Arzthaftung: Schadensersatzforderung wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und unzureichender Aufklärung; Gehörsrüge im Revisionsverfahren
Leitsatz
1. § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB sieht keine vor der Einwilligung einzuhaltende "Sperrfrist" vor, deren Nichteinhaltung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen würde; die Bestimmung enthält kein Erfordernis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste (Bestätigung Senatsurteil vom - VI ZR 375/21, BGHZ 236, 42 Rn. 16, 18).
2. Der Patient muss vor chirurgischen Eingriffen, bei denen der Arzt die ernsthafte Möglichkeit einer Operationserweiterung oder den Wechsel in eine andere Operationsmethode in Betracht ziehen muss, hierüber und über die damit ggf. verbundenen besonderen Risiken aufgeklärt werden.
Gesetze: § 630d Abs 2 BGB, § 630e Abs 1 BGB, § 630e Abs 2 S 1 Nr 2 BGB, § 286 Abs 1 ZPO, Art 103 Abs 1 GG
Instanzenzug: Az: VI ZR 380/22 Beschlussvorgehend OLG Frankfurt Az: 17 U 31/22 Urteilvorgehend LG Frankfurt Az: 2-14 O 77/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und unzureichender Aufklärung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
2Der Kläger litt im Herbst 2016 unter anhaltenden Beschwerden in der rechten Schulter. Nachdem er sich zunächst bei seiner Hausärztin und dann bei einem Orthopäden vorgestellt hatte, begab er sich im Oktober 2016 in die ärztliche Behandlung des Beklagten zu 2. Der Beklagte zu 2 ist als Chefarzt für Schulterchirurgie in dem vom Beklagten zu 1 betriebenen Krankenhaus tätig. Er diagnostizierte eine komplette Ruptur der Supraspinatussehne, ein Impingementsyndrom, eine Bursitis subakromialis und eine Bursitis olecrani. Er riet dem Kläger zur operativen Versorgung der rechten Schulter und des rechten Ellenbogens. Der Eingriff wurde für den geplant.
3Am führte der Arzt B. mit dem Kläger ein Aufklärungsgespräch. Am Ende des Gesprächs unterzeichnete der Kläger eine Einwilligungserklärung, die in einem sowohl von dem Kläger als auch von dem Arzt B. mit handschriftlichen Eintragungen versehenen und mit den Worten: "Arthroskopie von Schultergelenk und subakromialer Bursa" überschriebenen proCompliance-Aufklärungsbogen enthalten ist. Auf Seite 2 des Bogens wird unter der Überschrift "Änderungen/Erweiterungen" darauf hingewiesen, dass es trotz großer Erfahrung und äußerster Sorgfalt des Arztes in seltenen, unvorhersehbaren Fällen aufgrund unerwarteter Befunde oder technischer Probleme notwendig werden könne, das vorgesehene Verfahren zu erweitern, zu ändern oder die Arthroskopie als offene Operation fortzusetzen. Auf den Seiten 2 und 3 werden mögliche Komplikationen - unter anderem Infektionen - aufgeführt und näher erläutert. Unter der Überschrift "Wie sind die Erfolgsaussichten?" wird auf Seite 4 darauf hingewiesen, dass es in manchen Fällen nicht gelinge, die Rotatorenmanschette arthroskopisch zu nähen bzw. wieder zu befestigen; dann werde eine offene Operation erforderlich. Nach Rekonstruktion der Rotatorenmanschette könne es zu einem erneuten Reißen der genähten Sehne kommen. Die vom Kläger unterzeichnete Einwilligungserklärung auf Seite 6 des Aufklärungsbogens lautet wie folgt:
4Am begab sich der Kläger in das Krankenhaus des Beklagten zu 1 und wurde dort am selben Tag vom Beklagten zu 2 operiert. Der Eingriff wurde arthroskopisch begonnen. Im Rahmen der Arthroskopie wurden der deutlich verdickte und chronisch entzündliche Schleimbeutel entfernt (Bursektomie), der Raum unter dem Schulterdach erweitert (Akromioplastik) und Verklebungen der Rotatorenmanschette gelöst. Außerdem wurde festgestellt, dass die Supraspinatussehne eine komplette Ruptur aufwies. Der Eingriff wurde sodann durch Erweiterung eines der Arthroskopieschnitte mittels Mini-open-Technik fortgeführt. Dabei wurde der Musculus deltoideus in Faserrichtung gespalten. Die Supraspinatussehne wurde aufgefunden und refixiert.
5Wegen einer postoperativ aufgetretenen Infektion musste sich der Kläger zwei Revisionsoperationen an der rechten Schulter unterziehen. Bei einer operativen Öffnung der Schulter (Arthrotomie) in der BG-Unfallklinik F. am wurde Gewebe entnommen, das eine Besiedlung mit dem Keim Staphylococcus epidermidis zeigte. Am erfolgte in derselben Klinik eine erneute Sanierung des Wundbetts und eine Abtragung der erkrankten Gelenkinnenhaut.
6Der Kläger macht geltend, er habe mit dem Beklagten zu 2 vereinbart, dass die Operation arthroskopisch durchgeführt werden solle. Der Beklagte zu 2 habe die Operationserweiterung ohne Einwilligung vorgenommen. Auf die Möglichkeit einer Operationserweiterung sei er nicht hingewiesen und nicht über die Risiken aufgeklärt worden. Das mit der Erweiterung des Operationsgebiets verbundene Risiko einer Infektion habe sich bei ihm verwirklicht. Ihm sei es darauf angekommen, dass nur ein arthroskopischer Eingriff durchgeführt werde. Hinzu komme, dass ihm nicht die gemäß § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB erforderliche Überlegungszeit nach der Aufklärung gewährt worden sei. Schließlich sei der Eingriff behandlungsfehlerhaft durchgeführt worden. Bei ihm sei noch heute eine Wunde von etwa 9 cm an der Schulter vorhanden und von einem Mini-open-Eingriff könne unter diesen Umständen keine Rede sein. Ein solch großer Schnitt sei ein wunderbarer Eintrittsort für diverse Keime.
7Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zugelassen, weil es von dem im Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen - 5 U 63/20 - vom aufgestellten Rechtssatz abgewichen sei, dass eine Einwilligung durch Unterzeichnung des Aufklärungsformulars unmittelbar nach dem Ende des Aufklärungsgesprächs im Regelfall unwirksam sei. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Gründe
A.
8Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat das Landgericht Ansprüche des Klägers auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens zutreffend verneint. Der Kläger wende sich insbesondere ohne Erfolg gegen die Feststellung des Landgerichts, wonach der Kläger in dem Aufklärungsgespräch vom über die Möglichkeit einer Operationserweiterung aufgeklärt worden sei. Der Senat sei an diese Feststellung des Landgerichts gebunden. Der Kläger zeige keine konkreten Anhaltspunkte auf, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellung begründeten und deshalb eine erneute Feststellung gebieten würden. Der Kläger gehe weder auf die Angaben des Zeugen B. ein, wonach dessen Aufklärung über arthroskopische Eingriffe stets einen Hinweis auf die Möglichkeit der Erweiterung eines der gesetzten Schnitte beinhalte, noch auf den Inhalt des von ihm unterzeichneten Aufklärungsbogens, der einen Abschnitt über die Möglichkeit der Erweiterung oder Änderung des vorgesehenen Verfahrens und die Fortsetzung der Arthroskopie als offene Operation enthalte. Vielmehr beschränke sich sein Vorbringen auf die Wiederholung seiner erstinstanzlichen Behauptung, nicht über die Möglichkeit einer Operationserweiterung aufgeklärt worden zu sein.
9Das Landgericht sei auch zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger wirksam in die am durchgeführte Operation eingewilligt habe. Er habe nicht auf ein nach seiner Behauptung bestehendes höheres Infektionsrisiko im Falle des Übergangs von der arthroskopischen Operationsmethode zu der hier angewandten Mini-open-Technik hingewiesen werden müssen. Eine solche Aufklärung sei nicht erforderlich gewesen, weil nicht feststehe, dass die vom Beklagten zu 2 angewandte offene Refixation der Supraspinatussehne mit einem höheren Infektionsrisiko verbunden gewesen sei. Der Sachverständige habe angegeben, dass sich die Infektionsraten der hier angewendeten Operationstechnik und der Arthroskopie nicht voneinander unterscheiden würden. Das Risiko einer Infektion des Operationsgebiets sei damit bei Anwendung der genannten Verfahren identisch.
10Die Einwilligung des Klägers sei auch nicht deshalb unwirksam, weil ihm der Zeuge B. nach dem Aufklärungsgespräch vor der Erteilung der Einwilligung keine Bedenkzeit eingeräumt habe. Die Bestimmung in § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB enthalte kein Erfordernis, wonach zwischen der Aufklärung und der Einwilligung in den Eingriff ein zeitlicher Abstand liegen müsse. Der Gesetzgeber habe nach der Gesetzesbegründung bei der Abfassung der Norm bewusst darauf verzichtet, bestimmte Fristen für die Zeit zwischen der Aufklärung und der Einwilligung festzulegen. Der Kläger mache auch nicht geltend, dass er sich durch die Vorlage der Einwilligungserklärung zur Unterschrift einem Entscheidungsdruck ausgesetzt gesehen habe. Er habe im Rahmen seiner persönlichen Anhörung durch den Senat klargestellt, dass er nicht unter Druck gesetzt worden sei.
11Schließlich führe der Einwand des Klägers, der eigentliche Eingriff sei fehlerhaft durchgeführt worden, nicht zum Erfolg der Berufung. Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts seien dem Beklagten zu 2 bei der Operation keine Behandlungsfehler unterlaufen. Unabhängig von der Länge des für die Mini-open-Technik erforderlichen Schnittes habe der Sachverständige die Quelle der später aufgetretenen Gelenkinfektion nicht eingrenzen oder gar ermitteln können. Der vom Kläger erstinstanzlich geltend gemachte Hygieneverstoß stehe damit nicht fest.
B.
12Die Revision ist nur zum Teil zulässig und hinsichtlich des zulässigen Teils unbegründet.
I.
13Nicht statthaft und damit unzulässig ist die Revision, soweit sie auf Behandlungsfehler gestützte Schadensersatzansprüche betrifft. Das Berufungsgericht hat die Revision insoweit nicht zugelassen; die vom Kläger diesbezüglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat mit Beschluss vom zurückgewiesen.
141. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Zulassung der Revision auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden, der Gegenstand eines selbständig anfechtbaren Teil- oder Zwischenurteils sein oder auf den der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte. Werden in Arzthaftungssachen - wie im Streitfall - sowohl Behandlungsfehler geltend gemacht als auch eine unzureichende Aufklärung bzw. das Fehlen einer wirksamen Einwilligung in die vorgenommene medizinische Maßnahme gerügt, so handelt es sich bei dem auf Behandlungsfehler gestützten Schadensersatzanspruch einerseits und dem auf Aufklärungsfehler bzw. das Fehlen einer wirksamen Einwilligung gestützten Schadensersatzanspruch andererseits um selbständige Teile des Streitstoffs in diesem Sinne (vgl. nur Senatsurteil vom - VI ZR 117/18, VersR 2019, 688 Rn. 10 mwN).
152. Dem Berufungsurteil ist eine Beschränkung der Revisionszulassung auf die Schadensersatzansprüche wegen Aufklärungsfehlern bzw. Fehlens einer wirksamen Einwilligung betreffende Zurückweisung der Berufung zu entnehmen. Zwar enthält die Entscheidungsformel des Berufungsurteils keinen Zusatz, der die dort ausgesprochene Zulassung der Revision einschränkt. Die Beschränkung der Rechtsmittelzulassung kann sich aber auch aus den Entscheidungsgründen ergeben. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Tenor im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen und deshalb von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen ist, wenn sich dies aus den Gründen der Beschränkung klar ergibt. Das ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs stellt.
16Dies ist hier der Fall. Aus den Gründen des Berufungsurteils ergibt sich zweifelsfrei, dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nur im Hinblick auf die Frage bejaht hat, ob die Einwilligung in eine medizinische Maßnahme, die der Patient im unmittelbaren Anschluss an das Aufklärungsgespräch durch Unterzeichnung des Aufklärungsformulars erteilt, wegen fehlender Überlegungszeit im Regelfall unwirksam ist. Diese Rechtsfrage war aber entscheidungserheblich allein für die Verneinung von auf das Fehlen einer wirksamen Einwilligung gestützten Schadensersatzansprüchen. Für die auf Behandlungsfehler gestützten Schadensersatzansprüche hingegen war sie bedeutungslos.
II.
17Die gegen die Verneinung von Schadensersatzansprüchen unter dem Gesichtspunkt des Fehlens einer wirksamen Einwilligung in den Eingriff gerichtete Revision ist statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist aber unbegründet.
181. Allerdings haftet ein Arzt grundsätzlich für alle den Gesundheitszustand des Patienten betreffenden nachteiligen Folgen, wenn der ärztliche Eingriff nicht durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gedeckt und damit rechtswidrig ist und den Arzt ein Verschulden trifft. Dabei setzt eine wirksame Einwilligung des Patienten dessen ordnungsgemäße Aufklärung voraus (§ 630d Abs. 2 BGB, vgl. auch Senatsurteil vom - VI ZR 375/21, BGHZ 236, 42 Rn. 14 mwN).
192. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger sei vor dem Eingriff vom ordnungsgemäß aufgeklärt worden und habe wirksam in den Eingriff eingewilligt.
20a) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet die vom Berufungsgericht gebilligte Würdigung des Landgerichts, die dem Kläger zuteil gewordene Aufklärung genüge in Bezug auf einen arthroskopischen Eingriff den in inhaltlicher Hinsicht an sie zu stellenden Anforderungen (§ 630e Abs. 1 BGB, vgl. auch Senatsurteil vom - VI ZR 462/15, VersR 2017, 100 Rn. 8; Senatsbeschluss vom - VI ZR 342/21, VersR 2023, 871 Rn. 9; jeweils mwN). Diese Beurteilung wird von der Revision nicht angegriffen.
21b) Die Revision erhebt auch keine Beanstandungen in zeitlicher Hinsicht. Sie nimmt die Annahme des Berufungsgerichts hin, wonach die vom Kläger erklärte Einwilligung in den ärztlichen Eingriff nicht deshalb unwirksam ist, weil er sie im unmittelbaren Anschluss an das Aufklärungsgespräch vom erteilt hat. Diese Annahme ist zutreffend. Wie der Senat mit Urteil vom (VI ZR 375/21, BGHZ 236, 42) entschieden hat, sieht die Bestimmung in § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB keine vor der Einwilligung einzuhaltende "Sperrfrist" vor, deren Nichteinhaltung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen würde. Sie enthält kein Erfordernis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste, sondern kodifiziert die bisherige Rechtsprechung, der zufolge der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden muss, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahrnehmen kann (Senatsurteil vom - VI ZR 375/21, BGHZ 236, 42 Rn. 16, 18).
22Dass der Kläger unter den Umständen des Streitfalles nicht ausreichend Gelegenheit hatte, sich innerlich frei zu entscheiden (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 131/02, VersR 2003, 1441, juris Rn. 18), ist weder ersichtlich noch dargetan. Dies macht die Revision auch nicht geltend.
23c) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die vom Kläger erteilte Einwilligung umfasse auch die intraoperativ erfolgte Operationserweiterung in Form des Übergangs von der arthroskopischen Vorgehensweise zur offenen Refixation der Supraspinatussehne in Mini-open-Technik.
24aa) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Patient vor chirurgischen Eingriffen, bei denen der Arzt die ernsthafte Möglichkeit einer Operationserweiterung oder den Wechsel in eine andere Operationsmethode in Betracht ziehen muss, hierüber und über die damit ggf. verbundenen besonderen Risiken aufgeklärt werden muss (vgl. , VersR 2019, 1369 Rn. 15, 21; vom - VI ZR 300/91, VersR 1993, 703, juris Rn. 21; vom - VI ZR 22/88, VersR 1989, 289, juris Rn. 13). Hat der Arzt vor der Operation Hinweise auf eine möglicherweise erforderlich werdende Operationserweiterung unterlassen und zeigt sich intraoperativ die Notwendigkeit einer Erweiterung, dann muss er, soweit dies möglich ist, die Operation beenden, den Patienten nach Abklingen der Narkoseeinwirkungen entsprechend aufklären und seine Einwilligung in den weitergehenden Eingriff einholen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 300/91, VersR 1993, 703, juris Rn. 21).
25bb) Nach den Feststellungen des Landgerichts, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, ist der Kläger in dem Aufklärungsgespräch mit dem Zeugen B. vom über die Möglichkeit einer Änderung der Operationsmethode im Verlauf der Operation aufgeklärt worden und hat im Anschluss daran seine Einwilligung auf dem Aufklärungsbogen erteilt. Das Landgericht hat seine Überzeugung zum einen auf die für glaubhaft und überzeugend befundenen Angaben des Zeugen B. gestützt, wonach er bei arthroskopischen Eingriffen stets darauf hinweise, dass für den Fall, dass die Kamera etwas sehe, was weitergehende Maßnahmen erforderlich mache, möglicherweise ein etwas größerer Schnitt durchgeführt werde. Dabei handele es sich nicht um einen zusätzlichen Schnitt, sondern um eine Verlängerung eines bereits vorhandenen. Das Landgericht hat sich weiter auf den vom Kläger selbst ergänzten und unterzeichneten Aufklärungsbogen gestützt, in dem an verschiedenen Stellen - insbesondere unmittelbar in der auf Seite 6 befindlichen Einwilligungserklärung - auf die Möglichkeit hingewiesen wird, dass sich intraoperativ die Notwendigkeit einer Erweiterung oder Änderung des vorgesehenen Verfahrens und der Fortsetzung der Arthroskopie als offene Operation ergibt. Diese Feststellungen greift die Revision nicht an.
26cc) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die vom Kläger im Anschluss an das Aufklärungsgespräch vom erteilte Einwilligung erstrecke sich auf die gesamte vom Beklagten zu 2 durchgeführte Operation, mithin auch den intraoperativ erfolgten Übergang von der arthroskopischen Vorgehensweise zur Mini-open-Technik.
27(1) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht kein Sachvorbringen des Klägers dazu übergangen, dass seine Einwilligung auf die Durchführung einer Operation im Wege der arthroskopischen Methode beschränkt war.
28Das Berufungsgericht hat seiner Annahme einer auch einen intraoperativen Methodenwechsel umfassenden Einwilligung die Feststellung des Landgerichts zugrunde gelegt, wonach angesichts des vom Kläger teilweise selbst ausgefüllten und unterzeichneten Aufklärungsbogens und der Angaben des Zeugen B. auch unter Berücksichtigung der Angaben des persönlich angehörten Klägers sowie der als Zeugin einvernommenen Ehefrau des Klägers nicht von einer Vereinbarung ausgegangen werden könne, wonach die Operation ausschließlich arthroskopisch durchgeführt werden solle, mithin bei intraoperativ festgestellten Besonderheiten ohne Versorgung des betroffenen Bereichs - hier der gerissenen Supraspinatussehne - abgebrochen werden solle.
29Diese Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht weder die Angaben des Klägers noch die seiner Ehefrau gehörsverletzend dadurch verkürzt, dass es ihnen eine solche - mit dem Beklagten zu 2 bei der Erstbesprechung vor dem getroffene - Vereinbarung nicht entnommen hat. Nach den Angaben des Klägers hatte der Beklagte zu 2 in dem Gespräch erklärt, es würden zwei bis drei Schnitte gemacht und eine Kamera benützt; von der klassischen Methode sei nicht mehr die Rede gewesen. Der Beklagte zu 2 habe bestätigt, dass es bei der arthroskopischen Methode bleiben werde. Die arthroskopische Methode sei ihm - dem Kläger - versprochen worden. Nach den Angaben der Ehefrau des Klägers sollte dieser eine arthroskopische Operation "kriegen"; bei dem Gespräch mit dem Beklagten zu 2 habe man sich auf die arthroskopische Methode geeinigt. Diesen Angaben ist zu entnehmen, dass die Operation - wie im Aufklärungsbogen bezeichnet - als Arthroskopie von Schultergelenk und subakromialer Bursa geplant und begonnen werden sollte und von diesem Konzept im Vorfeld der Operation nicht abgewichen werden durfte. Den Angaben musste das Landgericht aber nicht weitergehend entnehmen, dass der Eingriff unabhängig von intraoperativ auftretenden Besonderheiten unter allen Umständen arthroskopisch zu Ende geführt werden musste. Denn dies hätte - wie auf Seite 2 des Aufklärungsbogens ausgeführt - zur Folge, dass der Eingriff ohne Versorgung der betroffenen Struktur hätte abgebrochen werden müssen, um erneut mit dem Patienten zu sprechen. Für eine so weitgehende Einschränkung der intraoperativen Reaktionsmöglichkeiten, die sich - wie im Aufklärungsbogen dargestellt - zum Nachteil des betroffenen Patienten auswirken kann, hätte es vielmehr einer eindeutigen Klarstellung bedurft.
30(2) Soweit die Revision rügt, das Landgericht habe zum Inhalt des mit dem Beklagten zu 2 geführten Gesprächs lediglich den Kläger, nicht aber den Beklagten zu 2 persönlich angehört, ist bereits nicht ersichtlich, weshalb sich daraus ein Gehörsverstoß zu Lasten des Klägers ergeben sollte. Die Revision zeigt insbesondere keinen von den Tatsacheninstanzen übergangenen und auf die Anhörung oder Vernehmung des Beklagten zu 2 gerichteten Antrag des Klägers auf.
31dd) Ohne Erfolg macht die Revision schließlich geltend, die dem Kläger zuteil gewordene Aufklärung über die Möglichkeit eines Methodenwechsels sei deshalb unzureichend, weil er nicht auf die mit dem Übergang zur Mini-open-Technik verbundene erhöhte Gefahr einer postoperativen Infektion hingewiesen worden sei. Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Berufungsgerichts war die vom Beklagten zu 2 durchgeführte offene Refixation der Supraspinatussehne in Mini-open-Technik nicht mit einem höheren Infektionsrisiko als die arthroskopische Operationsmethode verbunden. Die Infektionsraten der vom Beklagten zu 2 angewendeten Operationstechnik und der Arthroskopie unterschieden sich nicht voneinander.
32Diese Feststellung greift die Revision ohne Erfolg an. Mit der Behauptung, die Feststellung sei nicht plausibel, da mit zunehmendem Umfang einer Verletzung der Haut naturgemäß das Risiko des Eindringens von krankheitsverursachenden Keimen steige, versucht sie lediglich in unbeachtlicher Weise, die auf die Angaben des gerichtlichen Sachverständigen gestützte tatrichterliche Würdigung durch ihre eigene zu ersetzen, ohne einen durchgreifenden Verfahrensfehler aufzuzeigen.
33Soweit die Revision in anderem Zusammenhang beanstandet, der Sachverständige sei unzutreffend davon ausgegangen, dass der Schnitt im Rahmen der "Mini-open-Technik" nur ungefähr 3 cm umfasst habe, das Berufungsgericht habe den Vortrag des Klägers gehörswidrig übergangen, wonach der Beklagte zu 2 einen Schnitt von 8 bis 9 cm Länge vorgenommen habe, zeigt sie einen entsprechenden Vortrag des Klägers bereits nicht auf. An der angegebenen Stelle hatte der Kläger lediglich vorgetragen, bei ihm liege heute noch eine Wunde von etwa neun Zentimetern an der Schulter vor. Dieser behauptete Umstand lässt aber angesichts der beim Kläger postoperativ aufgetretenen Infektion und den im November und Dezember 2016 an der rechten Schulter durchgeführten Revisionsoperationen keinen Rückschluss auf die Länge des vom Beklagten zu 2 während der streitgegenständlichen Operation gesetzten Schnittes zu. Die gerügte Gehörsverletzung ist damit schon nicht gegeben.
34Abgesehen davon stünde der Gehörsrüge der - auch im Revisionsverfahren geltende (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 50/20, juris Rn. 8) - allgemeine Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Danach muss ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (vgl. , BGHZ 219, 77 Rn. 37; vom - VIII ZR 123/20, NJW-RR 2021, 76 Rn. 67; vom - I ZR 99/17, ZUM 2019, 521 Rn. 69; Senatsbeschluss vom - VI ZB 50/20, juris Rn. 8). Zu solchen prozessualen Möglichkeiten gehören ordentliche und außerordentliche Rechtsbehelfe sowie die seitens des Gerichts ausdrücklich eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine Partei darf aber auch andere, ersichtlich gegebene Möglichkeiten zur Äußerung nicht versäumen. Besteht im Berufungsverfahren eine solche Gelegenheit, darf die Partei sie nicht ungenutzt lassen und den Ausgang des Berufungsverfahrens abwarten, um dann erst das für sie ungünstige Berufungsurteil im Revisionsverfahren mit der Gehörsrüge anzugreifen (vgl. , BGHZ 219, 77 Rn. 37).
35So liegt der Fall hier. Der Kläger hatte hinreichend Gelegenheit, die nunmehr mit der Revision erhobenen Einwendungen gegen das Sachverständigengutachten (mangelnde Plausibilität und unzutreffend zugrunde gelegte Schnittführung) bereits in der Berufungsinstanz geltend zu machen. Der Sachverständige hatte die vom Beklagten zu 2 angewandte Mini-open-Technik und die damit verbundene Erweiterung des Schnittes von 1 cm auf ca. 3 cm auf Befragen des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung vor dem konkret erläutert und eine daraus folgende Risikoerhöhung verneint. Mit diesen Angaben hätte sich der Kläger in der Berufungsbegründung und in der mündlichen Verhandlung, in der er persönlich angehört worden ist, konkret auseinandersetzen und auf eine weitere Sachaufklärung durch eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens hinwirken können.
36cc) Entsprechendes gilt für die Rüge, das Berufungsgericht habe gehörswidrig nicht in Erwägung gezogen, dass dem Kläger die etwaige Erweiterung der Operation verharmlosend dargestellt worden sei; ihm sei nach den Angaben des Zeugen B. nur gesagt worden, dass ein "etwas größerer Schnitt" durchgeführt werde, während tatsächlich ein Schnitt von 8 bis 9 cm vorgenommen worden sei. Auch insoweit zeigt die Revision entsprechenden Sachvortrag des Klägers in den Tatsacheninstanzen nicht auf. Jedenfalls stände der Gehörsrüge der allgemeine Grundsatz der Subsidiarität entgegen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:211123UVIZR380.22.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 589 Nr. 9
NJW 2024 S. 592 Nr. 9
HAAAJ-56508