BGH Beschluss v. - 6 StR 316/23

Instanzenzug: LG Verden Az: 2 KLs 16/20

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten wegen schwerer Bandendiebstähle und wegen weiterer Vermögensdelikte zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt sowie Einziehungsentscheidungen getroffen. Bezüglich des Angeklagten K.     hat es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Dessen Revision hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie ebenso unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO wie die Rechtsmittel der weiteren Angeklagten.

21. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:

3a) Ein Verstoß gegen § 229 Abs. 1 StPO liegt nicht vor. Die Hauptverhandlung war zwischen dem Termin vom und dem nachfolgenden Termin vom nur 20 Tage und damit nicht länger als drei Wochen unterbrochen, weil der Ablauf dieser Frist (vgl. zur Berechnung , NStZ 2020, 622) vom Beginn des bis zum Ablauf des nach § 10 EGStPO für 30 Tage gehemmt war. Die Zeit der Hemmung ist entsprechend § 209 BGB zu bestimmen. Sie beginnt daher mit dem Tag, an dem der Hemmungsgrund eingetreten ist, und endet mit dem Tag seines Wegfalls. Beide Tage gehören zur Hemmungszeit und werden nicht in den Unterbrechungszeitraum eingerechnet (vgl. , NJW 2009, 1488, 1491 [zu § 209 BGB]; Arnoldi in MüKo/StPO, 1. Aufl., § 229 Rn. 21; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 229 Rn. 27; Gmel/Peterson in Karlsruher Kommentar, StPO, 9. Aufl., § 229 Rn. 15).

4b) Soweit sich die Revisionen gegen die Ablehnung von Anträgen auf Einholung von Sachverständigengutachten wenden, sind diese Rügen nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil der Inhalt des in der ablehnenden Entscheidung des Landgerichts in Bezug genommenen Tatbefundberichts nicht mitgeteilt wird, obwohl dieser zum Verständnis geboten gewesen wäre. Sie wären im Übrigen unbegründet.

52. Durchgreifenden Bedenken begegnet die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten K.     in einer Entziehungsanstalt.

6a) Der Senat hat gemäß § 2 Abs. 6 StGB über die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB in der am in Kraft getretenen Fassung (BGBl I Nr. 203 vom ) zu entscheiden (§ 354a StPO).

7b) Hieran gemessen halten die den symptomatischen Zusammenhang begründenden Erwägungen revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.

8aa) Nach § 64 Satz 1 StGB darf eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur noch angeordnet werden, wenn die ihr zugrundeliegenden Taten „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen. Durch die Schärfung des Kausalitätserfordernisses zwischen „Hang“ und „Anlasstat“ soll erreicht werden, dass Personen, bei denen die Straffälligkeit nicht überwiegend auf den Hang, sondern (auch) auf andere Ursachen zurückzuführen ist, künftig nicht mehr die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 64 StGB erfüllen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 26). Die Mitursächlichkeit des Hangs muss quantitativ andere Ursachen übertreffen, somit mehr als diese für die Begehung der Tat ausschlaggebend sein (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 69).

9bb) Ausgehend von diesem neuen Maßstab belegen die Urteilsgründe nicht, dass die der Erlangung von Bargeld dienenden Anlasstaten überwiegend auf den Hang des Angeklagten zurückzuführen sind. Denn zum einen bleibt offen, welcher Anteil der Tatbeute des von Sozialleistungen lebenden Angeklagten für den Erwerb von Kokain und die Begleichung von Drogenschulden verwendet worden ist und welcher Anteil auf die Bestreitung des allgemeinen Lebensunterhaltes und andere Zwecke entfallen ist. Zum anderen hat die Strafkammer festgestellt, dass beim Angeklagten unabhängig von seinem Hang, Kokain und Cannabis im Übermaß zu konsumieren, aufgrund seiner dissozialen Tendenzen und seiner Etablierung in dem sozialen Umfeld der „H.        “ ein „Basisrisiko“ für die Begehung von Straftaten bestehe.

10c) Auch die Erfolgsaussicht ist nicht tragfähig begründet.

11aa) Schon nach § 64 Satz 2 StGB in der bis zum geltenden Fassung bedurfte die Beurteilung der danach erforderlichen „hinreichend konkreten Erfolgsaussicht“ einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände, wobei neben der Therapiebereitschaft auch etwaige prognoseungünstige Faktoren einzubeziehen waren. Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung reichte nicht aus; notwendig war vielmehr eine durch Tatsachen belegte Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs (vgl. , Rn. 14 mwN). Nunmehr setzt § 64 Satz 2 StGB voraus, dass der Behandlungserfolg „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten“ ist. Durch die Neufassung der Vorschrift sind die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt „eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ vorausgesetzt wird; im Übrigen bleibt es dabei, dass die Beurteilung der Erfolgsaussicht im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände vorzunehmen ist (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 70).

12bb) Hier lässt die Annahme, dass die für eine erfolgreiche Therapie erforderliche Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten „im Rahmen der forensischen Therapie erfolgen könne“, besorgen, dass die Strafkammer von einem unzutreffenden Prüfungsmaßstab ausgegangen ist. Dies gilt auch, soweit sie – dem Sachverständigen folgend – ausgeführt hat, dass sich „im Verlauf der therapeutischen Bearbeitung seiner Selbstbewusstseinsdefizite (…) das Festhalten des Angeklagten (…) an dem Milieu der H.         wahrscheinlich relativieren und die Therapiemotivation wahrscheinlich steigen“ werde.

133. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung – wiederum unter Heranziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht eigene, widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:021123B6STR316.23.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-53984