Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Anforderungen an Darlegung einer Erfolgsprognose der Behandlung
Gesetze: § 64 S 2 StGB vom , § 64 S 2 StGB, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Würzburg Az: 5 KLs 862 Js 7834/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen, wegen Besitzes von Betäubungsmitteln sowie wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei einen Hang des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Betäubungsmitteln, einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang und den abgeurteilten Betäubungsmitteldelikten und die Gefahr bejaht, dass der Angeklagte infolge seines Hanges weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Urteilsgründe belegen aber nicht, dass die nach § 64 Satz 2 StGB erforderliche Erfolgsaussicht besteht, und zwar weder nach der bis zum geltenden Fassung der Vorschrift noch nach deren gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. § 354a StPO nunmehr anzuwendenden (vgl. , NStZ 2008, 28, 29) Neufassung durch das am in Kraft getretene Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts vom (BGBl. I, Nr. 203).
31. Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte an einer Abhängigkeit von Cannabis und einer dissozialen Persönlichkeitsstörung. Er begann im Alter von 16 Jahren mit dem Konsum von Marihuana, Haschisch und Kräutermischungen. Mit 17 Jahren kamen Amphetamin, Ecstasy, Metamphetamin, Kokain, MDMA und Ketamin dazu. Im Jahr 2016 rauchte er bis zu 20 Joints Marihuana täglich, außerdem konsumierte er jeden zweiten Tag Amphetamin und weniger häufig Kokain. Insgesamt wurde der Konsum von Amphetamin und Cannabinoiden bei ihm „zur lebensbegleitenden Gewohnheit“. Im Jahr 2017 wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Aufgrund dessen befand er sich vom bis zum im Maßregelvollzug. Vom 15. Juni bis zum kam es aufgrund eines Rückfalls zu einer Krisenintervention und einer erneuten stationären Behandlung. Seit August 2020 bekommt der Angeklagte „wegen Rückenschmerzen, Schlafstörungen und Stress“ medizinisches Cannabis ärztlich verschrieben, zusätzlich konsumiert er ab und zu illegales Cannabis und „Stimulanzien“.
4Das Landgericht ist – dem Sachverständigen folgend – davon ausgegangen, dass der Angeklagte eine hinreichende Therapie- und Behandlungsbereitschaft aufweise. Er sei krankheitseinsichtig und erkenne die Notwendigkeit einer stationären therapeutischen Behandlung an. Zudem sei er noch vergleichsweise jung, und die Betäubungsmittelabhängigkeit bestehe noch nicht allzu lang. Prognostisch ungünstig sei zwar, dass er nach seiner erstmaligen Unterbringung von 2017 bis 2019 „erhebliche Probleme“ gehabt habe, was schließlich auch zu der Krisenintervention geführt habe. Letztlich sei die Behandlung im Maßregelvollzug erfolglos gewesen. Allerdings seien bislang erst „eine einzige“ und nicht mehrere Maßregeln erfolglos geblieben, so dass aufgrund einer weiteren Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt „die Hoffnung“ bestehe, dass der Angeklagte seine Betäubungsmittelabhängigkeit überwinden könne.
52. Diese Ausführungen stoßen auf durchgreifende rechtliche Bedenken. Schon nach § 64 Satz 2 StGB in der bis zum geltenden Fassung bedurfte die Beurteilung der danach erforderlichen „hinreichend konkreten Erfolgsaussicht“ einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände, wobei neben der Therapiebereitschaft auch etwaige prognoseungünstige Faktoren einzubeziehen waren. Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung reichte nicht aus; notwendig war vielmehr eine durch Tatsachen belegte Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs (vgl. , Rn. 14 mwN). Nunmehr setzt § 64 Satz 2 StGB voraus, dass der Behandlungserfolg „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten“ ist. Durch die Neufassung der Vorschrift sind die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt „eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ vorausgesetzt wird; im Übrigen bleibt es dabei, dass die Beurteilung der Erfolgsaussicht im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände vorzunehmen ist (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 70).
6Hier lässt der Umstand, dass das Landgericht seine bloße „Hoffnung“ auf einen Behandlungserfolg zum Ausdruck gebracht hat, besorgen, dass es von einem unzutreffenden Prüfungsmaßstab ausgegangen ist. Zudem lassen die Urteilsgründe die notwendige Gesamtwürdigung unter Einbeziehung auch etwaiger prognoseungünstiger Faktoren vermissen. Für die Gesamtwürdigung sind nach wie vor namentlich Behandlungsfähigkeit und -bereitschaft des Angeklagten in den Blick zu nehmen (vgl. BT-Drucks. 20/5913 aaO). Hier hat das Landgericht allein auf die Behandlungsbereitschaft des Angeklagten abgestellt, ohne erkennbar dessen dissoziale Persönlichkeitsstörung zu bedenken, die es im Zusammenhang mit der Gefahrenprognose zu Recht als „prognostisch ungünstig“ gewertet hat. Eine dissoziale Persönlichkeitsstörung stellt auch im Hinblick auf den Behandlungserfolg einen gewichtigen prognoseungünstigen Faktor dar; sie hätte deshalb der Erörterung bedurft (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 49, 70; BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 28/22, NStZ-RR 2022, 240, 241; vom – 4 StR 421/19, Rn. 19 mwN; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 461).
7Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:161123B6STR452.23.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-54291