BVerwG Urteil v. - 7 A 1/22

Planfeststellungsbeschluss "ABS Berlin - Frankfurt/Oder - Grenze D/PL, PRA 1, PA 16, Bahnhof Berlin Köpenick und Parallelmaßnahmen S3 Ost"; Einwendungen gegen die Verlegung einer Eisenbahnüberführung

Leitsatz

1. Der Begriff der Betriebsanlage in § 2 Abs. 6 und § 18 Abs. 1 Satz 1 AEG wird auch nach Einfügung des Begriffs der Eisenbahnanlagen in § 1 Abs. 5 ERegG und § 2 Abs. 6a AEG im Sinne der Begriffe der Schienenwege in § 36 BBahnG 1993 und der Bahnanlagen in § 4 EBO verstanden. Der nachträglich eingefügte Begriff der Eisenbahnanlagen hat eine regulierungsrechtliche Bedeutung.

2. Als notwendige Folgemaßnahme im Sinne des § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist eine Maßnahme anzusehen, die für eine angemessene Entscheidung über die durch die anlassgebende Maßnahme aufgeworfenen Konflikte erforderlich ist; dabei darf sie nicht wesentlich über Anschluss und Anpassung hinausgehen und unterliegt insoweit räumlichen und sachlichen Beschränkungen. Eine Folgemaßnahme ist abzugrenzen von anderen Anlagen, die ein umfassendes Planungskonzept benötigen.

3. Eine Summationsbetrachtung der Lärmimmissionen durch zwei Planvorhaben verschiedener Planungsträger ist jedenfalls dann nicht sachgerecht, wenn die durch das eine Vorhaben verursachten Immissionen dem anderen Planungsträger nicht zugerechnet werden können und insbesondere, wenn diese Immissionen zum Zeitpunkt der Entscheidung über das andere Vorhaben in sachlicher und zeitlicher Hinsicht noch nicht hinreichend konkretisiert sind.

Gesetze: § 50 Abs 1 Nr 6 VwGO, § 18e Abs 1 AEG, § 41 Abs 1 BImSchG, § 43 BImSchG, § 2 BImSchV 16, § 3 BImSchV 16, § 75 Abs 1 S 1 VwVfG, § 78 VwVfG, § 36 Abs 1 S 1 BBahnG vom , § 4 EBO

Tatbestand

1Die Klägerin wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom für das Vorhaben der Beigeladenen "ABS Berlin-Frankfurt/Oder - Grenze D/PL, PRA 1, PA 16, Bahnhof Berlin-Köpenick und Parallelmaßnahmen S3 Ost" (Bahn-km 10,360 - 13,580 der Strecken 6153 Berlin-Gruben bzw. 6004 Berlin-Erkner).

2Die gesamte Ausbaustrecke Berlin - Frankfurt/Oder - Grenze D/PL ist als Korridor North Sea - Baltic Bestandteil des Trans-European Network (TEN) Transport. Im Bundesschienenwegeausbaugesetz wurde diese Ausbaustrecke in den Vordringlichen Bedarf eingeordnet. Die Realisierung der Ausbauziele umfasst auf der Südseite der durchgehenden Hauptgleise der Strecke 6153 zwischen ~km 10,7 (Bahnhofsteil Stadtforst) und ~km 11,9 (Einfahrweichen Güterbahnhof) ein weiteres Hauptgleis.

3Teil des Vorhabens sind Ersatzneubauten mehrerer Eisenbahnüberführungen, unter anderem auch der Eisenbahnüberführung Hämmerlingstraße. Die auf Höhe von km 11,119 bestehende, bisher schiefwinklige Eisenbahnüberführung über die Hämmerlingstraße (Baujahr 1910/11) wird zurückgebaut. Auf Höhe von km 11,073 wird ein rechtwinkliges Ersatzbauwerk errichtet und die darunter verlaufende Straße nördlich an den bestehenden Knotenpunkt Hämmerlingstraße/Schubertstraße/Am Bahndamm angebunden. Südlich wird die Hämmerlingstraße parallel zur Bahn nach Nordwesten abgeschwenkt und bis an die neue Eisenbahnüberführung herangeführt. Die Abmaße der neuen Eisenbahnüberführung berücksichtigen das Straßenbauvorhaben "Westumfahrung Bahnhofstraße" (ehemals "Ost-West-Trasse"), das die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz plant. Die geplante Trasse kann durch das Ersatzbauwerk Eisenbahnüberführung Hämmerlingstraße geführt werden.

4Die Klägerin hat als Wohnungsbaugenossenschaft einen Bestand von 5 400 Mietwohnungen, auch entlang der neu zu bauenden Bahnstrecke. Wohneinheiten der Klägerin werden nördlich und südlich der Trasse insbesondere in der Hämmerlingstraße, der Thürnagelstraße, der Gelnitzstraße und der Straße Am Bahndamm lärmbetroffen sein. Insgesamt sind dies 18 Wohnhäuser mit einer Lärmbelastung nachts von 50 bis zu 56 dB(A). Das planfestgestellte Schallschutzkonzept sieht vor, entlang eines Großteils der bislang unabgeschirmten Strecke Schallschutzwände (Außen- und Mittelwände mit Höhen von 2 bis 6 m über Schienenoberkante) zu errichten, in ausgewählten Abschnitten das Verfahren "Besonders überwachtes Gleis" anzuwenden und Schienenstegdämpfer einzubauen.

5Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin ausdrücklich nicht gegen den Planfeststellungsbeschluss als solchen, sondern gegen den Ersatzbau der Eisenbahnüberführung Hämmerlingstraße. Zur Begründung führt sie aus, dass es für die Verlegung der Eisenbahnüberführung Hämmerlingstraße an einer eisenbahnrechtlichen Rechtsgrundlage fehle. Weder stelle diese eine Betriebsanlage einer Eisenbahn noch eine Folgemaßnahme des Planfeststellungsvorhabens dar. Vielmehr handele es sich um ein landesstraßenrechtlich planfestzustellendes Vorhaben. Der Planfeststellungsbeschluss sei auch insoweit rechtswidrig, als die Verkehrslärmbelastungen durch das Straßenbauvorhaben "Westumfahrung Bahnhofstraße" nicht mit einbezogen worden seien. Die Alternativenprüfung sei fehlerhaft, weil sich die Wiederherstellung der vorhandenen Eisenbahnüberführung Hämmerlingstraße als beste Lösung hätte aufdrängen müssen.

6Die Klägerin beantragt,

den Planfeststellungsbeschluss für das Vorhaben "ABS Berlin-Frankfurt/Oder - Grenze D/PL, PRA 1, PA 16, Bahnhof Berlin-Köpenick und Parallelmaßnahmen S3 Ost" vom aufzuheben,

hilfsweise,

den Planfeststellungsbeschluss für rechtswidrig und nicht vollziehbar zu erklären,

weiter hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, über die Ansprüche auf Schutz vor Immissionen aus dem Bau und Betrieb in einem ergänzenden Verfahren zum Planfeststellungsbeschluss vom erneut zu bescheiden.

7Die Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,

die Klage abzuweisen.

8Die Beklagte macht geltend, dass wegen der planfestgestellten Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes grundsätzlich mit einer Reduzierung der bestehenden Lärmbelastung zu rechnen sei. Lediglich an einem Grundstück der Klägerin erhöhe sich die Lärmbelastung in wesentlichem Umfang; dort sei passiver Lärmschutz vorgesehen. Die vorhandene Eisenbahnüberführung sei derzeit in schlechtem Zustand und müsse ersetzt werden. Die Verlegung um wenige Meter ermögliche es, die neue Überführung zu errichten, während die alte noch in Betrieb sei. Außerdem müsse die neue Überführung zwingend nach Süden hin erweitert werden, weil zum planfestgestellten Vorhaben ein weiteres Gleis gehöre. Die von der Klägerin vorgeschlagene Variante, die Eisenbahnüberführung Hämmerlingstraße nur als sogenanntes Vorsorgebauwerk mit Seitenwänden und Deckel auszuführen, sei nicht geeignet, die vom Vorhaben aufgeworfenen Probleme zu lösen. Ob und wo die geplante Westumfahrung Bahnhofstraße den Bahndamm queren werde, sei noch nicht festgelegt.

9Die Beigeladene ergänzt, dass die Klägerin zu Unrecht eine Einbeziehung der Straßenverkehrsimmissionen durch die Westumfahrung Bahnhofstraße fordere. Die Bewältigung dieser Immissionen sei Gegenstand des straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahrens.

10Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

11Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

12A. Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i. V. m. Nr. 25 der Anlage 1 zu § 18e Abs. 1 AEG erst- und letztinstanzlich zur Entscheidung über die Klage zuständig.

13B. Die Klägerin ist gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Sie kann wegen der Lärmbetroffenheit von Grundstücken, die in ihrem Eigentum stehen, geltend machen, möglicherweise in ihrem Schutzanspruch aus § 41 Abs. 1 BImSchG verletzt zu sein (vgl. 7 A 13.20 - BVerwGE 173, 296 Rn. 24, und vom - 7 A 9.21 - NVwZ 2023, 1090 Rn. 18). Nach dieser Vorschrift ist beim Bau oder der wesentlichen Änderung unter anderem von Eisenbahnen sicherzustellen, dass durch diese keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind.

14Die Klägerin ist allerdings nicht enteignungsbetroffen; ihre Grundstücke werden für das Vorhaben nicht in Anspruch genommen. Deswegen steht ihr im Hinblick auf den angegriffenen Planfeststellungsbeschluss kein sogenannter Vollüberprüfungsanspruch zu (stRspr, vgl. 7 A 13.20 - BVerwGE 173, 296 Rn. 23).

15C. Der Planfeststellungsbeschluss leidet nicht an Fehlern, die zu seiner Aufhebung, zur Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit oder zur Anordnung weiterer Schutzauflagen führten.

16I. Der Beklagten stand eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Planfeststellungsbeschlusses auch im Hinblick auf die Eisenbahnüberführung (EÜ) Hämmerlingstraße und der Anbindung der darunter verlaufenden Straße an das vorhandene Straßennetz zur Verfügung.

171. § 18 Abs. 1 Satz 1 AEG sieht die Planfeststellung für alle Betriebsanlagen einer Eisenbahn vor. Bei der Eisenbahnüberführung bestehend aus einem zweifeldrigen Stahlbetonrahmen mit mittigen Pfeilerscheiben (Bauwerksverzeichnis lfd. Nr. 051) handelt es sich um eine solche Betriebsanlage. Der Begriff der Betriebsanlage ist im Allgemeinen Eisenbahngesetz nicht näher definiert. § 18 Abs. 1 Satz 1 wie auch § 2 Abs. 6 AEG verwenden ihn ohne nähere Bestimmung. Er ist gleichbedeutend mit dem Begriff der "Bahnanlagen" im Sinne des früheren § 36 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbahngesetzes - BBahnG - und der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung - EBO - ( 9 A 12.19 - BVerwGE 170, 33 Rn. 238; Beschluss vom - 9 A 21.08 - UPR 2008, 449 Rn. 7).

18§ 36 BBahnG in der Fassung vom (BGBl. I S. 2123) umfasst ausdrücklich auch die für den "Betrieb der Schienenwege notwendigen Anlagen". § 4 EBO bezieht sich auf alle (aber auch nur solche) Anlagen, die unmittelbar mit dem technischen Bahnbetrieb in räumlicher und funktionaler Verbindung stehen. Dazu zählen neben dem eigentlichen Schienenweg auch alle Nebenanlagen der Schienenwege, die dazu dienen, den Eisenbahntransport abzuwickeln und zu sichern, zum Beispiel Bahnhöfe und Haltepunkte, aber auch die gesamte Infrastruktur der freien Strecke mit ihren Betriebsleit- und Sicherungssystemen ( 9 A 21.08 - Buchholz 310 § 48 VwGO Nr. 3 Rn. 7). Maßgeblich ist die sogenannte Eisenbahnbetriebsbezogenheit, d. h. die Verkehrsfunktion und der räumliche Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb ( 11 A 2.96 - BVerwGE 102, 269 <273>). Entsprechend werden auch Brücken, Tunnel und Überführungsbauwerke von diesem Begriff erfasst (vgl. Seegmüller, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn. 28).

19Dieses Begriffsverständnis hat sich auch nicht mit dem durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich vom (BGBl. I S. 2082) eingeführten Begriff der Eisenbahnanlagen in § 1 Abs. 5 Eisenbahnregulierungsgesetz (ERegG), der in dem Verzeichnis der Eisenbahnanlagen in Anlage 1 des Eisenbahnregulierungsgesetzes näher konkretisiert wird, verändert. Denn diese Begriffswahl diente der Umsetzung der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums (ABl. L 343 S. 32) und entfaltet allein eisenbahnregulierungsrechtliche Wirkungen; mit ihr zielte der Gesetzgeber gerade auf eine Abgrenzung zu den die "Betriebsanlagen" in dem hier in Rede stehenden Sinn umfassenden Begriff der Eisenbahninfrastruktur gemäß § 2 Abs. 6 AEG (BT-Drs. 18/8334 S. 246, zu § 2 Abs. 6 AEG-E). § 2 Abs. 6 AEG, der den Begriff der Betriebsanlagen enthält, ist durch diese Gesetzesnovelle unverändert geblieben.

20Gleiches gilt für das Gesetz zur Weiterentwicklung des Eisenbahnregulierungsrechts vom (BGBl. I S. 1737), durch dessen Art. 3 Nr. 1 Buchst. a Abs. 6a in § 2 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes eingefügt wurde und der eine Definition des Begriffs der Eisenbahnanlagen entsprechend § 1 Abs. 5 ERegG enthält. Der Begriff der Betriebsanlagen in Absatz 6 derselben Vorschrift ist auch hierdurch unverändert geblieben.

21Das hier in Rede stehende Überführungsbauwerk erfüllt die beschriebenen Voraussetzungen. Es dient dem Betrieb der zu überführenden Eisenbahnen und steht mit dem Gleisbett in unmittelbarem räumlichem Zusammenhang.

222. Die provisorische Straßenanbindung (Bauwerksverzeichnis lfd. Nr. 070), d. h. die Straße unterhalb der Eisenbahnüberführung wie auch die knapp 50 m lange Straßenverbindung vom südlichen Ausgang der Eisenbahnüberführung parallel zum Bahndamm bis zur bestehenden Hämmerlingstraße, ist als notwendige Folgemaßnahme im Sinne von § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ebenfalls von der Beklagten und nicht vom Land Berlin planfestzustellen. Die Vorschrift ist gemäß § 18 Abs. 1 Satz 3, § 18c AEG neben den spezielleren Vorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetzes anwendbar. Sie enthält einen gesetzlich angeordneten Zuständigkeitswechsel ( 11 A 31.98 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 53 S. 10). Als notwendige Folgemaßnahme ist eine Maßnahme anzusehen, die für eine angemessene Entscheidung über die durch die anlassgebende Maßnahme aufgeworfenen Konflikte erforderlich ist; dabei darf sie nicht wesentlich über Anschluss und Anpassung hinausgehen und unterliegt insoweit räumlichen und sachlichen Beschränkungen. Eine Folgemaßnahme ist abzugrenzen von Maßnahmen, die ein umfassendes Planungskonzept benötigen (vgl. 7 C 11.12 - BVerwGE 151, 213 Rn. 31; Beschluss vom - 9 B 103.09 - Buchholz 316 § 75 VwVfG Nr. 35 Rn. 4). Hat sich ein Planungskonzept des anderen Vorhabenträgers bereits hinreichend konkretisiert und verfestigt, so hat der anlassgebende Vorhabenträger hierauf auch und insbesondere mit den Folgemaßnahmen Rücksicht zu nehmen (vgl. 9 B 103.09 - a. a. O. Rn. 5).

23Die provisorische Straßenanbindung der Hämmerlingstraße im Zuge der neu zu errichtenden Eisenbahnüberführung ist zur Konfliktbewältigung erforderlich. Mit dem Neubau der Eisenbahnüberführung bei gleichzeitig planfestgestelltem Rückbau der bestehenden Eisenbahnüberführung wird die Hämmerlingstraße ohne sonstige Querungsmöglichkeit am Bahndamm unpassierbar unterbrochen. Die Verschwenkung der Hämmerlingstraße und Unterführung unter der neu zu errichtenden Eisenbahnüberführung wird damit zu einer Notwendigkeit, um die durch das Vorhaben im Bereich des Straßennetzes verursachten Probleme zu bewältigen. Die Maßnahme verlässt mit dem knapp 50 m langen Anschlussstück und der Unterführung auch nicht den unmittelbaren räumlichen und sachlichen Zusammenhang zum Gesamtvorhaben. Ein umfassendes Planungskonzept ist hierfür nicht erforderlich. Hiermit wird zudem auf das Planungskonzept der straßenrechtlichen Planfeststellungsbehörde Rücksicht genommen, die für ihr Konzept der Westumfahrung Bahnhofstraße eine entsprechende Querung des Bahndamms in Aussicht nimmt.

24Liegt demnach eine notwendige Folgemaßnahme gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG vor, bleibt für die Annahme kumulierender Verfahren gemäß § 78 Abs. 1 VwVfG kein Raum (vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 78 Rn. 4).

25II. Der Planfeststellungsbeschluss leidet auch an keinem Fehler im Hinblick auf das Lärmschutzkonzept. Methodische Fehler bei der Erstellung der Lärmprognose sind nicht erkennbar (1.). Es war auch keine Summationsbetrachtung mit den Lärmimmissionen durchzuführen, die von dem noch planfestzustellenden Vorhaben des Landes Berlin für eine Westumfahrung Bahnhofstraße ausgehen werden (2.).

261. Gemäß § 41 Abs. 1 BImSchG ist bei dem Bau oder der wesentlichen Änderung öffentlicher Straßen sowie von Eisenbahnen sicherzustellen, dass durch diese keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Grenzwerte und Berechnungsmethoden sind in der auf § 43 Abs. 1 BImSchG beruhenden 16. BImSchV geregelt, die nach ihrem § 6 hier in der vor dem geltenden Fassung Anwendung findet, somit es um die Beurteilung von Straßengeräuschen geht. Die Beurteilungspegel für Straßen sind gemäß § 3 Satz 1 dieser Fassung der 16. BImSchV nach Anlage 1 zur 16. BImSchV zu berechnen. Der Beurteilungspegel für Schienenwege richtet sich gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 16. BImSchV nach Anlage 2.

27Der Vorhabenträger hat bei der Lärmprognose sowohl den Lärm durch den Schienenverkehr als auch den Lärm durch den Straßenverkehr betrachtet, unter Berücksichtigung der Verlegung der Eisenbahnüberführung sowie des provisorischen Straßenanschlusses.

28Im Hinblick auf die Lärmprognose betreffend den Schienenverkehr sind Beanstandungen nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Nach den errechneten Schallpegeln (siehe Unterlage 15.1.4) führt das Vorhaben bei den meisten Immissionspunkten schon durch aktiven Lärmschutz zu einer Verbesserung im Vergleich zum Nullfall. Unter Berücksichtigung des planfestgestellten passiven Lärmschutzes gilt dies für alle Immissionspunkte.

29Auch betreffend den Straßenverkehrslärm ist das Vorgehen methodisch nicht zu beanstanden. Die erstellte Lärmprognose basiert auf der Verkehrsprognose, welche ihrerseits auf der schalltechnischen Untersuchung beruht, die für das Vorhaben Ost-West-Trasse (OWT) - nunmehr bezeichnet als Westumfahrung Bahnhofstraße - erstellt wurde. Dabei wurden die für 2025 angenommenen DTV-Werte in der Projektion für das Jahr 2030 um 50 % erhöht (Unterlage 15.6.1, S. 12), was angesichts der geringen Veränderung der Verkehrsführung zur Konstruktion eines "Worst-Case-Szenarios" nachvollziehbar erscheint. Gestützt wird diese Einschätzung auch dadurch, dass die Klägerin, die die pauschale Erhöhung der DTV-Werte für 2025 um 50 % als sachwidrig erachtet, selbst von geringeren DTV-Werten für das Jahr 2030 ausgeht. Sie stützt sich dabei auf eine Unterlage der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz des Landes Berlin, in welcher für die Westumfahrung Bahnhofstraße eine Prognose 2030 erstellt wurde. Diese sieht eine werktägliche Verkehrsbelastung an der Hämmerlingstraße mit 5 500 Kfz zuzüglich 200 Lkw und an der Straße Am Bahndamm mit 4 000 Kfz zuzüglich 100 Lkw vor (Schriftsatz der Klägerin vom ). Die demgegenüber von der Vorhabenträgerin in die Berechnung eingestellten Werte von 7 800 Fahrzeugen täglich für die Hämmerlingstraße und 6 900 Fahrzeugen für die Straße Am Bahndamm liegen - dem Gedanken eines "Worst-Case-Szenarios" entsprechend - deutlich darüber. Im Ergebnis führt die auf diesen Daten basierende Prognose 2030 und die hierauf gestützte Berechnung, welche verschiedene Gebäudeseiten und Geschosse gesondert berücksichtigt, nur an einem einzigen Immissionspunkt zu einer Erhöhung um 2,1 dB(A) - gerundet = 3,0 dB(A) = Relevanzschwelle nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 16. BImSchV. Hier ist entsprechend passiver Lärmschutz vorgesehen.

30Der weitere Einwand der Klägerin, wegen der größeren lichten Höhe des geplanten Eisenbahnüberführungsbauwerks im Vergleich zu dem bestehenden würde künftig der gesamte durch Köpenick führende Lkw-Verkehr über die Hämmerlingstraße abgewickelt, ist schon nicht hinreichend substantiiert begründet worden. Vor allem steht er im Widerspruch zu den Prognosewerten, die die Klägerin selbst vorgelegt hat und aus denen sich eine tägliche Anzahl von 200 Lkw ergibt. Außerdem hat die Beklagte im Planfeststellungsbeschluss (S. 159) dargelegt, dass die Durchfahrthöhe wegen der Straßenbahnfahrleitung im Vergleich zu der vorhandenen Eisenbahnüberführung nicht größer sein wird.

31Anders als von der Klägerin angenommen, sind die Lärmbelastungen durch die Schiene und der veränderten Straßenführung auch gemeinsam betrachtet worden. Dies ist in Unterlage 15.6.1, S. 14 f. dargestellt. Im Ergebnis führt die Gesamtmaßnahme danach an allen Immissionspunkten zu reduzierten Immissionspegeln.

322. Es war auch keine Summationsbetrachtung mit dem Vorhaben Westumfahrung Bahnhofstraße durchzuführen. Für die Planfeststellung dieses Vorhabens ist das Land Berlin zuständig. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegt insoweit ein Planungskonzept vor. Planfeststellungsunterlagen sind noch nicht ausgelegt worden.

33a) Schon aus dem Wortlaut des § 41 Abs. 1 BImSchG folgt, dass dem Grundsatz nach jedes Vorhaben im Hinblick auf die Lärmbelastung getrennt zu betrachten ist. Denn dort heißt es, dass "bei dem Bau oder der wesentlichen Änderung" von Straßen sowie von Eisenbahnen keine schädlichen Umwelteinwirkungen "durch diese" hervorgerufen werden sollen. Die Einbeziehung schädlicher Umwelteinwirkungen anderer Vorhaben widerspräche dem Wortlaut der hier maßgeblichen Vorschrift (vgl. 4 A 5.04 - BVerwGE 123, 23 <33> und vom - 7 A 24.12 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 63 Rn. 23 ff.). Hierbei geht es um die Frage eines adäquaten Ursachenzusammenhangs und der Zurechnung von Lärmverantwortlichkeiten (vgl. 9 A 28.04 - BVerwGE 124, 334 <339>). Eine Summationsbetrachtung kann vor diesem Hintergrund allenfalls dann sachgerecht sein, wenn ein Vorhaben zu einem zwingenden Anpassungsbedarf an einem schon vorhandenen Verkehrsweg führt ( 7 A 24.12 - a. a. O. Rn. 25) oder wenn mittelbare Lärmbelastungen durch eine andere Lärmquelle absehbar und maßgeblich auf die Realisierung des geplanten Vorhabens zurückzuführen sind ( 9 A 28.04 - a. a. O.). Beides setzt zudem voraus, dass das weitere Vorhaben in sachlicher und zeitlicher Hinsicht hinreichend konkretisiert ist, damit die von ihm ausgehenden Lärmemissionen mit in die Betrachtung einbezogen werden können.

34Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Es kann schon nicht angenommen werden, dass der geplante Neubau der Eisenbahnüberführung Hämmerlingstraße als solcher bestimmte, zusätzlichen Straßenlärm verursachende Verkehrsströme nach sich ziehen wird. Dessen ungeachtet sind das Straßenbauvorhaben und seine Lärmwirkungen vor Erlass des diesbezüglichen Planfeststellungsbeschlusses nicht konkret absehbar. Es wäre auch nicht sachgerecht, solche Lärmimmissionen der Beklagten zuzurechnen, da sie auf einem autonomen planerischen Willen eines anderen Planungsträgers beruhten.

35b) Eine Summationsbetrachtung kann auch dann geboten sein, wenn der neue oder der zu ändernde Verkehrsweg zusammen mit vorhandenen Vorbelastungen anderer Verkehrswege insgesamt zu einer gesundheits- oder die Substanz des Eigentums gefährdenden Belastung führt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 BN 14.06 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 125 Rn. 6 und vom - 9 A 16.16 - DVBl. 2018, 1426 Rn. 85). Das kann hier aber gerade nicht festgestellt werden. Die Lärmbelastungen durch das nach Auffassung der Klägerin einzubeziehende Vorhaben stehen noch nicht fest; sie ist noch nicht vorhanden. Eine etwaige Summationsbetrachtung hätte im zukünftigen straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren zu erfolgen.

36c) Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, ihr würde effektiver Rechtsschutz verwehrt, weil, so ihre Argumentation, ohne die Berücksichtigung des Vorhabens Westumfahrung Bahnhofstraße die Lärmpegel sich in mehreren Schritten um Werte unter 2,1 dB(A) erhöhen könnten, die jeweils für sich betrachtet irrelevant, in der Summe aber relevant wären; da jede einzelne Erhöhung bei der nächsten als Vorbelastung hinzunehmen sei, könnte die Relevanzschwelle von 3,0 dB(A) auf diese Weise umgangen werden.

37Das von der Klägerin beschriebene Phänomen der Möglichkeit einer schleichenden Lärmerhöhung bei verschiedenen konsekutiv durchgeführten Vorhaben ist sachlich richtig. Es stellt aber kein Problem effektiven Rechtsschutzes dar. Denn Rechtsschutz wird gegen jedes Einzelvorhaben gewährt. Die Klagemöglichkeit steht jedem Lärmbetroffenen offen. Es ist vielmehr eine Frage des materiellen Rechts, dass Rechtsbehelfe gegen die verschiedenen Vorhaben erfolglos bleiben können, wenn die für eine Anspruchsbegründung erforderlichen Lärmpegel jeweils nicht erreicht werden. Das sieht das geltende Recht so vor (vgl. Storost, UPR 2015, 121 <124>). Lärmbetroffene werden gleichwohl vor ausuferndem Lärm durch die Rechtsordnung geschützt, weil aus der Schutzpflicht des Staates für die Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 GG) eine absolute Obergrenze der Lärmbelastung herzuleiten ist (vgl. 9 A 72.07 - BVerwGE 134, 45 Rn. 69). Schutzpflichten ergeben sich auch gegenüber hier allein in Betracht kommenden Lärmbeeinträchtigungen des Eigentums aus Art. 14 Abs. 1 GG ( 9 A 20.11 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 229 Rn. 28; Beschluss vom - 4 BN 14.06 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 125 Rn. 6).

38III. Der Planfeststellungsbeschluss weist auch keinen Fehler betreffend die Variantenauswahl auf. Das fachplanerische Abwägungsgebot (§ 18 Abs. 1 Satz 2 AEG) verlangt, sich ernsthaft anbietende Alternativlösungen bei der Zusammenstellung des abwägungserheblichen Materials zu berücksichtigen und mit der ihnen objektiv zukommenden Bedeutung in die vergleichende Prüfung der von den möglichen Alternativen jeweils berührten öffentlichen und privaten Belange einzustellen ( 7 B 15.17 - Buchholz 451.224 § 36 KrWG Nr. 1 Rn. 16). Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit wären nur überschritten, wenn der Behörde beim Auswahlverfahren infolge fehlerhafter Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen wäre oder sich eine andere Variante unter Berücksichtigung aller Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere hätte aufdrängen müssen ( 9 A 4.13 - NVwZ 2014, 1008 Rn. 117 und vom - 7 A 13.20 - BVerwGE 173, 296 Rn. 69).

39Danach hat die Beklagte die ihr zustehende planerische Gestaltungsfreiheit nicht überschritten. Namentlich ist es vertretbar, anstatt der Instandsetzung der vorhandenen Eisenbahnüberführung eine neue zu planen. Das vorhandene Bauwerk ist über 100 Jahre alt und in sehr schlechtem baulichen Zustand. Zudem wäre es wegen der Erweiterung der Trasse um ein weiteres Gleis in seinen Dimensionen nicht ausreichend. Auch durfte die Beklagte berücksichtigen, dass der Straßenverkehrsbetrieb während der Bauphase geschont wird, wenn zunächst die neue Überführung gebaut und dann die vorhandene rückgebaut wird. Schließlich ist es nicht sachwidrig, sondern geradezu geboten, bei der Variantenauswahl auch auf die Belange anderer Planungsträger Rücksicht zu nehmen (vgl. 9 B 103.09 - Buchholz 316 § 75 VwVfG Nr. 35 Rn. 5). Das Land Berlin hat die gewählte Variante im Hinblick auf das dortige Planungsverfahren Westumfahrung Bahnhofstraße bevorzugt.

40Das im Übrigen von der Klägerin kursorisch angesprochene Vorsorgebauwerk, bestehend aus Seitenwänden und Deckel, musste die Beklagte nicht ernsthaft in Betracht ziehen. Es hätte die Ziele der Planfeststellung nicht erfüllen können und wäre nicht zur Konfliktbewältigung geeignet gewesen. Es hätte nicht den anfallenden Straßenverkehr aufnehmen können; die Nutzung der alten Eisenbahnüberführung wäre aber wegen des weiteren Gleises unmöglich geworden.

41Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:240823U7A1.22.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-52682