Beschwerde gegen die Bestellung eines Pflichtverteidigers
Gesetze: § 140 Abs 2 StPO, § 153a Abs 1 StPO, § 153a Abs 2 StPO, § 90 Abs 1 S 2 WDO 2002, § 106 Abs 2 S 1 WDO 2002, § 114 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 139 Abs 1 S 1 WDO 2002
Instanzenzug: Truppendienstgericht Süd Az: S 6 VL 18/22 Beschluss
Tatbestand
1Der Soldat wendet sich gegen eine Pflichtverteidigerbestellung.
21. Der ... geborene Soldat ist Berufssoldat. Er wurde zuletzt 2017 zum Oberstleutnant befördert, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Auszüge aus dem Zentralregister und aus dem Disziplinarbuch nach dem Stand Februar 2022 enthalten keine Einträge.
32. In dem am eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren wurde der Soldat, der die Vorwürfe im Schlussgehör als "Unsinn" bezeichnet hatte, am beim Truppendienstgericht Süd eines Verstoßes gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht durch folgendes Verhalten angeschuldigt:
"1.-7.
Die Mutter des Soldaten, Frau ..., hatte diesem am eine umfassende Vorsorgevollmacht erteilt, die auch die Verwaltung deren Vermögens umfasste. Entgegen der dem Soldaten aus diesem Vorsorgeverhältnis obliegenden Vermögensbetreuungspflicht vereinnahmte er in den nachfolgend bezeichneten Fällen die an seine Mutter in Form von Verrechnungschecks ausgezahlte Altersrente für sich, indem er diese auf sein Konto einzahlte und schmälerte damit das Vermögen seiner Mutter, obwohl es dafür keinen billigenswerten Grund gab. Auch bestritt der Soldat anschließend keine nennenswerten Ausgaben aus dieser Rente für seine Mutter.
Die Rente war der Mutter des Soldaten jeweils mit Verrechnungscheck an deren Anschrift ..., übersandt worden. Der ebenfalls unter der Adresse ... wohnhafte Soldat nahm die Verrechnungschecks an sich und löste sie auf seinem Sparkonto bei der Postbank (Konto-Nr. ...) ein.
Im Einzelnen kam es zu folgenden sieben Einzahlungen:
1.
Am zahlte der Soldat die Rente in Höhe von 1.027,69 € auf sein Postsparbuch Nr. ... ein.
2.
Am wurde die Rente in Höhe von 1.024,07 € zunächst dem Postsparbuch der Mutter des Soldaten gutgeschrieben (Kt.-Nr. ...), von wo er diesen Betrag am auf sein eigenes Postsparbuch überwies.
3.
Am verbuchte der Soldat die Rente in Höhe von 1.024,07 € direkt auf seinem eigenen Sparkonto.
4. und 5.
Am und am ließ der Soldat die monatliche Rentenzahlung jeweils abzüglich eines Betrages von 300 €, also in Höhe von jeweils 724,07 €, auf sein Sparkonto verbuchen, wobei er lediglich am zu Gunsten seiner Mutter 50,00 € an die ... Residenz ... überwies.
6. und 7.
Am und am ließ der Soldat die Rente jeweils in voller Höhe (1.024,07 €) auf seinem Sparkonto verbuchen. Bei der Tat 6. ist lediglich ein Betrag von 19,27 € in Abzug zu bringen, da der Soldat insofern eine Zahlung an die Tagespflege ... vornahm.
8.-14.:
Die Mutter des Soldaten, Frau ..., litt spätestens Anfang 2015 an fortgeschrittener Demenz und war dadurch erkennbar nicht in der Lage, Sachverhalte, die über die einfachsten Dinge hinausgehen, kognitiv zu bewältigen. Diesen Umstand machte der Soldat sich zu Nutze, um diverse Schreiben mit dem Absender seiner Mutter zu verfassen, um damit den Empfängern vorzutäuschen, es handele sich um Gedankenäußerungen, Anliegen und Forderungen seiner Mutter, obwohl es sich in Wirklichkeit allein um eigene Äußerungen des Soldaten handelte. Diese Schreiben, die jeweils auch rechtlich relevante Anträge beziehungsweise Forderungen enthielten, erweckten aufgrund des jeweils verwendeten Briefkopfes den Eindruck, dass sie von der Geschädigten verfasst wurden.
Im Einzelnen handelte es sich um folgende Schreiben unter dem Namen seiner Mutter:
8.
Mit Schreiben vom 'Mai 2016', eingegangen am , forderte der Soldat vom ehemaligen Betreuer seiner Mutter, Rechtsanwalt ..., die Zahlung von Pflegegeld von April 2015 bis Juni 2015 in Höhe von insgesamt 1.698,67 € 'an meine Pflegeperson zu zahlen', wobei er um Überweisung dieses Betrages auf ein Bankkonto der ... bat. Dabei verheimlichte der Soldat, dass es sich bei dem Namen ... um den Mädchennamen seiner am geheirateten Ehefrau ... handelte.
9.
Mit Schreiben vom 'August 2016', gerichtet an das Amtsgericht ..., wiederholte der Soldat seine Forderung nach Zahlung eines Pflegegeldes von 1.698,67 € auf ein Bankkonto der ...
10.
Mit Schreiben vom 'September 2016', gerichtet an das Amtsgericht ..., eingegangen im Justizzentrum ... am , schrieb der Soldat unter anderem 'Ich möchte Sie daher im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht bitten, mir einen Rechtsbeistand beizuordnen und diesen zu beauftragen, den ... auf Unterlassung zu verklagen sowie hierfür Prozesskostenhilfe zu beantragen'.
11.
Mit Schreiben von 'Mitte Mai 2017', gerichtet an das Amtsgericht ..., eingegangen im Justizzentrum ... am , forderte der Soldat erneut die Aufhebung des Betreuungsverfahrens und erhob Verzögerungsrüge. Der Soldat schrieb u.a.: 'Sofern das Verfahren bis zum nicht aufgehoben sein wird, ist mein heutiges Schreiben am als Dienstaufsichtsbeschwerde weiterzuleiten'.
12.
Im Verfahren ... AG ..., in welchem der Betreuer ... Auskunftsklage gegen den Soldaten erhoben hatte, schrieb dieser 'im Juni 2016' an das Amtsgericht ..., eingegangen im Justizzentrum ... am , unter anderem: 'Ich möchte beantragen, dass Herr ... die Kosten des Rechtsstreits zu zahlen hat. (...). Im Kern geht es wohl darum, dass Herr ... behauptet, der ... habe meine Rentenzahlungen erhalten und vereinnahmt. Das ist jedoch falsch.'
13.
In einem Schreiben vom 'August 2017' an das Landgericht ..., eingegangen dort am , beantragte der Soldat die Berichtigung von zwei Beschlüssen des Amtsgerichts ... Unter anderem führte der Soldat aus: 'Des Weiteren ist die Behauptung meines angeblichen Vertreters, der Beklagte wohne in ..., eine weitere seiner vielen Lügen, auf welche ich teilweise in meinem Schreiben vom Juni 2016 bereits einging'.
14.
In einem Schreiben von 'Mitte November 2017' an das Amtsgericht ..., eingegangen im Justizzentrum ... am , wiederholte der Soldat den Antrag auf Aufhebung des Betreuungsverfahrens und erhob Verzögerungsrüge. Der Soldat erklärte zudem: 'Wenn das Verfahren bis zum nicht aufgehoben sein wird, ist mein heutiges Schreiben am als Dienstaufsichtsbeschwerde auf dem Dienstweg weiterzuleiten.'"
43. Im sachgleichen Strafverfahren hatte das Amtsgericht ... gegen den Soldaten zunächst mit Strafbefehl vom eine Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 90 € verhängt. Auf den Einspruch des Soldaten hatte es mit Urteil vom wegen Untreue in sieben Fällen sowie Urkundenfälschung in sieben Fällen eine Geldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 70 € verhängt und zugunsten der Mutter des Soldaten die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 6 502,37 € angeordnet. Auf die Berufung des Soldaten hatte das Landgericht ... das Verfahren in der Berufungshauptverhandlung vom mit Zustimmung des Soldaten und der Staatsanwaltschaft gemäß § 153a Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 StPO vorläufig und nach Zahlung einer Geldauflage von 3 000 € mit Beschluss vom endgültig eingestellt. Im Sitzungsprotokoll vom heißt es, die Beteiligten stimmten überein, dass hinsichtlich des ersten Tatkomplexes (Vorwürfe der Untreue) ein Freispruch wahrscheinlich sei, während hinsichtlich der Urkundenfälschung weiterhin ein gewisser Tatverdacht bestehe.
54. Der Vorsitzende der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat nach Anhörung des Soldaten mit Beschluss vom Rechtsanwalt ... als Pflichtverteidiger für das erstinstanzliche Verfahren bestellt. Von einer hinreichend schwierigen Sachlage sei schon deshalb auszugehen, weil es sich um einen umfangreichen Sachverhalt handele. Zudem erscheine die Verhängung der Höchstmaßnahme nicht ausgeschlossen.
65. Der Soldat hat gegen den ihn am zugestellten Beschluss am Beschwerde erhoben. Dem Ansatz, eine Sache sei schon immer dann schwierig, wenn sie umfangreich sei, mangele es an Korrelation. Die Sache fuße auf einem abgeschlossenen Strafverfahren. Was dem Strafgericht als "Vorreiter" gelungen sei, werde das Truppendienstgericht auch schaffen. Schwierigkeiten seien damals nicht festgestellt worden und auch nicht ersichtlich.
76. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat von einer Stellungnahme abgesehen.
87. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Gründe
9Die nach § 114 Abs. 1 Satz 1 WDO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Soldaten ist begründet. Die Voraussetzungen für eine Verteidigerbestellung liegen nicht vor. Ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht wegen der schwerwiegenden Folgen einer drohenden Disziplinarmaßnahme oder der besonderen Schwierigkeiten der Sach- und Rechtsfragen zwingend geboten, ist dem Wunsch des Betroffenen, sich selbst zu verteidigen, grundsätzlich Rechnung zu tragen ( 2 WDB 5.19 - Buchholz 450.2 § 90 WDO 2002 Nr. 5 LS).
101. Nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO bestellt der Vorsitzende der Truppendienstkammer dem Soldaten, der noch keinen Verteidiger gewählt hat (vgl. 2 WDB 2.21 - juris Rn. 9 ff.), auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn die Mitwirkung eines solchen geboten erscheint. Der Wortlaut der Norm räumt dem Vorsitzenden ein weites Ermessen ein und verlangt eine prognostische, summarische Betrachtung des Verfahrens. Die Norm ist - wie die strafprozessuale Parallele des § 140 Abs. 2 StPO - Konkretisierung des Rechtsstaatsgebots in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung und stellt sicher, dass der Beschuldigte nicht Objekt des gegen ihn geführten Verfahrens ist, sondern die Möglichkeit hat, auf dessen Ergebnis Einfluss zu nehmen (vgl. 2 WD 6.14 - Buchholz 450.2 § 90 WDO 2002 Nr. 2 Rn. 23 f.).
112. "Geboten" i. S. d. § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO ist die Bestellung eines Verteidigers, wenn sie zum Schutz des Angeschuldigten erforderlich ist. Die Gewährleistung eines fairen Verfahrens kann aus in dem Verfahren, seinem Ablauf und Gegenstand liegenden Gründen, aber auch aus in der Person des Angeschuldigten liegenden Umständen - insbesondere einer (psychischen) Erkrankung oder einer Suizidgefahr - und wegen der Auswirkungen der drohenden Sanktion auf den Angeschuldigten die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lassen (vgl. 2 WDB 11.22 - juris Rn. 9).
12a) Besondere Schwierigkeiten der Sach- und Rechtsfragen gebieten die Beiordnung eines Verteidigers vorliegend nicht.
13aa) Zwar liegen keine nach § 84 WDO bindenden tatsächlichen Feststellungen eines Strafgerichts vor. Auch hat der Soldat die Vorwürfe bestritten. Jedoch stellen die ihm vorgeworfenen, jeweils gleich gelagerten sieben Untreuehandlungen und sieben Urkundenfälschungen ebenso wie die bemessungsrelevanten Tatsachen einen überschaubaren Lebenssachverhalt dar. Dessen Klärung ist nicht mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden, zumal die nicht übermäßig umfangreichen Akten bereits die wesentlichen Ermittlungsergebnisse enthalten. Zwar stehen Zeugenvernehmungen im Raum, soweit nicht gemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 WDO die Niederschriften über die Beweiserhebungen aus den gerichtlichen Strafverfahren durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht gemacht werden. Diese sind aber nicht derart komplex, dass zum Schutz des Soldaten die Hinzuziehung eines Verteidigers geboten wäre.
14bb) Materiell-rechtliche Schwierigkeiten, zu deren Klärung es der Mitwirkung eines Rechtsanwalts bedürfte, wirft im Fall der Erweislichkeit der Vorwürfe weder die Würdigung als Dienstvergehen noch die Bemessung der tat- und schuldangemessenen Maßnahme auf. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, wann ein außerdienstliches strafbares Verhalten eine Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht begründet (vgl. 2 WD 2.22 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 97 Rn. 50 m. w. N.) und wie eine disziplinarisch relevante strafbare außerdienstliche Verfehlung eines Soldaten gegen Eigentum und Vermögen Dritter im Regelfall zu ahnden ist (vgl. 2 WD 19.07 - Buchholz 449 § 17 SG Nr. 42 Rn. 53 m. w. N.). Das Prozessrecht begründet ebenfalls keine besonderen Schwierigkeiten.
15b) Es liegen auch keine Hinweise darauf vor, dass der Soldat nicht in der Lage wäre, sich selbst zu verteidigen. Er ist ... Jahre alt, seit 1998 Soldat bei der Bundeswehr, gestandener Oberstleutnant und legte 2004 die Diplomprüfung im universitären Studiengang Wirtschafts- und Organisationswissenschaften mit der Gesamtnote 1,74 ab. Bereits im sachgleichen Strafverfahren hat er sich erstinstanzlich selbst vertreten. Dementsprechend erscheint eine Pflichtverteidigerbestellung für ihn unter Fürsorgegesichtspunkten nicht zwingend. Dies gilt vor allem, weil weder Hinweise auf eine Verhandlungsunfähigkeit oder psychische Erkrankung des Soldaten noch darauf vorliegen, dass er finanziell außerstande wäre, einen Wahlverteidiger zu mandatieren. Zudem hat der Soldat betont, sich selbst verteidigen zu wollen. Dies ist bei der Ermessensentscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung zu berücksichtigen (vgl. - NJW 2001, 3695 <3696 f.> unter Verweis auf Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK).
16c) Schließlich ist eine Beiordnung nicht deshalb geboten, weil die Auswirkungen der im Raum stehenden Sanktion für den Soldaten besonders schwerwiegend wären. Bei strafbaren außerdienstlichen Verfehlungen eines Soldaten gegen Eigentum und Vermögen Dritter, soweit es sich bei dem Verletzten nicht um einen Bundeswehrsoldaten oder den Dienstherrn handelt, hat der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung ( 2 WD 19.07 - Buchholz 449 § 17 SG Nr. 42 Rn. 53 m. w. N.) im Regelfall ein Beförderungsverbot zum Ausgangspunkt seiner Zumessungserwägungen genommen.
17Zwar wäre ggf. erschwerend zu berücksichtigen, dass nicht nur eine, sondern unter Umständen sieben Untreuetaten und sieben Urkundenfälschungen vorliegen können, sich die angeschuldigte Schadenshöhe im mittleren vierstelligen Bereich bewegt und der Soldat zu den Tatzeitpunkten Vorgesetzter war. Weitere erschwerende Umstände sind den Akten aber nicht zu entnehmen. Insbesondere ist der Soldat nicht anderweitig strafrechtlich oder disziplinarisch vorbelastet und erbrachte ausweislich seiner letzten planmäßigen Beurteilung vom sowie den Stellungnahmen von Oberst i.G. ... vom und von Oberst i.G. ... von Juni 2021 durchschnittliche dienstliche Leistungen. Entgegen der Annahme des Truppendienstgerichts steht daher die Höchstmaßnahme nicht zu erwarten, zumal eine mildernd zu berücksichtigende Verfahrensüberlänge im Raum steht.
183. Die Kostenentscheidung folgt aus § 139 Abs. 1 Satz 1 WDO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:140823B2WDB6.23.0
Fundstelle(n):
QAAAJ-51486