Vertrauensschutz nach hypothetischer Festsetzungsverjährung von Anschlussbeiträgen beim Übergang von einer Beitragsfinanzierung des Herstellungsaufwands zu einer reinen Gebührenfinanzierung mit gespaltenen Gebührensätzen
Leitsatz
Wechselt der Einrichtungsträger zur Deckung des Aufwands für die Anschaffung und Herstellung seiner zentralen öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungsanlage von einer Beitrags- zu einer reinen Gebührenfinanzierung mit unterschiedlich hohen (gespaltenen) Gebührensätzen für Grundstücke, für die Anschlussbeiträge gezahlt wurden, und Grundstücke, für die keine Beiträge gezahlt wurden, so steht Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes nach Art. 20 Abs. 3 GG einer Gebührenfinanzierung der Herstellungskosten entgegen, soweit Anschlussbeiträge wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung nicht mehr erhoben werden konnten.
Gesetze: Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 3 Abs 1 GG, § 31 Abs 1 BVerfGG, § 8 Abs 7 S 2 KAG BB vom , § 8 Abs 1 S 1 KAG BB, § 8 Abs 2 S 1 KAG BB, § 8 Abs 2 S 2 KAG BB, § 8 Abs 7 KAG BB, § 6 Abs 1 S 1 KAG BB, § 6 Abs 2 S 2 KAG BB, § 6 Abs 2 S 3 KAG BB, § 6 Abs 2 S 5 KAG BB, § 6 Abs 4 S 1 KAG BB, § 12 Abs 1 Nr 2 Buchst b KAG BB
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: 9 A 2.17 Beschluss
Tatbestand
1Der Antragsteller wendet sich mit seinem Normenkontrollantrag gegen § 4 Abs. 2 der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Entwässerung der Grundstücke im Verbandsgebiet des Antragsgegners (Schmutzwassergebührensatzung - SGS) vom i. d. F. der 2. Änderungssatzung vom .
2Er ist Eigentümer eines selbst genutzten Wohngrundstücks und zweier mit vermieteten Mehrfamilienhäusern bebauter Grundstücke. Die Grundstücke sind an die Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Antragsgegners angeschlossen.
3Mit Kammerbeschluss vom - 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 - (NVwZ 2016, 300) entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Erhebung von Anschlussbeiträgen nach § 8 Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg i. d. F. des Gesetzes vom (GVBl. I S. 294) - KAG BB - in Fällen, in denen nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG BB in seiner ursprünglichen Fassung vom (GVBl. I S. 200) - KAG BB a. F. - Anschlussbeiträge nicht mehr erhoben werden konnten, wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot verfassungswidrig sei. Daraufhin hob der Antragsgegner noch nicht bestandskräftige Anschlussbeitragsbescheide - darunter die des Antragstellers - auf und zahlte die entrichteten Beiträge zurück.
4Außerdem änderte er seine Schmutzwassergebührensatzung durch die am in Kraft getretene 2. Änderungssatzung und führte in § 4 SGS unterschiedlich hohe ("gespaltene") Gebührensätze für die Verbrauchsgebühren ein, je nachdem, ob Anschlussbeiträge gezahlt worden waren. § 4 SGS lautete:
"§ 4 Höhe der Verbrauchsgebühr
(1) Soweit Schmutzwasser auf einem angeschlossenen Grundstück, für das ein Beitrag zum Ersatz des Aufwandes für die Herstellung oder Anschaffung der zentralen öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungsanlage gezahlt wurde, anfällt und von dort gemäß § 3 in die zentrale öffentliche Schmutzwasserbeseitigungsanlage gelangt, beträgt die Verbrauchsgebühr pro cbm Schmutzwasser 3,30 Euro.
(2) Soweit Schmutzwasser auf einem angeschlossenen Grundstück, für das kein Beitrag zum Ersatz des Aufwandes für die Herstellung oder Anschaffung der zentralen öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungsanlage gezahlt wurde, anfällt und von dort gemäß § 3 in die zentrale öffentliche Schmutzwasserbeseitigungsanlage gelangt, beträgt die Verbrauchsgebühr pro cbm Schmutzwasser 4,35 Euro."
5Der Antragsteller stellte am den Normenkontrollantrag, § 4 Abs. 2 SGS und die entsprechende Regelung für die Trinkwassergebühren in § 4 Abs. 2 der Trinkwassergebührensatzung - TGS - für unwirksam zu erklären.
6Mit Beschluss vom erklärte das Oberverwaltungsgericht § 4 Abs. 2 TGS für unwirksam und wies den Normenkontrollantrag im Übrigen zurück. Zur Begründung der Zurückweisung führte das Oberverwaltungsgericht aus, dass die unterschiedlichen Gebührensätze für Beitragszahler und Nichtbeitragszahler nicht zu beanstanden seien. Zahle eine Gruppe von Gebührenschuldnern keine Beiträge, seien vielmehr unterschiedlich hohe (gespaltene) Gebührensätze vorzusehen. Zu den Nichtbeitragszahlern gehörten auch diejenigen, für die nach dem keine Beitragspflichten mehr hätten entstehen können. Das Vertrauen, nicht mehr zu einem Beitrag herangezogen zu werden, rechtfertige keine gebührenrechtliche Gleichbehandlung mit den Beitragszahlern. Der Vertrauensschutz gegenüber einer Beitragserhebung erstrecke sich nicht auf andere Entgelte. Die gespaltenen Gebührensätze stellten auch keine Umgehung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar und hätten keine unzulässige Ungleichbehandlung zur Folge.
7Zur Begründung seiner vom Bundesverwaltungsgericht im Umfang der Zurückweisung des Normenkontrollantrags zugelassenen Revision macht der Antragsteller geltend, die Festlegung höherer Verbrauchsgebühren für diejenigen, die zu Anschlussbeiträgen nicht mehr herangezogen werden könnten, verstoße gegen den Gleichheitssatz und stelle eine nach § 31 BVerfGG unzulässige Umgehung der Entscheidung des dar. Wer nicht mehr zu Beiträgen für eine Vorteilslage herangezogen werden könne, müsse auch nicht mehr mit der Heranziehung zu höheren Verbrauchsgebühren rechnen. Die unterschiedlichen Gebührensätze hätten außerdem eine gleichheitswidrige Benachteiligung der Nichtbeitragszahler, die ihr Grundstück selbst nutzten, und der Mieter von Nichtbeitragszahlern zur Folge.
8Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom insoweit zu ändern, als auch § 4 Abs. 2 der Schmutzwassergebührensatzung des Antragsgegners vom in der Fassung der 2. Änderungssatzung vom für unwirksam erklärt wird.
9Der Antragsgegner beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10Er verteidigt den angefochtenen Beschluss.
11Die Vertreterin des Bundesinteresses hat sich am Verfahren nicht beteiligt.
Gründe
12Die zulässige Revision ist begründet. Zwar liegt ein Verstoß gegen § 31 Abs. 1 BVerfGG nicht vor (dazu 1.). Soweit der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts § 4 Abs. 2 SGS betrifft, beruht er aber auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO; dazu 2.). Das Bundesverwaltungsgericht kann nicht in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Es hebt deshalb den angefochtenen Beschluss auf, soweit der Normenkontrollantrag des Antragstellers abgelehnt worden ist, und verweist die Sache insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurück (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO; dazu 3.).
131. Die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts verstößt nicht gegen § 31 Abs. 1 BVerfGG.
14Danach binden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Gerichte insoweit, als sie die sich aus den tragenden Gründen der Entscheidung ergebenden Grundsätze für die Auslegung der Verfassung in künftigen Fällen zu beachten haben (BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 140/62 - BVerfGE 19, 377 <392>, vom - 2 BvR 1018/74 - BVerfGE 40, 88 <93> und vom - 2 BvL 7/00 - BVerfGE 112, 268 <277>; 9 C 2.18 - BVerwGE 164, 212 Rn. 29). Zu den tragenden Gründen des steht die angefochtene Entscheidung jedoch nicht im Widerspruch.
15Nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG BB a. F. war für das Entstehen der Beitragspflicht grundsätzlich der Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten Beitragssatzung auch im Falle ihrer Unwirksamkeit maßgeblich (vgl. etwa OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom - 2 D 29/98.NE - LKV 2001, 132 <133>; 9 B 44.06 - LKV 2008, 369 <371> und vom - 9 B 1.16 - LKV 2016, 229 <230>). War diese Satzung nichtig, konnten Anschlussbeiträge nur erhoben werden, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine auf den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens zurückwirkende gültige Satzung erlassen wurde. Andernfalls trat mit dem Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG BB i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO die sogenannte hypothetische Festsetzungsverjährung ein. Denn wäre eine auf den Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht zurückwirkende Beitragssatzung nach Verstreichen der Festsetzungsfrist erlassen worden, hätte die Beitragspflicht zwar für eine juristische Sekunde entstehen können, wäre aber im unmittelbaren Anschluss daran wegen Festsetzungsverjährung nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KAG BB i. V. m. § 47 AO erloschen (, 1 BvR 3051/14 - NVwZ 2016, 300 Rn. 45; 9 C 2.18 - BVerwGE 164, 212 Rn. 21 und vom - 9 C 9.20 - BVerwGE 173, 324 Rn. 33 f.). Die Anwendung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG BB, wonach die Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten einer rechtswirksamen Satzung entsteht, in Fällen, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG BB a. F. nicht mehr erhoben werden konnten, würde erneut die Möglichkeit der Beitragserhebung eröffnen (, 1 BvR 3051/14 - NVwZ 2016, 300 Rn. 46).
16Das Bundesverfassungsgericht sieht darin eine unzulässige echte Rückwirkung (, 1 BvR 3051/14 - NVwZ 2016, 300 Rn. 52, 56 ff.), jedenfalls aber eine mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes unvereinbare unechte Rückwirkung (, 1 BvR 3051/14 - NVwZ 2016, 300 Rn. 63 ff.). Das nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen beruht dabei auf der Gewährleistungsfunktion des geltenden Rechts. Ebenso wie in Fällen der ("echten") Festsetzungsverjährung können die Abgabepflichtigen im Fall der hypothetischen Festsetzungsverjährung darauf vertrauen, dass die Beitragsforderung nicht mehr erhoben werden kann (, 1 BvR 3051/14 - NVwZ 2016, 300 Rn. 65; vgl. auch 9 C 2.18 - BVerwGE 164, 212 Rn. 36 und vom - 9 C 9.20 - BVerwGE 173, 324 Rn. 35). Die Frage, ob der Grundsatz des Vertrauensschutzes darüber hinaus das Vertrauen schützt, nach Verjährungseintritt zur Deckung des Anschaffungs- und Herstellungsaufwands (im Folgenden: Herstellungsaufwand), der durch Anschlussbeiträge hätte gedeckt werden sollen, auch über Gebühren nicht mehr beitragen zu müssen, war hingegen nicht Gegenstand des Beschlusses vom . Ihm lassen sich daher insoweit auch keine die Entscheidung tragenden Grundsätze für die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG entnehmen, zu denen sich das Oberverwaltungsgericht hätte in Widerspruch setzen können.
172. Der Beschluss beruht auf der Verletzung von Bundesrecht. Er verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes nach Art. 20 Abs. 3 GG (a) und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG (b).
18a) Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts steht die Deckung des Herstellungsaufwands, für den nach dem wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung Anschlussbeiträge nicht mehr erhoben werden konnten, über Benutzungsgebühren ebenso wie in Fällen der Festsetzungsverjährung nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG BB i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO (vgl. insoweit 9 A 77.05 - LKV 2008, 377 <378>) mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes im Einklang (vgl. auch bereits OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom - 9 S 20.16 - juris Rn. 11 und vom - 9 A 10.17 - juris Rn. 18; Urteil vom - 9 A 5.17 - juris Rn. 43). Diese Rechtsauffassung ist mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht vereinbar.
19Wechselt der Einrichtungsträger zur Deckung des Aufwands für die Anschaffung und Herstellung seiner zentralen öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungsanlage von einer Beitrags- zu einer reinen Gebührenfinanzierung mit unterschiedlich hohen (gespaltenen) Gebührensätzen für Schmutzwassereinleitungen von Grundstücken, für die ein Anschlussbeitrag gezahlt wurde, und Grundstücken, für die kein Beitrag gezahlt wurde, steht der Grundsatz des Vertrauensschutzes einer Gebührenfinanzierung der Herstellungskosten entgegen, soweit Anschlussbeiträge wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung nicht mehr erhoben werden konnten. Geschützt ist in diesen Fällen entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts nicht nur das Vertrauen, nicht mehr zu Anschlussbeiträgen herangezogen zu werden, sondern auch das Vertrauen, sich an der Deckung des beitragsfinanzierten Teils der Anschaffungs- und Herstellungskosten (im Folgenden: Herstellungskosten) auch über Benutzungsgebühren nicht mehr beteiligen zu müssen (aa; vgl. auch Mittag, NJ 2022, 177 <181 f.> und ZUR 2022, 432 <438 f.>; Möller, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2023, § 8 Rn. 2015m; für die Festsetzungsverjährung auch Grünewald, GemHH 2003, 244 <247>; a. A. Brüning, Die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen der Entscheidung des Rechtsgutachten vom , S. 34 f.; Düwel, in: Becker u. a., KAG BB, Stand: September 2020, § 6 Rn. 950h S. 438j f.; Kluge, in: Becker u. a., a. a. O., § 6 Rn. 49d S. 51 f., Rn. 49k S. 64d f, Rn. 49o S. 64h f.). Der mit einer Deckung des Herstellungsaufwands über Benutzungsgebühren verbundene Eingriff in die geschützte Vertrauensposition ist auch nicht im Hinblick auf überwiegende Gemeinwohlbelange verfassungsrechtlich gerechtfertigt. (bb).
20aa) Art. 2 Abs. 1 GG schützt in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf dieser Grundlage erworbenen Rechte (BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvL 6/07 - BVerfGE 132, 302 Rn. 41 und vom - 1 BvL 5/08 - BVerfGE 135, 1 Rn. 60; 9 C 9.20 - BVerwGE 173, 324 Rn. 30 und vom - 9 C 10.20 - BVerwGE 173, 340 Rn. 17). Ausgehend von der Rechtslage in Brandenburg ist in Fällen, in denen wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung Anschlussbeiträge nicht mehr erhoben werden konnten, auch die konkrete Vertrauensposition geschützt, nicht über Benutzungsgebühren zur Deckung des beitragsfinanzierten Anteils der Herstellungskosten herangezogen zu werden.
21(1) Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 8 Abs. 2 Satz 1 und 2 KAG BB können die Einrichtungsträger nach ihrem Ermessen zum Ersatz des Aufwands für die Anschaffung und Herstellung ihrer öffentlichen Einrichtungen und Anlagen Beiträge von den Grundstückseigentümern als Gegenleistung dafür erheben, dass ihnen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtungen und Anlagen wirtschaftliche Vorteile geboten werden. Machen die Einrichtungsträger von diesem Ermessen keinen Gebrauch, sind nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG BB Benutzungsgebühren zu erheben, die nach § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 KAG BB Abschreibungen auf der Grundlage der Herstellungskosten enthalten, so dass die Herstellungsaufwendungen über die kalkulatorischen Abschreibungen als Kostenposition in die Kalkulation der Benutzungsgebühren einzustellen sind (OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom - 2 A 417/01 - juris Rn. 32; 9 A 77.05 - LKV 2008, 377 <378>). Die Einrichtungsträger haben danach die Wahl, den Gesamtaufwand für die Anschaffung und Herstellung ihrer öffentlichen Einrichtungen und Anlagen durch einmalige Beiträge, durch kalkulatorische Abschreibungen im Rahmen der Benutzungsgebühren oder im Wege einer Kombination beider Möglichkeiten teils durch Beiträge und teils durch Gebühren zu refinanzieren (OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom - 2 A 417/01 - juris Rn. 32).
22Hat sich der Einrichtungsträger entschieden, den Herstellungsaufwand vollständig oder zu einem bestimmten Anteil über Beiträge zu finanzieren, bleibt nach § 6 Abs. 2 Satz 5 KAG BB bei der Ermittlung der Abschreibungen und der Verzinsung der aus Beiträgen aufgebrachte Eigenkapitalanteil außer Betracht, um zu vermeiden, dass es durch die Heranziehung zu Benutzungsgebühren zu einer Doppelbelastung für Anteile am Gesamtaufwand kommt, die bereits mit der Beitragsleistung entgolten wurden. Ein und dieselbe Aufwandsposition darf nicht durch einen Beitrag umgelegt und zusätzlich nochmals als Kostenposition in Form kalkulatorischer Abschreibungen in die Berechnung der Benutzungsgebühren eingestellt werden (OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom - 2 A 417/01 - juris Rn. 32; 9 A 77.05 - LKV 2008, 377 <378>). Die den kalkulatorischen Abschreibungen zugrunde zu legenden Herstellungskosten vermindern sich daher nach § 6 Abs. 2 Satz 5 KAG BB um den Kostenanteil, der durch Beiträge gedeckt werden soll. Dies gilt unabhängig davon, ob Beiträge bereits gezahlt worden sind. Denn es ist regelmäßig davon auszugehen, dass letztlich alle Gebührenpflichtigen auch Beiträge zahlen ( 9 A 6.17 - juris Rn. 55).
23Zwar kann der Einrichtungsträger sein Finanzierungssystem grundsätzlich jederzeit umgestalten und durch eine Änderung seines Satzungsrechts von einer Beitrags- oder Mischfinanzierung zu einer reinen oder stärkeren Gebührenfinanzierung übergehen ( 9 A 77.05 - LKV 2008, 377 <378> und vom - 9 B 22.09 - juris Rn. 30). Geschieht dies jedoch bis zum Eintritt der hypothetischen Festsetzungsverjährung nicht, können wegen der nach dem Satzungsrecht des Einrichtungsträgers bei Verjährungseintritt unverändert fortbestehenden Rechtslage die Herstellungskosten im Umfang der Beitragsfinanzierung weiterhin nur durch Beiträge gedeckt werden. Eine Deckung über Benutzungsgebühren bleibt nach § 6 Abs. 2 Satz 5 KAG BB ausgeschlossen. Tritt hypothetische Festsetzungsverjährung ein, hat dies zur Folge, dass nicht nur keine Beiträge mehr erhoben werden können, sondern auch der beitragsfinanzierte Teil des Herstellungsaufwands nicht mehr durch Benutzungsgebühren gedeckt werden kann (vgl. Grünewald, GemHH 2003, 244 <247>, wo dies für die Festsetzungsverjährung vorausgesetzt wird). Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG schützt das Vertrauen in den Fortbestand dieser Rechtslage.
24(2) Dass der Einrichtungsträger sein Finanzierungssystem grundsätzlich für die Zukunft ändern kann, steht dem Schutz dieses Vertrauens nicht entgegen.
25Zwar kommt Vertrauensschutz nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG nicht in Betracht, soweit sich ein Vertrauen in den Bestand des geltenden Rechts nicht bilden konnte (vgl. zum Rückwirkungsverbot - BVerfGE 135, 1 Rn. 61 f.; Kammerbeschluss vom - 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 - NVwZ 2016, 300 Rn. 55 f.). Die Möglichkeit, von einer reinen Beitragsfinanzierung oder einer Mischfinanzierung zu einer stärkeren oder reinen Gebührenfinanzierung überzugehen, schließt die Bildung eines schutzwürdigen Vertrauens in den Bestand des geltenden Rechts jedoch entgegen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts (vgl. 9 A 77.05 - LKV 2008, 377 <378> zur echten Festsetzungsverjährung) und der Ansicht des Antragsgegners nicht aus.
26Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gewährleistet das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung, zu der auch Rechtsverordnungen und Satzungen gehören (vgl. zu Rechtsverordnungen , 2 BvR 1042/75 - BVerfGE 45, 142 <166 ff.>). Geschützt ist daher auch das Vertrauen in den Bestand des unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Satzungsrechts. Entscheidet der Einrichtungsträger sich durch den Erlass einer Anschlussbeitragssatzung für eine Beitragsfinanzierung, so können sich die Beitragszahler auf den Fortbestand der aufgrund der Beitragssatzung erlangten Rechtsposition verlassen. Denn die Möglichkeit künftiger Rechtsänderungen relativiert nicht ohne Weiteres die Verlässlichkeit der Rechtsordnung für die Vergangenheit (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom - 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 - NVwZ 2016, 300 Rn. 65 und vom - 1 BvR 789/19, 1 BvR 2894/19 - NVwZ 2022, 977 Rn. 17). Vielmehr wird das Ermessen des Einrichtungsträgers, sein Finanzierungssystem zu ändern, auch nach der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ( 9 A 77.05 - LKV 2008, 377 <378>) durch höherrangiges Recht beschränkt. Der Wechsel von einer Beitrags- zu einer Gebührenfinanzierung kann deshalb nur unter Wahrung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes erfolgen, der, wie dargelegt, im Fall der hypothetischen Festsetzungsverjährung das Vertrauen schützt, entsprechend dem geltenden Satzungsrecht des Einrichtungsträgers nicht nur keine Beiträge mehr zahlen, sondern auch über Benutzungsgebühren nicht zur Deckung der Herstellungskosten beitragen zu müssen.
27(3) Dem steht weder die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch die unterschiedliche Entgeltfunktion und Ausgestaltung von Anschlussbeiträgen und Benutzungsgebühren entgegen.
28(a) Das Bundesverfassungsgericht sieht die durch den Eintritt der hypothetischen Festsetzungsverjährung begründete Vertrauensposition in dem Vertrauen, die tatsächlich erlangten Vorteile nicht mehr durch Beiträge ausgleichen zu müssen (, 1 BvR 2894/19 - NVwZ 2022, 977 Rn. 11 ff.), während nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Vertrauen geschützt ist, sich nicht mehr durch Beiträge an dem Herstellungsaufwand beteiligen zu müssen, auf den sich die hypothetisch festsetzungsverjährte Beitragspflicht bezogen hat ( 9 C 9.20 - BVerwGE 173, 324 Rn. 36). Das Bundesverfassungsgericht knüpft insoweit an den Grundsatz der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit an. Danach muss ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen können, ob und in welchem Umfang er die erlangten tatsächlichen Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss. Zwar hat der Bürger ab dem Eintritt der Vorteilslage damit zu rechnen, zur Zahlung von Beiträgen herangezogen zu werden. Die Legitimation dafür verflüchtigt sich jedoch umso mehr, je weiter dieser Zeitpunkt zurückliegt; sie ist ausgeschlossen, wenn (hypothetische) Festsetzungsverjährung eingetreten ist (, 1 BvR 2894/19 - NVwZ 2022, 977 Rn. 11 und 15). Dies hindert jedoch nicht, das Vertrauen als geschützt anzusehen, nach Eintritt der hypothetischen Festsetzungsverjährung auch über Benutzungsgebühren nicht mehr zu den beitragsfinanzierten Herstellungskosten beitragen zu müssen.
29Maßgeblich für den Schutz des Vertrauens in die Verlässlichkeit der auf der Grundlage des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung ist die sich aus dem Satzungsrecht der Einrichtungsträger ergebende Rechtslage. Diese schließt, wie dargelegt, eine Deckung der Herstellungskosten durch Benutzungsgebühren in dem Umfang aus, in dem der Herstellungsaufwand durch Anschlussbeiträge gedeckt werden soll, die dem Ausgleich der durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung gebotenen Vorteile dienen.
30Auch soweit der Antragsgegner meint, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne sich durch den Eintritt der hypothetischen Festsetzungsverjährung nur die Legitimation zur Erhebung von Anschlussbeiträgen, nicht aber die Legitimation zur Erhebung von Benutzungsgebühren verflüchtigen, steht dies dem Schutz des Vertrauens, auch über Benutzungsgebühren nicht mehr zu den Herstellungskosten herangezogen zu werden, nicht entgegen. Zwar verflüchtigt sich mit dem Eintritt der hypothetischen Festsetzungsverjährung nur die Legitimation zur Erhebung von Beiträgen für die durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung gebotenen wirtschaftlichen Vorteile (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG BB), nicht aber die Legitimation zur Erhebung von Benutzungsgebühren für die tatsächliche Inanspruchnahme der Einrichtung (vgl. § 6 Abs. 4 Satz 1 KAG BB). Die Legitimation dafür, den durch Beiträge zu deckenden Herstellungsaufwand über kalkulatorische Abschreibungen durch Benutzungsgebühren zu finanzieren, ist jedoch bereits mit der Entscheidung für die Beitragserhebung entfallen. Ab dem Eintritt der hypothetischen Festsetzungsverjährung fehlt es daher insgesamt an einer Legitimation für die Deckung dieses Teils des Herstellungsaufwands durch die Abgabepflichtigen. Darauf können diese sich nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verlassen.
31(b) Der Schutz dieses Vertrauens wird auch nicht durch die unterschiedliche Entgeltfunktion und Ausgestaltung von Beiträgen und Gebühren ausgeschlossen.
32Bei Anschlussbeiträgen handelt es sich um Abgaben, die der einmaligen Abgeltung der durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung gebotenen wirtschaftlichen Vorteile dienen, während Gebühren ein Entgelt für die tatsächliche Inanspruchnahme der Einrichtung in einem bestimmten Zeitraum darstellen. Anschlussbeiträge und Benutzungsgebühren sind dementsprechend auch im Übrigen unterschiedlich ausgestaltet. Dennoch dienen sie gleichermaßen als voneinander abhängige Teile eines Gesamtfinanzierungssystems der Deckung der Kosten der Anschaffung und Herstellung der öffentlichen Einrichtung (vgl. OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom - 2 A 417/01 - juris Rn. 32). Dabei darf ein und dieselbe Aufwandsposition nicht durch einen Beitrag und zusätzlich über Benutzungsgebühren umgelegt werden (OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom - 2 A 417/01 - juris Rn. 32; 9 A 77.05 - LKV 2008, 377 <378>). Hat sich der Einrichtungsträger nach seinem Satzungsrecht für eine Beitragserhebung entschieden, dürfen die betroffenen Grundstückseigentümer ungeachtet der Unterschiede zwischen Anschlussbeiträgen und Benutzungsgebühren nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG darauf vertrauen, dass eine Deckung des Herstellungsaufwands über Gebühren im Umfang der Beitragserhebung unterbleibt.
33bb) In der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts greift § 4 Abs. 2 SGS in die geschützte Vertrauensposition ein, ohne dass dies verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre.
34(1) Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts gilt für Gebührenschuldner, deren Grundstücke wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung nicht mehr zu einem Beitrag herangezogen werden konnten, nach § 4 Abs. 2 SGS der Gebührensatz von 4,35 €/cbm Schmutzwasser für Grundstücke, für die kein Anschlussbeitrag gezahlt wurde. Im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts sein Finanzierungssystem für die Nichtbeitragszahler auf eine reine Gebührenfinanzierung der Herstellungskosten umgestellt hat, ist dies der Gebührensatz, den alle Gebührenpflichtigen zahlen müssten, wenn es überhaupt kein durch Beiträge aufgebrachtes Abzugskapital gäbe. Der Gebührensatz enthält daher Abschreibungen, die nach § 6 Abs. 2 Satz 3 KAG BB auf der Grundlage der vollen Herstellungskosten berechnet worden sind (vgl. BA S. 14). Dies stellt einen Eingriff in die geschützte Vertrauensposition dar, zu diesen Kosten auch über Benutzungsgebühren nicht mehr beitragen zu müssen.
35(2) Dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
36(a) Beeinträchtigungen des Vertrauens in die Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechtspositionen sind verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn sie mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sind, also zur Erreichung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich sind und die Veränderungsgründe des Normgebers die Bestandsinteressen der Betroffenen überwiegen (stRspr zur Unzulässigkeit unechter Rückwirkung, vgl. etwa - BVerfGE 132, 302 Rn. 43 m. w. N.; 9 C 9.20 - BVerwGE 173, 324 Rn. 30 und vom - 9 C 10.20 - BVerwGE 173, 340 Rn. 17). Kommt die Beeinträchtigung im Ergebnis einer grundsätzlich unzulässigen echten Rückwirkung nahe, sind insoweit entsprechend gesteigerte Anforderungen zu stellen ( 9 C 9.20 - BVerwGE 173, 324 Rn. 39 unter Bezugnahmen auf , 1 BvR 3051/14 - NVwZ 2016, 300 Rn. 41 und 63). Nur besonders wichtige Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, können einen solchen Eingriff rechtfertigen ( 9 C 9.20 - BVerwGE 173, 324 Rn. 39; vgl. zur echten Rückwirkung , 1 BvR 3051/14 - NVwZ 2016, 300 Rn. 56 m. w. N.; 9 C 2.18 - BVerwGE 164, 212 Rn. 44).
37Diese gesteigerten Anforderungen gelten hier. Der beschriebene Eingriff in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG kommt einer echten Rückwirkung nahe. Echte Rückwirkung entfaltet eine Rechtsnorm, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift (, 1 BvR 3051/14 - NVwZ 2016, 300 Rn. 41 m. w. N.). In den Fällen der hypothetischen Festsetzungsverjährung ist, wie ausgeführt, eine Deckung der Herstellungskosten nicht nur durch Anschlussbeiträge, sondern auch durch Benutzungsgebühren ausgeschlossen, soweit nach dem Satzungsrecht des Einrichtungsträgers zum Ersatz des Herstellungsaufwands Anschlussbeiträge erhoben werden. Die sich daraus ergebende geschützte Rechtsposition wird nachträglich wieder entzogen, wenn Satzungsregelungen wie § 4 Abs. 2 SGS die nicht mehr bestehende Möglichkeit einer Deckung des Herstellungsaufwands über Benutzungsgebühren erneut schaffen.
38(b) Der Eingriff ist nicht in einer den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügenden Weise durch Gemeinwohlbelange gerechtfertigt.
39(aa) Keinen das Vertrauensinteresse überwiegenden Gemeinwohlbelang stellt das Ziel dar, im Interesse der Abgabengerechtigkeit alle Abgabepflichtigen an der Deckung der Herstellungskosten zu beteiligen.
40Der Gesetzgeber ist nach dem Grundsatz der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verpflichtet, Verjährungsregelungen oder sonstige Regelungen zu schaffen, die - wie § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG BB i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO und § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG BB a. F. im Falle der hypothetischen Festsetzungsverjährung - sicherstellen, dass Beiträge zum Vorteilsausgleich nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können ( - BVerfGE 133, 143 Rn. 45). Solche Regelungen haben zwangsläufig eine Einschränkung des Grundsatzes der Abgabengerechtigkeit zur Folge. Der mit ihnen einhergehende Vertrauensschutz hat daher schon von Verfassungs wegen Vorrang vor dem Ziel, im Interesse der Abgabengerechtigkeit auch diejenigen an der Deckung des Herstellungsaufwands zu beteiligen, die wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung nicht mehr zu Anschlussbeiträgen herangezogen werden können (vgl. 9 C 9.20 - BVerwGE 173, 324 Rn. 40).
41(bb) Auch das Ziel, im Interesse des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG alle Abgabepflichtigen entsprechend den Regelungen der §§ 6 und 8 KAG BB an der Deckung des Herstellungsaufwands zu beteiligen, stellt keinen Gemeinwohlbelang dar, der die mit § 4 Abs. 2 SGS verbundene Beeinträchtigung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes rechtfertigen könnte. Dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entspricht es gerade, die mit dem Eintritt der hypothetischen Festsetzungsverjährung entstandene Rechtslage und den Schutz des Vertrauens in deren Fortbestand zu beachten (vgl. 9 C 9.20 - BVerwGE 173, 324 Rn. 41 f.).
42(cc) Das Haushaltsinteresse des Einrichtungsträgers an der vollständigen Refinanzierung seiner Schmutzwasserbeseitigungsanlage ist ebenfalls kein Gemeinwohlbelang, der den mit § 4 Abs. 2 SGS einhergehenden Entzug der geschützten Vertrauensposition rechtfertigen könnte. Ihm kommt trotz der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung, insbesondere beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung und bei der erstmaligen Schaffung von wirksamem Satzungsrecht, nur geringes Gewicht zu.
43Die mit der hypothetischen Festsetzungsverjährung einhergehenden finanziellen Einbußen wären vermeidbar gewesen. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG BB a. F. hätte es ermöglicht, die Anschlussbeitragspflicht nicht schon mit dem Inkrafttreten der Beitragssatzung, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt entstehen zu lassen. Damit hätten die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Abwicklung einer Vielzahl gleichzeitig anfallender Beitragsverfahren geschaffen werden können, zumal die Einrichtungsträger nicht davon ausgehen konnten, dass ihnen nach Inkrafttreten der ersten Beitragssatzung mehr als die gesetzlich bestimmte vierjährige Festsetzungsfrist (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG BB i. V. m. § 169 Abs. 2 AO) für den Erlass von Beitragsbescheiden verbleiben würde (, 1 BvR 3051/14 - NVwZ 2016, 300 Rn. 66, 68 f.; 9 C 9.20 - BVerwGE 173, 324 Rn. 43). Darüber hinaus hätten die mit der hypothetischen Festsetzungsverjährung verbundenen finanziellen Einbußen dadurch vermieden werden können, dass die Beitragsfinanzierung rechtzeitig vor dem Eintritt der hypothetischen Festsetzungsverjährung durch eine Finanzierung des Herstellungsaufwands über Benutzungsgebühren ersetzt worden wäre.
44(dd) Schließlich stellt auch das Ziel, eine Doppelbelastung derjenigen Gebührenschuldner zu vermeiden, für deren Grundstücke Anschlussbeiträge gezahlt wurden, keinen Gemeinwohlbelang dar, der die Beeinträchtigung der geschützten Vertrauensposition rechtfertigen könnte. Der Eingriff ist nicht erforderlich. Die Doppelbelastung lässt sich auf andere Weise ebenso wirksam vermeiden.
45Der ermäßigte Gebührensatz, den § 4 Abs. 1 SGS für Grundstücke vorsieht, für die ein Beitrag gezahlt wurde, ergibt sich nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts durch Gewährung eines Abschlags von dem Gebührensatz nach § 4 Abs. 2 SGS. Dazu wird ermittelt, welche Maßstabseinheiten - und damit auch welcher Anteil an den Kosten - auf die Grundstücke entfallen, für die ein Beitrag gezahlt wurde. Die entsprechenden Kosten sind dann durch Ansatz der gezahlten Beiträge als Abzugskapital bei den kalkulatorischen Abschreibungen und der kalkulatorischen Verzinsung zu vermindern und auf die angesprochenen Maßstabseinheiten zu verteilen (BA S. 14).
46Hiervon ausgehend, lässt sich durch eine Erstreckung des ermäßigten Beitragssatzes auf Grundstücke, für die wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung kein Beitrag gezahlt wurde, dem Grundsatz des Vertrauensschutzes Rechnung tragen, ohne dass es zu einer Doppelbelastung der Beitragszahler kommt. Dazu müssen bei der Ermittlung des ermäßigten Beitragssatzes statt der Maßstabseinheiten der Grundstücke der Beitragszahler diejenigen Maßstabseinheiten zugrunde gelegt werden, die auf diese Grundstücke und auf die Grundstücke entfallen, für die auf Grund hypothetischer Festsetzungsverjährung kein Beitrag entrichtet wurde. Diese Maßstabseinheiten stellen den Anteil an der Gesamtheit der Maßstabseinheiten dar, der auf beitragsbelastete und wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung nicht beitragsbelastete Grundstücke gemeinsam entfällt. Der auf diese Maßstabseinheiten umzulegende Kostenanteil ist dann bei den kalkulatorischen Abschreibungen und der kalkulatorischen Verzinsung um das Abzugskapital zu vermindern und auf diese Maßstabseinheiten zu verteilen. Dabei ist allerdings als Abzugskapital nach § 6 Abs. 2 Satz 5 KAG BB nicht die Summe der tatsächlich gezahlten Beiträge, sondern der Anteil der Herstellungskosten anzusetzen, der nach dem Satzungsrecht des Einrichtungsträgers durch Anschlussbeiträge finanziert werden sollte. Zur Deckung dieses Kostenanteils werden so weder die Beitragszahler noch diejenigen herangezogen, für deren Grundstücke wegen Festsetzungsverjährung kein Beitrag entrichtet wurde. Damit ist eine Doppelbelastung ebenso ausgeschlossen wie eine Beeinträchtigung der geschützten Vertrauensposition.
47Dem steht auch nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts bei der Umstellung des Finanzierungssystems auf eine reine Gebührenfinanzierung als Abzugskapital nur die tatsächlich entrichteten Beiträge berücksichtigt werden können ( 9 A 77.05 - LKV 2008, 377 <378>). Der Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 5 KAG BB, nach dem bei der Berechnung der Abschreibungen das aus Beiträgen "aufgebrachte" Eigenkapital außer Betracht bleibt, umfasst auch das Eigenkapital, das nach dem Satzungsrecht des Einrichtungsträgers durch Beiträge aufgebracht wird. Dies entspricht dem Sinn und Zweck von § 6 Abs. 2 Satz 5 KAG BB zu vermeiden, dass es durch die Heranziehung von Benutzungsgebühren zu einer Doppelbelastung für Anteile am Gesamtaufwand kommt, die bereits mit der Beitragsleistung entgolten wurden (OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom - 2 A 417/01 - juris Rn. 32; 9 A 77.05 - LKV 2008, 377 <378>). Nur wenn der gesamte nach dem Satzungsrecht des Einrichtungsträgers durch Beiträge zu deckende Teil der Herstellungskosten bei der Berechnung der Abschreibungen auch dann unberücksichtigt bleibt, wenn die Beiträge noch nicht gezahlt wurden, lässt sich vermeiden, dass der durch Beiträge zu finanzierende Herstellungsaufwand zusätzlich durch Benutzungsgebühren gedeckt wird. Dementsprechend ist in den Fällen einer Mischfinanzierung nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts regelmäßig davon auszugehen, dass grundsätzlich alle Gebührenschuldner auch Beiträge zahlen, so dass § 6 Abs. 2 Satz 5 KAG BB auch anzuwenden ist, soweit Beiträge noch nicht gezahlt wurden ( 9 A 6.17 - juris Rn. 55).
48b) Der angefochtene Beschluss verstößt darüber hinaus gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, soweit der Gebührensatz nach § 4 Abs. 2 SGS auch gilt, wenn Beiträge wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung nicht erhoben werden konnten.
49aa) Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Normgeber nicht jede Ungleichbehandlung. Differenzierungen bedürfen allerdings stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können ( - BVerfGE 135, 126 Rn. 52 m. w. N.; 9 C 11.16 - BVerwGE 161, 119 Rn. 14, vom - 9 C 1.20 - BVerwGE 172, 292 Rn. 39, vom - 9 C 9.20 - BVerwGE 173, 324 Rn. 54 und vom - 9 CN 2.22 - NVwZ 2023, 1813 Rn. 68). Insbesondere sind dem Gestaltungsspielraum des Normgebers durch Art. 3 Abs. 1 GG umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann ( - BVerfGE 88, 87 <96>; - BVerfGE 138, 136 Rn. 122).
50bb) In der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts beinhalten § 4 Abs. 1 und 2 SGS eine schwerwiegende Ungleichbehandlung, deren Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen ist.
51Der Gebührensatz für Grundstücke, für die Anschlussbeiträge gezahlt wurden, beträgt 3,30 €/cbm Schmutzwasser (§ 4 Abs. 1 SGS), für Grundstücke, für die wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung keine Beiträge gezahlt wurden, hingegen 4,35 €/cbm Schmutzwasser (§ 4 Abs. 2 SGS). Dieser Gebührensatz übersteigt den Gebührensatz für Grundstücke, für die ein Anschlussbeitrag gezahlt wurde, um 1,05 €/cbm Schmutzwasser und damit um 31,8 % oder knapp ein Drittel. Umgekehrt sind die Gebührensätze für Grundstücke, für die Beiträge gezahlt wurden, um 24,1 % oder knapp ein Viertel niedriger als für Grundstücke, für die wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung kein Beitrag gezahlt wurde.
52Dies führt für die Eigentümer dieser Grundstücke zu einer deutlich stärkeren nachteiligen Beeinträchtigung der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten persönlichen Freiheitsentfaltung im vermögensrechtlichen Bereich (vgl. - BVerfGE 137, 1 Rn. 37). Darüber hinaus hat es eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG geschützten Vertrauensposition zur Folge, auch über Gebühren nicht mehr zu den Herstellungskosten herangezogen zu werden. Denn diese Vertrauensposition wird ihnen, wie dargelegt, durch den Gebührensatz nach § 4 Abs. 2 SGS vollständig entzogen. Der entsprechenden Vertrauensposition der Grundstückseigentümer, deren Beitragspflicht nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KAG BB i. V. m. § 47 AO durch Zahlung erloschen ist, wird hingegen durch den ermäßigten Gebührensatz nach § 4 Abs. 1 SGS in vollem Umfang Rechnung getragen (vgl. 9 C 9.20 - BVerwGE 173, 324 Rn. 57).
53cc) Diese beträchtliche Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
54Soweit sie darauf abzielt, eine Doppelbelastung der Beitragszahler zu vermeiden, ist sie nicht erforderlich. Denn dieses Ziel kann, wie ausgeführt, bei Berücksichtigung des Vertrauensschutzes ebenso wirksam erreicht werden.
55Unverhältnismäßig ist die Ungleichbehandlung, soweit sie bezweckt, im Interesse der Abgabengerechtigkeit, der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und des Haushaltsinteresses der Einrichtungsträger auch die Eigentümer von Grundstücken, für die wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung keine Anschlussbeiträge gezahlt wurden, über Benutzungsgebühren zur Deckung der Herstellungskosten heranzuziehen. Denn wie dargelegt, kommt diesen Belangen im Zusammenhang mit der hypothetischen Festsetzungsverjährung nur geringes Gewicht zu. Sie können deshalb die schwerwiegende Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen.
56Nicht verhältnismäßig ist die Ungleichbehandlung schließlich, soweit sie damit begründet wird, dass in Fällen, in denen Anschlussbeiträge wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung nicht gezahlt wurden, die Möglichkeit ausscheide, beim Übergang von einer Beitrags- zu einer Gebührenfinanzierung gezahlte Beiträge zurückzuerstatten (vgl. dazu 10 BN 5.06 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 49 Rn. 11), weil nicht zurückgezahlt werden müsse, was nicht gezahlt worden sei (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom - 9 S 20.16 - juris Rn. 11 und vom - 9 A 10.17 - juris Rn. 18; Urteil vom - 9 A 5.17 - juris Rn. 43). Denn diesem Gesichtspunkt kommt ebenfalls nur geringes Gewicht zu, weil dem Grundsatz des Vertrauensschutzes, wie aufgezeigt, ohne die Ungleichbehandlung auf andere Weise Rechnung getragen werden kann (vgl. 9 C 9.20 - BVerwGE 173, 324 Rn. 60.
57dd) Soweit die unterschiedlichen Gebührensätze zu einer Ungleichbehandlung von Mietern, für deren Vermieter der Gebührensatz nach § 4 Abs. 1 SGS gilt, und Mietern, auf deren Vermieter der Gebührensatz nach § 4 Abs. 2 SGS Anwendung findet, sowie von Grundstückseigentümern, die ihr Grundstück vermietet haben, und selbstnutzenden Grundstückseigentümern führt, ist dies keine Frage der Satzung, sondern der Umlegung von Betriebskosten nach §§ 556 ff. BGB.
583. Das Bundesverwaltungsgericht kann nicht in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO), sondern muss den angefochtenen Beschluss aufheben, soweit er § 4 Abs. 2 SGS betrifft, und die Sache insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
59Ob § 4 SGS in der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts gültig und deshalb für unwirksam zu erklären ist, hängt davon ab, ob Anschlussbeiträge tatsächlich wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung nicht mehr erhoben werden konnten. Dazu hat das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung keine Feststellungen getroffen. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, dass § 4 Abs. 2 SGS in seiner bisherigen Auslegung auf der Grundlage der rechtlichen Beurteilung des Revisionsgerichts (§ 144 Abs. 6 VwGO) gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes oder den Gleichheitssatz verstößt, wird es zu prüfen haben, in welchem Umfang sich dies auf die Gültigkeit der Schmutzwassergebührensatzung in der Fassung der 2. Änderungssatzung insgesamt auswirkt. An einen wie hier auf einen Teil der Satzung beschränkten Antrag ist das Normenkontrollgericht nicht nach § 88 VwGO gebunden, wenn der antragsgemäß für unwirksam zu erklärende Teil der Satzung mit anderen nicht angegriffenen Teilen in untrennbarem Zusammenhang steht. Es hat vielmehr bei einem Mangel in einer nicht teilbaren Gesamtregelung diese Regelung insgesamt für unwirksam zu erklären ( 4 NB 3.91 - Buchholz 310 § 47 Nr. 59 S. 83 ff.; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 47 Rn. 85).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:171023U9CN3.22.0
Fundstelle(n):
WAAAJ-57245