Anforderungen an Darlegung der Gefährlichkeitsprognose im Rahmen einer Unterbringungsanordnung
Gesetze: § 267 StPO, § 20 StGB, § 63 StGB
Instanzenzug: Az: 103 KLs 2/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung in zwei Fällen und der Bedrohung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg.
21. Die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sind nicht rechtsfehlerfrei dargetan.
3a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf nur dann angeordnet werden, wenn ‒ neben der höhergradigen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung erheblicher rechtswidriger Taten ‒ zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dies setzt unter anderem die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Zustandes des Täters voraus, der dazu führte, dass er ‒ sicher feststehend ‒ die Tat zumindest mit erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begangen hat (st. Rspr.; vgl. ‒ 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27; Beschluss vom ‒ 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385 f.). Für die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, ist mithin zunächst die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann ist der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen ( ‒ 4 StR 48/20, juris Rn. 7). In den Urteilsgründen bedarf es einer konkretisierenden Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung des Betroffenen in der konkreten Tatsituation auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; etwa mwN).
4b) Diesen Maßstäben werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
5Bereits die Annahme, der Angeklagte leide unter einer krankhaften seelischen Störung in Form einer paranoiden Schizophrenie, wird vom Landgericht nicht tragfähig begründet.
6Schließt sich der Tatrichter – wie hier – den Ausführungen eines Sachverständigen an, müssen dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; etwa Senat, Urteil vom – 2 StR 173/21, juris).
7Den Feststellungen ist lediglich zu entnehmen, dass laut dem Sachverständigen Dr. R. „eine starke und komplex ausgeprägte wahnhafte Symptomatik mit Beobachtungs- und Verfolgungserleben vor[liege], wobei hier unbeteiligte Personen aus dem Umfeld mitunter in das psychotische Innenerleben mit eingebaut würden. Diese Erkrankung liege ausweislich der Behandlungshistorie bereits seit mehreren Jahren und damit auch zu den hier relevanten Tatzeitpunkten im November 2021 und August 2022 vor“. Da weder das Beobachtungs- und Verfolgungserleben noch die Behandlungshistorie und die Entwicklung des Angeklagten im Rahmen der zwischen August und November 2022 vollzogenen Untersuchungshaft und der seit November 2022 laufenden einstweiligen Unterbringung näher ausgeführt werden, ist weder die Annahme einer paranoiden Schizophrenie noch die Bewertung ihres Ausprägungsgrades („stark und komplex ausgeprägt“) nachvollziehbar begründet.
8c) Auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht seine Gefährlichkeitsprognose begründet hat, erweisen sich als lückenhaft.
9aa) Soweit die Strafkammer neben dem angeklagten Tatgeschehen auch drei Taten aus der Vergangenheit in den Blick genommen hat (Taten vom , und ), genügen die – formelhaft gefassten – Ausführungen zur Aufhebung der Einsichtsfähigkeit aus den genannten Gründen ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen.
10bb) Auch hat das Landgericht nicht erkennbar berücksichtigt, dass der Angeklagte, obwohl er „seit mehreren Jahren“ erkrankt ist, bereits seit Dezember 2018 mehrfach stationär behandelt worden ist und sich sein Zustand nach der 2019 erfolgten Trennung von seinem Freund „fortlaufend verschlechterte“, über einen längeren Zeitraum strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Dieser Umstand ist aber ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Taten, das im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist (st. Rspr., vgl. etwa mwN).
112. Die aufgezeigten Erörterungsmängel führen zu einer Aufhebung der Unterbringungsentscheidung, da der Senat nicht ausschließen kann, dass die Strafkammer bei fehlerfreier Würdigung zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis gelangt und eine Unterbringung nach § 63 StGB nicht angeordnet hätte. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Hingegen unterliegt auch der Freispruch der Aufhebung (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:160823B2STR146.23.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-51925