BGH Beschluss v. - V ZB 67/22

Anfechtungklage gegen WEG-Abrechnungsbeschluss: Bemessung der Beschwer bei Klageabweisung

Leitsatz

1. Wird ein nach Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes gefasster Abrechnungsbeschluss gemäß § 28 Abs. 2 WEG mit dem Ziel angefochten, den Beschluss insgesamt für ungültig erklären zu lassen, bemisst sich die Beschwer des Klägers im Falle der Abweisung der Klage weiterhin in aller Regel nach seinem Anteil am Nennbetrag der Abrechnung (im Anschluss an Senat, Urteil vom - V ZR 152/22, NJW 2023, 2111 Rn. 24 ff.).

2. Dass der gemäß § 49 GKG bestimmte Streitwert in der Regel nicht der für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels des unterlegenen Anfechtungsklägers maßgeblichen Beschwer entspricht, ändert nichts daran, dass für die Wertbemessung die gleichen Grundsätze gelten, soweit es um das für beide Werte relevante Einzelinteresse des Anfechtungsklägers an einer stattgebenden Entscheidung geht (Abgrenzung zu Senat, Beschluss vom - V ZR 149/21, NJW 2022, 2195 Rn. 6).

Gesetze: § 28 Abs 2 WoEigG, § 511 Abs 2 Nr 1 ZPO, § 49 GKG

Instanzenzug: Az: 29 S 145/22vorgehend Az: 204 C 9/22

Gründe

I.

1Der Kläger ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). In der Eigentümerversammlung vom beschlossen die Wohnungseigentümer die Genehmigung der sich auf der Grundlage der Jahresgesamtabrechnung und der jeweiligen Jahreseinzelabrechnungen der Wirtschaftsperiode 2020 ergebenden Nachschüsse bzw. Anpassungsbeiträge gegenüber dem Wirtschaftsplan. Für den Kläger ergab sich laut Abrechnung eine Nachzahlung von 59,56 € (2.219,56 € Anteil am Gesamtergebnis abzüglich Soll-Hausgeldvorschuss laut Wirtschaftsplan von 2.160 €). Gegen diesen Beschluss hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben. Er hält den Abrechnungsbeschluss bereits für formell rechtswidrig (unter anderem wegen Einberufungsmängeln) und ist im Übrigen der Auffassung, dass sich bei korrekter Abrechnungsweise ein Guthabenbetrag von 160,84 € ergebe. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hat das Landgericht als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

2Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil der Beschwerdewert von mehr als 600 € nicht erreicht sei. Die Beschwer des Klägers betrage lediglich 220,40 €, da er sich eines Rückforderungsanspruchs i.H.v. 160,84 € berühme, während mit der Beschlussfassung eine Nachzahlung von 59,56 € festgesetzt worden sei. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 28 WEG aF, wonach sich die Beschwer nach dem Anteil des Anfechtungsklägers am Gesamtergebnis bzw. im Fall der Beschränkung auf einzelne Kostenpositionen auf den Nennbetrag dieser Kostenpositionen bestimme, sei nach der Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes nicht mehr einschlägig. Nunmehr beschränke sich der Abrechnungsbeschluss auf die Begründung weiterer Zahlungspflichten bzw. auf die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse. Es verhalte sich insoweit anders als bei der Streitwertbemessung.

III.

31. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde ist dem Kläger Wiedereinsetzung zu gewähren, da er diese Frist schuldlos versäumt hat (§ 233 Satz 1 ZPO). Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind ebenfalls gegeben, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), wie der Kläger zu Recht geltend macht. Die Frage, wie die Rechtsmittelbeschwer zu bemessen ist, wenn die Anfechtungsklage gegen einen nach dem gefassten Abrechnungsbeschluss (§ 28 Abs. 2 WEG) abgewiesen wurde, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt.

42. In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts übersteigt die Beschwer des Klägers 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

5a) Wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, bestünden an einem Erreichen der Mindestbeschwer keine Zweifel, wenn die Grundsätze des bis zum geltenden Rechts weiter anzuwenden wären. Hiernach bemaß sich bei der Anfechtung eines Beschlusses über die Jahresabrechnung die Beschwer nach dem Anteil des Anfechtungsklägers am Gesamtergebnis bzw. im Falle der Beschränkung auf einzelne Kostenpositionen auf den Nennbetrag dieser Kostenposition (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZR 188/16, NJW-RR 2017, 913 Rn. 4; Beschluss vom - V ZB 198/14, ZWE 2015, 466 Rn. 11). Da der Kläger den Beschluss - vorrangig - insgesamt für ungültig erklären lassen möchte, ergäbe sich eine Beschwer von 2.219,56 €.

6bb) Nach der Neufassung des § 28 WEG gilt im Ergebnis nichts Anderes.

7(1) Entschieden hat der Senat bereits, dass das für die Berechnung der Grenzen des § 49 Satz 2 GKG maßgebliche Individualinteresse des Anfechtungsklägers, der den Beschluss insgesamt anficht, seinem Anteil am Nennbetrag der Abrechnung entspricht (vgl. Urteil vom - V ZR 152/22, NJW 2023, 2111 Rn. 24 ff.). Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass sich zwar der Beschlussgegenstand nach § 28 Abs. 2 WEG geändert hat. Dies ändert aber nichts daran, dass auch unter der Geltung des neuen Rechts das Interesse der Wohnungseigentümer bei der Beschlussfassung darin besteht, die tatsächlich angefallenen Kosten vollständig auf alle Wohnungseigentümer zu verteilen. Ihnen geht es deshalb nur vordergründig um die Abrechnungsspitze. Diese stellt lediglich das Rechenergebnis aus den einzelnen Abrechnungspositionen dar. Um die Richtigkeit der beschlossenen Zahlungsverpflichtungen beurteilen zu können, muss die Jahresabrechnung inzident geprüft werden.

8(2) Die von dem Senat im Zusammenhang mit der Streitwertbemessung angestellten Überlegungen zu dem Einzelinteresse des Anfechtungsklägers gelten entsprechend, wenn es - wie hier - um die Bemessung der Beschwer des Anfechtungsklägers im Falle der Abweisung seiner Klage geht. Wird ein nach Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes gefasster Abrechnungsbeschluss gemäß § 28 Abs. 2 WEG mit dem Ziel angefochten, den Beschluss insgesamt für ungültig erklären zu lassen, bemisst sich die Beschwer des Klägers im Falle der Abweisung der Klage weiterhin in aller Regel nach seinem Anteil am Nennbetrag der Abrechnung, hier also mit 2.219,56 €. Anders als das Berufungsgericht meint, steht dem nicht entgegen, dass der gemäß § 49 GKG bestimmte Streitwert in der Regel nicht der für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels des unterlegenen Anfechtungsklägers maßgeblichen Beschwer entspricht (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZR 149/21, NJW 2022, 2195 Rn. 6). Soweit es um das für beide Werte relevante Einzelinteresse des Anfechtungsklägers an einer stattgebenden Entscheidung geht, gelten nämlich für die Wertbemessung die gleichen Grundsätze (vgl. Bärmann/Göbel, WEG, 15. Aufl., § 49 GKG Rn. 52).

9(3) Würde man demgegenüber für die Bemessung der Beschwer des Anfechtungsklägers nur auf die ihm auferlegte Nachforderung abstellen, hätte dies die Konsequenz, dass die Berufungsfähigkeit einer Vielzahl von amtsgerichtlichen Urteilen über Abrechnungsbeschlüsse mangels Erreichens der Mindestbeschwer ausgeschlossen wäre. Dass der Gesetzgeber dies bei der Reform beabsichtigt hat, lässt sich nicht feststellen (vgl. LG Frankfurt a.M., ZMR 2022, 398 Rn. 14, 16). Außerdem käme es zu Wertungswidersprüchen zu der Rechtsmittelfähigkeit bei der Abweisung der Anfechtungsklage gegen einen auf der Grundlage des Wirtschaftsplans gefassten Beschluss über die Vorschüsse zur Kostentragung und zu den Rücklagen (§ 28 Abs. 1 Satz 1 WEG). Die Beschwer des unterlegenen Wohnungseigentümers bestimmt sich insoweit in aller Regel nach der Höhe der Vorschüsse, die dem Anteil aus dem Wirtschaftsplan entsprechen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 9/23, zur Veröffentlichung bestimmt). Dass aber ein solcher Beschluss, der lediglich Vorschüsse festsetzt, in einem weiteren Umfang der Berufung unterworfen sein soll als der abschließende Beschluss nach Ablauf der Abrechnungsperiode, leuchtet nicht ein.

IV.

101. Danach durfte die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € übersteigt. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Der Senat kann mangels der erforderlichen Feststellungen auch nicht gemäß § 577 Abs. 5 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Die in dem Hinweisbeschluss enthaltenen Ausführungen zur Unbegründetheit der Berufung gelten als nicht geschrieben und sind von dem Rechtsbeschwerdegericht nicht zu beachten. Mangels ausreichender Feststellungen bietet der Beschluss des Berufungsgerichts auch keine verwertbare Grundlage für die rechtliche Beurteilung durch das Revisionsgericht (vgl. , WM 2011, 1324 Rn. 45 mwN; Beschluss vom - XI ZB 5/13, juris Rn. 9).

112. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 49 GKG. Maßgeblich ist insoweit das siebeneinhalbfache Interesse des Klägers in Höhe von 16.646,70 € (7,5 x 2.219,56 €). Dieses Interesse ist maßgeblich, weil das Gesamtinteresse der Wohnungseigentümer höher ist.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:091123BVZB67.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 761 Nr. 11
NJW 2024 S. 8 Nr. 4
UAAAJ-56252