Strafverfahren: Richterablehnung bei Besorgnis der Befangenheit wegen Vorbefassung; Pflicht des Revisionsgericht zum Abwarten von Stellungnahmen zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts
Gesetze: § 24 Abs 2 StPO, § 338 Nr 3 StPO, § 345 Abs 1 StPO, § 349 Abs 3 S 2 StPO
Instanzenzug: Az: 16 KLs 3/21nachgehend Az: 4 StR 239/23 Beschlussnachgehend Az: 4 StR 239/23 Beschlussnachgehend Az: 4 StR 239/23 Beschluss
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten bei Freispruch im Übrigen wegen „Betruges in 64 Fällen, davon in 12 Fällen in Tateinheit mit Diebstahl, des Diebstahls in einem weiteren Fall und der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis“ unter Einbeziehung der Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten und zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und Nebenentscheidungen getroffen. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
2Der Generalbundesanwalt hat am die Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO beantragt und die Akten dem Revisionsgericht zugeleitet. Der Antrag wurde dem Pflichtverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt P. , ordnungsgemäß zugestellt. Die Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO ist am abgelaufen.
3Durch Schreiben eingegangen beim Bundesgerichtshof am hat der zu diesem Zeitpunkt durch zwei Pflichtverteidiger vertretene Angeklagte die Mandatierung eines „Hamburger Anwalts“ angekündigt, der zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts Stellung nehmen werde und gebeten, „dem Unterzeichner Fristverlängerung zum Antrag des Generalbundesanwalts bis zum zu gewähren“. Der Vorsitzende hat dem Angeklagten durch Schreiben vom mitgeteilt, dass der Senat nicht vor dem entscheiden werde.
4Durch Schreiben, eingegangen am , hat Rechtsanwalt S. aus M. die Verteidigung des Angeklagten angezeigt, Akteneinsicht und unter Hinweis darauf, dass erst nach erfolgter Akteneinsicht eine „Begründung der Revision“ gefertigt werden könne, eine „Fristverlängerung bis wenigstens zum “ beantragt. Der Vorsitzende hat am die Aktenübersendung an Rechtsanwalt S. verfügt und ihm mit Schreiben vom selben Tag unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. , NStZ-RR 2017, 148 mwN) mitgeteilt, dass die Frist des § 345 Abs. 1 StPO nicht verlängerbar sei.
5Durch Schreiben, eingegangen am , hat der Angeklagte mitgeteilt, dass der „Schriftsatz an Herrn RA S. “ keinen Bestand haben könne, und um Fristverlängerung bis zum gebeten. Rechtsanwalt S. hat am seinerseits beantragt, ihm „zur Stellungnahme auf den Antrag des Generalbundesanwalts vom eine Frist bis zum einzuräumen“. Am hat der Angeklagte erneut – nunmehr bis zum – eine Fristverlängerung zum Antrag des Generalbundesanwalts beantragt, da seine Wahlverteidiger bis Ende des Monats mit Arbeit ausgelastet seien. Der Vorsitzende hat daraufhin dem Angeklagten schriftlich am mitgeteilt, dass eine Fristverlängerung nicht möglich ist.
6Durch Schreiben, datiert auf den , eingegangen am , hat der Angeklagte „Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin“ erhoben. Er hat ausgeführt, die „Argumentation des Vorsitzenden mitgeteilt durch die Angestellten der Geschäftsstelle“ gehe „ins Leere“. Sowohl ihm persönlich als auch seinem Verteidiger stehe das Recht zu, auf den Antrag des Generalbundesanwalts zu erwidern. Ihm persönlich sei dieser Antrag nicht zugesandt worden. Seine „Pflichtanwälte“ hätten keine umfassende Stellungnahme abgegeben. Daraus resultiere nach seiner Betrachtung der Sach- und Rechtslage ein „Rechtsanspruch auf neue Wahlverteidiger“, von dem der Vorsitzende „keinen Gebrauch“ gemacht und diesen dadurch missachtet habe. Aus diesem Grunde bestehe Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit.
7Durch Schreiben vom 11. September, 18. September, 8. Oktober und hat der Angeklagte weitere Ablehnungsgesuche gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin erhoben. In diesen Gesuchen wiederholt er der Sache nach seine bereits im Ablehnungsantrag vom vorgetragene Bewertung, dass sowohl seinen zwischenzeitlich mandatierten Wahlverteidigern als auch ihm persönlich das Recht zur Stellungnahme zum Antrag des Generalbundesanwalts verwehrt werde, was seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletze und Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Vorsitzenden begründe.
8Der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin hat am eine dienstliche Stellungnahme zu den Ablehnungsgesuchen vom 5. September, 11. September, 18. September und abgegeben, in der er bestätigt hat, die genannten schriftlichen Mitteilungen auf die entsprechenden Anträge des Angeklagten und seines Verteidigers Rechtsanwalt S. hin verfasst zu haben. Der Angeklagte hatte Gelegenheit, zur dienstlichen Erklärung des abgelehnten Richters Stellung zu nehmen.
9Mit Schreiben vom hat der Angeklagte erneut Fristverlängerung bis zum beantragt.
10Eine Verlängerung der Äußerungsfrist zu der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden vom kam nicht in Betracht, da hierfür ein Bedürfnis weder vorgetragen noch sonst ersichtlich war.
II.
11Die Ablehnungsgesuche bleiben ohne Erfolg.
121. Sämtliche Ablehnungsgesuche des Angeklagten richten sich ausschließlich gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin. Soweit der Befangenheitsantrag vom mit „Befangenheitsantrag gegen erkennende Richter des 4. Strafsenats des BGH“ überschrieben ist, ergibt sich aufgrund seines ausschließlich auf prozessleitende Anordnungen des Vorsitzenden rekurrierenden Inhalts und der in der Begründung des Gesuchs mehrfach gebrauchten Singularform („des Richters“) eindeutig, dass auch dieser Ablehnungsantrag ausschließlich gegen den Vorsitzenden gerichtet ist. Weitere Mitglieder des Senats werden hingegen weder namentlich noch in sonst eindeutig bestimmbarer Weise bezeichnet.
132. Die Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin vom 11. September, 18. September, 8. Oktober und sind bereits unzulässig.
14Denn diesen Ablehnungsgesuchen ist – auch eingedenk der gebotenen engen Auslegung des § 26a StPO (vgl. und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410; , juris Rn. 16; Beschluss vom – 3 StR 262/14, juris Rn. 9) – kein tauglicher Grund zur Ablehnung im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu entnehmen. Bei dem Vorbringen handelt es sich ausschließlich um Wiederholungen der bereits im Gesuch vom ausgeführten eigenen Bewertung der Verfahrenslage durch den Angeklagten. Dies steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung dieser Ablehnungsgesuche gleich (vgl. , juris Rn. 1; Beschluss vom – 1 StR 7/15, juris Rn. 12).
153. Der Senat kann offenlassen, ob das Ablehnungsgesuch vom zulässig ist und ihm die Behauptung eines konkreten Verhaltens des Vorsitzenden als Anknüpfungspunkt der Ablehnung sowie die Voraussetzungen der Rechtzeitigkeit des Vorbringens und deren Glaubhaftmachung (§§ 26 Abs. 2 Satz 1, 25 Abs. 2 StPO) noch hinreichend zu entnehmen sind. Der Ablehnungsantrag ist jedenfalls unbegründet.
16a) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist nur gegeben, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (st. Rspr.; vgl. , juris Rn. 18; Beschluss vom – 2 StR 234/16, juris Rn. 21; Urteil vom – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 341). Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen sind dabei der Standpunkt eines besonnenen Angeklagten und die Vorstellungen, die er sich bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (vgl. , juris Rn. 24; Urteil vom – 1 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 208, 209; Beschluss vom – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 69, 71). Knüpft die Richterablehnung an eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vorbefassung des abgelehnten Richters mit der Sache an, ist dieser Umstand regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. , juris Rn. 10; Beschluss vom – 2 StR 234/16, juris Rn. 22 mwN). Auch Rechtsfehler in Entscheidungen bei einer Vorbefassung mit dem Sachverhalt oder im zu Grunde liegenden Verfahren können eine Ablehnung im Allgemeinen nicht begründen (vgl. , juris Rn. 22 mwN). Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und der damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerung hinausgehen (vgl. , NStZ-RR 2022, 345, 348 f. mwN).
17b) Ausgehend von diesen Maßstäben begründet weder die Ablehnung einer Fristverlängerung durch den Vorsitzenden noch die unterlassene Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers die Besorgnis der Befangenheit.
18Die in den Ablehnungsgesuchen thematisierten Mitteilungen des Vorsitzenden an den Angeklagten und an seinen Verteidiger Rechtsanwalt S. , wonach eine Fristverlängerung nicht in Betracht komme, entsprechen – sowohl im Hinblick auf die Frist des § 345 Abs. 1 StPO als auch des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO – der Gesetzeslage (vgl. , juris Rn. 4; Beschluss vom – 3 StR 447/16, NStZ-RR 2017, 148; Beschluss vom – 1 StR 497/07, juris Rn. 4). Zudem entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass Stellungnahmen zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO selbst dann nicht abgewartet zu werden brauchen, wenn sie ausdrücklich in Aussicht gestellt worden sind (vgl. , juris Rn. 3; Beschluss vom – 2 StR 234/08, NStZ-RR 2008, 352). Dies gilt selbst dann, wenn der Beschwerdeführer gleichzeitig um Überlassung der Akten bittet (vgl. , juris Rn. 4; Löwe-Rosenberg/Franke, 26. Aufl., § 349 Rn. 20). Die Ablehnung eines weiteren Entscheidungsaufschubs durch den Vorsitzenden war – zumal nach anfänglichem Zuwarten mit einer Entscheidung auf eine entsprechende Eingabe des Angeklagten hin – in Ermangelung eines sachlichen Grundes hierfür unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes sachgerecht.
19Gleiches gilt für die von dem Angeklagten angeführten Erwägungen, der Vorsitzende habe ihm einen oder mehrere weitere Pflichtverteidiger beiordnen und für die Übermittlung des Antrags des Generalbundesanwalts an ihn persönlich Sorge tragen müssen. Der Angeklagte ist durch zwei Pflichtverteidiger vertreten. Anhaltspunkte dafür, dass durch diese eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht gewährleistet ist, ergeben sich weder aus dem Vortrag des Angeklagten noch sind solche Umstände sonst ersichtlich. Ob ein Verteidiger von der Möglichkeit zur Stellungnahme zum Antrag des Generalbundesanwalts Gebrauch macht, obliegt allein seiner Verantwortung (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 349 Rn. 20 mwN). Eine Pflicht des Revisionsgerichts oder des Vorsitzenden, auf die Abgabe einer Stellungnahme nach § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO hinzuwirken, existiert ebenso wenig wie eine solche zur zusätzlichen Übermittlung der Antragsschrift nach § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO an den verteidigten Beschwerdeführer persönlich (vgl. , juris Rn. 1 mwN).
20Angesichts dieser Sachlage besteht für den Angeklagten bei vernünftiger Würdigung kein Grund zu der Annahme, der Senatsvorsitzende habe ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:141123B4STR239.23.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-53468