Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Darlegung einer Divergenz und grundsätzlichen Bedeutung - tragender Rechtssatz - Segelanweisung - Winterbeschäftigungs-Umlage - Umlagepflicht - Garten- und Landschaftsbau - Mischbetrieb - Ermittlung der zeitlichen Inanspruchnahme - Nichtberücksichtigung der Tätigkeit des Betriebsinhabers
Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 354 SGB 3 vom , § 171 S 1 SGB 3 vom , § 1 Abs 1 Nr 1 WinterbeschV, § 1 Abs 4 BaubetrV 1980
Instanzenzug: Sozialgericht für das Saarland Az: S 21 AL 50/12 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Saarland Az: L 6 AL 4/21 Urteil
Gründe
11. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist unzulässig, weil weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 SGG).
2a) Eine Abweichung (Divergenz) iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen kann die Zulassung wegen Abweichung begründen (stRspr; vgl etwa - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 160 RdNr 121 mwN).
3Ein Berufungsgericht weicht nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der einer zum selben Gegenstand gemachten und fortbestehend aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht ( - juris RdNr 6).
4Eine solche Divergenz hat die Beklagte nicht aufgezeigt. Die Beklagte entnimmt dem Urteil des LSG den Rechtssatz, dass für die Beurteilung, ob Mischbetriebe aus einem Zweig des Baugewerbes zur Winterbeschäftigungsumlage heranzuziehen sind, darauf abzustellen sei, ob überwiegend Bauleistungen erbracht werden, wobei "die zeitliche Inanspruchnahme des handwerklich im Betrieb tätigen Betriebsinhabers unberücksichtigt" bleibe. Hierin sieht die Beklagte einen Widerspruch zum - BSGE 61, 203 [208] = SozR 4100 § 186a Nr 21 S 58 f = juris RdNr 18), wo der Rechtssatz aufgestellt worden sei, dass es für die Beurteilung "auf die Zahl der in den jeweiligen Bereichen tätigen Personen an[komme], einschließlich des Betriebsinhabers, sofern dieser auch handwerklich im Betrieb tätig [sei]."
5Damit ist eine Divergenz zum einen nicht dargelegt, weil sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen lässt, ob es sich bei den zitierten Formulierungen des BSG um einen tragenden Rechtssatz gehandelt hat. Nur ein tragender Rechtssatz kann eine Divergenz im Sinne des Revisionszulassungsrechts begründen. Insbesondere wird mit sog "Segelanweisungen" im Rahmen einer Zurückverweisung kein tragender Rechtssatz entwickelt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 13; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 160 RdNr 134).
6Zum anderen ist eine Divergenz nicht dargetan, weil die Beklagte sich nicht mit der Frage auseinandersetzt, ob das BSG seine Rechtsprechung - unterstellt, sie sei tragend gewesen - nicht in der Folgezeit selbst aufgegeben hat. Das BSG hat in späteren Entscheidungen nämlich nicht mehr ausgeführt, dass es auf die Zahl der in den jeweiligen Bereichen tätigen Personen einschließlich des Betriebsinhabers ankomme, sondern allein auf die "zeitliche Inanspruchnahme der Mitarbeiter" ( - SozR 3-4100 § 75 Nr 3 S 8 = juris RdNr 16; ebenso bereits AL 6/98 R - BSGE 83, 297 [299] = SozR 3-4100 § 75 Nr 2 S 4 = juris RdNr 19, dort allerdings bezogen auf eine GmbH & Co KG; zuletzt - BSGE 131, 85 = SozR 4-4300 § 354 Nr 1, RdNr 19, allerdings bezogen auf eine GmbH). Die Beschwerdebegründung hätte aufzeigen müssen, ob das gleichwohl noch die aktuelle Rechtsprechung des BSG darstellt (vgl zu dieser Anforderung B 11a AL 143/06 B - juris RdNr 10; - juris RdNr 6; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 15d; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 160a RdNr 129), zumal in der Literatur das Urteil vom , soweit es auf die Anzahl der in den jeweiligen Bereichen tätigen Personen abgestellt hat, als "überholt" angesehen wird (Wehrhahn in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 101 RdNr 84, Stand September 2019).
7b) Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
8In der Beschwerdebegründung ist aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt (etwa - juris RdNr 16; - juris RdNr 3). Die Beschwerdebegründung muss daher eine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht formulieren (etwa - juris RdNr 3 mwN).
9Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Beklagte formuliert für den Fall, dass keine Divergenz vorliege, die Frage, ob "im Rahmen der Heranziehung zur Winterbeschäftigungs-Umlage für die Beurteilung der Frage, ob es sich um einen Betrieb handelt, in dem überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 1 Abs. 1 BaubetrV erbracht werden, auch die arbeitszeitliche Inanspruchnahme des handwerklich im Betrieb tätigen Betriebsinhabers einzubeziehen" ist. Die Beklagte legt aber die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht dar, weil sich aus der Beschwerdebegründung nicht ergibt, weshalb sich die Frage nicht bereits anhand der Rechtsprechung des BSG, insbesondere dessen Urteils vom (B 11 AL 41/99 R - SozR 3-4100 § 75 Nr 3 RdNr 16) beantworten lässt.
102. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:120723BB11AL923B0
Fundstelle(n):
MAAAJ-49384