Anforderungen an die Feststellungen zur Annahme einer "überwiegenden" Ursächlichkeit eines Hangs zum übermäßigen Rauschmittelkonsum und begangener Anlasstaten
Gesetze: § 63 StGB, § 64 S 1 StGB vom , § 64 S 2 StGB vom , § 64 S 2 StGB vom
Instanzenzug: LG Tübingen Az: 1 KLs 41 Js 18772/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zwei Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unter Vorwegvollzug eines Teils der Strafe angeordnet und ihn im Übrigen freigesprochen. Daneben hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 374.650 € sowie beim Angeklagten sichergestellter „Betäubungsmittel“, „Verpackungsmaterialien“, „Konsumutensilien“, Bargelds im Wert von 9.750 € und eines Mobiltelefons „iPhone 13 Pro“ angeordnet. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Maßregelausspruches und Zurückverweisung der Sache insoweit zu erneuter Verhandlung und Entscheidung sowie zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilaufhebung der Einziehungsentscheidung; im Übrigen ist es unbegründet.
21. Die Verfahrensrüge dringt aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen nicht durch.
32. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils lässt im Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.
43. Hingegen hält die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Anordnungsvoraussetzungen des § 64 StGB in der durch das Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom (BGBl. I Nr. 203) ab dem geltenden Fassung werden durch die vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht belegt.
5a) Das Landgericht hat seine Maßregelentscheidung, bei der es die am außer Kraft getretene Fassung des § 64 StGB (im Folgenden: § 64 StGB aF) angewendet hat, auf folgende Feststellungen und Wertungen gestützt:
6aa) Der 45-jährige Angeklagte konsumierte erstmals im Alter von 15 Jahren Marihuana, ab dem 16. Lebensjahr zusätzlich Ecstasy und MDMA. Als er 18 Jahre alt war, trat der Konsum von Kokain hinzu. Über etwa zwei Jahre hinweg nahm der Angeklagte auch Heroin, Ketamin und LSD ein, bevor bei ihm ab dem Jahr 2000 der Konsum von bis zu fünf Gramm Kokain am Tag vorherrschte. Zur Beruhigung trank er Alkohol und rauchte Marihuana; längere Phasen der Abstinenz gab es nicht. Zwei abgeschlossene, suchtspezifische Therapiemaßnahmen nach § 35 BtMG in den Jahren 2010 und 2019 blieben ohne Erfolg; eine stabile Abstinenz stellte sich nicht ein.
7Im Zeitraum zwischen dem und dem handelte der Angeklagte in drei Fällen mit erheblichen Mengen von Betäubungsmitteln (Tat unter Ziffer II. 1. der Urteilsgründe: neun Kilogramm Marihuana, Tat unter Ziffer II. 2. der Urteilsgründe: 53 Kilogramm Marihuana; Tat unter Ziffer II. 3. der Urteilsgründe: 1,5 Kilogramm Kokain), die er mittels verschiedener Krypto-Handys unter Verwendung von EncroChat und Anom bestellte und im Fall II. 2. der Urteilsgründe bis zum Weiterverkauf von seinem Mittäter in einem eigens für diese Zwecke angemieteten Raum („Bunker“) verwahren ließ. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe diente nicht ausschließbar eines der zehn Kilogramm des angekauften Marihuanas, im Fall II. 3. der Urteilsgründe maximal 500 Gramm der Gesamtmenge des Kokains dem Eigenkonsum des Angeklagten, während der jeweils verbleibende Großteil zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war. Die im Fall II. 2. der Urteilsgründe angekauften Betäubungsmittel veräußerte der Angeklagte ohne die Entnahme eines Eigenkonsumanteils vollständig weiter. Durch diesen Rauschgifthandel erzielte er einen Gewinn in Höhe von insgesamt 27.850 €; jedenfalls den Gewinn aus der Tat II. 2. der Urteilsgründe (18.550 €) verwendete er ausschließlich zur Finanzierung seines Lebensunterhalts. Zu den finanziellen Verhältnissen des Angeklagten hat das Landgericht dessen bis zur Inhaftierung erzielten Nettoverdienst von 1.600 € aus einer Teilzeittätigkeit festgestellt. Weitere Feststellungen zu seinem Lebenszuschnitt, etwa bestehenden Verbindlichkeiten, seinem Lebensstil oder Konsumgewohnheiten hat es nicht getroffen.
8bb) In Übereinstimmung mit der psychiatrischen Sachverständigen hat das Landgericht auf dieser Grundlage angenommen, es liege bei dem Angeklagten eine langjährige süchtige Bindung an multiple psychotrope Substanzen vor, die als Abhängigkeitssyndrom (ICD-10: F19.2) einzuordnen und rechtlich als Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB zu bewerten sei. Der erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang und den abgeurteilten Straftaten ergebe sich daraus, dass der Angeklagte die abgeurteilten Straftaten jedenfalls auch begangen habe, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen. Aufgrund der vom Angeklagten geschilderten Therapiebereitschaft sei auch eine konkrete Erfolgsaussicht für die Unterbringung zu bejahen. Die in der Vergangenheit erfolglos gebliebenen Therapieversuche stünden nicht entgegen, da bei dem Angeklagten „Krankheitseinsicht und ein Problembewusstsein hinsichtlich der Abhängigkeitserkrankung“ (UA S. 29) vorhanden seien.
9b) Diese Bewertung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
10Der Senat hat § 64 StGB in der seit geltenden Neufassung anzuwenden (§ 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO). Gemäß § 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO muss bei Maßregeln der Besserung und Sicherung eine Gesetzesänderung auch vom Revisionsgericht berücksichtigt und grundsätzlich das neue Recht in jeder Lage des Verfahrens angewendet werden (vgl. Rn. 6).
11aa) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen die Annahme des symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem – unter den hier festgestellten Umständen auch nach neuem Recht zu bejahenden – Hang des Angeklagten zu einem übermäßigen Rauschmittelkonsum und den Anlasstaten (§ 64 Satz 1 Halbs. 1 StGB) nicht.
12(1) Eine Unterbringung nach § 64 StGB setzt einen symptomatischen Zusammenhang zwischen „Hang“ und Anlasstat voraus. Gemäß § 64 Satz 1 Halbs. 1 StGB ist erforderlich, dass der Hang zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln „überwiegend“ dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist. Mit der Ergänzung der gesetzlichen Regelung um den Begriff „überwiegend“ hat der Gesetzgeber das Kausalitätserfordernis zwischen dem Hang und der Anlasstat konkretisiert und – gegenüber der vormaligen Rechtslage – verschärft (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 26 und S. 46). „Überwiegend“ ursächlich ist der Hang für die Anlasstat, wenn dieser mehr als andere Umstände für die Begehung der Tat ausschlaggebend war (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 46 ff. und S. 69). Demgegenüber ist die bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann ausreichend, wenn sie quantitativ andere Ursachen überwiegt; eine Mitursächlichkeit unterhalb dieser Schwelle reicht nicht mehr aus (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 46 und S. 69).
13Dem liegt das Bestreben des Gesetzgebers zugrunde, solche Angeklagte aus den Entziehungsanstalten fernzuhalten, bei denen keine schwere Suchtmittelkonsumstörung festzustellen ist, sondern eher ein missbräuchlicher Drogenkonsum als Teil eines delinquenten Lebenswandels bzw. einer primär delinquenten Orientierung, bei denen der Drogenhandel auch einträgliche Erwerbsquelle und der persönliche Drogenkonsum dem Profitinteresse gegenüber nachrangig ist (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 47 und S. 69). Neben der Förderung einer therapiefreundlichen Atmosphäre in den Kliniken spricht auch der Maßregelzweck für ein restriktives Verständnis des symptomatischen Zusammenhangs. Denn – anders als bei der Maßregel nach § 63 StGB – dient die Unterbringung gemäß § 64 StGB in erster Linie der Besserung, während die Sicherung der Allgemeinheit mittels Behandlung der Rauschmittelabhängigkeit verfolgt wird. Stellt sich der Hang zum Suchmittelkonsum aber nicht als überwiegende Quelle der Straffälligkeit und damit als Ursache der Gefährlichkeit des Angeklagten heraus, kann die Vorschrift den bestehenden Sicherungsbedürfnissen nicht Rechnung tragen, mithin ihren Zweck nicht erreichen (vgl. , BVerfGE 91, 1, 27 f.; vgl. auch Rn. 10; Cirener in Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 64 Rn. 1 mwN).
14Die Annahme des symptomatischen Zusammenhangs scheidet in Ansehung dessen zukünftig insbesondere in Fällen aus, in denen die Anlasstat dazu begangen wird, um – neben dem Drogenkonsum – den eigenen, womöglich aufwendigen Lebensbedarf zu finanzieren (vgl. etwa Rn. 10 und vom – 2 StR 331/19, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 8 Rn. 8; Beschlüsse vom – 2 StR 75/23 Rn. 12 und vom – 4 StR 586/15 Rn. 4 [zu § 64 StGB aF]). Bei einem Rauschgifthändler, dem es allein darum geht, erworbene Betäubungsmittel mit Gewinn zu verkaufen, fehlt der symptomatische Zusammenhang regelmäßig auch dann, wenn er gelegentlich selbst Suchtmittel konsumiert (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 47; so bereits , BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 8 Rn. 8 mwN und vom – 2 StR 356/10 Rn. 8; Beschlüsse vom – 2 StR 75/23 Rn. 12; vom – 2 StR 101/22 Rn. 7; vom – 4 StR 586/15 Rn. 4 und vom – 1 StR 482/15 Rn. 16 ff. [jew. zu § 64 StGB aF]). Ebenso liegt es, wenn nicht die Konsumstörung, sondern ein suchtunabhängiges dissoziales Verhalten für die Tatbegehung wesentlich war (BT-Drucks. 20/5913, S. 47). Anders als unter Geltung des § 64 StGB aF fehlt es also an einem solchen Zusammenhang nicht erst dann, wenn die Taten allein zur Finanzierung des allgemeinen Lebensbedarfs (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 472/08, BGHR StGB § 64 Nichtanordnung 2) oder zur Gewinnerzielung bestimmt waren (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 482/15 Rn. 10, 18 und vom – 4 StR 586/15 Rn. 4), sondern bereits, wenn dies überwiegend der Fall gewesen ist.
15Für die Anordnung der – den Angeklagten beschwerenden – Maßregel gemäß § 64 StGB muss der symptomatische Zusammenhang ebenso wie die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift sicher feststehen (§ 261 StPO; BT-Drucks. 20/5913, S. 70; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 650/21 Rn. 6; vom – 2 StR 380/21 Rn. 7 und vom – 4 StR 89/20 Rn. 8; jew. mwN). Für die Anwendung des Zweifelssatzes ist insoweit kein Raum (vgl. Rn. 9; Beschlüsse vom – 3 StR 621/17 Rn. 10 und vom – 4 StR 572/13 Rn. 4).
16(2) Nach Maßgabe dessen belegen die Feststellungen nicht, dass die Betäubungsmittelsucht des Angeklagten für die Anlasstaten überwiegend ursächlich war. Die Taten des Angeklagten zielten jeweils auf den gewinnbringenden Verkauf erheblicher Mengen an Betäubungsmitteln und nicht vorrangig auf die Befriedigung der eigenen Sucht. Von typischen Beschaffungstaten unterschieden sie sich neben der Größenordnung auch durch das planmäßige und strukturierte Vorgehen des Angeklagten, der Krypto-Handys unter Verwendung von EncroChat und Anom nutzte sowie einen Bunkerhalter engagierte. Schließlich deutet auch die Höhe des jeweiligen Gewinnanteils des Angeklagten, dessen legal erzielte Einkünfte vergleichsweise gering waren, darauf hin, dass er die Taten zur Finanzierung oder jedenfalls Aufbesserung seines Lebensunterhalts und nicht „überwiegend“ zur Suchtbefriedigung beging. Auch auf den festgestellten – zugunsten des schweigenden Angeklagten hoch angesetzten – Eigenkonsum lässt sich der symptomatische Zusammenhang unter den hier festgestellten Umständen nicht stützen. „Überwiegend“ gingen die Betäubungsmittelverkäufe nur dann auf die Sucht des Angeklagten zurück, wenn diese mehr als andere Umstände für die Begehung der Tat ausschlaggebend gewesen wäre. Anhaltspunkte dafür finden sich im Urteil aber nicht. Im Gegenteil hat das Landgericht festgestellt, dass es dem Angeklagten darauf ankam, sich durch den An- und Verkauf größerer Mengen an Betäubungsmitteln dauerhaft eine Einnahmequelle erheblichen Umfangs zu verschaffen (UA S. 9). Dies lässt daran zweifeln, dass die Rauschmittelabhängigkeit des Angeklagten diese Motivation quantitativ überwog, zumal etwa die der Tat unter Ziffer II. 2. der Urteilsgründe zugrundeliegenden Betäubungsmittel vollständig zum Weiterverkauf bestimmt waren.
17bb) Eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB ist ebenfalls nicht tragfähig belegt.
18(1) Nach § 64 Satz 2 StGB darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur angeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. Notwendig, aber auch ausreichend für die vom Tatgericht zu treffende Prognose ist eine auf Tatsachen gegründete „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ für das Eintreten des Behandlungserfolgs, wie sie etwa auch für die Maßregelanordnung nach § 63 StGB vorausgesetzt wird (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 48, S. 70; vgl. auch Rn. 16 [zu § 63 StGB]). Wie bereits nach § 64 Satz 2 StGB aF bedarf es einer sicheren und unbedingten Gewähr hierfür zwar nicht. Erforderlich ist aber, dass in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie zu erkennen sind, die nicht nur die Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung, sondern die positive Feststellung der hohen Wahrscheinlichkeit einer konkreten Erfolgsaussicht tragen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 70). Damit das Revisionsgericht prüfen kann, ob eine Erfolgsaussicht in diesem vom Gesetzgeber nun stärker als bisher geforderten Ausmaß besteht, bedarf es der hinreichenden Darlegung konkreter, durch den Tatrichter als prognostisch bedeutsam für einen die Behandlung im Maßregelvollzug überdauernden Therapieerfolg bewerteter Umstände in den Urteilsgründen (so bereits BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 481/22 Rn. 4 und vom – 4 StR 349/22 Rn. 11; jew. mwN [zu § 64 StGB aF]). Bestehen (gewichtige) negative Faktoren, die gegen die Erfolgsaussicht der Behandlung sprechen können, sind diese abzuhandeln und in eine umfassende Gesamtwürdigung einzustellen (so bereits BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 132/22 Rn. 8; vom – 1 StR 433/19 Rn. 9; vom – 2 StR 518/18 Rn. 5 ff. und vom – 4 StR 92/15 Rn. 15; jew. mwN). Eine Therapiebereitschaft allein – mag diese auch ein wesentlicher prognosegünstiger Umstand sein – genügt für die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht nicht, wenn zugleich prognoseungünstige Umstände von Gewicht festzustellen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 132/22 Rn. 8; vom – 1 StR 433/19 Rn. 9 und vom – 2 StR 518/18 Rn. 5; jew. mwN [zu § 64 StGB aF]). Angesichts des gegenüber § 64 Satz 2 StGB aF gesteigerten Wahrscheinlichkeitsgrads für den Eintritt des Behandlungserfolgs wird sich der Tatrichter mit etwaigen prognoseungünstigen Umständen eingehender als bisher zu beschäftigen und darzulegen haben, weshalb eine positive Prognose dennoch besteht.
19(2) Diesem Maßstab werden die knappen Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Denn die Strafkammer hat gewichtige prognoseungünstige Umstände nicht gewürdigt. Dies gilt insbesondere für den langjährigen, verfestigten Drogenmissbrauch des Angeklagten (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 516/07 Rn. 5 und vom – 5 StR 464/14 Rn. 3 [zu § 64 StGB aF]) und die beiden gescheiterten Langzeittherapien im Rahmen von Zurückstellungen der Strafvollstreckung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 272/22 Rn. 21 und vom – 4 StR 659/07 Rn. 2 [zu § 64 StGB aF]). Um eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ für einen Behandlungserfolg tragfähig zu prognostizieren, hätte es jedenfalls der Auseinandersetzung damit bedurft, weshalb die beiden Langzeittherapien in der Vergangenheit erfolglos geblieben sind und welche seitdem eingetretene Änderung der Persönlichkeit und der Lebensumstände des Angeklagten im Gegensatz dazu konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Therapieverlauf bieten.
20c) Die aufgeführten Mängel führen zur Aufhebung des Maßregelausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Damit entfällt zugleich die Anordnung des Vorwegvollzugs. Über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wird – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) – unter Beachtung der geänderten Rechtslage neu zu verhandeln und zu entscheiden sein.
214. Auch der Ausspruch über die Einziehung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nur teilweise stand.
22a) Im Hinblick auf die gemäß § 74 StGB, § 33 Satz 1 BtMG eingezogenen Betäubungsmittel, Verpackungsmaterialien und Konsumutensilien steht ein Bezug zu den abgeurteilten Taten nicht sicher fest. Eine Einziehung als Tatobjekt nach § 33 Satz 1 BtMG i.V.m. § 74 Abs. 2 StGB oder als Tatmittel gemäß § 74 Abs. 1 StGB kommt auf dieser Grundlage nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 193/22 Rn. 5 [zur Einziehung als Tatobjekt] und vom – 3 StR 122/22 Rn. 27; je mwN).
23b) Ebenso liegt es hinsichtlich des in der Wohnung des Angeklagten aufgefundenen Bargelds in Höhe von 9.750 €; auch insoweit sind die zur Herkunft des Geldes getroffenen Feststellungen nicht eindeutig.
24c) Die Einziehung des sichergestellten Mobiltelefons iPhone 13 Pro gemäß § 74 Abs. 1 StGB wird von den Feststellungen ebenfalls nicht getragen. Da dieses Modell im Zeitpunkt der Sicherstellung erst etwa seit zehn Monaten – wie festgestellt – auf dem Markt erhältlich war, die letzte der abgeurteilten Taten seitdem aber bereits mehr als ein Jahr zurücklag, ist ausgeschlossen, dass der Angeklagte es zur Begehung der abgeurteilten Taten verwendete.
25d) Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen ist um 1.200 € zu reduzieren.
26aa) Bei der Berechnung der bei dem Angeklagten nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB grundsätzlich einzuziehenden Erträge ist dem Landgericht im Fall II. 1. der Urteilsgründe ein Rechenfehler unterlaufen. Bei dem festgestellten Verkaufspreis von 5.200 € je Kilogramm ergibt sich bei einer Verkaufsmenge von neun Kilogramm Marihuana ein Gesamtertrag in Höhe von 46.800 € und nicht, wie vom Landgericht angenommen, ein solcher von 48.000 €.
27bb) Der Rechenfehler kann auch nicht dadurch kompensiert werden, dass das Landgericht das bei dem Angeklagten sichergestellte Bargeld im Wert von 9.750 € von der Summe des ermittelten Einziehungsbetrags abgezogen hat. Denn insoweit sind bereits, wie vorstehend unter 4. b) ausgeführt, die Einziehungsvoraussetzungen nach §§ 73 ff. StGB nicht dargetan. Im Übrigen stünde das tatbezogen zu prüfende Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO entgegen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 374/21 Rn. 7; vom – 3 StR 415/21 Rn. 15; vom – 5 StR 321/22 Rn. 6; vom – 2 StR 20/21 Rn. 5 und vom – 3 StR 82/20 Rn. 11).
28e) Insgesamt sind nach Ausermittlung des Sachverhalts keine weitergehenden Feststellungen zu erwarten, die eine Einziehung der Betäubungsmittel nebst Zubehör, des Bargelds, des Mobiltelefons sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von weiteren 1.200 € tragen könnten. Der Senat entscheidet daher insoweit in der Sache selbst (§ 354 Abs. 1 StPO analog).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:181023U1STR214.23.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-54926