BSG Beschluss v. - B 10 KG 1/23 B

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - sozialrechtliches Kindergeld - Kindergeld für sich selbst - Kindergeldberechtigung von Kindern mit Eltern im Ausland - Unmöglichkeit des Elternnachzugs nach Deutschland - Geltendmachung einer verfassungswahrenden Analogie - Gleichheitssatz - Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers - Darlegungsanforderungen

Gesetze: § 1 Abs 2 S 1 Nr 2 Alt 2 BKGG 1996, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, Art 3 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: S 25 KG 7/19 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 13 KG 1/21 Urteil

Gründe

1I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit hat das einen Anspruch des 1998 in Syrien geborenen und 2015 als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland eingereisten Klägers auf Kindergeld für sich selbst (§ 1 Abs 2 Bundeskindergeldgesetz <BKGG>) verneint. Zur Begründung hat sich das LSG die Gründe des vorausgegangenen Urteils zu eigen gemacht. Darin hat das SG die Klage abgewiesen, weil der Kläger entgegen § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG weder Vollwaise sei noch den Aufenthalt seiner Mutter nicht kenne. Ihm sei vielmehr bekannt, in welchem Ort in Syrien sie lebe und welche Wohnung sie dort angemietet habe. Teilweise habe er sogar die Miete bezahlt und stehe zudem in zumindest telefonischem Kontakt zu seiner Mutter. Die vom Gesetz verlangte Kenntnis des Aufenthalts sei nicht gleichzusetzen mit der Kenntnis einer nach nationalem Recht vergleichbaren ladungsfähigen Anschrift. Es genüge, wenn ein Kind wisse, wo sich sein Elternteil grundsätzlich aufhalte, weil dann der Kontakt grundsätzlich herstellbar sei (Urteil vom ). Zudem nahm das LSG Bezug auf die Gründe seines Beschlusses vom , mit dem es die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat. Bereits nach dem Wortlaut des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG scheide eine Zahlung von Kindergeld an den Kläger aus. Auch eine erweiternde Auslegung komme nicht in Betracht.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt und mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet.

3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Der Kläger hat den von ihm allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht in der danach vorgeschriebenen Weise dargelegt.

4Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB - juris RdNr 14; - juris RdNr 6).

6Hierzu führt er aus, die Frage sei klärungsbedürftig, denn sie sei durch das BSG noch nicht entschieden. Die Antwort ergebe sich nicht zweifelsfrei aus dem Gesetz. Vielmehr werfe die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, aber auch die partiell für andere Regelungsbereiche ergangene Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit und des BVerfG Auslegungszweifel auf. So habe das BSG bereits mit Urteil vom (B 10 KG 1/14 R - BSGE 119, 33 = SozR 4-5870 § 1 Nr 4) festgehalten, dass nach den Motiven des Gesetzgebers das sozialrechtliche Kindergeld nach § 1 Abs 2 BKGG dazu diene, die Belastungen, die mit einem Status als Vollwaise oder alleinlebendes Kind einhergingen, anzuerkennen. Hätte der damals zuständige Bundestagsausschuss auch nur annähernd die Situation von größtenteils minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen antizipiert wie sie 2015 aufgetreten sei, wären auch Kinder, denen die im Ausland lebenden Eltern keine Unterstützung gäben und die die Elternstelle nie wieder einnehmen könnten, in den Kreis der Berechtigten aufgenommen worden. Dies sei auch aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten von Verfassungs wegen und aufgrund internationaler Abkommen geboten. Die Frage sei in einem anschließenden Revisionsverfahren auch klärungsfähig. Denn das BSG sei in der Lage, über die Rechtsfrage sachlich zu entscheiden, weil sie im konkreten Rechtsstreit entscheidungserheblich sei.

7Es kann dahinstehen, ob der Kläger damit eine hinreichend konkrete Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht aufgeworfen und in den weiteren Ausführungen den vom Revisionsgericht erwarteten klärenden Schritt ausreichend konkret dargelegt hat. Jedenfalls hat er - die Qualität als Rechtsfrage unterstellt - die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit dieser Frage nicht den nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG diesbezüglich geltenden Anforderungen genügend dargelegt.

8Hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit versäumt es der Kläger, im Einzelnen auf die Voraussetzungen der von ihm angestrebten verfassungskonform erweiternden Auslegung oder aus Gründen des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsanspruchs gebotenen analogen Anwendung (vgl zur Methodik - SozR 4-5870 § 1 Nr 2 RdNr 19 ff) des § 1 Abs 2 BKGG einzugehen (vgl zu diesem Erfordernis - juris RdNr 9). So räumt der Kläger selbst ein, dass der Wortlaut des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG einem Kindergeldanspruch für Kinder von Eltern, deren Aufenthaltsort im Ausland bekannt ist, entgegensteht. Zu den Voraussetzungen einer deshalb allein in Frage kommenden Analogie deutet er zwar an, der Gesetzgeber habe die 2015 aufgetretene Situation einer erheblichen Zahl von minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen nicht antizipiert. Jedoch fehlen Ausführungen dazu, dass dem Gesetzgeber das Phänomen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge nicht bereits früher bekannt war (vgl zum Fall eines 1989 eingereisten minderjährigen Asylbewerbers - juris), ohne dies zum Anlass für eine von der Kenntnis um den Aufenthaltsort der Eltern unabhängige Einbeziehung in den Kreis der Anspruchsberechtigten zu nehmen.

9Darüber hinaus versäumt es der Kläger, wie zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit in Hinblick auf eine vermeintlich gebotene verfassungswahrende Analogie erforderlich, darzutun, dass eine wortlautgetreue Auslegung des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG zu verfassungswidrigen Ergebnissen führte. Hierzu ist unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG insbesondere aufzuzeigen, dass der Gesetzgeber bei einer solchen Auslegung die gesetzlichen Grenzen seines Gestaltungsspielraums überschritten und in unzulässiger Weise verletzt hat (vgl - juris RdNr 9 mwN). Eine solche substantiierte Erörterung bezogen auf die vom Kläger als potentiell verletzt angesehene verfassungsrechtliche Norm (Art 3 Abs 1 GG) lässt die Beschwerdebegründung vermissen.

10Schließlich hat der Kläger auch die Klärungsfähigkeit der formulierten Frage nicht dargelegt. Die Beschwerdebegründung lässt durchgängig offen, welche der darin mitgeteilten Tatsachen vom LSG im angegriffenen Urteil festgestellt worden sind. Nur solche Tatsachen können aber einer Entscheidung des BSG in der angestrebten Revision zugrunde gelegt werden. Insbesondere wird nicht mitgeteilt, welche Feststellungen das LSG in Bezug auf die (Un-)Möglichkeit der Mutter des Klägers getroffen hat, durch einen Wohnsitzwechsel und eine Einreise nach Deutschland die Voraussetzungen für die Zahlung von Kindergeld nach dem BKGG oder dem Einkommensteuergesetz (EStG) zu erfüllen. Die Unmöglichkeit eines solchen Verhaltens hat der Kläger jedoch zum Ausgangspunkt der von ihm formulierten Frage gemacht. Ohne die Angabe der vom LSG festgestellten Tatsachen ist der Senat nicht in der Lage, wie erforderlich, allein aufgrund der Beschwerdebegründung die Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsfrage zu beurteilen (vgl stRspr; zB - juris RdNr 5; - juris RdNr 13, jeweils mwN).

11Dass der Kläger die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB - juris RdNr 10; - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).

12Die Bitte des Klägers um einen richterlichen Hinweis für den Fall, dass "der Senat an der einen oder anderen Stelle Ergänzungen oder Erläuterungen für notwendig" erachte, kann nicht dazu führen, dass von einer Entscheidung über die nicht formgerecht begründete Beschwerde zunächst abzusehen wäre. Denn es besteht keine Verpflichtung des Senats, den anwaltlich vertretenen Kläger vor einer Entscheidung über seine Beschwerde auf Mängel der Beschwerdebegründung hinzuweisen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, die Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang des § 73 Abs 4 SGG (vgl B 10 ÜG 1/22 B - juris RdNr 19; - juris RdNr 12).

13Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

14Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:040923BB10KG123B0

Fundstelle(n):
CAAAJ-53144