BGH Beschluss v. - 6 StR 346/23

Anforderungen an Feststellung einer Substanzkonsumstörung und deren überwiegende Ursächlichkeit für begangene Straftaten

Gesetze: § 64 S 1 StGB

Instanzenzug: LG Regensburg Az: 7 KLs 507 Js 7814/22nachgehend Az: 6 StR 346/23 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln „in nicht geringer Menge“ in Tateinheit mit „vorsätzlichem“ Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen, wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, eine Einziehungsentscheidung getroffen und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c Satz 1 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung überwiegend nicht stand.

3a) Das Urteil enthält keine tragfähigen Feststellungen zu dem vom Angeklagten aus der abgeurteilten Tat B.I.1 der Urteilsgründe nach § 73 Abs. 1 StGB Erlangten.

4aa) Die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB knüpft an § 73 Abs. 1 StGB an und setzt voraus, dass der Täter durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt hat. Einem von mehreren Tatbeteiligten kann die Gesamtheit des aus der Tat Erlangten – mit der Folge einer gesamtschuldnerischen Haftung – nur dann zugerechnet werden, wenn sich die Beteiligten einig sind, dass jedem die Mitverfügungsgewalt hierüber zukommen soll, und er diese auch tatsächlich hatte (vgl. ). Für die Annahme tatsächlicher Verfügungsgewalt genügt es nicht, dass die Tatbeteiligten mittäterschaftlich handelten (st. Rspr.; vgl. etwa mwN).

5bb) Nach den Feststellungen war der Angeklagte bei der Übergabe der Drogen an den Käufer nicht anwesend; vielmehr wurden sie von dem gesondert verfolgten Bruder des Angeklagten an den Käufer übergeben, der hierfür 35.100 Euro zahlte.

6b) Schließlich hat die Strafkammer nicht erkennbar in den Blick genommen, dass die in der Wohnung des Angeklagten sichergestellten 2.200 Euro Bargeld aus den verfahrensgegenständlichen Taten B.I.2 und 5 stammen (§ 73 Abs. 1 StGB) und deshalb auf den einzuziehenden Wert des Tatertrags – ggf. aus Tat B.I.5 – anzurechnen gewesen sein könnten. Ob die Banknoten bereits auf ein Konto der Landesjustizkasse eingezahlt wurden und deshalb ihr Wert einzuziehen gewesen wäre (§ 73c Satz 1 StGB; vgl. ), lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.

7c) Die tatsächlichen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO) und können durch ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

82. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ist ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern.

9a) Sie richtet sich nach § 64 StGB in der Fassung des am in Kraft getretenen Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts (BGBl. I 2023 Nr. 203). Nach § 2 Abs. 6 StGB muss bei Maßregeln der Besserung und Sicherung eine Gesetzesänderung auch vom Revisionsgericht berücksichtigt und grundsätzlich das neue Recht angewendet werden (§ 354a StPO; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 390/07; vom – 6 StR 405/23).

10b) Die auf das Handeltreiben bezogenen sechs Straftaten betrafen Marihuana in Mengen von 15, 13, zehn, acht und vier Kilogramm sowie 500 Gramm. Die bei dem Angeklagten sichergestellte Konsummenge umfasste 14,6 Gramm Marihuana und vier Gramm Haschisch. Der Angeklagte erzielte als Berufssoldat ein monatliches Nettoeinkommen von 2.000 Euro und hatte Schulden in Höhe von 300.000 Euro. Die Strafkammer hat sich zur Begründung den Ausführungen der Sachverständigen angeschlossen, dass der tägliche Cannabis- und der gelegentliche Kokainkonsum des Angeklagten für die verfahrensgegenständlichen Straftaten mitursächlich gewesen seien, weil er durch das Handeltreiben seinen Eigenkonsum habe mitfinanzieren wollen. Infolge seines Hangs seien ohne dessen Behandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere einschlägige Taten von dem Angeklagten zu erwarten.

11c) Nach § 64 Satz 1 StGB erfordert der Hang eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 44, 69). Hierauf muss die rechtswidrige Tat überwiegend zurückgehen; insbesondere in Fällen, in denen Straftaten begangen werden, um – neben dem Drogenkonsum – den eigenen, womöglich aufwendigen Lebensbedarf zu finanzieren, etwa bei einem „Großdealer“, der selbst auch die gehandelte Droge konsumiert, wird die Ursächlichkeit des Hangs abzulehnen sein (BT-Drucks. aaO, S. 47).

12aa) Die Urteilsgründe belegen keine Substanzkonsumstörung mit dauernder und schwerwiegender Beeinträchtigung der Lebensgestaltung. Die sachverständig beratene Strafkammer hat das Vorliegen eines Abhängigkeitssyndroms verneint und keine Feststellungen zu den Auswirkungen des Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten auf seine berufliche Tätigkeit oder zu einer etwaigen Vernachlässigung sonstiger Interessen oder sozialer Verpflichtungen getroffen. Dass der Angeklagte „sozial gefährdet“ erscheint, ist nicht durch Anknüpfungstatsachen unterlegt. Der Angeklagte war als Berufssoldat tätig und lebte in einer Partnerschaft.

13bb) Ferner ist nicht festgestellt, dass die Taten überwiegend auf die Substanzkonsumstörung zurückgehen. Hiergegen spricht schon die Menge der gehandelten Betäubungsmittel im Vergleich zu der sichergestellten Eigenkonsummenge, zumal der Angeklagte Schulden aus einem zur Finanzierung des Erwerbs seiner Eigentumswohnung aufgenommenen Darlehen hatte.

14d) Der Senat hebt die den Maßregelausspruch betreffenden Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen. Dieses wird auch zu berücksichtigen haben, dass infolge der Änderung von § 64 Satz 2 StGB das Erreichen des Unterbringungsziels „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten“ sein muss.

15Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass im Urteil die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen so wiederzugeben sind, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist, wenn sich das Tatgericht – wie hier – ohne weitere eigene Erwägungen den Ausführungen eines Sachverständigen anschließt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 168/14, NStZ-RR 2014, 244; vom – 4 StR 497/14, NStZ-RR 2015, 71; vom – 3 StR 103/15).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:141123B6STR346.23.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-53458