BGH Urteil v. - VIa ZR 1099/22

Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 8 U 30/22vorgehend LG Stendal Az: 21 O 142/21

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Sie erwarb am von einem Händler für 29.612,76 € einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten VW Passat, der mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Die Emissionskontrolle erfolgt unter Verwendung einer Abgasrückführung, die innerhalb eines bestimmten Temperaturfensters reduziert wird (Thermofenster), und über einen NOx-Speicherkatalysator (NSK).

3Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Anträge weiter.

Gründe

4Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Der Klägerin stehe kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Selbst wenn zugunsten der Klägerin unterstellt werde, in ihrem Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut, reiche dies im Rahmen einer gebotenen Gesamtschau nach den vom Bundesgerichtshof hierzu aufgestellten Grundsätzen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein objektiv sittenwidriges Gepräge zu geben. Möge die rechtliche Qualifizierung der Motoreinrichtungen nach den europarechtlichen Vorgaben auch zweifelhaft sein, ergebe sich aus den verschiedenen von der Beklagten vorgelegten amtlichen Auskünften des Kraftfahrt-Bundesamts, die in Parallelverfahren von anderen Gerichten eingeholt worden seien, jedoch, dass Motoren der Baureihe EA 288 mehrfach überprüft und unter keinem Gesichtspunkt beanstandet worden seien. Das Berufungsgericht halte deshalb auch mit Blick auf das weitere Vorbringen der Klägerin daran fest, dass es an ausreichenden Anhaltspunkten für eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts durch die Beklagte fehle.

7Mit einer Haftung der Beklagten nach Maßgabe des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz hat sich das Berufungsgericht nicht näher befasst. In dem vor Erlass des Zurückweisungsbeschlusses erteilten Hinweis, auf den das Berufungsgericht in seinem Zurückweisungsbeschluss Bezug genommen hat, hat es ohne Bezeichnung einer bestimmten Anspruchsgrundlage festgehalten, es fehle "darüber hinaus mangels Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung auch an einem Schaden", und auf einen im Verhältnis zu anderen Parteien ergangenen Hinweis Bezug genommen.

II.

8Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Die Revision rügt allerdings vergeblich, der Zurückweisungsbeschluss sei gemäß § 547 Nr. 6 ZPO nicht mit Gründen versehen.

10Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dem in § 547 Nr. 6, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO niedergelegten Begründungserfordernis bereits dann Genüge getan, wenn die Gründe erkennen lassen, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgeblich waren. Ist die Berufungsentscheidung zwar knapp, lässt sie aber die Auffassung des Berufungsgerichts genügend deutlich erkennen, liegt ein Mangel im Sinne des § 547 Nr. 6 ZPO nicht vor (, NZM 2023, 677 Rn. 18 f. mwN).

11Danach wahrt die angefochtene Entscheidung das Begründungserfordernis. Dem Zurückweisungsbeschluss lässt sich in Verbindung mit der Hinweisverfügung hinreichend entnehmen, dass das Berufungsgericht sämtliche in Betracht kommenden Ansprüche aus unerlaubter Handlung jedenfalls am Fehlen eines Schadens hat scheitern lassen. Ob diese Erwägung des Berufungsgerichts zutraf, ist keine Frage des § 547 Nr. 6 ZPO.

12Soweit die Revision weitere Verfahrensrügen erhebt, hat der Senat die Rügen geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird insoweit nach § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

132. Es begegnet weiter keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat (vgl. , juris Rn. 11 bis 15; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 15 bis 17; Urteil vom - VIa ZR 535/21, zVb Rn. 12 f.; Beschluss vom - VIa ZR 334/21, juris Rn. 18 bis 22). Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

143. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht die Beklagte nicht nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV hat haften lassen.

15Wie der Senat nach Erlass des die Berufung zurückweisenden Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

16Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung, der Klägerin sei kein Schaden entstanden, kann ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden. Mit Rücksicht auf den geldwerten Vorteil der jederzeitigen Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs genügt schon die rechtliche Möglichkeit einer Nutzungsbeschränkung, die mit der - hier zugunsten der Klägerin revisionsrechtlich zu unterstellenden - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegeben ist ( VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 42 mwN).

III.

17Der Zurückweisungsbeschluss ist demnach aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte.

18Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

19Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:041223UVIAZR1099.22.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-56198