Instanzenzug: Az: 18 U 5734/21vorgehend LG Traunstein Az: 6 O 3507/20
Tatbestand
1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Die Klägerin erwarb am für 28.000 € ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug BMW 530d, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N 57 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
3Die Klägerin hat u.a. behauptet, die Emissionskontrolle erfolge unter Verwendung eines die Abgasreinigung betreffenden Thermofensters. Sie hat die Auffassung vertreten, darin und in weiteren Vorrichtungen lägen unzulässige Abschalteinrichtungen. Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Zahlung von Deliktszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Berufungsanträge mit Ausnahme des die Deliktszinsen betreffenden Antrags zu II weiter.
Gründe
4Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet
6Die Klägerin habe eine die Haftung nach §§ 826, 31 BGB begründende, sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte nicht dargetan. Allein in der nicht bestrittenen Verwendung eines Thermofensters liege eine solche nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht. Für die übrigen behaupteten Abschalteinrichtungen lägen jeweils keine Anhaltspunkte vor. Aus § 823 Abs. 2 BGB ergebe sich kein Anspruch der Klägerin als Fahrzeugkäuferin, weil der geltend gemachte Schaden nicht in den Schutzbereich als verletzt in Frage kommender Bestimmungen falle.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Die Revision ist allerdings nicht schon ohne weiteres deshalb begründet, weil der Zurückweisungsbeschluss, was einen von Amts wegen beachtlichen Verfahrensmangel darstellte und grundsätzlich zur Aufhebung und Zurückverweisung führen müsste (vgl. , DAR 2023, 613 Rn. 16; Urteil vom VIa ZR 752/22, NJW 2023, 3010 Rn. 8), den Vorgaben der § 522 Abs. 2 Satz 4, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht genügte. Zwar muss auch ein mit der Nichtzulassungsbeschwerde angreifbarer Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO gegebenenfalls mit dem Hinweisbeschluss zumindest sinngemäß erkennen lassen, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat (, juris Rn. 6 mwN). Eine wörtliche Wiedergabe der Berufungsanträge, an der es hier fehlt, ist aber nicht erforderlich. Der Zurückweisungsbeschluss muss mit Rücksicht auf das eröffnete Rechtsmittel lediglich den Gegenstand des Berufungsverfahrens erkennen lassen. Hier hat das Berufungsgericht noch ausreichend den Gegenstand des Berufungsverfahrens in einer für die Zwecke eines anschließenden Rechtsmittelverfahrens genügenden Weise dargestellt.
92. Es begegnet überdies keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
103. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeschlossen hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
12Der Zurückweisungsbeschluss ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO.
13Insbesondere kann der Senat entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und nach Maßgabe des Senatsurteils vom ( VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 59 ff.) ein Verschulden der Beklagten nicht ausschließen. Zwar müssen der objektive und der subjektive Tatbestand einer Pflichtverletzung zeitlich zusammenfallen (vgl. , BGHZ 171, 46 Rn. 8) und kommt es für die Frage, ob der Beklagten ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, insoweit nur zusätzlich noch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an ( aaO, Rn. 61; Urteil vom VIa ZR 1511/22, juris Rn. 12 f.). Dass zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs, wie die Revisionserwiderung geltend macht, keine Zweifel an der Zulässigkeit von Thermofenstern bestanden hätten, sondern erst durch die spätere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union begründet worden seien, ließe selbst wenn der Einwand der Revisionserwiderung zuträfe das Verschulden indessen nicht entfallen. Dass sich ein Hersteller nicht ohne weiteres und gestützt auf eine zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger verbreitete Auffassung von der Zulässigkeit bestimmter Abschalteinrichtungen entlasten kann, hat der Senat entschieden und näher dargelegt ( aaO, Rn. 69; zu den Anforderungen an die Darlegung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums außerdem VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064 Rn. 13 ff.). Dass ein Differenzschaden durch von der Klägerin gezogene Vorteile vollständig aufgezehrt sei, ergeben die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht.
14Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:041223UVIAZR817.22.0
Fundstelle(n):
ZAAAJ-56661