BGH Urteil v. - VI ZR 493/20

Schadensersatzanspruch eines Fahrzeugskäufers gegen Fahrzeughersteller wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen bei Kauf im Jahr 2017

Leitsatz

Zur deliktischen Haftung des Kfz-Herstellers wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung gegenüber dem Käufer eines Fahrzeugs.

Gesetze: § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, Art 5 EGV 715/2007

Instanzenzug: OLG Celle Az: 7 U 394/18vorgehend LG Bückeburg Az: 2 O 172/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.

2Der Kläger erwarb am bei einem Händler einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Passat CC 2.0 TDI. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Motorsteuerung des Fahrzeugs war mit einer das Abgasrückführungsventil steuernden Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wurde, und schaltete in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid-optimierten Modus. In diesem Modus fand eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.

3Am hatte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG a.F. veröffentlicht, wonach bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen und dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) stehe. Das KBA sah die genannte Software als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 an und verpflichtete die Beklagte im Oktober 2015, die Abschalteinrichtung zu "entfernen" und "geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftmäßigkeit" … "zu ergreifen". Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA als geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit auch des hier im Streit stehenden Fahrzeugtyps ansah. Der Kläger lehnte das ihm angebotene Aufspielen des Software-Updates ab, weil er es für ungeeignet, unzureichend und unzumutbar hielt.

4Mit seiner Klage begehrt der Kläger zuletzt die Zahlung von 29.126,51 € nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und Zahlung von Nutzungsersatz (Klageantrag zu 1), hilfsweise die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs mit der manipulierten Motorensoftware durch die Beklagte resultieren (Klageantrag zu 2), sowie die Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme der Zug-um-Zug-Leistung (Klageantrag zu 3) und des Herrührens des Zahlungsanspruchs aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung (Klageantrag zu 4), ferner die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (Klageantrag zu 5). Er macht insbesondere geltend, das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig gewesen und dies bis zum Abschluss des Kaufvertrags geblieben, Ansprüche gegen die Beklagte seien auch bei einem Erwerb nach dem Öffentlichwerden des Skandals nicht generell ausgeschlossen. Dass das Fahrzeug, das er erworben habe, von der Abgasproblematik betroffen gewesen sei, habe er im Erwerbszeitpunkt noch nicht gewusst, der Verkäufer habe ihm versichert, mit dem Wagen sei alles in Ordnung und es sei kein Software-Update nötig. Dieses weise weiterhin erhebliche Mängel und Risiken auf, die betroffenen Fahrzeuge seien mit einem erheblichen merkantilen Minderwert behaftet.

5Das Landgericht hat die Klage ab- und das Oberlandesgericht die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

I.

6Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat eine etwaige Haftung der Beklagten wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) spätestens mit der Offenlegung des Sachverhalts im Herbst 2015 geendet. Ob der Kläger, wie er behaupte, bei Erwerb nicht gewusst habe, dass sein Fahrzeug von der Abgasproblematik betroffen sei, sei unerheblich. Eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007 scheide bereits mangels Schutzgesetzeigenschaft aus; zudem liege insoweit kein Verstoß vor, weil die für das Fahrzeug ausgestellte Übereinstimmungsbescheinigung auf eine gültige EG-Typgenehmigung zurückgehe und die Gültigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung nicht vor-aussetze, dass diese vollumfänglich richtig sei.

II.

7Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, soweit die Berufung des Klägers gegen die Abweisung der Klageanträge zu 1, 2 und 5 zurückgewiesen worden ist. Im Übrigen (Zurückweisung der Berufung des Klägers gegen die Abweisung der Klageanträge zu 3 und zu 4) ist die Revision unbegründet. Soweit das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) verneint, hält sich dies im Rahmen der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und lässt Rechtsfehler nicht erkennen (unter II.1). Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht hingegen eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007 (unter II.2).

81. Das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit dem massenweisen Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung im Verhältnis zu Personen, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den von der Beklagten im September 2015 ergriffenen Maßnahmen erwarben und keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten, ist zwar objektiv sittenwidrig und geeignet gewesen, die Haftung der Beklagten zu begründen (vgl. nur Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 16 mwN; ferner , NJW 2021, 3725 Rn. 17; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 16). Ein Anspruch des Klägers aus § 826 BGB besteht aber - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - nicht, weil sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen und von der Revision nicht in Frage gestellten Feststellungen das gesamte Verhalten der Beklagten im - maßgeblichen (vgl. nur Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 13) - Zeitraum bis zum Eintritt des Schadens bei dem Kläger in der gebotenen Gesamtschau aufgrund einer zwischenzeitlichen Verhaltensänderung der Beklagten (vgl. nur Senatsurteil vom - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 34 ff.; Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 15 ff.; , NJW 2021, 3725 Rn. 18 f.; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 17) nicht als sittenwidrig darstellt (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 7; auch VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270 Rn. 14).

9a) Die Beklagte hat ihr Verhalten im September 2015 nach außen erkennbar maßgeblich geändert. Denn sie ist an die Öffentlichkeit getreten, hat Unregelmäßigkeiten eingeräumt und Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes erarbeitet, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen. Hierdurch wurden wesentliche Elemente, die ihr bisheriges Verhalten gegenüber bisherigen Käufern von Fahrzeugen mit Dieselmotoren der Baureihe EA189 als besonders verwerflich erscheinen ließen, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gegenüber dem Kläger und im Hinblick auf den Schaden, der bei ihm durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags im März 2017 entstanden sein könnte, nicht gerechtfertigt ist (vgl. , NJW 2020, 2798 Rn. 34 ff.; vom - VI ZR 244/20, VersR 2021, 263 Rn. 14 f.; Senatsbeschlüsse vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 17; vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 8).

10aa) Die Beklagte veröffentlichte am eine Ad-hoc-Mitteilung. Darin teilte sie mit, dass bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem KBA stehe und für notwendige Servicemaßnahmen an den betroffenen Motoren rund 6,5 Milliarden Euro zurückstelle. Die Beklagte gab darüber hinaus eine im Wesentlichen gleichlautende Pressemitteilung heraus und schaltete eine Webseite frei, auf der durch Eingabe der Fahrzeug-Identifikationsnummer überprüft werden kann, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Abschalteinrichtung versehen ist (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 9).

11bb) Der Senat kann diesen Sachverhalt berücksichtigen, auch wenn das Berufungsgericht nur allgemein auf die "Offenlegung" des "Sachverhalts" durch die Beklagte "im Herbst 2015" abstellt, den Wortlaut der Ad-hoc- und der Pressemitteilung aber weder konkret erwähnt noch auch nur allgemein umschreibt oder gar ausdrücklich wiedergibt. Grundlage der Prüfung durch das Revisionsgericht ist gemäß § 559 ZPO grundsätzlich der Tatsachenstoff, der sich aus dem Berufungsurteil einschließlich der in ihm enthaltenen wirksamen Bezugnahmen und dem Inhalt des Sitzungsprotokolls erschließt (, NJW-RR 2005, 794, 795, juris Rn. 12; vgl. auch Urteil vom - V ZR 327/94, NJW 1996, 1748, juris Rn. 9). Dazu gehören indessen unter den hier gegebenen besonderen Umständen auch der Inhalt der Ad-hoc- und der Pressemitteilung vom . Denn das Berufungsurteil führt sein entscheidungstragendes Abstellen auf die "Offenlegung" des "Sachverhalts" durch die Beklagte "im Herbst 2015" auf eine "allgemeine Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung" zurück, für die es zahlreiche Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte - namentlich diejenigen der sowie vom - 10 U 338/19, juris), Saarbrücken (Urteil vom - 2 U 94/18, juris) und Frankfurt (Urteil vom - 13 U 156/19, juris) - wie auch eigene frühere Erkenntnisse - namentlich das Urteil des auch im Streitfall erkennenden Senats des Oberlandesgerichts Celle vom - 7 U 575/18, juris - konkret in Bezug nimmt, die sämtlich veröffentlicht sind und in denen der Inhalt der Ad-hoc- und der Pressemitteilung vom im Einzelnen dargestellt wie auch die Qualifikation der hier gegebenen Fallkonstellation als "Spätfall" im Tatsächlichen näher erörtert wird (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 10).

12cc) Bereits die Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten vom war objektiv geeignet, das Vertrauen potenzieller Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren des Typs EA189 in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen (vgl. näher Senatsbeschluss vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 11 mwN). Soweit die Revision einzelne Sätze der Ad-hoc-Mitteilung beanstandet, sieht der Senat keinen Anlass zu einer Änderung dieser Bewertung. Denn die angesprochenen Passagen relativieren, worauf es für die Bewertung des Senats maßgeblich ankommt, nicht die erfolgte, mit einer Gewinnwarnung verbundene Offenlegung einer auffälligen - elf Millionen Fahrzeuge desselben Motortyps (EA189) betreffenden, technische Maßnahmen in Abstimmung mit dem KBA erfordernden und Rückstellungen von rund 6,5 Milliarden Euro auslösenden - Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb. Angesichts der mitgeteilten Informationen zu Fahrzeugen mit Dieselmotoren vom Typ EA189, insbesondere der hohen Zahl der betroffenen Fahrzeuge, des erheblichen Beseitigungsaufwands und der erfolgten Einbindung der zuständigen Behörden war bei objektiver Betrachtung davon auszugehen, dass potenzielle Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren der Baureihe EA189 die Erfüllung der maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben nach der Veröffentlichung und der als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung der Mitteilung nicht mehr als selbstverständlich voraussetzen würden. Dies gilt umso mehr, als nach den Feststellungen des Berufungsgerichts (siehe oben unter II.1.a.bb) über die Verwendung der Abschalteinrichtung in Dieselmotoren vom Typ EA189 ab September 2015 in den Medien umfangreich berichtet und in der breiten Öffentlichkeit diskutiert worden ist und sie unter Bezeichnungen wie "Dieselskandal" oder "VW-Abgasskandal" monatelang ein die Nachrichten beherrschendes Thema war (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 20).

13Soweit die Revision die Verlautbarungen der Beklagten, insbesondere die Pressemitteilung vom , als "beschönigend, verharmlosend" und "bewusst falsch" beanstandet, vermag sie auch dadurch den objektive Sittenwidrigkeit ausschließenden Strategiewechsel der Beklagten nicht infrage zu stellen (vgl. bereits Senatsurteil vom - VI ZR 839/20, NJW-RR 2022, 309 Rn. 14; , NJW 2021, 3725 Rn. 19; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 18). Durch das Fehlen eines Hinweises darauf, dass aufgrund der "Unregelmäßigkeiten" bei Fahrzeugen mit Motoren vom Typ EA189 das Entfallen der Typgenehmigung und damit eine Betriebsuntersagung möglich seien, wurden die Grundaussagen der Verlautbarungen vom - auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb, sehr hohe Anzahl der betroffenen Fahrzeuge, ganz erheblicher Beseitigungsaufwand, enge Einbindung der zuständigen Behörden - nicht relativiert. Gleiches gilt, soweit die Revision geltend macht, die Pressemitteilung vom habe den Hinweis enthalten, dass "weder Fahrverhalten, Verbrauch noch Emissionen" beeinflusst würden. Dass die Beklagte die (ursprüngliche) Abschalteinrichtung nicht selbst als illegal gebrandmarkt hat, sondern im Gegenteil dieser (zutreffenden) Bewertung in der Folgezeit entgegengetreten ist, dass sie eine bewusste Manipulation geleugnet hat und dass sie möglicherweise weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung hätte unternehmen können, begründet den gravierenden Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung gegenüber dem Kläger ebenfalls nicht (vgl. , VersR 2021, 732 Rn. 14; vom - VI ZR 839/20, NJW-RR 2022, 309 Rn. 15 f.; , NJW 2021, 3725 Rn. 20; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 19).

14Unerheblich ist schließlich das Vorbringen der Revision, die Pressemitteilung vom habe auch insoweit relativierende und unzutreffende Angaben enthalten, als ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht worden sei, die aktuell angebotenen "Neuwagen mit Dieselantrieb EU 6 aus dem Volkswagenkonzern" erfüllten die rechtlichen Anforderungen und Umweltnormen. Denn der Kläger hat einen Gebrauchtwagen mit einem Dieselmotor der Schadstoffklasse Euro 5 erworben. Für die Bewertung, ob das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger als objektiv sittenwidrig anzusehen ist, kommt es nicht darauf an, ob auch die nachfolgende Motorengeneration eine unzulässige Abschalteinrichtung aufwies (Senatsurteil vom - VI ZR 839/20, NJW-RR 2022, 309 Rn. 15; , NJW 2021, 3725 Rn. 20; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 20; vgl. auch Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 21).

15dd) Die dargestellten Maßnahmen der Beklagten sind für das Ergebnis der Sittenwidrigkeitsprüfung nicht deshalb irrelevant, weil die Beklagte nicht sichergestellt hatte, dass ihre Informationen tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreichten und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung in jedem Einzelfall verhinderten (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 12 mwN; , NJW 2021, 3725 Rn. 20; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 19). Die Beklagte traf zur Vermeidung des Sittenwidrigkeitsvorwurfs nicht die Verpflichtung, jeden potenziellen Käufer über die für seine Kauf-entscheidung wesentlichen Gesichtspunkte und die Mängel des Kaufgegenstands vollständig aufzuklären (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 22; vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 12). In diesem Zusammenhang kommt es auf die Kenntnisse der Käufer vom "Dieselskandal" im Allgemeinen und ihre Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen nicht an. Käufern, die sich - wie der Kläger - erst für einen Kauf entschieden haben, nachdem die Beklagte ihren Strategiewechsel vollzogen hatte, wurde unabhängig von ihrem Wissensstand und ihrem subjektiven Vorstellungsbild nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt (, NJW-RR 2022, 243 Rn. 19 mwN). Denn die darin liegende Verhaltensänderung steht bereits der Bewertung des Gesamtverhaltens der Beklagten als sittenwidrig entgegen und ist nicht erst im Rahmen der Kausalität abhängig von den Vorstellungen des jeweiligen Geschädigten zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 10).

16Angesichts dessen hat das Berufungsgericht im Zusammenhang mit einer Haftung der Beklagten aus § 826 BGB zu Recht das Vorbringen des Klägers für unerheblich erachtet, ihm sei bei Erwerb des Fahrzeugs im März 2017 nicht bekannt gewesen, dass dieses von der Abgasproblematik betroffen gewesen sei, und er sei von seinem Vertragspartner diesbezüglich falsch informiert und bei Vertragsschluss auch nicht auf das Erfordernis hingewiesen worden, an einer Rückrufaktion teilzunehmen und ein Software-Update vornehmen zu lassen.

17Erst recht ist das Vorbringen der Revision ohne Bedeutung, dem Kläger habe sich angesichts des seit der Ad-hoc- und Pressemitteilung der Beklagten vom und der sich daran anschließenden Medienberichterstattung verstrichenen Zeitraums bei Erwerb des im Streit stehenden Fahrzeugs im März 2017 nicht aufdrängen müssen, dass dieses Fahrzeug noch immer von der Abgasproblematik betroffen gewesen sei, oder dass diese Verlautbarungen der Beklagten aus dem Jahr 2015 für den Kläger bei Erwerb des Fahrzeugs im Jahr 2017 "wenig relevant" gewesen seien. Entsprechendes gilt für die Behauptung der Revision, es sei für den Kläger als Autokäufer "wenig plausibel" gewesen, eine den Aktienmarkt betreffende Ad-hoc-Mitteilung zur Kenntnis zu nehmen, wobei dies angesichts der breit in den Massenmedien thematisierten weiterreichenden Bedeutung der Vorgänge für jeden Erwerber eines der betroffenen Fahrzeuge ohnehin nicht zutrifft.

18b)Ohne Erfolg beanstandet die Revision die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts mit dem Vorbringen, das Software-Update, das die Beklagte unter anderem für Fahrzeuge wie das von dem Kläger erworbene zur Verfügung gestellt habe, weise sowohl in rechtlicher wie in technischer Hinsicht weiterhin erhebliche Mängel und Risiken auf, die betroffenen Fahrzeuge seien mit einem erheblichen merkantilen Minderwert behaftet, so dass von einer im Rahmen der Haftung aus § 826 BGB erheblichen Verhaltensänderung nicht auszugehen sei. Dabei legt der Senat das Vorbringen der Revision zugrunde, die Abgasreinigung finde nach dem Software-Update nur in einem Temperaturbereich von 10 bis 32 Grad Celsius und bis zu einer Seehöhe von 1.000 Metern statt.

19aa) Sollte die Beklagte mit dem Software-Update eine solche Steuerung des Emissionskontrollsystems implementiert haben, hätte sich entgegen der Auffassung der Revision dadurch nicht die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten in lediglich veränderter Form fortgesetzt (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 25; , NJW 2021, 3725 Rn. 21; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 21). Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine derartige Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (vgl. , NJW 2022, 2605 Rn. 31 ff.). Wie der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden hat, reichte selbst ein solcher Gesetzesverstoß nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates, die das Berufungsgericht hier nicht festgestellt hat und zu denen die Revision keinen übergangenen Tatsachenvortrag des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägers (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 29 mwN) aufzeigt (vgl. näher Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 25 ff.; Senatsurteil vom - VI ZR 839/20, NJW-RR 2022, 309 Rn. 19 f.; , NJW 2021, 3725 Rn. 21 ff.; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 21 ff.; siehe auch Senatsurteil vom - VI ZR 934/20, VersR 2022, 852 Rn. 19). Insbesondere soweit die Revision geltend macht, die Beklagte habe mit dem Software-Update lediglich "ein weiteres Mal eine von vornherein rechtswidrige Beseitigungsmaßnahme entwickelt und genehmigen lassen", erschöpft sich ihr Vorbringen darin, das KBA habe das in Rede stehende Software-Update freigegeben und es sei nicht festgestellt, dass das KBA in ihm eine zulässige Abschalteinrichtung erkannt habe. Damit ist bereits kein vom Berufungsgericht übergangener Tatsachenvortrag aufgezeigt, dem die Behauptung einer erneuten Täuschung des KBA entnommen werden könnte (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 24; , NJW-RR 2022, 243 Rn. 22).

20bb) Soweit die Revision rügt, ein weiterer Mangel des Updates liege in dem mit ihm verbundenen Eingriff in das On-Board-Diagnose-System, und geltend macht, das Update habe diverse Folgeschäden an den betroffenen Fahrzeugen zur Folge, deren Wahrscheinlichkeit für die Beklagte auf der Hand gelegen habe, zumal eine Prüfung der Dauerhaltbarkeit nicht erfolgt sei, die Beklagte sei ferner die Risiken des Updates sehenden Auges eingegangen und es sei bereits zu einem Wertverlust der betroffenen Fahrzeuge gekommen, kann dahinstehen, ob dieses Vorbringen - zu dem das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat - zutrifft. Selbst wenn das der Fall sein sollte, rechtfertigte auch dies den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht. Der Umstand, dass mit dem Update nicht nur die unzulässige Manipulationssoftware entfernt wird, sondern auch eine - unterstellt nachteilige - Veränderung des Kraftstoffverbrauchs oder sonstiger Parameter verbunden ist, reicht nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 30; vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 13). Dass - so die Revision - die Existenz des Thermofensters im sogenannten On-Board-Diagnose-System nicht als technische Fehlermeldung angezeigt wird, rechtfertigt schließlich ebenfalls nicht den Vorwurf fortbestehender Sittenwidrigkeit (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 839/20, NJW-RR 2022, 309 Rn. 20; , NJW-RR 2022, 243 Rn. 27).

212. Soweit das Berufungsgericht hingegen eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verneint hat, hält sein Urteil revisionsrechtlicher Prüfung im Ergebnis nicht stand.

22Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, handelt es sich bei diesen Normen - unter Zugrundelegung der Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) - um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, in deren persönlichen Schutzbereich der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs einbezogen ist.

23Die oben angeführten Abgasnormen - auch in Verbindung mit der Übereinstimmungsbescheinigung - schützen allerdings nicht die allgemeine Handlungsfreiheit und als deren Ausfluss das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Käufers, das heißt das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, mit der Folge, dass die - gegebenenfalls auch fahrlässige - Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung zu einem deliktischen Anspruch des Käufers gegen den Hersteller auf Rückerstattung des an den Verkäufer gezahlten Kaufpreises führte. Die allgemeine Handlungsfreiheit fällt nicht in den sachlichen Schutzbereich dieser Normen (so bereits Senat, Urteil vom - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 73 ff.; nachfolgend ständige Rechtsprechung des BGH). Dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) lässt sich nichts entnehmen, was zu einer Abkehr von dieser Rechtsprechung nötigt.

24Jedoch kann dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Schutzgesetzverletzung zustehen, wenn ihm aufgrund des Erwerbs eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs ein Vermögensschaden in Form eines so genannten Differenzschadens entstanden ist. Das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung kann bereits für sich gesehen zu einem finanziellen Schaden des Käufers führen. Ausgangspunkt für die rechtliche Beurteilung eines solchen Vermögensschadens ist dabei die so genannte Differenzhypothese. Der Schaden besteht insoweit in der Differenz zwischen zwei Güterlagen, der durch das Schadensereignis geschaffenen und der unter Ausschaltung dieses Ereignisses gedachten. Dies bedeutet, dass bei Kauf eines Kraftfahrzeugs ein Vergleich der Vermögenslage vor dem Kauf (Vermögen einschließlich Kaufpreis) mit der Vermögenslage nach dem Kauf (Vermögen abzüglich Kaufpreis zuzüglich Fahrzeug) vorzunehmen ist. Hierbei ist zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe sich der Umstand, dass das Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung und damit einen Mangel aufweist, auf den Wert des Fahrzeugs auswirkt und inwieweit dieser hinter dem Kaufpreis zurückbleibt. Ein solcher Schaden, der gerade darauf zurückzuführen ist, dass der Hersteller die ihm auch zugunsten des Käufers auferlegten Pflichten nach dem europäischen Abgasrecht nicht eingehalten hat, fällt nach Maßgabe des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) in den sachlichen Schutzbereich der europäischen Abgasnormen und ist insoweit im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB zu entschädigen. Ob dem Kläger ein solcher Anspruch zusteht, lässt sich auf der Grundlage der bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen.

III.

25Das Berufungsurteil ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Einschränkung der Aufhebung betrifft die Klageanträge zu 3 und zu 4 auf Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme der Zug-um-Zug-Leistung und des Herrührens des Zahlungsanspruchs aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung. Diese haben keinen Erfolg, weil dem Kläger die diesbezüglichen Ansprüche aus § 826 BGB nicht zustehen (oben unter II.1). Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:241023UVIZR493.20.0

Fundstelle(n):
WM 2024 S. 36 Nr. 1
BAAAJ-54485