Notarsache: Vereinbarkeit der Altersgrenze für Notare mit deutschem Verfassungsrecht und Unionsrecht
Leitsatz
Die Altersgrenze für Notare war auch zum hier maßgeblichen Zeitpunkt am mit deutschem Verfassungsrecht und Unionsrecht, insbesondere mit Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a, Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom , vereinbar (Bestätigung von NotZ(Brfg) 4/22, BGHZ 238, 151).
Gesetze: § 47 Nr 1 BNotO, § 48a BNotO, Art 21 Abs 1 EUGrdRCh, Art 1 EGRL 78/2000, Art 2 Abs 2 Buchst a EGRL 78/2000, Art 6 Abs 1 EGRL 78/2000, Art 3 GG, Art 12 Abs 1 GG
Instanzenzug: Az: NotZ (Brfg) 7/22 Beschlussvorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Az: 2 Not 1/22
Tatbestand
1Der Kläger war Anwaltsnotar. Er beendete seine Tätigkeit am , weil er das siebzigste Lebensjahr vollendete (§ 47 Nr. 2 BNotO in Verbindung mit § 48a BNotO, nachfolgend: Altersgrenze). Zuvor hatte der Kläger beantragt, ihm die Ausübung des Notaramts über diesen Zeitpunkt hinaus zu gestatten. Das lehnte die Beklagte mit Bescheid vom ab. Nach Ausschreibung einer Stelle im (ehemaligen) Amtsgerichtsbezirk des Klägers wurde diese 2022 besetzt, nachdem drei Bewerbungen eingegangen waren. Mit seiner Klage begehrt der Kläger festzustellen, dass er berechtigt ist, sein Notaramt über den hinaus weiter auszuüben.
2Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Altersgrenze sei nach ständiger Rechtsprechung mit dem Grundgesetz und dem Unionsrecht vereinbar. Sie sei nicht diskriminierend, weil sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sei. Das gelte nach wie vor auch im Hinblick auf den eingetretenen Bewerbermangel, dessen Ausmaß dahinstehen könne. Zwar habe dieser jedenfalls in Teilen des ländlichen Raums ein Ausmaß angenommen, das den Gesetzgeber dazu veranlasst habe, mit dem durch das Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften vom eingeführten § 5b Abs. 3 BNotO die Wartezeit gemäß § 5b Abs. 1 Nr. 2 BNotO in solchen Fällen auszusetzen. Es sei aber auch festzustellen, dass es Amtsbereiche gebe, in denen ausreichend Anwärter vorhanden seien und es sogar zu Konkurrentenklagen komme. Der in einigen ländlichen Regionen auftretende Bewerbermangel führe somit nicht dazu, dass es sich bei dem mit der Altersgrenze verfolgten Zweck, nämlich der Gewährleistung einer geordneten Altersstruktur im Notarberuf, nicht mehr um ein legitimes Ziel handele oder die Altersgrenze nicht mehr geeignet, erforderlich oder angemessen wäre, um dieses Ziel zu erreichen.
3Mit Beschluss vom , dem Kläger zugestellt am , hat der Senat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts zugelassen. Am hat der Kläger die Berufung fristgerecht begründet. Er trägt vor, es bestehe ein erheblicher und nachhaltiger Bewerbermangel. Die Versorgung der Bevölkerung mit notariellen Leistungen sei in verschiedenen Landesteilen nicht mehr gewährleistet. In den Oberlandesgerichtsbezirken Celle und Oldenburg könnten ausgeschriebene Stellen nicht mehr besetzt werden. Das werde auch in seinem Amtsgerichtsbezirk, wenn auch zurzeit noch gewährleistet, kurzfristig der Fall sein. Als Nachwuchsreserve für das Anwaltsnotariat stünden nach dem Statistischen Jahrbuch der Anwaltschaft 2022 allenfalls 12.240 Anwälte bis 50 Jahre zur Verfügung und hiervon seien lediglich 1.480 Anwälte bis 40 Jahre alt. 2002 seien 44% der Anwälte bis 40 Jahre alt gewesen, im Jahr 2022 seien dies nur noch 16%. Zum Beweis für den drastischen Rückgang des Anwaltsnachwuchses beruft der Kläger sich auf das Zeugnis des Geschäftsführers der Bundesrechtsanwaltskammer, der Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Sachsen und des Direktors des Instituts für Anwaltsrecht der Universität Köln. Vor diesem Hintergrund verletze ihn die Altersgrenze in seinen Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 GG. Sie verstoße ferner gegen das sich aus Art. 21 GrCh, Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (nachfolgend: Richtlinie oder RL 2000/78) ergebende Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Es stelle sich die dem Gerichtshof der Europäischen Union noch nicht vorgelegte Frage, ob bei einem verstetigten Nachwuchsmangel die Altersgrenze mit der neuen Begründung gerechtfertigt werden könne, dass das Ausscheiden von Notaren bei Erreichen der Altersgrenze das Freiwerden von Urkunden- und Gebührenaufkommen bewirke und dadurch einem potentiellen Bewerber einen Anreiz zur Ergreifung des Berufs des Anwaltsnotars gebe.
4Der Kläger beantragt,
das Urteil des Senats für Notarsachen des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom zu ändern und festzustellen, dass er berechtigt ist, über den sein bisheriges Notaramt weiter auszuüben.
5Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
6Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die Altersgrenze sei weiterhin erforderlich und gerechtfertigt, auch wenn ein Mangel an Nachwuchsinteressenten bestehe und sich verstetigen sollte; sie berücksichtige auch in angemessener Weise die Interessen älterer Notare. Insbesondere in vermeintlich attraktiveren Notariatsbezirken in Ballungsräumen und anderen wirtschaftsstarken Regionen gewährleiste die Altersgrenze, dass jüngere Notare Zugang zum Beruf erhielten. Nichts Anderes gelte im ländlichen Raum und auch, wenn ein punktueller Bewerbermangel vorliege. Das Ausscheiden komme in diesem Fall lebensjüngeren Notaren auch aus den Nachbarnotariaten zugute, die wirtschaftlich interessante Mandate übernehmen könnten, was die Attraktivität und damit das Interesse am Beruf erhöhe. Demgegenüber sei ein verstetigter Nachwuchsmangel, der dazu führe, dass das Ausscheiden lebensälterer Notare nicht mehr erforderlich sei, nicht ersichtlich. Unbesetzte Notarstellen rechtfertigten als solche schon nicht die Annahme, dass notarielle Aufgaben nicht mehr erfüllt werden könnten. Hierfür gebe es keine Anzeichen. Das Bundesverfassungsgericht habe zuletzt 2014 keinen Grund gesehen, die Altersgrenze im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 GG zu beanstanden. Auch die neueren Entwicklungen rechtfertigten keine andere Beurteilung. Schließlich könne sich der Kläger - selbst wenn § 48a BNotO gegen Unionsrecht verstieße - hierauf nicht berufen. Er sei von einer ungerechtfertigten Altersdiskriminierung nicht betroffen, weil in seinem Amtsgerichtsbezirk kein Nachwuchsmangel bestehe. Die Anzahl der von den Notaren im Amtsgerichtsbezirk des Klägers erstellten Urkunden zeige, dass mehr als sieben Notare weniger als 300 Beurkundungen vorgenommen und mithin ein wirtschaftliches Interesse an der Übernahme weiterer Mandate hätten.
7Der Senat hat mit Beschluss vom gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 4 BNotO im Parallelverfahren zum Aktenzeichen NotZ(Brfg) 4/22 ein Gutachten der Bundesnotarkammer eingeholt, auf das sich die Beklagte im vorliegenden Verfahren beruft und das sie zusammen mit der Berufungserwiderung vollständig vorgelegt hat (Anlagen BE 1 bis 6). Das Gutachten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung; auf seinen Inhalt wird Bezug genommen. Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren zudem die am vom Senat abgerufenen Statistiken, auf die sich die Beklagte mit Schriftsatz vom berufen und die sie sich zu eigen gemacht hat, wie folgt: Notarstatistik (Zahl der Anwaltsnotare 2020 - 2022; Quelle: www.notar.de/der-notar/statistik); Statistik des Prüfungsamts für die notarielle Fachprüfung (Zahl der bestandenen und nicht bestandenen notariellen Fachprüfungen 2010 - 2022; Quelle: www.pruefungsamt-bnotk.de/service-download-bereich/statistiken) sowie Statistik der Bundesrechtsanwaltskammer (Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte 1990 - 2023; Alter der zugelassenen Rechtsanwälte 2022 sowie der Rechtsanwälte mit Einzelzulassung; Quelle: https://www.brak.de/presse/zahlen-und-statistiken). Zudem hat der Senat in seiner mündlichen Verhandlung einen Vertreter der Bundesnotarkammer angehört.
Gründe
8Die Berufung des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht begründet worden. Sie ist aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung.
91. Die Altersgrenze ist nach ständiger, vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandeter Rechtsprechung des Senats sowohl mit deutschem Verfassungsrecht als auch mit dem Unionsrecht, insbesondere mit der Richtlinie 2000/78 und Art. 21 Abs. 1 GrCh vereinbar (Senat, Beschlüsse vom - NotZ(Brfg) 11/13, DNotZ 2014, 313 [juris Rn. 3 mwN]; vom - NotZ(Brfg) 21/13, DNotZ 2014, 553 [juris Rn. 4, 11 mwN]; vom - NotZ(Brfg) 5/14, DNotZ 2015, 227 [juris Rn. 5 ff. mwN]; vom - NotZ(Brfg) 10/14, DNotZ 2015, 633 [juris Rn. 3 f.]; BVerfG, NJW 2011, 1131 Rn. 11 f.; Beschluss vom - 1 BvR 1313/14, juris Rn. 6). Der vom Kläger unter Berufung auf Art. 12 Abs. 1, Art. 3 GG und das Unionsrecht erhobene Einwand, im Anwaltsnotariat sei die Erforderlichkeit der Altersgrenze angesichts eines nunmehr festzustellenden demographisch bedingten Nachwuchsmangels entfallen, so dass sie eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters bewirkt habe und er in seinen Grundrechten verletzt sei, greift nicht durch. Das hat der Senat mit Urteil vom (NotZ(Brfg) 4/22, ZfIR 2023, 486) für die 2023 bestehende Sachlage entschieden und ausführlich begründet. Dies gilt auch und umso mehr für das bereits zwei Jahre zurückliegende altersbedingte Ausscheiden des Klägers am . Insoweit kann der Kläger sich zwar auf nach diesem Zeitpunkt erfolgende Veröffentlichungen und Statistiken berufen. Diesen kommt - ebenso wie den von der Beklagten vorgelegten und in Bezug genommenen Statistiken - aber nur Bedeutung zu, soweit sie sich auf den hier maßgeblichen Zeitraum bis zum beziehen oder daraus auf die zum bestehenden Verhältnisse (zurück-)geschlossen werden kann. Daran gemessen ist der Senat nach der durchgeführten Beweisaufnahme überzeugt, dass die in Rede stehende Altersgrenze am unter Berücksichtigung des weiten Gestaltungs- beziehungsweise Ermessensspielraums des Gesetzgebers zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels nach wie vor erforderlich war. Auf die Begründung des Senatsurteils vom , mit dem sich der Kläger ausführlich auseinandergesetzt hat, wird zunächst Bezug genommen. Zu den Einwänden des Klägers ist Folgendes auszuführen:
102. Die Zahl jüngerer Rechtsanwälte war am ohne weiteres genügend, um demographisch ausreichenden Nachwuchs zu gewährleisten. Die vom Kläger insoweit angestellten Berechnungen und das ihnen zugrundeliegende Zahlenwerk begründen hieran keine Zweifel. Das ergibt sich schon daraus, dass der Gesetzgeber 1991 die Einführung der Altersgrenze bereits bei einer Zahl von in diesem Jahr 59.455 bundesweit, das heißt einschließlich von in den Bereichen des hauptberuflichen Notariats (§ 3 Abs. 1 BNotO), zugelassenen Rechtsanwälten für erforderlich gehalten hat und dies verfassungs- sowie unionsrechtlich nicht zu beanstanden war (siehe Nr. 1). Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Altersstruktur 1991 aufgrund der zu diesem Zeitpunkt auf den Arbeitsmarkt drängenden geburtenstarken Jahrgänge sich von der heutigen Altersstruktur unterschieden haben wird. Am waren aber 61.582 Rechtsanwälte mit Einzelzulassung tätig, die unter 50 oder höchstens 50 Jahre alt (Senat, Urteil vom , aaO Rn. 34 mwN) und somit weit von der Zugangsaltersgrenze des § 5 Abs. 4 BNotO entfernt waren. Damit überstieg die Zahl der 2022 tätigen jüngeren Rechtsanwälte diejenige bei Einführung der Altersgrenze, wobei diese zudem alle Altersgruppen, also auch die der über Fünfzigjährigen, umfasste. 1991 entfielen folglich auf die Bezirke mit Anwaltsnotariat (§ 3 Abs. 2 BNotO) weniger jüngere Rechtsanwälte als 2022. Abgesehen von dem Umstand, dass der Kläger zu Unrecht von der von ihm errechneten Zahl von 17.240 bis 50 Jahre alten im Bereich des Anwaltsnotariats tätigen Rechtsanwälte sämtliche - auch über 50 Jahre alten Anwaltsnotare abzieht - verkennt er bei seiner Berechnung schon im Ausgangspunkt, dass es lediglich darauf ankommt, ob die Bewerberverhältnisse sich derart (massiv) gewandelt haben, dass der Gesetzgeber seinen von den Gerichten schon aus Gründen der Gewaltenteilung zu respektierenden weiten Gestaltungsspielraum (vgl. Senat, Beschluss vom aaO, Rn. 8) beziehungsweise den ihm nach der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs zustehenden weiten Ermessensspielraum (, Slg. 2007, I-8566 Rn. 68 f. - Palacios; vom - C-159/10, C-160/10, Slg. 2011, I-6919 Rn. 65 - Fuchs und Köhler und vom - C-914/19, NJW 2021, 2183 Rn. 30 - GN; Senat, Urteil vom aaO Rn. 14; Schmahl, EuR 2022, 612, 632 mwN) überschritten hat. Das ist aber demographisch angesichts der obigen Zahlen nicht erkennbar, auch nicht unter Zugrundelegung der vom Kläger beziehungsweise von der von ihm in Bezug genommenen Veröffentlichung ohne belastbare Daten oder sonstige Nachweise behaupteten Zahl von lediglich 100.000 "tatsächlich" in Vollzeit tätigen Rechtsanwälten. Die vom Kläger behauptete "Schrumpfung und Vergreisung" der Anwaltschaft stellt vor diesem Hintergrund lediglich ein Schlagwort dar, dass das Vorliegen eines demographisch ausreichenden Nachwuchspotentials jedenfalls zurzeit nicht in Zweifel zu ziehen vermag. Einer weiteren Beweisaufnahme durch Vernehmung der vom Kläger benannten sachverständigen Zeugen bedarf es nach alledem nicht, da das tatsächliche Vorbringen des Klägers im Hinblick auf die mitgeteilten Zahlen vom Senat unterstellt werden kann und es sich im Übrigen lediglich um einer Beweisaufnahme nicht zugängliche Wertungen handelt.
11Gleiches wie für die pauschal behauptete "Schrumpfung und Vergreisung" der Anwaltschaft gilt für die ebenso pauschale Behauptung, der Justiz gelinge es angesichts der demographischen Situation nicht mehr, ausreichenden Nachwuchs für den höheren Dienst zu gewinnen. Auch dies hält einer Überprüfung - jedenfalls für die zurzeit bestehende Sachlage - nicht stand. Im Gegenteil ist von 2018 bis 2022 die Zahl der bestandenen zweiten Staatsprüfungen gewachsen, und die Bewerbungen für den höheren Dienst haben die Zahl der Neueinstellungen von 2018 bis 2022 in allen Bundesländern durchgehend deutlich überstiegen (DRiZ 2023, 242, 243). Auch das bestätigt, dass der Nachwuchsmangel im Anwaltsnotariat keine demographischen Gründe hat.
123. Der Senat hält vor diesem Hintergrund daran fest, dass der Bewerbermangel im Anwaltsnotariat nicht demographisch begründet ist, sondern anderweitige, auf den Spezifika dieser Notariatsform beruhende strukturelle Gründe hat. Die Ausführungen des Klägers sind nicht geeignet, dies in Zweifel zu ziehen. Der Kläger lässt außer Acht, dass der Senat diese Überzeugung aufgrund einer Gesamtbetrachtung gewonnen hat. Dabei hat der Senat zum einen auf den erheblichen persönlichen, zeitlichen und finanziellen Aufwand abgestellt, der seit etwa 2010 im Interesse einer hohen und umfassenden Qualifikation der Anwaltsnotare für die Ablegung der notariellen Fachprüfung entsteht, zum anderen auf die sich stetig erhöhenden Anforderungen an die notarielle Tätigkeit und den damit einhergehenden Aufwand für die - auch personelle - Ausstattung der Geschäftsstelle. Dieser persönliche, zeitliche und finanzielle Gesamtaufwand für den Eintritt in den Nebenberuf und seine Ausübung kann je nach den Umständen des Einzelfalls unterschiedlich hoch sein und bei einer erforderlichen Neueinstellung von Notarfachkräften jährlich einen sechsstelligen Betrag erreichen, wie der Vertreter der Bundesnotarkammer in der mündlichen Verhandlung des Senats glaubhaft bestätigt hat. Auch der Kläger hat letztlich eingeräumt, dass eine bisher in einer Rechtsanwaltskanzlei eines Bewerbers tätige Rechtsanwalts- (und gegebenenfalls Notar-)fachangestellte regelmäßig nicht über die erforderliche Erfahrung verfügen wird und daher auch insoweit erhebliche Zusatzkosten entstehen können. Insoweit ist ergänzend anzumerken, dass der Kläger des Parallelverfahrens NotZ(Brfg) 4/22 in seiner gegen das Senatsurteil vom gerichteten Verfassungsbeschwerde, auf die sich auch der Kläger des vorliegenden Rechtsstreits bezogen hat, den monatlichen Aufwand für seine Notarstelle mit 20.000 € beziffert (S. 63 der Verfassungsbeschwerde). Berufsinteressenten werden einen solchen Aufwand nur eingehen, wenn eine verlässliche und planbare Aussicht auf ein wirtschaftlich sinnvolles Urkunden- und Gebührenaufkommen besteht. Wenn lebensältere Notare mit gut eingeführten Notariaten und einem großen Stamm an Urkundsbeteiligten, die keine notarielle Fachprüfung ablegen mussten und vom Ausscheiden älterer Notare profitiert haben, entgegen dem mit der Altersgrenze verfolgten Gedanken der Generationengerechtigkeit im Amt bleiben, ist dies entgegen der Ansicht des Klägers indes nicht gewährleistet. Denn bei seinen Ausführungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer ausgeschriebenen Stelle verkennt der Kläger, dass die von den Landesjustizverwaltungen angesetzten Bedürfniszahlen für die Ausschreibung einer Stelle gerade nicht gewährleisten, dass jüngere Notare auf einer neuen Stelle die vorausgesetzten Urkundszahlen und ein den Aufwand amortisierendes Gebührenaufkommen auch tatsächlich erreichen können. Zudem lässt er außer Acht, dass die Bedürfniszahlen ein Ausscheiden der älteren Notare mit einem besonders hohen Gebührenaufkommen gerade voraussetzen.
134. Entgegen der Ansicht des Klägers besteht für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Unionsgerichtshof kein Anlass. Insoweit wird zunächst auf das Urteil vom (aaO Rn. 55 f.) Bezug genommen. Es stellt sich keine noch nicht beantwortete Frage des Unionsrechts, sondern war im Einzelfall unter Berücksichtigung der besonderen Ausgestaltung des Anwaltsnotariats und der seit 2010 eingetretenen Veränderung in Bezug auf die Zugangsvoraussetzungen zum Anwaltsnotariat abzuwägen, ob die Altersgrenze nach wie vor erforderlich ist, um die Berufschancen zwischen den Generationen gerecht zu verteilen, den Generationenwechsel zu erleichtern und den Berufsstand der Notare zu verjüngen. Diese Abwägung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs dem nationalen Gericht zugewiesen. Das ergibt sich insbesondere auch klar aus den vom Kläger für seine Ansicht herangezogenen Entscheidungen vom (C-341/08, Slg. 2010, I-47100 Rn. 73 f. - Petersen) und vom - C-914/19, NJW 2021, 2183 Rn. 36-39, Rn. 40, 48, 51 - GN). Diese vom Unionsgerichtshof geforderte Überprüfung hat der Senat hier unter Beachtung des dem Gesetzgeber zuzubilligenden weiten Ermessens-, Beurteilungs- und Prognosespielraums vorgenommen. Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass strukturelle Gründe für einen Nachwuchsmangel es dem Gesetzgeber erlauben, die Zugangsvoraussetzungen zum Nebenberuf sowie seine Ausgestaltung zu ändern, um einem Nachwuchsmangel entgegenzuwirken, und der Gesetzgeber solche Änderungen mit dem Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften vom (BGBl. I S. 2154) auch bereits vorgenommen hat. Dabei hat er die Altersgrenze des § 48a BNotO bestehen lassen.
14Soweit der Kläger auf die von ihm vorgelegte Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil vom Bezug nimmt, sind die darin formulierten Vorlagefragen (S. 40 der Verfassungsbeschwerde) im vorliegenden Fall ungeachtet der vorstehenden Ausführungen nicht erheblich, weil sie auf der Prämisse beruhen, dass im Amtsgerichtsbezirk des ausscheidenden Notars Stellen unbesetzt geblieben sind. Das ist aber hier nicht der Fall. Der Kläger räumt der Sache nach selbst ein, dass das Erlöschen seines Amts dem mit der Altersgrenze verfolgten Ziel unmittelbar gedient hat. Die aufgrund der vorgenommenen Bedarfsermittlung im November 2021 ausgeschriebene Stelle ist mit einem jüngeren Bewerber besetzt worden, während zwei weitere jüngere Bewerber diese Stelle nicht erhalten haben.
15Soweit der Kläger geltend macht, es stelle sich die vom Unionsgerichtshof noch zu entscheidende Frage, ob bei einem verstetigten Nachwuchsmangel die Altersgrenze mit der neuen Begründung gerechtfertigt werden könne, dass das Ausscheiden von Notaren bei Erreichen der Altersgrenze das Freiwerden von Urkunden- und Gebührenaufkommen bewirke und dadurch einem potentiellen Bewerber einen Anreiz zur Ergreifung des Berufs des Anwaltsnotars gebe, besteht gleichfalls kein Anlass zu einer Vorlage gemäß Art. 267 Abs. 1 AEUV. Der Unionsgerichtshof hat ausdrücklich ausgeführt, dass "was das Ziel der Erleichterung des Generationenwechsels und der Verjüngung des Berufsstands der Notare anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtmäßigkeit eines solchen im Allgemeininteresse liegenden Zieles mit Bezug zur Beschäftigungspolitik nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden kann" (Urteil vom , aaO Rn. 36). Eben diese - hiernach mit der nach der acte-clair beziehungsweise acte-éclairé-Doktrin erforderlichen Gewissheit zulässigen - Ziele sollen durch die Altersgrenze und das durch sie freiwerdende Urkunden- und Gebührenaufkommen erreicht werden. Gleichfalls hat der Gerichtshof ausdrücklich klargestellt, dass die Mitgliedstaaten "auch bei der Festlegung der zu seiner Erreichung geeigneten Maßnahmen über ein weites Ermessen verfügen" (aaO Rn. 30). Bei dem genannten legitimen Ziel handelt sich auch nicht um eine neue Begründung für die der Altersgrenze des § 48a BNotO, denn diese diente schon immer dazu, zu gewährleisten, dass eine größere Zahl jüngerer Interessenten für ein Notaramt berücksichtigt werden kann (Regler in Schippel/Eschwey, BNotO, 11. Aufl., § 48a Rn. 1; siehe auch Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung, BT-Drucks. 11/8307, S. 18 rechte Spalte: "geordnete Altersstruktur, insbesondere im Anwaltsnotariat").
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:131123UNOTZ.BRFG.7.22.0
Fundstelle(n):
DNotZ 2024 S. 229 Nr. 3
DNotZ 2024 S. 234 Nr. 3
NJW 2024 S. 9 Nr. 3
NJW-RR 2024 S. 604 Nr. 9
NJW-RR 2024 S. 604 Nr. 9
WM 2024 S. 1283 Nr. 27
TAAAJ-55892