BGH Beschluss v. - 4 StR 125/22

Instanzenzug: LG Essen Az: 65 KLs 21/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit bandenmäßigem Handeltreiben mit neuen psychoaktiven „Substanzen“ zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet, einen Vorwegvollzug von sechs Monaten bestimmt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

II.

31. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat zum Schuld- und Strafausspruch sowie zur Einziehungsentscheidung keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

42. Die vom Rechtsmittelangriff ebenfalls erfasste Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kann nicht bestehen bleiben, weil die Urteilsgründe nicht ergeben, dass die Tat im Sinne von § 64 Satz 1 StGB in der Fassung vom überwiegend auf den Hang des Angeklagten zurückgeht.

5a) Dass der Maßregelausspruch nach dem Willen des Beschwerdeführers vom Revisionsangriff ausgenommen sein soll, steht dessen Aufhebung nicht entgegen. Denn die darin zum Ausdruck gekommene Beschränkung ist schon deshalb unwirksam, weil sich das Rechtsmittel gegen den gesamten Schuldspruch richtet. In einem solchen Fall kann nicht wirksam auf die Anfechtung der Unterbringung nach § 64 StGB verzichtet werden, da die Feststellung einer Symptomtat unerlässliche Voraussetzung der Maßregelanordnung ist (vgl. Rn. 4; Beschluss vom – 4 StR 504/09 Rn. 4 mwN).

6b) Der Senat hat die Vorschrift des am in Kraft getretenen § 64 StGB in der Fassung vom (BGBl. I Nr. 203, S. 2) zugrunde zu legen, die strengere Anforderungen an die Annahme sowohl eines Hangs als auch eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen diesem und einer Anlasstat sowie an die Erfolgsprognose stellt. Die Neufassung ist mangels einer die Maßregelanordnung erfassenden Übergangsvorschrift gemäß § 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO im vorliegenden Fall anwendbar (vgl. Rn. 6; Urteil vom – 4 StR 136/23 Rn. 14).

7Nach § 64 Satz 1 StGB setzt die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt voraus, dass die vom Täter begangene rechtswidrige Tat überwiegend auf seinen Hang zurückgeht. „Überwiegend“ ursächlich ist der Hang für die Anlasstat, wenn dieser mehr als andere Umstände für die Begehung der Tat ausschlaggebend war; eine Mitursächlichkeit des Hangs für die Anlasstat unterhalb dieser Schwelle reicht für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals nicht mehr aus (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 69).

8c) Daran gemessen ist ein überwiegender Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten und den Anlasstaten nicht festgestellt.

9Nach den Feststellungen betrieb der Angeklagte einen Handel mit synthetischen Cannabinoiden über das Internet auch im Hinblick auf die Finanzierung seines Eigenkonsums. Zudem konsumierten er und der Mitangeklagte maximal 11 % der von ihnen bestellten Substanzen selbst. Das Landgericht hat bei Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen der Maßregel – sachverständig beraten ‒ für den symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang durch den schädlichen Gebrauch von Cannabinoiden und der Anlasstat in den Blick genommen, dass beim Angeklagten auch eine Störung des Sozialverhaltens als mögliche Ursache delinquenten Verhaltens vorliege. Mit der Sachverständigen ist es gleichwohl davon ausgegangen, dass die Tat jedenfalls mitursächlich auf den Betäubungsmittelkonsum des Angeklagten zurückzuführen sei, da der Angeklagte den Handel jedenfalls auch betrieben habe, um seinen eigenen Konsum zu finanzieren.

10Damit ist ein überwiegender Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten und der Anlasstat im Sinne von § 64 StGB nF nicht festgestellt. Die vom Angeklagten für seinen Eigenkonsum (und den des Mitangeklagten) entnommenen Mengen betreffen mit 11 % lediglich einen geringen Anteil der insgesamt bestellten Substanzen. Feststellungen dazu, wie hoch der Finanzierungsbedarf für seinen Betäubungsmittelkonsum im Übrigen war, enthält das Urteil nicht. Ein Überwiegen des Finanzierungsbedarfs für den Eigenkonsum versteht sich angesichts von Einnahmen von über 466.500 Euro im Tatzeitraum zwischen März 2018 und August 2020 auch nicht von selbst. Allein die Feststellung, dass sich das Leben des Angeklagten im Tatzeitraum im Wesentlichen auf den Konsum synthetischer Cannabinoide sowie deren Beschaffung und Verkauf über seine Online-Shops beschränkte, sagt über das Verhältnis der Tatursachen noch nichts aus.

11d) Der Senat hebt das Urteil im Maßregelauspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf, um der zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufenen Strafkammer widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

123. Das Urteil ist um eine Kompensation für eine Verfahrensverzögerung im Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof zu ergänzen. Der Senat, der über die Kompensation in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst entscheiden kann (vgl. etwa Rn. 7; Beschluss vom – 2 StR 452/18 Rn. 3 mwN), spricht deshalb aus, dass von der verhängten Freiheitsstrafe zwei Monate Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:091123B4STR125.22.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-57545