BGH Beschluss v. - 6 StR 249/23

Fixierung im Polizeigewahrsam; Rechtmäßigkeit des Polizeihandelns

Gesetze: § 22 StGB, § 23 StGB, § 32 StGB, § 113 Abs 1 StGB, § 113 Abs 3 StGB, § 114 Abs 1 StGB, § 114 Abs 3 StGB, § 223 Abs 1 StGB, § 223 Abs 2 StGB, Art 104 Abs 2 GG, § 65 PolAufgG BB

Instanzenzug: Az: 23 KLs 15/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen Körperverletzung in sechs Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung, wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in acht Fällen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, davon in drei Fällen in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung, wegen versuchter Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf und mit Widerstand gegen eine Person, die einem Vollstreckungsbeamten gleichsteht, und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung, wegen Nötigung, wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen, wegen Bedrohung, wegen Hausfriedensbruchs und wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren im Fall II.12 der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen ein. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und mit versuchter Körperverletzung begegnet rechtlichen Bedenken.

3a) Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass der Angeklagte, nachdem er in alkoholisiertem Zustand bedrohlich auf einen Imbissbesitzer eingewirkt hatte, in Polizeigewahrsam genommen wurde. Hier verhielt sich der Angeklagte zunächst ruhig, schlug oder trat dann jedoch gegen die Tür des Gewahrsamsraums. Deshalb und wegen früherer Selbstverletzungen des Angeklagten, ordneten die Polizeibeamten an, ihn zur Eigensicherung an einer Liege zu „fixieren“. Im Zuge dessen trat der Angeklagte in Richtung eines Beamten, um die Fesselung zu verhindern; getroffen wurde dieser nicht.

4b) Die Urteilsfeststellungen zur Rechtmäßigkeit der Fixierung erweisen sich als lückenhaft.

5aa) Die Strafbarkeit nach § 113 Abs. 1, § 114 Abs. 1 StGB setzt eine rechtmäßige Dienst- bzw. Vollstreckungshandlung voraus (§ 113 Abs. 3, § 114 Abs. 3 StGB; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 168/20, NStZ-RR 2020, 367; vom – 5 StR 157/20, NJW 2020, 2347; Urteil vom – 4 StR 127/82, NStZ 1982, 328, jeweils mwN). Dabei hängt die Rechtmäßigkeit hoheitlichen Handelns in einem strafrechtlichen Sinne davon ab, dass die vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten sind und der Hoheitsträger sein – ihm gegebenenfalls eingeräumtes – Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat (vgl. , BGHSt 4, 161, 164; vom – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 365; vom – 1 StR 606/14, BGHSt 60, 253, 258 ff.; LK/Rosenau, StGB, 13. Aufl., § 113 Rn. 49; MüKo-StGB/Erb, 4. Aufl., § 32 Rn. 75; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 113 Rn. 10).

6bb) Die Urteilsgründe ermöglichen eine Überprüfung der polizeilichen Anordnung an diesem Maßstab nicht. Der konkrete Regelungsgehalt der Fixierungsanordnung ist nicht festgestellt worden. Vor dem Hintergrund der übrigen Feststellungen liegt es allerdings nicht fern, dass der Angeklagte für einen Zeitraum von mehr als einer halben Stunde durch das Festbinden von Armen, Beinen und gegebenenfalls der Körpermitte an einen Gegenstand fixiert werden sollte. Für eine solche, nicht nur kurzfristige Fixierung wäre eine polizeiliche Zuständigkeit nicht gegeben.

7(1) Wegen der besonderen Eingriffsintensität stellt jedenfalls eine sogenannte 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung von mehr als einer halben Stunde Dauer regelmäßig eine eigenständige Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG dar (vgl. zur Fixierung im Rahmen einer Unterbringung nach PsychKG: , BVerfGE 149, 293, 319). Erforderlich ist deshalb auch im Polizei- und Ordnungsrecht eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage (vgl. Tomerius, NVwZ 2021, 289, 292), die insbesondere Anordnung und Durchführung der Fixierung in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise regelt und die Maßnahme unter Richtervorbehalt stellt (vgl. BVerfG, aaO, 324). Denn die besonders grundrechtsintensive Aufhebung der Bewegungsfreiheit nimmt dem Betroffenen die ihm im Rahmen polizeirechtlichen Gewahrsams noch verbliebene Freiheit, sich jedenfalls innerhalb seines Haftraumes zu bewegen; sie macht ihn bewegungsunfähig.

8(2) Die Urteilsfeststellungen lassen keine abschließende Prüfung zu, ob durch eine nur für kurze Dauer angeordnete Fixierung die polizeiliche Zuständigkeit noch begründet war. Sollte die Fixierung durch die Polizeibeamten hier für eine Dauer von mehr als einer halben Stunde angeordnet worden sein, fehlte es der allenfalls als Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommenden Regelung zur Fesselung nach § 65 BbgPolG (abl. BeckOK PolR Bbg/Hofrichter/Fickenscher, 1. Ed., BbgPolG § 65 Rn. 44; Tomerius, aaO, 292; Bremische Bürgerschaft-Drucks. 20/511, 167) jedenfalls am notwendigen Richtervorbehalt; die für den polizeirechtlichen Gewahrsam bestehende richterliche Zuständigkeit nach § 18 Abs. 1 Satz 1 BgbPolG umfasste diese Zwangsmaßnahme nicht.

9cc) Auf der Grundlage der Feststellungen lässt sich auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 und 2, §§ 22, 23 StGB nicht abschließend überprüfen. Denn sollte sich die Dienst- bzw. Vollstreckungshandlung als rechtswidrig erweisen, käme der Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 32 StGB) in Betracht (vgl. , BGHSt 60, 253 Rn. 25 ff.; MüKo-StGB/Erb, aaO).

102. Die teilweise Verfahrenseinstellung führt in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO zu einer Änderung des Schuldspruchs; ferner entfällt die insoweit ausgeurteilte Strafe. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe bleibt hiervon unberührt. Der Senat schließt aus, dass die von der Strafkammer verhängte Gesamtfreiheitsstrafe ohne die weggefallene Freiheitsstrafe von sechs Monaten geringer ausgefallen wäre (§ 337 Abs. 1 StPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:281123B6STR249.23.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-56098