BGH Urteil v. - 4 StR 29/23

Verurteilung wegen Vergewaltigung bzw. Geiselnahme unter Verwendung einer Schusswaffe; notwendige tatrichterliche Darlegung zu einer Schusswaffe

Gesetze: § 177 Abs 7 Nr 2 StGB, § 239b StGB, § 52 Abs 1 Nr 2b WaffG, § 52 Abs 3 Nr 2a WaffG

Instanzenzug: LG Essen Az: 27 KLs 46/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Bedrohung, wegen „unerlaubten“ Besitzes halbautomatischer Waffen sowie „vorsätzlicher“ Körperverletzung und Bedrohung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision gegen den Schuldspruch im Fall II.4. der Urteilsgründe. Sie beanstandet, dass das Landgericht den Angeklagten nicht wegen Vergewaltigung in den Qualifikationen gemäß § 177 Abs. 7 Nr. 1, § 177 Abs. 7 Nr. 2 und § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB sowie wegen Geiselnahme (§ 239b StGB) und Führens einer Schusswaffe (§ 52 Abs. 3 Nr. 2a WaffG) tateinheitlich verurteilt hat. Während das teilweise vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Erfolg hat, ist die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten unbegründet.

I.

2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3Der Angeklagte lernte die Nebenklägerin im Jugendalter kennen. Beide heirateten im Jahr 1999. Aus der Ehe gingen insgesamt fünf Kinder hervor. Bereits zu Beginn der Partnerschaft kam es zu ersten Gewalttätigkeiten des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau. In den folgenden Jahren steigerten sich Anzahl und Intensität der gegen die Nebenklägerin gerichteten körperlichen Übergriffe des Angeklagten, der jedenfalls seit dem Jahr 2019 zunehmend eifersüchtiger wurde, obgleich er selbst außereheliche Beziehungen unterhielt und damit vor der Nebenklägerin prahlte. Nach einem Motorradunfall des Angeklagten im Jahr 2013 nahm er verletzungsbedingt opiathaltige Schmerzmittel zu sich, woraus sich in den folgenden Jahren eine psychische Abhängigkeit entwickelte.

4Ende des Jahres 2016 führte der Angeklagte, der erst kurz zuvor aus der Strafhaft entlassen worden war, mit der damals schwangeren Nebenklägerin auf der Terrasse des in Essen gelegenen Einfamilienhauses der Familie – wie schon mehrfach zuvor – eine verbale Auseinandersetzung. Als die Nebenklägerin vor dem Angeklagten niederkniete und ihn anflehte, damit aufzuhören, schlug er ihr vor den Augen der gemeinsamen Kinder mit der flachen Hand in das Gesicht, wodurch die Nebenklägerin Schmerzen erlitt, was der Angeklagte billigend in Kauf nahm (Fall II.2.).

5Im Frühjahr 2020 übernachtete der Angeklagte für einige Tage in dem in der Grundstückseinfahrt zum Wohnhaus der Familie abgestellten Wohnwagen, nachdem sich die Eheleute erneut zuvor gestritten hatten. Der Streit drehte sich abermals um Vorwürfe des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau, ihn mit anderen Männern zu betrügen. Anlass hierfür war ein vom Angeklagten bereits mehr als ein Jahr zuvor in der Handtasche der Nebenklägerin aufgefundener Dildo. Als die Nebenklägerin den Wohnwagen betrat, um ihm einen Teller mit Essen zu bringen, lag der Angeklagte auf dem Bett mit einem Messer in Griffweite, welches nach seiner objektiven Beschaffenheit geeignet war, erhebliche Verletzungen zu verursachen. Im Verlauf des sich zwischen den Eheleuten sodann fortsetzenden Streits drohte der Angeklagte, sie „abzustechen“ und warf den Teller mit dem Essen nach der Nebenklägerin, traf sie und verursachte ein Hämatom, dessen Entstehung er billigend in Kauf nahm. Hierdurch und wegen des Anblicks des Messers war die Nebenklägerin derart verängstigt, dass sie sich einnässte. Anschließend musste sie sich auf Verlangen des Angeklagten entkleiden und nackt in die Ecke stellen. In dieser Lage drängte er die Nebenklägerin mehrmals zur Preisgabe des Grundes für den Besitz des Dildos. Auf ihre Erklärung, dass der Angeklagte den Dildo habe auffinden und damit erfahren sollen, wie es sei, betrogen zu werden, forderte er die Nebenklägerin auf, zu ihm zu kommen, um ihr zu zeigen, dass er besser sei, als der Typ, mit dem sie ihn betrüge. Daraufhin vollzog der Angeklagte mit der Nebenklägerin den Analverkehr auf dem Bett des Wohnwagens in Griffweite zum vorerwähnten Messer. Die dabei zitternde und weinende Nebenklägerin lehnte den Analverkehr zwar innerlich ab, traute sich jedoch nicht zu widersprechen, sondern sah in dessen Duldung die einzige Möglichkeit, weitere körperliche Übergriffe des Angeklagten zu verhindern. Der Angeklagte nahm zumindest billigend in Kauf, dass er den Analverkehr gegen den erkennbaren Willen der Nebenklägerin vollzog (Fall II.3.).

6In der Nacht vom 13. auf den suchte der Angeklagte das Einfamilienhaus seiner Familie auf. Der aggressiv auftretende Angeklagte zwang die Nebenklägerin in sein Fahrzeug VW Crafter einzusteigen, die ihm trotz ihrer Angst mit Rücksicht auf die gemeinsamen Kinder Folge leistete. Sodann fuhr er los und konfrontierte die Nebenklägerin während der Fahrt – wie bereits in der Vergangenheit – mit dem Vorwurf der sexuellen Untreue und forderte sie auf „alles zu beichten“. Er thematisierte in diesem Zusammenhang erneut den von ihm in der Handtasche der Nebenklägerin aufgefundenen Dildo. Auf einem Parkplatz einer Schule in E.    stellte der Angeklagte das Fahrzeug ab und schlug der Nebenklägerin mehrfach mit den Fäusten auf ihren Kopf, die daraufhin versuchte zu fliehen, was ihr jedoch nicht gelang, weil der Angeklagte sie zurückzog und die von ihr bereits geöffnete Beifahrertür wieder schloss. Er holte nun aus seiner mitgeführten Bauchtasche eine „Schusswaffe“ hervor, wobei die Strafkammer nicht festzustellen vermochte, um welche Art von Schusswaffe es sich handelte sowie ob und wie diese munitioniert war. Der Angeklagte „lud die Schusswaffe in der Folge durch“ und hielt sie der Nebenklägerin an die Schläfe, die davon ausging, dass es sich um eine scharfe Schusswaffe handeln und der Angeklagte jederzeit den Abzug betätigen und sie töten würde. Im Anschluss daran legte er die Schusswaffe zwischen seine Beine ab und richtete weitere Fragen an die Nebenklägerin. Wenn ihm ihre Antwort missfiel, zählte er von zehn bis auf null herunter und schlug der Nebenklägerin ins Gesicht oder auf den Kopf. Nachdem ein Streifenwagen das Fahrzeug des Angeklagten zufällig passiert hatte, setzte er seine Fahrt auf der Suche nach einem abgelegeneren Ort fort. Er hielt in der Folge in der Nähe eines Kindergartens. Dort wiederholte er stetig seine Fragen und schlug – wie auch während der Fahrt dorthin – die Nebenklägerin. Anschließend fuhr er mit ihr zu einem Feld in S.         bei E.    . Erneut ergriff er nun die Schusswaffe, richtete diese auf die Nebenklägerin, nahm den Dildo aus der Tasche und konfrontierte sie mit seinen Vorwürfen. Die Nebenklägerin, die beim Angeklagten zuvor ein Video gesehen hatte, auf dem sich eine seiner weiteren Geschlechtspartnerinnen mit einem Dildo selbst befriedigt, gab daraufhin als Grund für den Erwerb des Dildos an, dass sie dem Angeklagten habe zeigen wollen, dass sie das auch könne. Sodann bot sie in ihrer als ausweglos empfundenen Lage an, vor dem Angeklagten mit dem Dildo zu masturbieren, woraufhin dieser sie hierzu aufforderte. Die Nebenklägerin befriedigte sich nun vor dem Angeklagten mit dem Dildo. Auf dessen Aufforderung begab sie sich auf die Rücksitzbank des Fahrzeuges. Dort vollzog der Angeklagte mit der Nebenklägerin den Analverkehr. Die unter dem Eindruck des vorangegangenen Geschehens stehende, weinende und zitternde Nebenklägerin duldete bei innerer Ablehnung den Analverkehr, weil sie keine andere Möglichkeit für sich sah, der Situation zu entkommen. Die Strafkammer vermochte nicht festzustellen, wo im Fahrzeug sich zu diesem Zeitpunkt die vom Angeklagten zuvor noch in der Hand gehaltene Schusswaffe befand. Der Angeklagte nahm bei Durchführung des Analverkehrs zumindest billigend in Kauf, dass er eine Lage ausnutzte, in der die Nebenklägerin aufgrund der vorangegangenen Bedrohungen und körperlichen Angriffe weitere empfindliche Übel fürchtete und sich deshalb nicht zur Wehr setzte sowie in welcher sie seiner Einwirkung schutzlos ausgeliefert war. Nach dem Vollzug des Analverkehrs fuhren der Angeklagte und die Nebenklägerin nach Hause (Fall II.4.).

7Im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung des Wohnhauses der Familie am wurden unter anderem eine halbautomatische Pistole Walther P22 mit acht Schuss Munition, Kaliber 22 l.r., im Magazin sowie eine halbautomatische Pistole Duo, Kaliber 6,35 mm, mit leerem Magazin sichergestellt. Der Angeklagte verfügte nicht über die erforderliche waffenrechtliche Erlaubnis für die ihm gehörenden und zum Zeitpunkt der Sicherstellung funktionsfähigen Schusswaffen (Fall II.5.).

8In der Nacht vom 2. auf den kam es zu einem mittels eines Messengerdienstes geführten Streit zwischen den Eheleuten. Kurz nach Mitternacht übersandte der Angeklagte der Nebenklägerin seinen Standort auf einer über Bahngleise führenden Brücke in E.   . Dazu schrieb er ihr, dass sie dorthin kommen solle und er sie dann von dieser Brücke herunterwerfen werde (Fall II.6.).

9Am Abend des inszenierte die Nebenklägerin in Absprache mit dem gemeinsamen, minderjährigen Sohn Z.        einen Selbstmordversuch, um hierdurch dem Angeklagten zu vermitteln, dass er keine Kontrolle mehr über sie habe. Abredegemäß informierte der Sohn, nachdem bei der Nebenklägerin die von ihr entsprechend dosiert eingenommenen Schmerz- und Beruhigungsmittel Wirkung zeigten, den Notarzt und anschließend den Angeklagten. Während der notfallärztlichen Versorgung der Nebenklägerin im Wohnhaus der Familie traf der Angeklagte dort ein. In dessen Gegenwart äußerte der Sohn gegenüber dem Notarzt seine Befürchtung, dass der Angeklagte seine Mutter töten könnte. In der Folge verließ der Angeklagte das Wohnhaus. Kurze Zeit später rief er seinen Sohn an und äußerte ihm gegenüber am Telefon, dass sie zu weit gegangen seien und er ihn und seine Mutter umbringen werde (Fall II.7.). In Folge dieses Geschehens entschied sich die Nebenklägerin zu einer Aussage bei der Polizei, nachdem der Sohn ohne ihr Wissen diese informiert hatte.

10Die Strafkammer hat die Tat im Fall II.2. der Urteilsgründe als Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB, die Tat im Fall II.3. der Urteilsgründe als Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung nach § 177 Abs. 1, Abs. 6 Nr. 1, Abs. 7 Nr. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, die Tat im Fall II.5. der Urteilsgründe als Besitz halbautomatischer (Kurz-)Waffen nach § 52 Abs. 1 Nr. 2b WaffG und die Taten in den Fällen II.6. und II.7. der Urteilsgründe jeweils als Bedrohung nach § 241 Abs. 2 StGB gewertet. Im Fall II.4. der Urteilsgründe hat sie die Tatbestände der Vergewaltigung, der Körperverletzung und der Bedrohung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, Abs. 5 Nr. 3, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, § 223 Abs. 1, § 241 Abs. 2 StGB tateinheitlich (§ 52 StGB) als verwirklicht angesehen.

II.

11Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und mit der Sachrüge begründete Revision der Staatsanwaltschaft ist unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Revisionsbegründungsschrift auf den Schuldspruch im Fall II.4. der Urteilsgründe beschränkt (§ 344 Abs. 1 StPO). Die Beschränkung der Revision in diesem Umfang ist auch wirksam, weil sich das Rechtsmittel vorliegend auf eine von mehreren rechtlich selbständigen Taten bezieht. Für diesen Fall der Teilanfechtung gelten notwendigerweise der Ausspruch über die Einzel- und die Gesamtstrafe als mitangefochten (MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, 1. Aufl., § 344 Rn. 35, 37 mwN).

12Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Der Schuldspruch im Fall II.4. des angefochtenen Urteils ist rechtsfehlerhaft zugunsten des Angeklagten. Die Strafkammer hat den Unrechtsgehalt des von ihr insoweit festgestellten Tatgeschehens nicht ausgeschöpft und damit gegen die ihr obliegende allseitige Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verstoßen (vgl. Rn. 4 mwN; Urteil vom – 4 StR 479/22 Rn. 11 mwN).

131. Die Strafkammer hat den Qualifikationstatbestand der schweren Vergewaltigung (§ 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB) nicht geprüft. § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB setzt voraus, dass der Täter sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden. Bei sich führt der Täter das Werkzeug oder Mittel, wenn er es zu irgendeinem Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung einsatzbereit am Körper oder in seiner Nähe hat (vgl. Rn. 8 mwN). Das ist der Fall, wenn er den Gegenstand ohne nennenswerten Zeitaufwand, ohne größere räumliche Distanz und ohne besondere Schwierigkeiten während der Tatausführung verwenden kann (MüKo-StGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 177 Rn. 165). Gemessen hieran hat der Angeklagte die – nach Art, Munitionierung und Ladezustand nicht näher konkretisierbare – „Schusswaffe“ bei sich geführt. Zwar vermochte die Strafkammer nicht festzustellen, wo (genau) im Fahrzeug sich zum Zeitpunkt des Analverkehrs die von ihm zuvor noch in der Hand gehaltene „Schusswaffe“ befand. Sicher ist – mangels gegenteiliger Feststellungen – jedoch, dass sie sich weiterhin im Fahrzeug befand. Dies und die beengten Verhältnisse in der Fahrgastzelle legen nahe, dass der Angeklagte ohne nennenswerten Aufwand und ohne das Fahrzeug zu verlassen auf die „Schusswaffe“ zurückgreifen konnte.

14In subjektiver Hinsicht setzt der Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB eine entsprechende Verwendungsabsicht des Werkzeugs oder Mittels voraus, die sich auf die Verhinderung oder Überwindung eines etwaigen Widerstands gegen die sexuelle Nötigung richten muss (vgl. Rn. 6; BeckOK-StGB/Ziegler, 58. Ed., § 177 Rn. 54; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 177 Rn. 151). Auch dafür liegen hinreichende Anhaltspunkte vor. Nach den getroffenen Feststellungen der Strafkammer zur subjektiven Tatseite, dass der Angeklagte bei Vollzug des Analverkehrs zumindest billigend in Kauf nahm, eine Lage auszunutzen, in der die Nebenklägerin aufgrund seiner vorangegangenen Drohungen mittels einer aus ihrer Sicht scharfen Schusswaffe keine Gegenwehr leistete, liegt es nahe, dass der Angeklagte die Fortwirkung der von der „Schusswaffe“ ausgehenden Bedrohungslage bei dem in enger zeitlicher Folge vollzogenen Analverkehr bewusst ausnutzte und dabei deren neuerliche Verwendung als Drohmittel im Falle etwaigen Widerstandes der Nebenklägerin beabsichtigte.

152. Des Weiteren wäre die Strafkammer gehalten gewesen, eine mögliche Strafbarkeit des Angeklagten wegen Geiselnahme (§ 239b Abs. 1 StGB) in den Blick zu nehmen. Nach § 239b Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um diesen durch eine qualifizierte Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer eine bestehende Bemächtigungslage zu einer derartigen Nötigung ausnutzt. Der Täter muss entweder bereits im Zeitpunkt der Begründung der Herrschaft über das Opfer die Absicht haben, die Bemächtigungslage zu der Nötigung auszunutzen, oder er muss die durch ihn aus anderen Gründen herbeigeführte Bemächtigungslage tatsächlich zu der Nötigung ausnutzen. In beiden Fällen ist es zudem erforderlich, dass er einen Nötigungserfolg erstrebt, der über den zur Bemächtigung erforderlichen Zwang hinausgeht (vgl. Rn. 4 mwN; Beschluss vom – 2 StR 606/13 Rn. 4).

16Gemessen an diesen Ausführungen kommt mit Blick auf die vom Angeklagten zu Beginn dieses Tatgeschehens erzwungene Ortsveränderung der Nebenklägerin (UA S. 14) die Verwirklichung des Entführungstatbestandes in Betracht. Es liegt nahe, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt beabsichtigte, seine weitergehenden Ziele mittels qualifizierter Drohung zu erreichen, wobei der erstrebte Nötigungserfolg beliebiger Art sein kann (vgl. Rn. 5; Beschluss vom – 2 StR 279/20 Rn. 12 mwN).

173. Die zugunsten des Angeklagten rechtsfehlerhafte Würdigung des festgestellten Sachverhalts im Fall II.4. der Urteilsgründe führt insoweit zur Aufhebung des Schuldspruchs mit den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) sowie der für diesen Fall verhängten Einzelstrafe und bedingt zudem die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen im Fall II.4. der Urteilsgründe zu ermöglichen, hebt der Senat die Feststellungen insgesamt auf.

III.

18Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO), führt aber zu einer Klarstellung des Schuldspruchs.

191. Die Beweiswürdigung der Strafkammer begegnet unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 3 mwN) keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. In Fällen, in denen – wie vorliegend – „Aussage gegen Aussage“ steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten beeinflussen können, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 5 mwN). Dabei brauchen die Schlussfolgerungen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. Rn. 33 mwN; Urteil vom – 3 StR 392/22 Rn. 11 mwN).

20An diesen Maßstäben gemessen erweist sich die Beweiswürdigung auch im Fall II.3. der Urteilsgründe als tragfähig. Insbesondere ist sie nicht lückenhaft. Die Strafkammer hat zunächst – im Hinblick auf die Konstanzanalyse – die Angaben der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung und ihre früheren Aussagen in den Urteilsgründen geschlossen dargestellt und damit dem Revisionsgericht die Überprüfung der tatgerichtlichen Beweiswürdigung auf Rechtsfehler ermöglicht (vgl. Rn. 11 mwN; Beschluss vom – 6 StR 244/22 Rn. 6 mwN). Sodann hat sie sich nach einem Aussagevergleich mit den inhaltlichen Abweichungen in den drei verschiedenen Aussagesituationen in Bezug auf das Beisichführen des Messers im Wohnwagen auseinandergesetzt und diese im Ergebnis für nicht geeignet angesehen, die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin insgesamt in Zweifel zu ziehen (UA S. 52). Ihren Schluss hat die Kammer – vor dem Hintergrund nicht zu erwartender identischer Angaben zu unterschiedlichen Zeitpunkten – mit der Konstanz der Schilderung der Nebenklägerin im Übrigen sowie der weiteren Umstände, welche für eine erlebnisfundierte Schilderung sprachen, nachvollziehbar begründet. Diese Erwägungen sind eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs nicht zu beanstanden, denn nicht jede Inkonstanz stellt einen Hinweis auf mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar (vgl. Rn. 7 mwN). Auch ist vorliegend keine signifikante Abweichung zum Kernbereich des Tatgeschehens in den verschiedenen Aussagesituationen festzustellen, soweit die Nebenklägerin in all ihren Zeugenvernehmungen zumindest von einem in Griffweite zum Angeklagten wahrgenommenen Messer berichtet und diesen Umstand aussageübergreifend konstant mit der verbalen Drohung des Angeklagten, sie „abzustechen“, verknüpft.

212. Soweit die Strafkammer in den Fällen II.2. (Körperverletzung zum Nachteil der Nebenklägerin) und II.7. (Bedrohung zum Nachteil des Sohnes Z.        ) jeweils kurze zeitige Freiheitsstrafen verhängt hat, ohne sich – wie es § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO vorschreibt – in den Urteilsgründen mit den Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB auseinanderzusetzen, beruht das Urteil auf der unterbliebenen Erörterung nicht (§ 337 Abs. 1 StPO). Denn die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB ergeben sich vorliegend aus der Gesamtschau der Urteilsgründe (vgl. , BGHR, StGB § 47 Abs. 1 Umstände 7). Vor dem Hintergrund der dargelegten erheblichen strafrechtlichen Vorbelastungen des hafterfahrenen Angeklagten, gegen den nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen zum Zeitpunkt der Tatbegehungen (auch) wegen einschlägiger Delikte bereits wiederholt Geld- und Freiheitsstrafen verhängt worden waren, drängte sich die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen für diese beiden, gegen seine schwangere Ehefrau und seinen minderjährigen Sohn gerichteten Taten in einem solchen Maße auf, dass ein Beruhen des Urteils auf der fehlenden ausdrücklichen Erörterung ausgeschlossen werden kann (vgl. Rn. 4).

223. Die im angefochtenen Urteil gemäß § 53, § 54 StGB gebildete Gesamtstrafe beschwert den Angeklagten nicht. Zwar vermag der Senat auf der Grundlage der lückenhaften Feststellungen zur Vorverurteilung durch das Landgericht Duisburg vom , insbesondere zum Vollstreckungsstand der verhängten Geldstrafe, nicht zu prüfen, ob diese im verfahrensgegenständlichen Urteil nachträglich einzubeziehen war (§ 55 Abs. 1, § 53, § 54 StGB). Es ist jedoch auszuschließen, dass die von der Strafkammer gebildete Gesamtstrafe für den Angeklagten einen Nachteil bedeutet. Die Anwendung des § 55 StGB hätte die Bildung zweier Gesamtstrafen zur Folge, weil ausschließlich die Strafen für die vor der Vorverurteilung verübten Taten (Fälle II.2. und II.3.) in die nach § 55 StGB zu erkennende Gesamtstrafe einbezogen werden dürfen, während aus den Strafen für die später begangenen Taten (Fälle II.4. bis II.7.) eine weitere Gesamtstrafe zu bilden ist, was für den Angeklagten mit Blick auf die verhängten und jeweils als Einsatzstrafen fungierenden mehrjährigen Einzelfreiheitstrafen in den Fällen II.3. und II.4. der Urteilsgründe ein höheres Gesamtstrafenübel bedeutet hätte als die von der Strafkammer gemäß § 53, § 54 StGB vorgenommene Bildung einer einzigen Gesamtstrafe aus den im vorliegenden Verfahren verhängten Einzelstrafen (vgl. Rn. 7 mwN; Urteil vom – 2 StR 18/16 Rn. 19 mwN).

234. Schließlich hält die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) einer rechtlichen Überprüfung stand. Soweit die sachverständig beratene Strafkammer einen Hang im Sinne des § 64 StGB mit der Begründung verneint hat, dass die bei dem Angeklagten vorliegende Medikamentenabhängigkeit nicht zu einer Beeinträchtigung der Arbeits- und sonstigen Leistungsfähigkeit geführt habe, ist anzumerken, dass das Fehlen solcher Beeinträchtigungen die Bejahung eines Hangs nicht ausschließt (vgl. Rn. 6 mwN; Beschluss vom – 4 StR 276/18 Rn. 7). Sie hat aber mit tragfähiger Begründung einen symptomatischen Zusammenhang zwischen den Taten und dem Hang des Angeklagten verneint. Insbesondere bei Konflikt- und Sexualstraftaten liegt ein solcher Zusammenhang wenig nahe (vgl. Rn. 6; MüKo-StGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 64 Rn. 43). Gemessen daran hat die Strafkammer nachvollziehbar die Begehung der verfahrensgegenständlichen (interpersonellen) Taten auf die Persönlichkeitsstruktur des bereits vor Beginn der verkehrsunfallbedingten Einnahme von Tilidin ab dem Jahr 2013 zu Gewalt- und Aggressionsdelikten (auch zum Nachteil der Nebenklägerin) neigenden Angeklagten und auf die sich „intensivierende Beziehungsproblematik“ zwischen dem zunehmend eifersüchtigen Angeklagten und der Nebenklägerin zurückgeführt.

245. Soweit der Strafkammer ein Fassungsversehen im Tenor unterlaufen ist, war dieser in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahingehend klarstellend zu berichtigen, dass der Angeklagte im Fall II.3. der Urteilsgründe der schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist. Die Strafkammer hat die rechtsfehlerfrei festgestellte Tat nach § 177 Abs. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, Abs. 7 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) als „Vergewaltigung“ in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung bezeichnet. Die von § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO geforderte rechtliche Bezeichnung der Straftat verlangt eine Kennzeichnung der Qualifikation in der Urteilsformel, bei der zudem der gesteigerte Unwertgehalt des § 177 Abs. 7 StGB zum Ausdruck kommt (vgl. Rn. 2 mwN; Beschluss vom – 3 StR 373/02 Rn. 2 mwN).

IV.

25Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

261. Kann sich das zur Entscheidung berufene neue Tatgericht im Fall II.4. der Urteilsgründe bei der Prüfung der Strafbarkeit des Angeklagten wegen Geiselnahme nach § 239b StGB nicht von der Verwirklichung des Entführungstatbestandes überzeugen, wird es in Betracht zu ziehen haben, ob sich der Angeklagte der Nebenklägerin bemächtigt hat. Allerdings bewirkt das Sichbemächtigen – anders als die Entführung – vielfach keine Lage, in welcher der Täter die von ihm geschaffene Lage zur (weiteren) Nötigung durch qualifizierte Drohung ausnutzt; denn eine Lage, die ausgenutzt werden soll, setzt eine gewisse Stabilisierung voraus ( Rn. 36). Dient die qualifizierte Drohung wie das Vorhalten einer Schusswaffe zugleich dazu, sich des Opfers zu bemächtigen und es in unmittelbarem Zusammenhang zu weitergehenden Handlungen oder Duldungen zu nötigen, wird die abgenötigte Handlung in der Regel ausschließlich durch die Bedrohung mit der Waffe durchgesetzt, ohne dass der Bemächtigungssituation die in § 239b StGB vorausgesetzte eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. BGH, aaO, mwN; Urteil vom – 2 StR 223/20 Rn. 11 mwN). Vor diesem Hintergrund wird es auch darauf ankommen, ob dem neuen Tatgericht Feststellungen zu dem von der Nebenklägerin im Rahmen ihrer richterlichen Vernehmungen nicht erwähnten (erneuten) Vorhalten der Schusswaffe an dem Feld in S.         gelingen.

272. Das neue Tatgericht wird im Rahmen seiner Kognitionspflicht auch in den Blick zu nehmen haben, ob im Fall II.4. der Urteilsgründe eine tateinheitliche Verurteilung wegen Führens einer Schusswaffe nach § 52 Abs. 3 Nr. 2a WaffG in Betracht kommt. Von dem Auffangtatbestand werden sämtliche Schusswaffen, z. B. Schreckschuss- und Reizstoff- oder Signalwaffen, ohne den erforderlichen „kleinen Waffenschein“ erfasst. Hiervon sind entsprechend der Subsidiaritätsklausel nur halbautomatische Kurzwaffen ausgenommen, weil hinsichtlich dieser eine Strafbarkeit bereits durch den Tatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 2b WaffG gegeben ist (Heinrich in Steindorf, Waffenrecht, 11. Aufl., § 52 Rn. 43, 45; Gade, WaffG, 3. Aufl., § 52 Rn. 43; Pauckstadt-Maihold/Lutz in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Waffengesetz, 247. EL Juni 2023, § 52 Rn. 60). Die objektive Schusswaffeneigenschaft setzt einen Gegenstand voraus, bei dem Geschosse durch einen Lauf getrieben werden können (Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1.1 zu § 1 Abs. 4 WaffG). Hiervon werden nicht nur feste Körper, sondern auch gasförmige, flüssige oder feste Stoffe in Umhüllungen erfasst (Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 Nr. 3 zu § 1 Abs. 4 WaffG). Danach steht einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen dieser Gesetzesverletzung zwar nicht entgegen, dass er selbst von einer Gaspistole spricht (UA S. 25). Jedoch hat das neue Tatgericht näher zu Bauart und Funktionsweise des im angefochtenen Urteil lediglich als „Schusswaffe“ bezeichneten Gegenstandes auszuführen, um eine Beurteilung seiner bauartbedingten Wirkungsweise im Revisionsverfahren zu ermöglichen und auszuschließen, dass es sich um eine den Schusswaffenbegriff mangels Funktionstüchtigkeit nicht erfüllende Dekorationswaffe im Sinne von Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1.4 zu § 1 Abs. 4 WaffG handelt (vgl. Rn. 9; Beschluss vom – 3 StR 559/18 Rn. 2; Beschluss vom – 4 StR 523/20 Rn. 5).

283. Sollte im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtstrafenbildung eine Zäsurwirkung für die Vorverurteilung durch das Landgericht Duisburg vom mangels Erledigung der Geldstrafe zu beachten sein mit der Konsequenz der Bildung zweier Gesamtstrafen, hat das neue Tatgericht den sich daraus für den Angeklagten ergebenden Nachteil infolge eines zu hohen Gesamtstrafenübels auszugleichen, um eine insgesamt gerechte Bestrafung zu erreichen (vgl. , aaO; Urteil vom – 2 StR 18/16 Rn. 20; Beschluss vom – 4 StR 421/19 Rn. 14 mwN).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:170823U4STR29.23.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-54275