BSG Urteil v. - B 1 KR 8/23 R

(Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - Abrechnungsprüfung - Aufschlagszahlung nach § 275c Abs 3 SGB 5 - Einleitung der Rechnungsprüfung ab dem )

Leitsatz

Eine Krankenkasse darf für eine vom Medizinischen Dienst beanstandete Schlussrechnung eines Krankenhauses von diesem eine Aufschlagszahlung nur erheben, wenn die Einleitung der Rechnungsprüfung ab dem erfolgt ist.

Gesetze: § 275c Abs 2 S 2 SGB 5, § 275c Abs 2 S 3 SGB 5, § 275c Abs 2 S 4 SGB 5, § 275c Abs 3 S 1 SGB 5, § 275c Abs 3 S 2 SGB 5, § 275c Abs 5 S 1 SGB 5 vom , § 24 Abs 1 SGB 10, § 24 Abs 2 Nr 4 SGB 10, § 35 Abs 1 S 2 SGB 10, § 35 Abs 2 Nr 3 SGB 10, § 41 Abs 1 Nr 3 SGB 10, § 41 Abs 2 SGB 10

Instanzenzug: Az: S 30 KR 1356/22 KH Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten über eine Aufschlagszahlung für eine beanstandete Krankenhausabrechnung.

2Das klagende Krankenhaus (im Folgenden: Krankenhaus) behandelte vom 24. bis eine Versicherte der beklagten Krankenkasse (im Folgenden: KK) stationär. Die KK zahlte die in Rechnung gestellte Vergütung und beauftragte den Medizinischen Dienst (MD) am mit einer Abrechnungsprüfung. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom zu dem Ergebnis, es sei ein geringerer Betrag abzurechnen. Das Krankenhaus akzeptierte den daraufhin von der KK geltend gemachten Erstattungsanspruch und korrigierte seine Abrechnung. Die KK setzte in der Folge gegen das Krankenhaus eine Aufschlagszahlung in Höhe von 300 Euro fest (Bescheid vom ) und wies den hiergegen gerichteten Widerspruch des Krankenhauses zurück (Widerspruchsbescheid vom ).

3Das SG hat den Bescheid aufgehoben und die Sprungrevision zugelassen. Der Bescheid sei formell und materiell rechtswidrig. Es fehle an einer ausreichenden Begründung und der vorherigen Anhörung. Der Anhörungsmangel sei auch nicht geheilt worden. Die KK sei nicht zur Aufschlagserhebung berechtigt gewesen. § 275c Abs 3 SGB V sei auf den vorliegenden Abrechnungsfall zeitlich nicht anwendbar. Die Worte "ab dem Jahr 2022" bezögen sich nicht auf die leistungsrechtliche Entscheidung der KK, sondern auf den Zeitpunkt der Einleitung der Prüfung.

4Mit ihrer Revision rügt die KK die Verletzung von § 35 Abs 1 und 2, § 24 Abs 1 und Abs 2 Nr 4, § 41 Abs 1 Nr 2 SGB X und § 275c Abs 3 SGB V. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig.Er sei ausreichend begründet worden. Eine vorherige Anhörung sei nach § 24 Abs 2 Nr 4 SGB X nicht erforderlich gewesen und ein etwaiger Anhörungsmangel im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Die Formulierung "ab dem Jahr 2022" in § 275c Abs 3 Satz 1 SGB V stelle auf den Zeitpunkt der Leistungsentscheidung der KK ab. Diese sei nach dem erfolgt.

7Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend.

Gründe

8Die Revision der beklagten KK ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das SG hat der Anfechtungsklage des Krankenhauses zu Recht stattgegeben. Der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ist rechtswidrig und verletzt das Krankenhaus in seinen Rechten.

9Die KK war zwar grundsätzlich zur Erhebung einer Aufschlagszahlung im Wege eines Verwaltungsaktes nach § 275c Abs 3 SGB V berechtigt (dazu 1.). Eine formelle Rechtswidrigkeit ergibt sich weder aus dem Umfang der Begründung im angegriffenen Bescheid noch aus der zunächst unterbliebenen Anhörung (dazu 2.). Der Bescheid war allerdings materiell rechtswidrig. Die KK durfte für die vor dem eingeleitete Prüfung keine Aufschlagszahlung erheben (dazu 3.).

101. Rechtsgrundlage für die Erhebung der Aufschlagszahlung ist § 275c Abs 3 Satz 1 SGB V (in der bei Erlass des Widerspruchsbescheides am geltenden Fassung des Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen vom <COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz> BGBl I 580). Danach haben die Krankenhäuser ab dem Jahr 2022 bei einem Anteil unbeanstandeter Abrechnungen unterhalb von 60 Prozent neben der Rückzahlung der Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem geminderten Abrechnungsbetrag einen Aufschlag auf diese Differenz an die KKn zu zahlen.

11Die KK war berechtigt, die Aufschlagszahlung durch Verwaltungsakt zu erheben. Die erforderliche Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes ergab sich aus § 275c Abs 5 Satz 1 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetzes (GPVG) vom (BGBl I 3299). Danach haben Widerspruch und Klage gegen die Geltendmachung der Aufschlagszahlung nach § 275c Abs 3 SGB V keine aufschiebende Wirkung. Dies beinhaltet mit Blick auf § 86a Abs 1 SGG auch die Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes (vgl - BSGE 132, 55 = SozR 4-2500 § 136b Nr 1, RdNr 12; - SozR 4-2500 § 110 Nr 1 RdNr 16 mwN; vgl demgegenüber für die Zeit ab dem § 275c Abs 3 Satz 4 und Abs 5 Satz 1 SGB V idF des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes vom , BGBl I 2793: Geltendmachung im Wege elektronischer Datenübertragung).

122. Ob der angegriffene Bescheid insgesamt formell rechtmäßig war, insbesondere, ob - was das Krankenhaus erstmals in der Revisionserwiderung angezweifelt hat - der Widerspruchsbescheid von der gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGG zuständigen Stelle erlassen wurde (vgl dazu auch SG Duisburg vom - S 39 KR 1432/22 KH - juris RdNr 53 ff), bedarf keiner abschließenden Klärung, da die KK aus materiellen Gründen keine Aufschlagszahlung hätte erheben dürfen und der angefochtene Bescheid zumindest deshalb aufzuheben ist (dazu unter 3.). Eine formelle Rechtswidrigkeit ergibt sich jedenfalls weder aus dem Umfang der Begründung im Bescheid (dazu a) noch aus der zunächst unterbliebenen Anhörung (dazu b).

13a) Der angegriffene Bescheid ist hinreichend begründet.

14Eine Begründung für die Erhebung einer Aufschlagszahlung war nicht nach § 35 Abs 2 SGB X entbehrlich. Die Gründe dafür waren unter Anlegung des insoweit gebotenen strengen Maßstabes (vgl - SozR 4-1200 § 52 Nr 5 RdNr 73) dem Krankenhaus weder bekannt noch ohne weiteres erkennbar. Zwar mag dem Krankenhaus die generelle Möglichkeit zur Erhebung von Aufschlagszahlungen nach § 275c Abs 3 SGB V bekannt gewesen sein. Allerdings muss mit der Begründung eines Bescheides der notwendige Einzelfallbezug hergestellt werden. Das Begründungserfordernis entfiel auch nicht wegen einer Vielzahl gleichartiger Verwaltungsakte iS von § 35 Abs 2 Nr 3 SGB X. Dieser Ausnahmetatbestand erfasst im Wesentlichen Formular- und EDV-Bescheide, die den gleichen Inhalt haben, zur gleichen Zeit ergehen und von der Behörde an einen nicht mehr überschaubaren Personenkreis gerichtet werden (zB Rentenanpassungsbescheide, vgl Luthe in jurisPK-SGB X, 2. Aufl 2017, § 35 RdNr 27, Stand ). Bescheide über Aufschlagszahlungen nach § 275c Abs 3 SGB V sind in der Regel zwar formularmäßig verfasst und weisen ähnliche Inhalte auf. Derartige Bescheide ergehen wegen ihres Bezuges zur quartalsbezogenen dynamisierten Prüfquote allerdings weder zur gleichen Zeit, noch richten sie sich an einen nicht mehr überschaubaren Personenkreis.

15Die nach § 35 Abs 1 Satz 2 SGB X gebotene Mitteilung aller entscheidungserheblichen Gründe ist im angegriffenen Bescheid ausreichend erfolgt. Im Rahmen der Begründung kann sich die Behörde auf die Angabe der tragenden Erwägungen beschränken und braucht Gesichtspunkte und Umstände, die auf der Hand liegen oder dem Betroffenen bekannt sind, nicht nochmals ausführlich darzulegen (vgl - BSGE 74, 70, 75 = SozR 3-2500 § 106 Nr 23 S 129; - BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 20; Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 35 RdNr 8). Die Begründungsanforderungen sind einzelfallabhängig und richten sich auch nach den Besonderheiten des Rechtsgebietes (vgl Luthe in jurisPK-SGB X, 2. Aufl 2017, § 35 RdNr 13, Stand ). Bei Bescheiden, die sich an einen sachkundigen Personenkreis richten, der über entsprechende Sonderkenntnisse und Erfahrungen mit dem üblichen Inhalt ähnlicher Bescheide verfügt, dürfen die Anforderungen an das Begründungserfordernis nicht überspannt werden (vgl zum Vertragsarztrecht und vom , jeweils aaO; vgl auch Luthe in jurisPK-SGB X, aaO, § 35 RdNr 13.3). Das Krankenhaus verfügt über die nötige Sachkunde beim Umgang mit Aufschlagsbescheiden. Der notwendige Einzelfallbezug ergibt sich aus der Betreffzeile des Bescheides mit der Angabe des Namens des Versicherten, der Versichertennummer, der Aufnahmenummer, der Rechnungsnummer des Krankenhauses sowie des Behandlungszeitraums. Die Festsetzung des Mindestbetrages von 300 Euro war für das Krankenhaus auf der Grundlage der ihm bekannten - und von ihm auch anerkannten - Differenz zwischen ursprünglicher und geminderter Rechnungshöhe nachvollziehbar. Der Angabe der Prüfquotenvorschrift (§ 275c Abs 2 Satz 4 Nr 2 oder Nr 3 SGB V) bedurfte es hierfür nicht. Die quartalsbezogene Prüfquote wird dem Krankenhaus vom GKV-Spitzenverband nach § 275c Abs 4 SGB V mitgeteilt. Das Anwendungsquartal für die Prüfquote war dem Krankenhaus durch den Zeitpunkt der Prüfungseinleitung (vgl § 275c Abs 2 Satz 3 SGB V idF des GPVG vom , BGBl I 3299) ebenfalls bekannt.

16b) Eine vorherige Anhörung war zwar ebenfalls nicht entbehrlich, insbesondere - entgegen der Ansicht der KK - nicht nach § 24 Abs 2 Nr 4 SGB X.Der angegriffene Aufschlagsbescheid stellt keine schematische bzw formularmäßige Entscheidung gegenüber einer Vielzahl von Adressaten dar, die zur selben Zeit auf derselben Grundlage ergeht und deren Rechtmäßigkeit allein von der richtigen Anwendung einer abstrakten Rechtsformel - unabhängig von individuellen Umständen - abhängt (vgl - BSGE 69, 247 = SozR 3-1300 § 24 Nr 4 S 7; - BSGE 70, 13 = SozR 3-2500 § 240 Nr 6 S 10, 11). Bescheide über die Erhebung von Aufschlagszahlungen hängen nicht lediglich von der Anwendung einer festen im Gesetz verankerten Berechnungsgröße ab, sondern von individuellen Umständen, nämlich dem Anteil unbeanstandeter Rechnungen des jeweiligen Krankenhauses im Bemessungsquartal und dessen individueller Prüfquote. Allein der Umstand, dass Aufschlagsbescheide in großer Zahl und automatisiert erstellt werden, rechtfertigt das Absehen von der Anhörung nicht (vgl Siefert in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 24 RdNr 36).

17Die unterbliebene Anhörung wurde allerdings nachträglich im Widerspruchsverfahren nachgeholt und der Anhörungsmangel damit geheilt (§ 41 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 SGB X). Anders als im gerichtlichen Verfahren (vgl - SozR 3-1300 § 24 Nr 22 S 74; - SozR 4-1300 § 41 Nr 2 RdNr 15; - BSGE 122, 25 = SozR 4-1500 § 114 Nr 2, RdNr 19; - SozR 4-1500 § 153 Nr 17 RdNr 14) bedarf es für eine Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren keiner Durchführung eines gesonderten (mehr oder minder förmlichen) behördlichen Verwaltungsverfahrens. Es genügt, wenn dem Betroffenen im Widerspruchsverfahren hinreichende Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (vgl - SozR 4-2600 § 77 Nr 10 RdNr 14; - SozR 4-2500 § 106a Nr 17 RdNr 16 mwN; Schütze in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 41 RdNr 15). Dies war vorliegend der Fall. Das Krankenhaus hatte nach Erlass des ausreichend begründeten Ausgangsbescheides vom (siehe RdNr 13 ff) ausreichend Gelegenheit, sich zu den aus Sicht der KK entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Insbesondere hatte es auch Gelegenheit, seine Rechtsauffassung zum zeitlichen Anwendungsbereich der Vorschriften über die Aufschlagszahlung darzulegen. Hierauf ist die KK im Widerspruchsbescheid auch eingegangen.

183. Der angefochtene Bescheid ist allerdings materiell rechtswidrig. Die KK ist für eine vor dem eingeleitete Rechnungsprüfung nicht zur Erhebung einer Aufschlagszahlung berechtigt.

19Die Verpflichtung zur Aufschlagszahlung besteht nach § 275c Abs 3 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes vom (BGBl I 580) "ab dem Jahr 2022" (siehe RdNr 10).Eine KK darf für eine vom MD beanstandete Schlussrechnung eines Krankenhauses von diesem eine Aufschlagszahlung nur erheben, wenn sie die Rechnungsprüfung ab dem eingeleitet hat. Die Einleitung der Rechnungsprüfung manifestiert sich nach außen durch die Erteilung des Prüfauftrages der KK an den MD (vgl zu dem - von der Krankenhausaufnahme bis zur Leistungsentscheidung der KK reichenden - Meinungsstand Makoski, jurisPR-MedizinR 11/2022 Anm 5; ders, NZS 2022, 767, 769). Das ergibt sich nach der gebotenen Auslegung der Vorschrift (dazu a) bei offenem Wortlaut (dazu b) aus systematischen (dazu c), entstehungsgeschichtlichen und teleologischen Gründen (dazu d).

20a) Für die Auslegung des § 275c Abs 3 SGB V stehen alle allgemein anerkannten Auslegungsmethoden (Systematik, Gesetzeshistorie, Sinn und Zweck der Regelung) zur Verfügung. Das für Vergütungsvorschriften geltende Erfordernis einer strengen Wortlautauslegung ist vorliegend nicht einschlägig.

21Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats sind Vergütungsvorschriften (Diagnose- und Prozedurenschlüssel) wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems stets eng an ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen (vgl etwa - SozR 4-5562 § 9 Nr 15 RdNr 13; - SozR 4-5562 § 9 Nr 16 RdNr 17; - juris RdNr 9). Bereits für die Auslegung von Vorschriften der Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) hat der Senat allerdings klargestellt, dass diese Besonderheiten hier nicht gelten und auf alle anerkannten Auslegungsmethoden zurückgegriffen werden kann, da die Vorschriften der PrüfvV sich als Verfahrensregelungen nicht qualitativ auf die Bewertungsrelationen des Vergütungssystems auswirken und nicht das Verständnis der zu kodierenden Berechnungselemente im Rahmen der Vergütung betreffen (vgl - BSGE 132, 152 = SozR 4-2500 § 301 Nr 10, RdNr 21). Für die Regelungen des § 275c Abs 3 Satz 1 SGB V zur Aufschlagszahlung gilt nichts anderes. Hierbei handelt es sich ebenfalls nicht um eine (primäre) Vergütungsvorschrift, sondern - ähnlich wie bei der Aufwandspauschale des § 275c Abs 1 Satz 2 SGB V - um eine Rechnungsgröße, die über die Krankenhausvergütung hinausgeht und von den Ergebnissen der MD-Prüfungen für ein Abrechnungsquartal abhängt. Sie wird als eine Strafzahlung verstanden (vgl Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, § 275c RdNr 47, Stand 7. EL 2023; Felix, NZS 2020, 481, 483). Für eine derartige bundesgesetzliche Regelung stehen alle allgemein anerkannten Auslegungsmethoden zur Verfügung.

22b) Dem Wortlaut des § 275c Abs 3 SGB V lässt sich nicht entnehmen, welcher Zeitpunkt für die zeitliche Anwendbarkeit maßgeblich ist. "Ab dem Jahr 2022" haben danach "die Krankenhäuser … einen Aufschlag … zu zahlen". Denn der Zeitpunkt der Zahlung des Aufschlages, auf den sich das "Ab dem Jahr 2022" bezieht, betrifft die Erfüllung der Verpflichtung, nicht deren Entstehung. Welche Abrechnungsfälle von der Aufschlagspflicht umfasst sind, ergibt sich hieraus nicht.

23c) Für eine Anknüpfung an den Zeitpunkt der Einleitung der Rechnungsprüfung spricht insbesondere der systematische Zusammenhang zwischen Rechnungsprüfung, Prüfquote und Aufschlagszahlung (dazu aa). Soweit für die Anwendbarkeit anderer gesetzlicher Regelungen abweichende Zeitpunkte gelten, lässt dies für die Auslegung des § 275c Abs 3 SGB V keine Rückschlüsse zu (dazu bb).

24aa) Nach der inneren Systematik der Abs 2 und 3 des § 275c SGB V besteht ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Rechnungsprüfung, Prüfquote und Aufschlagszahlung.

25(1) In § 275c Abs 2 SGB V hat der Gesetzgeber ab dem Jahr 2020 ein System fester und quartalsbezogener Prüfquoten eingeführt. Prüfungen von Krankenhausabrechnungen dürfen danach grundsätzlich nur noch innerhalb der Prüfquote durchgeführt werden (§ 275c Abs 2 Satz 1 und 5 SGB V). Für 2020 galt eine feste Prüfquote von fünf und für 2021 von 12,5 Prozent. Seit 2022 wird vom GKV-Spitzenverband für jedes Krankenhaus eine quartalsbezogene Prüfquote ermittelt, und zwar aufgrund der Prüfungsergebnisse des vorvergangenen Quartals. Die Prüfquote beträgt fünf, zehn oder 15 Prozent, je nachdem, ob der Anteil unbeanstandeter, MD-geprüfter Rechnungen über 60 Prozent, zwischen 40 und 60 Prozent oder unter 40 Prozent liegt (§ 275c Abs 2 Satz 2 und 4 SGB V). Bei einem Anteil unbeanstandeter MD-Prüfungen über 60 Prozent beträgt die Prüfquote also zB nur fünf Prozent, bei einem Anteil unbeanstandeter Prüfungen von unter 40 Prozent dagegen 15 Prozent. Für die Zuordnung einer Prüfung zur geltenden Prüfquote ist der Zeitpunkt der Prüfungseinleitung relevant (§ 275c Abs 2 Satz 3 SGB V).

26Parallel zu den Prüfquoten des Abs 2 sieht der Gesetzgeber in Abs 3 des § 275c SGB V ab dem Jahr 2022 für Krankenhäuser, bei denen der Anteil unbeanstandeter Abrechnungen unter 60 Prozent liegt, Aufschlagszahlungen vor. Die Höhe der Aufschlagszahlung ist von der krankenhausindividuellen quartalsbezogenen Prüfquote abhängig (§ 275c Abs 3 Satz 2 Nr 1 und 2 iVm § 275c Abs 2 Satz 4 Nr 2 und 3, § 275c Abs 2 Satz 6 SGB V). Die Aufschlagszahlung beträgt mindestens 300 Euro, höchstens jedoch zehn Prozent des geminderten Rechnungsbetrages.

27(2) Die hier maßgebliche Fassung des § 275c Abs 3 Satz 2 SGB V nimmt danach für die Berechnung der Aufschlagszahlung ausdrücklich nur auf die erst seit 2022 geltenden quartalsbezogenen Prüfquoten Bezug. Sie enthält - im Gegensatz zur ursprünglichen Fassung des § 275c Abs 3 Satz 1 SGB V durch das MDK-Reformgesetz vom (BGBl I 2789) - keine eigene Berechnungsregel für Zeiträume mit festen Prüfquoten mehr, wie sie in den Jahren 2020 und 2021 galten. Von der Aufschlagszahlung können daher nur solche Rechnungsprüfungen betroffen sein, die ab dem - innerhalb quartalsbezogener Prüfquoten - durchgeführt werden.

28(3) Für die Zuordnung von Rechnungsprüfungen zu der für sie geltenden dynamisierten quartalsbezogenen Prüfquote ist nach der ausdrücklichen Regelung in § 275c Abs 2 Satz 3 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des GPVG das Datum der Einleitung der Prüfung durch die KK maßgeblich. Zur Wahrung des systematischen Zusammenhangs zwischen dynamisierter Prüfquote und Aufschlagszahlung und zur Sicherstellung eines einheitlichen Prüfungsregimes, dh Prüfung innerhalb einer festen oder einer dynamisierten Prüfquote, ist daher auch für die Berechtigung zur Erhebung der Aufschlagszahlung auf diesen Zeitpunkt abzustellen.Der von der KK für maßgeblich gehaltene Zeitpunkt ihrer leistungsrechtlichen Entscheidung würde demgegenüber dazu führen, dass für Prüfungen, die innerhalb fester Prüfquoten (vor dem ) durchgeführt wurden, später eine Aufschlagszahlung erhoben würde, für die keine Berechnungsregel existiert.

29bb) Hiervon abweichende Zeitpunkte bei der Anwendbarkeit anderer gesetzlicher Regelungen des Krankenhausvergütungsrechts lassen für die systematische Auslegung des § 275c Abs 3 SGB V keine Rückschlüsse zu.

30(1) Für die zeitliche Geltung einer Gesetzesänderung zur Aufwandspauschale in § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V (seit : § 275c Abs 1 Satz 2 und 3 SGB V) ab dem ist nach der Rechtsprechung des Senats der Zugang des Prüfauftrages beim Krankenhaus maßgeblich, weil mit der Anzeige des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK; jetzt des MD) beim Krankenhaus im Rahmen eines gestreckten Tatbestands der Rechtsboden für die Entstehung des Anspruchs auf Zahlung einer Aufwandspauschale gelegt ist (so - BSGE 130, 299 = SozR 4-2500 § 275 Nr 32, RdNr 14, unter Aufgabe von - SozR 4-2500 § 301 Nr 8 RdNr 32; ferner - juris RdNr 10). Die Aufschlagszahlung findet ihren Rechtsgrund demgegenüber bereits in einer - zeitlich vorgelagerten - unzutreffenden Abrechnung des Krankenhauses, deren Prüfung innerhalb der im Zeitpunkt der Prüfungseinleitung (§ 275c Abs 2 Satz 3 SGB V) geltenden krankenhausindividuellen Prüfquote erfolgt. Aufgrund der unterschiedlichen Rechtsgründe von Aufwandspauschale und Aufschlagszahlung gelten insofern auch unterschiedliche zeitliche Anknüpfungspunkte für die Anspruchsentstehung.

31(2) Im Rahmen des Aufrechnungsverbotes nach § 109 Abs 6 SGB V und der Geltung der Entscheidungen des Schlichtungsausschusses auf Bundesebene zur Klärung strittiger Kodier- und Abrechnungsfragen stellt der Gesetzgeber für die zeitliche Anwendbarkeit ausdrücklich auf den Zeitpunkt der stationären Aufnahme ab (§ 109 Abs 6 Satz 1 SGB V, § 19 Abs 4 Satz 3 KHG; siehe dazu BT-Drucks 19/14871 S 98, 115). Für die Auslegung des § 275c Abs 3 SGB V lässt sich daraus nichts ableiten, zumal § 275c Abs 2 Satz 3 SGB V für die Zuordnung einer Prüfung zu einem Quartal und zu der maßgeblichen quartalsbezogenen Prüfquote mit der Einleitung der Prüfung gerade einen anderen zeitlichen Anknüpfungspunkt wählt (siehe RdNr 25).

32d) Schließlich sprechen auch entstehungsgeschichtliche und teleologische Gründe für eine Anknüpfung der zeitlichen Anwendbarkeit des § 275c Abs 3 Satz 1 SGB V an die Einleitung der Rechnungsprüfung.

33Bereits mit dem MDK-Reformgesetz vom hatte der Gesetzgeber in § 275c Abs 2 SGB V eine quartalsbezogene dynamisierte Prüfquotenregelung eingeführt. Diese sollte erstens den Umfang von MDK-Prüfungen für das jeweilige Krankenhaus - gemessen am Ausmaß vom MDK festgestellter "Rechnungsmängel" - verringern und dadurch eine Anreizwirkung für eine regelkonforme Rechnungsstellung des Krankenhauses entfalten (BT-Drucks 19/13397 S 64; BR-Drucks 359/19 S 68). Mit der Aufschlagszahlung sollte zweitens ein weiterer Anreiz geschaffen werden, überhöhte Abrechnungen zu vermeiden: Prüfquote und Aufschlag sollten miteinander verknüpft sein, weil das Krankenhaus auf den Anteil unbeanstandeter Abrechnungen und damit auf die im übernächsten Quartal geltende Prüfquote und die Höhe der Aufschlagszahlung Einfluss habe (BT-Drucks 19/13397 S 64; BR-Drucks 359/19 S 68).

34Mit dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz vom (BGBl I 580) und dem Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom (BGBl I 1018) hat der Gesetzgeber dieses Regelungskonzept auf 2022 verschoben, und zwar mit der Regelung einer festen Prüfquote für die Jahre 2020 und 2021, dem gleichzeitigen Beginn von quartalsbezogener Prüfquote und Aufschlagszahlung ab 2022 und der Streichung der für 2020 geltenden festen Berechnungsregel in § 275c Abs 3 SGB V. Aufgrund dieser Änderungen konnte die Anreizwirkung bei vor dem begonnenen Abrechnungsprüfungen nicht mehr erreicht werden (in diesem Sinne auch Makoski, NZS 2022, 767, 769). Denn das Handeln des Krankenhauses war nicht mehr beeinflussbar. Ob die Krankenhäuser eines besonderen Anreizes zur korrekten Abrechnung bedurften (und weiterhin bedürfen), ist überdies eine Entscheidung des Gesetzgebers, die bei der Auslegung der von ihm erlassenen Normen zu respektieren ist.

35Den Verzicht auf die Erhebung von Aufschlagszahlungen in den Jahren 2020 und 2021 im COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz (vom , BGBl I 580) hat der Gesetzgeber mit den erwarteten hohen Belastungen und Liquiditätsengpässen der Krankenhäuser im Zuge der Pandemie begründet (vgl BT-Drucks 19/18112 S 36 - zu Doppelbuchstabe aa). Diesem Zweck würde eine (nachträgliche) Erhebung von Aufschlägen für vor dem begonnene Prüfungen von Rechnungen der Jahre 2020 und 2021 zuwiderlaufen.

36Die von der KK vertretene Ansicht, der Gesetzgeber habe lediglich eine Stundung der Aufschläge für die Jahre 2020 und 2021 bezweckt und die Krankenhäuser hätten nicht darauf vertrauen dürfen, dass für die Abrechnungsjahre 2020 und 2021 keine Aufschläge erhoben werden, findet zudem weder im Gesetzeswortlaut noch in der Gesetzesbegründung eine Stütze. In der Gesetzesbegründung zum COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz vom wird vielmehr bei den durch die Gesetzesänderung erwarteten Mindereinnahmen für die KKn ausdrücklich von einer "Streichung des Aufschlags auf beanstandete Abrechnungen für die Jahre 2020 und 2021" gesprochen, aus der für die KKn Mindereinnahmen in Höhe von rund 370 Millionen Euro resultierten (BT-Drucks 19/18112 S 5).

37§ 275c Abs 3 SGB V findet nach alledem vorliegend keine Anwendung. Denn die Abrechnungsprüfung wurde durch die KK bereits mit der Beauftragung des MD am eingeleitet und somit vor dem .

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:191023UB1KR823R0

Fundstelle(n):
VAAAJ-56525