Anwaltgerichtliches Verfahren gegen einen Zulassungswiderruf: Umdeutung einer eingelegten Berufung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung
Gesetze: § 112e S 2 BRAO, § 124a Abs 4 VwGO
Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof München Az: BayAGH I - 5 - 11/22 Urteilnachgehend Az: AnwZ (Brfg) 27/23 Beschluss
Gründe
I.
1 Der Kläger ist seit dem Jahr 2014 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Unvereinbarkeit seiner Maklertätigkeit mit der Tätigkeit als Rechtsanwalt (§ 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO). Die hiergegen gerichtete Klage hat der Bayerische Anwaltsgerichtshof mit Urteil vom , dem Kläger zugestellt am , abgewiesen. Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am eingelegten und mit Schriftsatz vom begründeten Berufung. Der Senat hat den Kläger mit Verfügung vom darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Statthaftigkeit des eingelegten Rechtsmittels der Berufung bestehen. Der Kläger hat dazu Stellung genommen mit Schriftsatz vom .
II.
2 Die Berufung des Klägers ist nicht statthaft. Eine Auslegung als oder eine Umdeutung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung kommen vorliegend nicht in Betracht.
3 1. Gemäß § 112e Satz 1 BRAO steht den Beteiligten gegen ein Endurteil des Anwaltsgerichtshofs die Berufung zu, wenn sie vom Anwaltsgerichtshof oder vom Bundesgerichtshof zugelassen wird. Der Anwaltsgerichtshof hat in seinem Urteil die Berufung nicht zugelassen. Daher ist gegen diese Entscheidung gemäß § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO lediglich der Antrag auf Zulassung der Berufung statthaft.
4 2. Eine Auslegung des als Berufung bezeichneten Rechtsmittels als Zulassungsantrag ist nicht möglich (vgl. nur Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 34/21, juris Rn. 5 ff. mwN). In der Rechtsmittelschrift vom wurde das erhobene Rechtsmittel - trotz ordnungsgemäßer Belehrung über das statthafte Rechtsmittel durch den Anwaltsgerichtshof - vom Kläger optisch hervorgehoben ausdrücklich als Berufung bezeichnet und ausdrücklich von Berufungsanträgen und Berufungsbegründung gesprochen, die einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten werden. Von einer Zulassung des Rechtsmittels ist an keiner Stelle des Schriftsatzes die Rede. Auch sonst finden sich dort keine Anhaltspunkte für eine etwa bestehende Absicht des Klägers, entgegen seiner Rechtsmittelerklärung nicht Berufung einzulegen, sondern die Zulassung der Berufung zu beantragen.
5 Die Berufung umfasst nicht zugleich auch den Antrag auf Zulassung dieses Rechtsmittels. Die beiden Rechtsbehelfe betreffen unterschiedliche Gegenstände. Während der Antrag auf Zulassung der Berufung ausschließlich die Zulassung dieses Rechtsmittels durch den Bundesgerichtshof begehrt, richtet sich die Berufung gegen die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs in der Sache. Beide Rechtsbehelfe sind nicht austauschbar. Sie haben unterschiedliche Ziele und stehen in einem Stufenverhältnis selbständig nebeneinander. Erst ein erfolgreicher Antrag auf Zulassung der Berufung eröffnet die prozessrechtliche Möglichkeit, dieses Rechtsmittel als nunmehr statthaft einzulegen (vgl. BVerwG, NVwZ 1999, 641, 642).
6 3. Auch eine Umdeutung des Rechtsmittels in einen Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht möglich.
7 a) Eine solche Umdeutung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs u.a. voraus, dass der Kläger den Antrag auf Zulassung der Berufung noch innerhalb der Rechtsmittelfrist gestellt oder innerhalb dieser Frist beantragt hat, das unstatthafte Rechtsmittel als Antrag auf Zulassung der Berufung zu behandeln (vgl. nur Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 34/21, juris Rn. 10 mwN). Daran fehlt es.
8 Die Rechtsmittelfrist, die mit der Zustellung des vollständigen Urteils am zu laufen begonnen hat, ist gemäß § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 Satz 1, 125 Abs. 1 Satz 1, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Fall 1 BGB am Dienstag, den abgelaufen, ohne dass entsprechende Anträge gestellt worden sind.
9 b) Die vorgenannten Voraussetzungen für eine Umdeutung stehen - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht im Widerspruch zu der vom Kläger zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach eine fehlerhafte Parteihandlung in eine zulässige, wirksame und vergleichbare umzudeuten ist, wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem mutmaßlichen Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des Gegners entgegensteht (vgl. , NJW 2001, 1217, 1218 mwN). In Fällen wie dem vorliegenden, in dem innerhalb der Rechtsmittelfrist weder ein Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt wurde noch beantragt wurde, das unstatthafte Rechtsmittel als Antrag auf Zulassung der Berufung zu behandeln, stehen einer Umdeutung jedenfalls die schutzwürdigen Interessen des Prozessgegners entgegen. Dieser muss es nur innerhalb der dafür laufenden Frist als möglich ansehen, dass solche Anträge gestellt werden (vgl. BVerwG, NJW 2009, 162 Rn. 25 f.).
10 c) Abweichendes folgt auch nicht aus der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach darf der Zugang zu Gericht nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Deshalb haben die Gerichte etwa das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung getragen wird. Sie dürfen nicht durch die Art und Weise der Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar verkürzen (vgl. BVerfG, NVwZ 2016, 238, 241 f. mwN).
11 Dass ein von einem Anwalt eindeutig eingelegter Rechtsbehelf jedenfalls dann nicht in einen anderen umgedeutet werden kann, wenn - wie hier - die Rechtsbehelfe unterschiedlichen Zwecken dienen (vgl. BVerwG, NVwZ 1999, 641, 642 mwN), begegnet - entgegen der Auffassung des Klägers - keinen solchen Bedenken.
III.
12 Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Schoppmeyer Remmert Grüneberg
Lauer Niggemeyer-Müller
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:201023BANWZ.BRFG.27.23.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2024 S. 196 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 3/2024 S. 159
NWB-Eilnachricht Nr. 3/2024 S. 159
EAAAJ-54915