BAG Urteil v. - 5 AZR 349/22

Direktionsrecht des Arbeitgebers - Annahmeverzugsvergütung - Schadensersatz wegen verspäteter Mitteilung des Dienstes - Entfernung einer Abmahnung - Arbeitszeit - EGRL 88/2003

Leitsatz

Ist dem Arbeitnehmer auf der Grundlage der betrieblichen Regelungen bekannt, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung für den darauffolgenden Tag in Bezug auf Uhrzeit und Ort konkretisieren wird, ist er verpflichtet, eine solche, per SMS mitgeteilte Weisung auch in seiner Freizeit zur Kenntnis zu nehmen.

Gesetze: § 106 S 1 GewO, Art 2 Nr 1 EGRL 88/2003, Art 2 Nr 2 EGRL 88/2003, § 241 Abs 2 BGB, § 242 BGB, § 293 BGB, § 611a Abs 2 BGB, § 615 S 1 BGB, § 1004 Abs 1 S 1 BGB, § 77 Abs 3 S 1 BetrVG

Instanzenzug: Az: 5 Ca 1023 a/21 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Az: 1 Sa 39 öD/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die (Wieder-)Gutschrift von Arbeitsstunden auf dem für den Kläger geführten Arbeitszeitkonto sowie über die Entfernung einer Abmahnung aus seiner Personalakte.

2Der Kläger ist seit bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger, die in fünf Kreisen in Schleswig-Holstein den Rettungsdienst durchführt, als Notfallsanitäter in Vollzeit beschäftigt. Seine Stammwache befindet sich in B. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der TVöD-VKA Anwendung.

3Die Beklagte und der bei ihr gebildete Betriebsrat haben die Betriebsvereinbarung „Arbeitszeitgrundsätze in der RKISH - Teil: Einsatzdienst“ (iF: BV) geschlossen, die ua. bestimmt:

4Während der Corona-Pandemie genügte - entgegen § 4f Abs. 8 Satz 3 BV - eine lediglich telefonische Mitteilung der Einsatzfähigkeit um 07:30 Uhr.

5Die Anlage zur Betriebsvereinbarung Arbeitszeitgrundsätze in der RKISH - Teil: Einsatzdienst (iF: Anlage zur BV) enthält zur Regelung des § 4f Abs. 8 BV ua. folgende Bemerkung:

6Den aktuellen Ist-Dienstplan können die Arbeitnehmer der Beklagten über das Internet einsehen, sog. SelfService.

7Im Ist-Dienstplan 2021 war für den Kläger seit dem , 08:22 Uhr, ein unkonkreter Springerdienst für den eingetragen. Am endete sein Dienst um 19:00 Uhr. Am war der Kläger von der Arbeitsleistung befreit. An diesem Tag teilte ihn die Beklagte um 13:20 Uhr für einen Dienst am in der Tagschicht, Beginn 06:00 Uhr, in der Rettungswache P ein und nahm eine entsprechende Eintragung im Ist-Dienstplan vor. Die Beklagte versuchte vergeblich, den Kläger telefonisch hierüber zu informieren. Um 13:27 Uhr übersandte die Beklagte dem Kläger eine elektronische Kurznachricht (iF: SMS) mit der Information über den zugeteilten Dienst. Am zeigte der Kläger um 07:30 Uhr telefonisch seine Arbeitsbereitschaft an. Die Beklagte setzte ihn an diesem Tag nicht mehr ein, nachdem sie zwischenzeitlich einen Mitarbeiter aus der Rufbereitschaft herangezogen hatte. Sie erteilte dem Kläger eine Ermahnung, bewertete den Tag als unentschuldigtes Fehlen und zog vom Unterkonto 2 des Arbeitszeitkontos elf Stunden ab.

8Für den war für den Kläger im Ist-Dienstplan ein Dienst als „Springer kurzfristig“ eingetragen. Am konkretisierte die Beklagte diesen Dienst auf einen Tagdienst. Am hatte der Kläger frei. An diesem Tag konkretisierte die Beklagte um 09:15 Uhr den Dienst für den Folgetag auf einen Tagdienst in der Rettungswache P mit Beginn um 06:30 Uhr. Versuche der Beklagten, den Kläger telefonisch zu informieren, blieben erfolglos. Sie übersandte ihm eine SMS und eine E-Mail mit der Information zum zugeteilten Dienst. Am zeigte der Kläger um 07:30 Uhr telefonisch seine Arbeitsbereitschaft an. Die Beklagte forderte ihn zur Arbeitsaufnahme in P auf. Der Kläger trat den Dienst dort um 08:26 Uhr an. Die Zeit von 06:30 Uhr bis dahin wertete die Beklagte als unentschuldigtes Fehlen und zog vom Unterkonto 1 des Arbeitszeitkontos 1,93 Stunden ab. Darüber hinaus erteilte sie dem Kläger mit Schreiben vom eine Abmahnung wegen unentschuldigten Fehlens.

9Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat der Kläger Klage auf (Wieder-)Gutschrift abgezogener Arbeitsstunden auf dem Arbeitszeitkonto und auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte erhoben. Er hat gemeint, zur Übernahme der Dienste nicht verpflichtet gewesen zu sein. Diese seien erst nach Ablauf der Frist des § 4a Abs. 4 BV zugeteilt worden, womit deren Übernahme allenfalls freiwillig hätte erfolgen können. Er sei nicht verpflichtet, sich während seiner Freizeit über die Dienstzuteilung zu informieren. Faktisch leiste er Arbeit auf Abruf, weshalb eine Ankündigungsfrist von vier Tagen einzuhalten gewesen sei. Die Beklagte umgehe mit ihrer Vorgehensweise die Anordnung von Rufbereitschaft, um Kosten zu sparen. Die Weisungen seien auch wegen Verstoßes gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats unwirksam.

10Der Kläger hat - soweit für die Revision relevant - zuletzt sinngemäß beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

11Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Kläger sei verpflichtet, sich über seine Dienstzeiten zu informieren, ihn treffe insoweit eine vertragliche Nebenpflicht. Die Zeit, in der sich der Kläger informiere, sei nicht als Arbeitszeit zu werten.

12Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte zur Gutschrift von elf Arbeitsstunden auf dem Arbeitszeitkonto, Unterkonto 2 für den und von 0,75 Arbeitsstunden auf dem Unterkonto 1 für den sowie zur Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

13Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht auf die Berufung des Klägers der Klage auf (Wieder-)Gutschrift von Arbeitsstunden auf dem Arbeitszeitkonto sowie auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte stattgegeben. Die zulässige Klage ist unbegründet.

14I. Die Klage ist zulässig, insbesondere streitgegenständlich hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

151. Bei einem Streit über die Führung eines Arbeitszeitkontos kann der Arbeitnehmer entweder die Erhöhung seines Zeitguthabens um eine bestimmte Stundenzahl oder eine Zeitgutschrift in bestimmter Höhe verlangen. Dient die begehrte Zeitgutschrift der Rückgängigmachung der Streichung eines Zeitguthabens, ist keine Konkretisierung des Leistungsbegehrens dahingehend erforderlich, an welcher Stelle des Arbeitszeitkontos die Gutschrift erfolgen soll. Wird in einem solchen Fall dem Antrag auf Gutschrift stattgegeben, weiß der Arbeitgeber, was er zu tun hat, nämlich die von ihm auf einem bestimmten Arbeitszeitkonto vorgenommene Kürzung ungeschehen zu machen (st. Rspr., vgl.  - Rn. 13 mwN).

16Dem entspricht der gestellte Antrag. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Beklagte für den Kläger ein Arbeitszeitkonto entsprechend Abschnitt 3 BV führt. Der Kläger hat angegeben, auf welchen Unterkonten iSv. § 3c und § 3d BV die von der Beklagten gestrichenen Stunden (wieder-)gutgeschrieben werden sollen. Eine Gutschrift ist - unstreitig - auch weiterhin möglich.

172. Soweit der Kläger erstmals in der Berufungsinstanz seinen Antrag auf (Wieder-)Gutschrift von 0,75 Arbeitsstunden für den auch auf das Vorliegen eines Verzugsschadens stützt, hat das Landesarbeitsgericht die Voraussetzungen für eine Klageänderung in der Berufungsinstanz ausdrücklich bejaht und über sie entschieden. Deshalb ist in der Revisionsinstanz in entsprechender Anwendung von § 268 ZPO nicht mehr zu überprüfen, ob eine Klageänderung vorliegt und ob diese die Voraussetzungen des § 533 ZPO erfüllt (st. Rspr., vgl. nur  - Rn. 11).

18II. Die Klage ist insgesamt unbegründet.

191. Ein Anspruch des Klägers auf Zeitgutschrift auf dem für ihn geführten Arbeitszeitkonto, Unterkonto 2, für den folgt nicht aus § 615 Satz 1, § 611a Abs. 2 iVm. §§ 293 ff. BGB iVm. § 3a Abs. 2 Satz 1, § 3d BV. Die Beklagte befand sich an diesem Tag nicht im Annahmeverzug, der Kläger hat die geschuldete Arbeitsleistung nicht wie erforderlich angeboten. Das Arbeitszeitkonto ist daher nicht zu korrigieren.

20a) Geht es um die Korrektur der Arbeitszeiterfassung auf einem Arbeitszeitkonto, kommt dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf korrekte Führung des Arbeitszeitkontos aus § 611a Abs. 2 BGB zu, wenn das Arbeitszeitkonto den Vergütungsanspruch nach der zugrundeliegenden Abrede verbindlich bestimmt (vgl.  - Rn. 40). So liegt der Fall hier.

21aa) Ein Arbeitszeitkonto hält grundsätzlich fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestandes nicht erbringen musste. Es drückt damit - in anderer Form - seinen Vergütungsanspruch aus. Wegen dieser Dokumentationsfunktion darf der Arbeitgeber nicht ohne Befugnis korrigierend in ein Arbeitszeitkonto eingreifen und dort eingestellte Stunden streichen. Kürzt oder streicht der Arbeitgeber zu Unrecht ein Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf (Wieder-)Gutschrift der gestrichenen Stunden (st. Rspr., vgl.  - Rn. 21 mwN).

22Die Regelungen in § 2g Abs. 2 Satz 4 und § 3a Abs. 2 Satz 1 BV zeigen, dass das für den Kläger geführte Arbeitszeitkonto seinen Vergütungsanspruch verbindlich bestimmt. Die Schließung des Ist-Dienstplans am Monatsende und der im Arbeitszeitkonto aufscheinende Vergleich der geleisteten mit der geschuldeten Arbeitszeit ist die Grundlage für die Lohnbuchhaltung, um das jeweilige Gehalt zu errechnen bzw. Plus- oder Minusstunden im Arbeitszeitkonto einzutragen.

23bb) Neben der materiell-rechtlichen Rechtfertigung muss die der Führung des Arbeitszeitkontos zugrundeliegende Vereinbarung (Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag) dem Arbeitgeber überhaupt die Möglichkeit eröffnen, in das Arbeitszeitkonto eingestellte und damit grundsätzlich streitlos gestellte (vgl. dazu  - Rn. 19, BAGE 135, 197) Arbeitsstunden wieder zu streichen (vgl.  - Rn. 21).

24cc) Nach diesen Grundsätzen ist die Beklagte grundsätzlich befugt, Zeitgutschriften in dem für den Kläger geführten Arbeitszeitkonto, Unterkonto 2 zu reduzieren. Diese Befugnis folgt aus dem Regelungszusammenhang von § 3c und § 3d BV.

25(1) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass für den Betrieb der Beklagten die BV geschlossen wurde. Nach Abschnitt 1 Buchst. b Satz 1 BV gilt die BV auch für Notfallsanitäter, mithin für den Kläger, wobei die vermeintliche Einschränkung der Geltung „während des Einsatzes in der Notfallrettung und im Krankentransport“ keine zeitliche darstellt, sondern eine auf die jeweilige Tätigkeit bezogene.

26(2) Nach § 3c BV, der das Jahressoll-Konto als Unterkonto 1 regelt, stellt dieses die jährlich arbeitsvertraglich geschuldete Sollarbeitszeit des Arbeitnehmers dar (§ 3c Satz 1 BV). Nach dessen Satz 2 sind Minusstunden im Unterkonto 1 zu vermeiden und werden ggf. durch den Arbeitgeber auf null ausgeglichen. Plusstunden werden auf das Unterkonto 2 übertragen oder auf Antrag ausbezahlt (§ 3c Satz 3 BV). § 3d BV regelt das sog. Sparbuch als Unterkonto 2. Es beinhaltet ua. Regelungen zum Aufbau von Zeitgutschriften. In Zusammenschau von § 3c und § 3d BV ergibt sich, dass in das Unterkonto 1 ausgehend von den zu leistenden Sollstunden die tatsächlich erbrachte Arbeitszeit als Saldo eingestellt wird. Soweit in § 3c Satz 2 BV geregelt wird, dass etwaige Minusstunden durch den Arbeitgeber auf null ausgeglichen werden können, kann sich dies nur auf ein Guthaben aus dem sog. Sparbuch, dem Unterkonto 2 beziehen, auf das nach § 3c Satz 3 BV Plusstunden zu übertragen sind. Im Streitfall sind für die Streichung von Arbeitsstunden aus dem Unterkonto 2 für den andere Gründe als Freizeitausgleich weder festgestellt noch von den Parteien vorgetragen.

27b) Der Kläger kann keine Korrektur des Arbeitszeitkontos für den verlangen, weil sich die Beklagte nicht im Annahmeverzug befunden hat. Der Kläger hat die geschuldete Arbeitsleistung nicht ordnungsgemäß angeboten. In der Annahme eines ordnungsgemäßen Angebots liegt der Rechtsfehler des Berufungsurteils.

28aa) Nach § 293 BGB kommt der Arbeitgeber in Annahmeverzug, wenn er im erfüllbaren Arbeitsverhältnis die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer die Leistung grundsätzlich tatsächlich anbieten, § 294 BGB. Der Arbeitnehmer muss die Arbeitsleistung so anbieten, wie sie zu bewirken ist, also am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen bzw. deren Konkretisierung kraft Weisung nach § 106 Satz 1 GewO. Ein wörtliches Angebot genügt (nur), wenn der Arbeitgeber ihm erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen oder sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang zu beschäftigen (§ 295 BGB). Ein Angebot der Arbeitsleistung kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn offenkundig ist, dass der Gläubiger auf seiner Weigerung, die geschuldete Leistung anzunehmen, beharrt (vgl.  - Rn. 16 mwN).

29bb) Danach war der Kläger verpflichtet, die geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich anzubieten (§ 294 BGB). Es ist weder festgestellt noch vorgetragen, dass die Beklagte zuvor erklärt habe, sie werde die Arbeit nicht annehmen, womit ein nur wörtliches Angebot (§ 295 BGB) genügt hätte (vgl. hierzu  - Rn. 15 mwN).

30cc) Der Kläger hat die am geschuldete Arbeitsleistung nicht tatsächlich am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise angeboten. Er schuldete nicht lediglich eine telefonische Anzeige seiner Einsatzbereitschaft um 07:30 Uhr in Anwendung von § 4f Abs. 8 Satz 3 BV iVm. den Regelungen während der Corona-Pandemie. Erforderlich wäre ein tatsächliches Angebot der Arbeitsleistung auf der Wache in P um 06:00 Uhr gewesen, weil die Beklagte den Dienst des Klägers nach § 4f Abs. 8 Satz 1 BV wirksam dahingehend konkretisiert und ihm eine entsprechende Weisung erteilt hat.

31(1) Die Wirksamkeit der maßgeblichen Regelungen der BV begegnet keinen Bedenken. Diese werden nicht von der Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG erfasst. Danach können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Eine tarifliche Regelung von Arbeitsbedingungen liegt vor, wenn sie in einem Tarifvertrag enthalten sind und der Betrieb in den räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fällt. Die Sperrwirkung der Vorschrift gilt unabhängig von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers. Sie greift nicht ein, soweit es um Angelegenheiten geht, die nach § 87 Abs. 1 BetrVG der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen (st. Rspr., vgl.  - Rn. 17 mwN, BAGE 162, 379).

32Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Betrieb der Beklagten von dem in § 1 Abs. 1 TVöD-VKA geregelten betrieblichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrags erfasst ist. Der Tarifvertrag findet nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts vielmehr kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Im Übrigen regelt die BV Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie Grundsätze der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage und damit Angelegenheiten, die nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen. Eine entgegenstehende tarifvertragliche Regelung iSv. § 87 Eingangshalbs. BetrVG besteht nicht.

33(2) Die vom Kläger am geschuldete Arbeitsleistung war die Tätigkeit als Notfallsanitäter im Tagdienst in der Rettungswache P mit Dienstbeginn um 06:00 Uhr. Die Beklagte konnte auf der Grundlage von § 4f Abs. 8 Satz 1 BV den für den Kläger an diesem Tag im Dienstplan vorgesehenen sog. unkonkret zugeteilten Springerdienst wirksam konkretisieren. An die erteilte Weisung in Ausübung des Direktionsrechts der Beklagten nach § 106 Satz 1 GewO war der Kläger gebunden (vgl. zur fehlenden Bindungswirkung bei unbilligen Weisungen (§ 315 BGB)  - Rn. 63 ff., BAGE 160, 296).

34(a) Die im Betrieb anwendbaren Grundsätze der Dienstplanung folgen den Regelungen von Abschnitt 2 BV. Ausgehend von der gutachterlichen Rettungsmittelbedarfsplanung des Folgejahres (§ 2a Abs. 1 Satz 1 BV) werden in einem ersten Schritt Rahmendienstpläne unter Berücksichtigung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats erstellt (§ 2d BV). Aus diesen Rahmendienstplänen ergeben sich ua. bereits die Springerdienste (§ 2d Abs. 2 Satz 1 BV). Sodann wird aus dem Rahmendienstplan ein individueller Jahresplan für das Folgejahr entwickelt (§ 2d Abs. 5 BV). Dabei wird der Rahmendienstplan um die Änderungen aus gesetzlichen Feiertagen und aufgrund der individuellen arbeitsvertraglichen Stundenschuld jedes Mitarbeiters aktualisiert (§ 2f Abs. 1 Satz 1 BV). Die individuellen Jahrespläne werden jedem Mitarbeiter zur Erstellung der Urlaubsplanung zur Verfügung gestellt (§ 2f Abs. 1 Satz 2 BV). Der dann entstehende Soll-Dienstplan entspricht dem um die Urlaubsplanung aktualisierten Jahresplan (§ 2f Abs. 3 Satz 1 BV), dieser wird dem Betriebsrat zur Mitbestimmung vorgelegt (§ 2g Abs. 1 Satz 1 BV) und durch Festlegung zum Ist-Dienstplan, in den jeweils aktuelle Änderungen eingetragen werden (§ 2g Abs. 2 Sätze 1 und 2 BV).

35(b) Bestimmungen für die im Ist-Dienstplan eingeteilten Springerdienste finden sich in § 4f BV. Ein Springerdienst wird nach dessen Abs. 1 Satz 1 in der Jahresplanung einem Wochentag der Vertreterwoche verbindlich zugewiesen. Sodann werden einzelne Springerdienste durch die konkrete Schichtzuteilung verbindlich, wobei dies spätestens vier Tage vorher zu erfolgen hat (§ 4f Abs. 6 Satz 1 BV). Wenn zu diesem Zeitpunkt keine konkrete Schichtzuteilung möglich sein sollte, werden unkonkrete Dienste in Form von Tag-, Spät- oder Nachtdienst zugeteilt (Abschnitt 4 § 4f Abs. 6 Satz 2 BV). Bei unkonkret zugeteilten Springerdiensten können sodann weitere Konkretisierungen vorgenommen werden (§ 4f Abs. 7 Satz 1 BV), die sich innerhalb der in Satz 2 der Regelung vorgegebenen Zeitkorridore bewegen müssen. Das bedeutet zB für den Tagdienst einen spätesten Beginn in der Zeit von 06:00 Uhr bis 09:00 Uhr. Unkonkret zugeteilte Springerdienste für Tag- und Spätdienste können von der Beklagten bis 20:00 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan weiter konkretisiert werden (§ 4f Abs. 8 Satz 1 BV). Nur wenn eine solche weitere Konkretisierung nicht vorgenommen wird, hat sich der Mitarbeiter zu Dienstbeginn am zugewiesenen Dienstort einzufinden (§ 4f Abs. 8 Satz 3 BV), wobei nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts während der Corona-Pandemie lediglich eine telefonische Mitteilung der Einsatzfähigkeit um 07:30 Uhr erforderlich war.

36(c) Der Ist-Dienstplan des Jahres 2021 enthielt für den Kläger am einen unkonkret zugeteilten Springerdienst. Diesen hat die Beklagte nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts, die auf einer Bezugnahme auf die vom Arbeitsgericht getroffene Feststellung beruht, vier Tage vorher in einen unkonkreten Tagdienst umgewandelt. Dem entspricht der Vortrag der Beklagten, der Kläger habe bereits ab gewusst, dass ihm im Jahresdienstplan für den ein Springerdiensttag zugeteilt worden sei. Dies hat der Kläger zwar bestritten, indem er erwidert hat, der unkonkrete Springerdienst sei erst am 3. oder in einen „Springer Tag“ geändert worden. Daraufhin hat die Beklagte ihren Vortrag dahingehend geändert, dass die Zuteilung eines unkonkreten Tagdienstes im Dienstplan am um 08:22 Uhr erfolgt sei. Dies hat der Kläger nicht (mehr) bestritten. Hiervon ausgehend kann der Senat seiner Entscheidung zugrunde legen, dass die Beklagte dem Kläger jedenfalls am einen unkonkreten Springerdienst als Tagdienst zugeteilt hat. Damit hat sie die Viertagefrist von § 4f Abs. 6 Satz 1 BV eingehalten.

37(d) Die Beklagte hat nach § 4f Abs. 8 Satz 1 BV den Dienst für den wirksam innerhalb des Zeitfensters bis 20:00 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn weiter konkretisiert. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat sie dem Kläger am um 13:20 Uhr einen Tagdienst in der Rettungswache P mit Dienstbeginn 06:00 Uhr zugeteilt und dies in den Ist-Dienstplan eingetragen.

38(e) Der wirksamen Konkretisierung des Dienstes des Klägers auf den Tagdienst am in der Rettungswache P mit Dienstbeginn 06:00 Uhr steht die Regelung von § 4a Abs. 4 BV nicht entgegen. Dies ergibt die Auslegung der BV (vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen st. Rspr., zB  - Rn. 54, BAGE 171, 1; - 5 AZR 36/19 - Rn. 22, BAGE 170, 172). Danach lassen sich aus Wortlaut und Systematik unterschiedliche Regelungsbereiche herleiten. Während die Bestimmungen in § 4a BV unter der Überschrift „Aktualisierungen des Dienstplans“ Änderungen bzw. Veränderungen betreffen, behandelt § 4f BV die Springerdienste, die nach seinem Abs. 1 Satz 1 in der Jahresplanung bereits verbindlich zugewiesen werden. Solche im Ist-Dienstplan enthaltenen Springerdienste können dann nach dem in § 4f Abs. 6, Abs. 8 BV geregelten Ablauf weiter konkretisiert werden. Damit handelt es sich bereits nach dem Wortlaut bei solchen Konkretisierungen nicht um Änderungen des Dienstplans iSv. § 4a BV. Systematisch betrachtet finden sich in Abschnitt 4 BV zunächst in dessen § 4a Möglichkeiten der Änderung des bestehenden, mit dem Betriebsrat abgestimmten Jahres-Ist-Dienstplans, mithin nachträgliche Eingriffsoptionen aufgrund dringender betrieblicher Gründe in die an sich feststehende Jahresplanung. Daran schließen sich sodann in den Bestimmungen der §§ 4b bis 4h geregelte Einzelbereiche an, die ua. die Konkretisierung von Springerdiensten umfassen, ohne jedoch die grundlegende Jahresplanung zu berühren.

39(f) Der wirksamen Konkretisierung des Dienstes des Klägers auf den Tagdienst am in der Rettungswache P mit Dienstbeginn 06:00 Uhr steht die Anlage zur BV nicht entgegen. Dahinstehen kann, ob diese - wie der Kläger meint - eine verbindliche Kommentierung von Seiten der Betriebsparteien darstellt. Jedenfalls bezieht sich die Anmerkung zu § 4f Abs. 8 BV zur Freiwilligkeit eines Wachenwechsels „nach der Ankündigungsfrist“ auf die Frist zur Konkretisierung „bis 20 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn“. Diese Frist hat die Beklagte gewahrt. Der Wechsel des Klägers von seiner Stammwache in B zur Wache in P wurde rechtzeitig von der Beklagten vorgenommen und unterlag damit nicht dem in dieser Anmerkung formulierten Freiwilligkeitsvorbehalt.

40(g) Die Konkretisierung des Dienstes steht nicht im Widerspruch zu § 12 Abs. 3 TzBfG, wonach der Arbeitgeber bei Arbeit auf Abruf eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers nur dann begründen kann, wenn er ihm die Lage der Arbeitszeit mindestens vier Tage im Voraus mitteilt. Die Parteien haben keine Arbeit auf Abruf iSv. § 12 Abs. 1 TzBfG vereinbart. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 TzBfG können Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf). Merkmal dieser Abrufarbeit ist nach der Legaldefinition das Recht des Arbeitgebers, entsprechend dem Arbeitsanfall Lage und Dauer der Arbeit bestimmen zu können (vgl.  - Rn. 26, BAGE 116, 267) und die daraus folgende Verpflichtung des Arbeitnehmers, auf Anforderung des Arbeitgebers zu arbeiten (vgl.  - Rn. 23, aaO). Im Streitfall liegt kein Abrufarbeitsverhältnis in diesem Sinne vor. Die Dienste des Klägers werden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit der jährlichen Ist-Dienstplanung im Voraus festgelegt. Dies gilt auch für den Springerdienst am . Lediglich dessen nähere Konkretisierung auf zB einen Tagdienst und den eigentlichen Dienstbeginn ermöglichen die Regelungen in § 4f BV.

41(h) Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sind gewahrt. Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG wurde durch Abschluss der BV und durch Beteiligung des Betriebsrats bei der Entwicklung und Aufstellung der Dienstpläne nach Abschnitt 2 BV beachtet. Ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG besteht entgegen der Auffassung des Klägers offensichtlich nicht. Es geht hier nicht um die Ausgestaltung mobiler Arbeit mittels Informations- und Kommunikationstechnik, sondern um die Frage, ob die Beklagte den Dienst des Klägers als Notfallsanitäter wie geschehen konkretisieren durfte. Das betrifft Fragen der Arbeitszeit und nicht die in § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG geregelten Angelegenheiten.

42dd) Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, von der wirksamen Konkretisierung des Dienstes keine Kenntnis gehabt zu haben. Die Weisung der Beklagten ist dem Kläger zugegangen. Für den Kläger bestand eine Nebenpflicht aus dem Vertragsverhältnis, die Zuteilung des Dienstes zur Kenntnis zu nehmen.

43(1) Die Beklagte hat dem Kläger die Weisung erteilt, den Dienst am in der Rettungswache P mit Dienstbeginn 06:00 Uhr aufzunehmen. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Beklagte dies dem Kläger am um 13:27 Uhr per SMS mitgeteilt hat, die auf seinem Mobiltelefon eingegangen ist. Diese Feststellungen wurden in der Revision nicht - auch nicht mit einer Gegenrüge - angegriffen und sind somit für den Senat bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO).

44(2) Der Kläger war verpflichtet, die Weisung in Bezug auf den zugeteilten Dienst für den zur Kenntnis zu nehmen. Es handelt sich um eine mit der Arbeitspflicht in unmittelbarem Zusammenhang stehende Nebenleistungspflicht, der der Kläger als Folge der Regelung in § 4f Abs. 8 Satz 1 BV unterliegt. Dieser Pflicht hat er auch außerhalb seiner eigentlichen Dienstzeit als Notfallsanitäter nachzukommen. Das Landesarbeitsgericht hat dagegen rechtsfehlerhaft angenommen, der Kläger müsse außerhalb der Dienstzeit nicht Kenntnis von der Zuteilung des Dienstes nehmen. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann auf Grundlage der getroffenen Feststellungen in der Sache endentscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).

45(a) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Dies dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Im Arbeitsverhältnis können die Vertragsparteien deshalb zur Verwirklichung des Leistungsinteresses zu leistungssichernden Maßnahmen verpflichtet sein. Dazu gehört auch die Pflicht, im Zusammenwirken mit dem anderen Teil die Voraussetzungen für die Durchführung des Vertrags zu schaffen, Erfüllungshindernisse nicht entstehen zu lassen oder zu beseitigen und dem anderen Teil den angestrebten Leistungserfolg zukommen zu lassen (st. Rspr., vgl.  - Rn. 22; - 1 AZR 367/15 - Rn. 16, BAGE 158, 148; - 10 AZR 596/15 - Rn. 32, BAGE 157, 153; - 5 AZR 162/09 - Rn. 26, BAGE 134, 296).

46(b) Die leistungssichernde Nebenpflicht, Kenntnis von der Zuteilung von konkretisierten Tag- und Spätdiensten zu nehmen, kommt im Streitfall in der Regelung von § 4f Abs. 8 Satz 1 BV zum Ausdruck. Danach kann der unkonkret zugeteilte Springerdienst für den Tag- und Spätdienst noch bis 20:00 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan weiter konkretisiert werden. Dies beinhaltet zugleich, dass der jeweils betroffene Arbeitnehmer spätestens ab diesem Zeitpunkt damit rechnen muss, für den folgenden Dienstbeginn einer konkretisierten Weisung zu unterliegen. Daraus folgt die Pflicht, Mitteilungen von Seiten der Beklagten zur Kenntnis zu nehmen. Ohne Erfüllung dieser Nebenpflicht kann der Arbeitnehmer den angestrebten Leistungserfolg, nämlich den Dienstantritt wie zugewiesen, der Beklagten nicht zukommen lassen.

47(c) Entgegen der Auffassung des Klägers musste er im Rahmen der geschuldeten Mitwirkungspflicht nicht ununterbrochen für die Beklagte erreichbar sein. Es blieb ihm überlassen, wann und wo er von der SMS Kenntnis nehmen wollte, mit der ihn die Beklagte über die Konkretisierung seines Springerdienstes informiert hat. Der Kläger war keineswegs verpflichtet, den gesamten Tag auf sein Mobiltelefon zu schauen und sich dienstbereit zu halten. Da die Beklagte die Konkretisierung des Dienstbeginns und Dienstortes bis 20:00 Uhr vornehmen konnte, war es ausreichend, dass er sich ab dieser Zeit informierte. Er hätte dies sogar erst am Morgen des Diensttages tun können. Aufgrund der Zuteilung eines unkonkreten Tagdienstes in dem ihm bekannten Dienstplan war er bereits informiert, dass der späteste Dienstbeginn zwischen 06:00 Uhr und 09:00 Uhr liegen würde (§ 4f Abs. 7 Satz 2 BV). Der Kläger war auch nicht verpflichtet, mit der Beklagten in Kommunikation zu treten. Er hatte lediglich die Nachricht der Beklagten über die Zuteilung eines bestimmten Dienstes für den folgenden Tag zur Kenntnis zu nehmen.

48(d) Die Erfüllung dieser leistungssichernden Nebenpflicht führt nicht zu einer Kollision mit den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes und der Richtlinie 2003/88/EG. Bei der Kenntnisnahme der Weisung zum konkretisierten Dienst handelt es sich nicht um Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtliche Sinne.

49(aa) Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG definiert den Begriff Arbeitszeit als „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer … arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“. In Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie wird der Begriff Ruhezeit negativ definiert als „jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit“. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union schließen beide Begriffe einander aus. Für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2003/88/EG ist eine Zeitspanne entweder als Arbeitszeit oder als Ruhezeit einzustufen, weil die Richtlinie keine Zwischenkategorie vorsieht (vgl. zuletzt  - [Dublin City Council] Rn. 35 mwN). Unter den Begriff Arbeitszeit iSd. Richtlinie 2003/88/EG fallen solche Zeitspannen, während deren dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, die Zeit frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen (vgl. für Rufbereitschaft und Bereitschaftszeit  - [Dublin City Council] Rn. 38; - C-107/19 - [Dopravní podnik hl. m. Prahy] Rn. 34 mwN). Erreichen die Einschränkungen keinen solchen Intensitätsgrad und erlauben diese es dem Arbeitnehmer, über seine Zeit zu verfügen und sich ohne größere Einschränkungen seinen eigenen Interessen zu widmen, liegt keine Arbeitszeit für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie vor (vgl.  - [Dublin City Council] Rn. 39; - C-580/19 - [Stadt Offenbach am Main] Rn. 39). In unionsrechtskonformer Auslegung des Arbeitszeitgesetzes hat sich das Bundesarbeitsgericht dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl.  - Rn. 47).

50(bb) Im Streitfall werden durch die Nebenpflicht zur Kenntnisnahme der Konkretisierung des Dienstes die Möglichkeiten des Klägers, seine Freizeit frei zu gestalten, nicht ganz erheblich im Sinne dieser Rechtsprechung beeinträchtigt. Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne liegt daher nicht vor. Die Ruhezeit wird durch die Kenntnisnahme nicht unterbrochen. Der Kläger kann frei wählen, zu welchem Zeitpunkt er die Weisung zur Kenntnis nimmt. Der eigentliche Moment der Kenntnisnahme der SMS stellt sich als zeitlich derart geringfügig dar, dass auch insoweit von einer ganz erheblichen Beeinträchtigung der Nutzung der freien Zeit nicht ausgegangen werden kann. Auch der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zu den Fällen der Rufbereitschaft nicht thematisiert, dass der „Ruf“ zur Arbeitsleistung Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie sei.

51Die Annahme des Klägers, wegen der in § 4f Abs. 8 Satz 1 BV vorgesehenen kurzfristigen Konkretisierung des Springerdienstes bis 20:00 Uhr des Vortags sei eine Freizeitplanung kaum möglich, ist unzutreffend. Bei der im Einzelfall zu treffenden Feststellung, ob die Kenntnisnahme der Konkretisierung des Springerdienstes als Arbeitszeit zu bewerten ist, sind nur solche Einschränkungen der Interessen des Klägers zu berücksichtigen, die diesem durch die Bestimmungen der BV auferlegt werden. Organisatorische Schwierigkeiten, die die Konkretisierung des Dienstes für den Arbeitnehmer mit sich bringen und die sich nicht aus solchen Einschränkungen ergeben, sondern zB Folge natürlicher Gegebenheiten oder der freien Entscheidung des Arbeitnehmers sind, bleiben unberücksichtigt. Dementsprechend stellt beispielsweise eine große Entfernung zwischen dem vom Arbeitnehmer frei gewählten Ort und dem Ort, an dem er den innerhalb der maßgeblichen Zeitspanne konkretisierten Dienst leisten muss, für sich genommen kein relevantes Kriterium für die Einstufung dieser gesamten Zeitspanne als Arbeitszeit dar (vgl.  - Rn. 48 im Anschluss an  - [Radiotelevizija Slovenija] Rn. 39 ff.).

52Der Einwand des Klägers, die Anordnung von Rufbereitschaft schränke den Arbeitnehmer im Vergleich zur Konkretisierung von Springerdiensten in Anwendung von § 4f Abs. 8 BV weniger ein, ist gleichfalls nicht richtig. Nach den im Betrieb geltenden Regelungen umfasst die Rufbereitschaft die telefonische Erreichbarkeit von 06:00 Uhr bis 06:00 Uhr des Folgetags (§ 4g Abs. 3 Satz 1 BV). Der Arbeitnehmer muss im Bedarfsfall die Arbeit unverzüglich aufnehmen (§ 4g Abs. 4 Satz 1 BV). Im Vergleich zur Konkretisierung der Springerdienste ist der Arbeitnehmer bei Rufbereitschaften damit örtlich und zeitlich deutlich mehr eingeschränkt. Die Auswirkungen auf die Freizeitgestaltung sind angesichts der jederzeit möglichen Anforderung zur unverzüglichen Erbringung der Arbeitsleistung innerhalb eines 24-Stundenzeitfensters erheblich. Dagegen kann sich der Arbeitnehmer bei der Konkretisierung sog. unkonkret zugeteilter Springerdienste spätestens vier Tage vorher auf einen entsprechenden Tag-, Spät- oder Nachtdienst einstellen, der innerhalb der in § 4f Abs. 7 Satz 2 BV geregelten Zeitkorridore zu leisten sein wird.

53(cc) Ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV ist im Streitfall nicht erforderlich. Der Senat kann abschließend entscheiden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, von der Pflicht, den Gerichtshof gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV anzurufen, ua. dann befreit, wenn es festgestellt hat, dass die richtige Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Die bloße Möglichkeit, von einer Vorschrift des Unionsrechts eine oder mehrere weitere Auslegungen vornehmen zu können, sofern keine von ihnen dem betreffenden einzelstaatlichen Gericht insbesondere im Hinblick auf den Zusammenhang und die Ziele der Vorschrift sowie die Regelung, zu der sie gehört, hinreichend plausibel erscheint, kann nicht die Annahme begründen, dass an der richtigen Auslegung dieser Vorschrift ein vernünftiger Zweifel besteht ( - [Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi] Rn. 39 ff.). Hinsichtlich der Voraussetzungen eines acte clair oder acte éclairé kommt dem letztinstanzlichen Hauptsachegericht ein Beurteilungsrahmen zu (vgl.  - Rn. 29;  - Rn. 19). Durch die genannten Entscheidungen des Gerichtshofs ist - wie oben im Einzelnen ausgeführt (Rn. 49 ff.) - iSe. „acte éclairé“ geklärt, wie die Abgrenzung von arbeitsschutzrechtlicher Arbeitszeit und Ruhezeit zu erfolgen hat.

542. Ein Anspruch des Klägers auf Zeitgutschrift auf dem für ihn geführten Arbeitszeitkonto, Unterkonto 1, für den folgt nicht aus § 615 Satz 1, § 611a Abs. 2 iVm. §§ 293 ff. BGB iVm. § 3a Abs. 2 Satz 1, § 3d BV. In der Zeit von 06:30 Uhr bis 08:25 Uhr befand sich die Beklagte nicht im Annahmeverzug, der Kläger hat die geschuldete Arbeitsleistung in dieser Zeitspanne nicht ordnungsgemäß angeboten. Das Arbeitszeitkonto ist nicht zu korrigieren.

55a) Ein tatsächliches Angebot am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise war auch hier erforderlich. Der Kläger schuldete nicht lediglich eine telefonische Anzeige seiner Einsatzbereitschaft um 07:30 Uhr (vgl. Rn. 28 ff.). Erforderlich war ein tatsächliches Angebot der Arbeitsleistung auf der Wache in P um 06:30 Uhr, weil die Beklagte den Dienst des Klägers nach § 4f Abs. 8 Satz 1 BV dahingehend wirksam konkretisiert hat.

56aa) Der Ist-Dienstplan des Jahres 2021 enthielt nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts für den Kläger am einen Dienst als „Springer kurzfristig“. Dabei handelt es sich um einen unkonkret zugeteilten Springerdienst. Diesen hat die Beklagte nach den weiteren Feststellungen des Landesarbeitsgerichts am und damit mehr als vier Tage vor dem streitgegenständlichen Dienst in einen unkonkreten Tagdienst umgewandelt (§ 4f Abs. 6 Satz 2 BV).

57bb) Sodann hat die Beklagte nach § 4f Abs. 8 Satz 1 BV den streitgegenständlichen Dienst für den innerhalb des Zeitfensters bis 20:00 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn weiter konkretisiert. Dies hat sie nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts am um 09:15 Uhr getan, indem sie dem Kläger einen Tagdienst in der Rettungswache P mit Dienstbeginn 06:30 Uhr zugeteilt hat. Diese Konkretisierung des Dienstes ist wirksam (vgl. Rn. 31 ff.).

58b) Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, von der wirksamen Konkretisierung des Dienstes keine Kenntnis gehabt zu haben. Die von der Beklagten erteilte Weisung ist dem Kläger zugegangen. Das Landesarbeitsgericht hat - für den Senat bindend - festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger am eine SMS und eine E-Mail in Bezug auf den konkretisierten Dienst übersandt hat. Für den Kläger bestand eine Nebenpflicht aus dem Vertragsverhältnis, die Zuteilung des streitgegenständlichen Dienstes zur Kenntnis zu nehmen (vgl. Rn. 42 ff.).

593. Ansprüche auf Korrektur des Arbeitszeitkontos für den 8. April und wurden nicht nach § 611 Abs. 1, § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB aufrechterhalten. Die Beklagte hat die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung weder allein noch weit überwiegend zu verantworten.

60a) Nach § 275 Abs. 1 BGB führt die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung zum Ausschluss des Leistungsanspruchs des Arbeitgebers. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Gegenleistung entfällt grundsätzlich gemäß § 326 Abs. 1 BGB. Nach § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB behält der Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung nur dann, wenn der Gläubiger für den Umstand allein oder weit überwiegend verantwortlich ist, aufgrund dessen der Schuldner nicht zu leisten braucht. Der Anwendungsbereich von § 326 Abs. 2 BGB umfasst sämtliche gegenseitigen Verträge und findet auch auf Arbeitsverhältnisse Anwendung. Der Arbeitnehmer behält den Lohnanspruch, wenn der Arbeitgeber die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung allein oder weit überwiegend zu verantworten hat (vgl.  - Rn. 25 mwN, BAGE 152, 327).

61b) Der Anwendung von § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB im Arbeitsrecht steht § 615 BGB nicht entgegen. Die dienstvertraglichen Regeln des Annahmeverzugs verdrängen § 326 BGB nicht. Vielmehr ergänzen sich beide. Wird dem Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung unmöglich, bestimmt sich die Rechtsfolge für seinen Vergütungsanspruch nach § 615 BGB, wenn sich der Arbeitgeber bei Eintritt der Unmöglichkeit im Annahmeverzug befindet, ansonsten nach § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB. Beruht die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung aufgrund ihres Fixschuldcharakters allein auf dem Zeitablauf, wird der Vergütungsanspruch - unabhängig vom Verschulden des Arbeitgebers - nach § 615 BGB aufrechterhalten, wenn die Voraussetzungen des Annahmeverzugs zur Zeit des Eintritts der Unmöglichkeit vorlagen. Fehlt es hieran, zB weil der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung entgegen §§ 294 ff. BGB nicht angeboten hatte, kann der Vergütungsanspruch nach § 326 Abs. 2 BGB aufrechterhalten werden, wenn dessen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl.  - Rn. 25, BAGE 154, 100).

62c) Verantwortlich nach § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB meint Vertretenmüssen iSd. §§ 276, 278 BGB, dh. mindestens fahrlässiges Handeln (hierzu ausführlich  - Rn. 28, BAGE 152, 327).

63d) Die Beklagte war für die Unmöglichkeit der Arbeitsleistungen des Klägers an den beiden streitgegenständlichen Tagen nicht verantwortlich iSv. § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB. Sie hat wirksam die jeweiligen Dienste konkretisiert und dem Kläger Weisungen erteilt. Es hätte dem Kläger oblegen, hiervon Kenntnis zu nehmen und die geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich anzubieten. Hieran fehlte es in beiden Fällen.

644. Der Kläger hat keinen Anspruch aus §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Entfernung der Abmahnung vom aus der Personalakte.

65a) Die Abmahnung ist hinreichend bestimmt. Sie bezeichnet das beanstandete Verhalten des Klägers, das als solches außer Streit steht, konkret und enthält nicht nur pauschale Vorwürfe (vgl.  - Rn. 17).

66b) Der Kläger hat seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt, indem er es unterlassen hat, die Weisungen der Beklagten zur Aufnahme der Dienste am 8. April und zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend die zugeteilten Dienste anzutreten. Die Beklagte war deshalb berechtigt, ihn mit der Abmahnung auf seine Pflichtverletzung hinzuweisen, ihn für die Zukunft zu einem vertragsgetreuen Verhalten aufzufordern und ihm für den Wiederholungsfall individualrechtliche Konsequenzen anzukündigen (zur Rüge-, Dokumentations- und Warnfunktion einer Abmahnung vgl.  - Rn. 20, BAGE 142, 331).

67III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:230823.U.5AZR349.22.0

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 2996 Nr. 51
DB 2024 S. 396 Nr. 7
DStR 2024 S. 697 Nr. 12
NJW 2023 S. 10 Nr. 51
ZIP 2023 S. 5 Nr. 50
ZIP 2024 S. 41 Nr. 1
XAAAJ-54229