung von § 31a HSOG grundsätzliche Bedeutung beigemessen und gemäß § 70 Abs. 1 und 2 FamFG, § 31a Abs. 3 Satz 8 HSOG die Rechtsbeschwerde zugelassen.
4Eine solche hat die Betroffene am durch ihren beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt erhoben, für deren Durchführung sie am die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt und die sie am begründet hat.
II.
5Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe dringt mangels Erfolgsaussicht des Rechtsmittels nicht durch.
6Nach § 31a Abs. 3 Satz 8 HSOG gelten für das Verfahren bei der Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung die Vorschriften des FamFG entsprechend. § 76 Abs. 1 FamFG verweist für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe auf die Normen der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe. Danach kann Verfahrenskostenhilfe nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Voraussetzung dafür ist, dass bei summarischer Prüfung für die begehrte Rechtsfolge eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht. Dabei dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden; es reicht bereits aus, wenn das Gericht nach einer summarischen Prüfung den Rechtsstandpunkt des Antragstellers für vertretbar hält. Das gilt namentlich dann, wenn in der Hauptsache schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden sind (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 190/12, NJW 2013, 1310; vom - StB 29/18, juris Rn. 25 mwN). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Erfolgsaussicht ist derjenige der „Entscheidungsreife“ (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 391/10, NJW 2012, 1964, 1965; vom - XII ZB 232/13, juris Rn. 7; vom heutigen Tag - 3 ZB 7/21).
7Eine so verstandene Erfolgsaussicht besteht für die Rechtsbeschwerde nicht. Der angefochtene Beschluss verletzt die Betroffene nicht in ihren Rechten (1.). Die bislang ungeklärten Rechtsfragen, die das Oberlandesgericht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde veranlasst haben, waren im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des VKH-Gesuchs bereits entschieden (2.).
81. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (vgl. , NStZ-RR 2022, 187, 188 mwN). In der Sache wird sie indes voraussichtlich keinen Erfolg erzielen. Die Anordnung auch der vierten dreimonatigen elektronischen Überwachung der Betroffenen war rechtlich unbedenklich (zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab s. § 72 Abs. 1 Satz 2, § 74 Abs. 2 und 3 Satz 3 FamFG).
9a) Verfahrensfehler sind wiederum nicht ersichtlich. Entgegen den Ausführungen der Betroffenen ist der Anordnung insbesondere ein formgerechter Antrag der beteiligten Behördenleitung vorausgegangen (§ 31a Abs. 3 Satz 1 HSOG). Auch nach Inkrafttreten von § 14b FamFG zum ist die Antragstellung durch Telefax hier möglich gewesen. Denn § 14b Abs. 1 FamFG sieht die zwingende Übermittlung als elektronisches Dokument nur für Anträge vor, die der Schriftform unterliegen (BT-Drucks. 19/28399 S. 39 f.; , NJW-RR 2023, 1233, 1235; OLG Frankfurt, Beschluss vom - 20 W 151/23, NJW 2023, 3436 Rn. 34 ff.; Landgericht Mainz, Beschluss vom - 8 T 31/22, juris Rn. 26 ff.; alle mwN). § 31a Abs. 3 HSOG bestimmt für den Antrag auf Anordnung der Aufenthaltsüberwachung durch technische Mittel aber keine Schriftform. Ein Schriftformerfordernis folgt auch nicht aus § 23 Abs. 1 Satz 5 FamFG, denn diese Vorschrift regelt lediglich, dass ein verfahrenseinleitender Antrag unterschrieben werden „soll“ (, NJW-RR 2023, 1233, 1235; OLG Frankfurt, Beschluss vom - 20 W 151/23, NJW 2023, 3436 Rn. 46). Für den Antrag auf Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung nach dem hessischen Polizeigesetz gilt mithin § 14b Abs. 2 Satz 1 FamFG, der bestimmt, dass die entsprechenden Schriftstücke elektronisch eingereicht werden „sollen“. An einen Verstoß gegen die Sollvorschrift knüpft das Gesetz keine Folgen.
10Eine mündliche Anhörung der Betroffenen haben die Tatgerichte ebenfalls erneut für entbehrlich halten dürfen, nachdem das Oberlandesgericht sie bereits am persönlich befragt und ihr nunmehr schriftliches Gehör gewährt hat (s. bereits BGH, Beschluss vom heutigen Tag - 3 ZB 7/21). Eine Verletzung der Pflicht zur Amtsaufklärung nach §§ 26, 34 Abs. 1 FamFG ist darin ebenso wenig zu sehen wie in dem Umstand, dass die Tatgerichte keine Stellungnahmen aus dem Umfeld der Betroffenen eingeholt haben. Seine diesbezügliche Ermessensausübung hat das Oberlandesgericht mit Blick auf § 27 Abs. 1 FamFG und die bereits vorangegangenen drei Rechtsmittelverfahren rechtsfehlerfrei unter anderem damit begründet, dass die anwaltlich vertretene Betroffene selbst keine für sie vorteilhaften veränderten Umstände vorgetragen habe, die neue Ermittlungsansätze geboten hätten. Eine „Bringschuld“ hat es ihr entgegen ihrer Rechtsmeinung damit nicht auferlegt. Das Oberlandesgericht ist sich ausweislich der von ihm gewählten Formulierungen vielmehr bewusst gewesen, dass ein Verstoß der Betroffenen gegen die Mitwirkungspflicht es nicht von seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts enthebt (vgl. , juris Rn. 15 mwN).
11b) Auch materiellrechtlich ist die angefochtene Anordnung nicht zu beanstanden. Die Maßnahme ist erneut auf § 31a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 5 HSOG gestützt worden. Amts- und Oberlandesgericht haben im Verhalten der Beschwerdeführerin noch immer ausreichende konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür ausgemacht, dass sich in ihrer Person innerhalb eines vorhersehbaren Zeitraums eine terroristische Gefahr aktualisieren kann.
12Zur Rechtsgrundlage des § 31a HSOG, der Verfassungsgemäßheit der Vorschrift, der grundsätzlichen Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen sowie deren Würdigung, dem damit einhergehenden Spielraum des Tatgerichts bei der individuellen Beurteilung des Falls, zur Auslegung der in § 31a HSOG verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe sowie zu den mithin auch hier anzuwendenden Maßstäben hat der Senat im Beschluss vom (3 ZB 3/21, NStZ-RR 2022, 187, 189) Näheres ausgeführt. Zuvor für die präventiv-polizeiliche Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung zweifelhafte Rechtsfragen hat er darin entschieden. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verlängerung der Maßnahme entsprechen denen für die erstmalige Anordnung (§ 31a Abs. 3 Satz 5 HSOG). Neue, darüber hinausgehende Rechtsprobleme wirft die Rechtsbeschwerde nicht auf. Die jetzt zur Beurteilung stehende Verlängerung haben die Tatgerichte auf im Vergleich zu den vorangegangenen Beschlüssen wiederum nahezu unveränderter Tatsachengrundlage getroffen. Das Oberlandesgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass sich an der Sachlage noch immer nichts Wesentliches geändert habe. Dabei hat es die seit der Rückkehr der Betroffenen aus Syrien verstrichene Zeit bedacht, in der sich die terroristische Gefahr nicht verwirklichte. Es hat die Maßnahme gleichwohl als noch immer geboten und verhältnismäßig angesehen. Ermessensfehler sind bei dieser Würdigung nicht ersichtlich.
132. Eine Erfolgsaussicht hat für die Rechtsbeschwerde bereits zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Verfahrenskostenhilfegesuchs nicht bestanden. Zur Entscheidung reif ist ein VKH-Begehren, wenn die Partei es schlüssig begründet, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und der Gegner Gelegenheit gehabt hat, sich innerhalb angemessener Frist zu äußern (BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 391/10, NJW 2012, 1964, 1966 mwN; vom - XII ZB 232/13, juris Rn. 7; Brandenburgisches , juris Rn. 5; Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 127 Rn. 9 mwN; vgl. auch IVb ZB 925/80, MDR 1982, 564, 565; , NJW 2020, 944 Rn. 8 ff.).
14Diese Voraussetzungen haben erst nach dem und damit nach der Entscheidung der bis dato ungeklärten Rechtsfragen zu § 31a HSOG vorgelegen. Denn der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe datiert vom . Er ist dem Gegner am übersandt worden (§ 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zu diesem Zeitpunkt ist der Ausgang des Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht mehr offen im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewesen. Die zweifelhaften Rechtsfragen waren inzwischen geklärt.
15Die Beschlussfassung über die Hauptsache wird einstweilen zurückgestellt, obwohl auch diese zur Entscheidung reif ist (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom - 4 F 1443/12, NJW 2012, 3738; Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 127 Rn. 11).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:191223B3ZB1.22.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-57788