BGH Urteil v. - I ZR 4/21

Vorlagefrage an EuGH zur pharmakologischen Einordnung eines Blasenmittels - Femannose

Leitsatz

Femannose

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b Fall 1 der Richtlinie 2001/83/EG vom zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 vom , S. 67) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Handelt es sich um eine pharmakologische Wirkung im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b Fall 1 der Richtlinie 2001/83/EG, wenn die in Frage stehende Substanz (hier: D-Mannose) durch eine im Wege von Wasserstoffbrücken vermittelte reversible Bindung an Bakterien verhindert, dass sich die Bakterien an menschliche Zellen (hier: die Blasenwand) binden?

Gesetze: Art 1 Nr 2 Buchst b Alt 1 EGRL 83/2001, Art 267 Abs 1 AEUV, Art 267 Abs 3 AEUV, § 3a HeilMWerbG, § 2 Abs 1 Nr 2 AMG, § 21 Abs 1 S 1 AMG

Instanzenzug: Az: I-6 U 18/20 Urteilvorgehend Az: 84 O 224/17 Urteilanhängig EuGH Az: C-589/23

Gründe

1A. Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrnehmung gewerblicher Interessen seiner Mitglieder gehört. Eine Vielzahl seiner Mitglieder vertreibt Arzneimittel und Medizinprodukte.

2Die Beklagte zu 1 vertrieb das Produkt "Femannose®" als Medizinprodukt "zur Behandlung und Prävention von Zystilitis (Blasenentzündung) sowie anderen Harnwegsinfekten". In dem Produkt waren als wesentliche Bestandteile D-Mannose und Cranberry-Extrakt enthalten. Die Beklagte zu 2 betreibt eine Internetseite, auf der das Produkt bis Mitte Oktober 2017 beworben wurde. Seit Oktober 2017 bringt die Beklagte zu 1 das Produkt ohne den Inhaltsstoff Cranberry-Extrakt unter der Bezeichnung "Femannose® N" in den Verkehr. Auf der Verpackung heißt es nun "zur Prävention und unterstützenden Behandlung von Zystilitis (Blasenentzündung) sowie anderen Harnwegsinfekten". Der Kläger meint, die Produkte seien nicht als Medizinprodukte verkehrsfähig, vielmehr handele es sich um - als solche unstreitig nicht zugelassene - Arzneimittel. Nach erfolgloser Abmahnung hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu 1 unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr das Produkt "Femannose" als Medizinprodukt in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen und das Produkt "Femannose N" als Medizinprodukt in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen und/oder zu bewerben wie aus der vorgelegten Werbung ersichtlich, und die Beklagte zu 2 unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr das Produkt "Femannose" zu bewerben, sofern dies geschieht wie aus der vorgelegten Internetwerbung ersichtlich. Ferner hat er die Erstattung pauschaler Abmahnkosten nebst Zinsen verlangt.

3Das Landgericht hat der Klage stattgegeben (, juris). Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (OLG Köln, PharmR 2021, 144). Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

4Der Senat hat das Verfahren mit Blick auf zwei Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union (BVerwG, ZMGR 2021, 380 und PharmR 2021, 593) ausgesetzt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat über die Vorabentscheidungsersuchen zwischenzeitlich entschieden ( und C-496/21, PharmR 2023, 160 - Bundesrepublik Deutschland [Nasentropfen]).

5B. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 1 Nr. 2 Buchst. b Fall 1 der Richtlinie 2001/83/EG vom zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel ab. Vor einer Entscheidung über die Revision ist daher das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.

6I. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe der geltend gemachte wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch zu, weil die Beklagte zu 1 gegen § 3a HWG und die Beklagte zu 2 gegen § 21 AMG verstoßen habe. Bei den beanstandeten Produkten handele es sich um Funktionsarzneimittel, die ohne Zulassung nicht in den Verkehr gebracht werden dürften. Den Produkten komme eine pharmakologische Wirkung zu, weil eine Wechselwirkung zwischen ihrem Hauptwirkstoff (D-Mannose) und einem zellulären Bestandteil erfolge. Die Produkte stellten auch die physiologische Funktion des Menschen in signifikanter Weise wieder her, korrigierten oder beeinflussten diese. Die gebotene Gesamtabwägung unter Berücksichtigung der weiteren Merkmale des Erzeugnisses führe ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Produkte als Funktionsarzneimittel anzusehen seien.

7II. Das Berufungsgericht hat die Klagebefugnis des Klägers nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG in der bis zum geltenden Fassung (vgl. § 15a Abs. 1 UWG) zutreffend bejaht. Das in § 3a Satz 1 HWG vorgesehene Verbot der Werbung für Arzneimittel, die der Pflicht zur Zulassung unterliegen und die nicht nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften zugelassen sind oder als zugelassen gelten, und das in § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG geregelte Verbot des Inverkehrbringens von Fertigarzneimitteln, die nicht durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder für die die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union keine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat, sind - wie das Berufungsgericht richtig zugrunde gelegt hat - Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 3a UWG, deren Verletzung die Interessen der davon betroffenen Marktteilnehmer spürbar beeinträchtigt (vgl. , PharmR 2016, 82 [juris Rn. 9] - Chlorhexidin, mwN). Sofern das Berufungsgericht zu Recht von einem Verstoß gegen § 3a Satz 1 HWG und § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG ausgegangen ist, liegt daher eine nach § 3a UWG unlautere und nach § 3 Abs. 1 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vor, die wegen der hier gegebenen Wiederholungsgefahr einen Unterlassungsanspruch (§ 8 Abs. 1 Satz 1 UWG) begründet.

8III. Der Erfolg der Revision hängt davon ab, ob das Berufungsgericht zu Recht einen Verstoß gegen § 3a Satz 1 HWG und § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG angenommen hat, weil die Produkte der Beklagten zu 1 eine pharmakologische Wirkung hätten, die menschlichen physiologischen Funktionen in nennenswerter Weise beeinflussen könnten und daher Funktionsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG und Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG seien.

91. Arzneimittel sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG unter anderem Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Die Vorschrift dient der Umsetzung des Art. 1 Nr. 2 Buchst. b Fall 1 der Richtlinie 2001/83/EG und ist daher unionsrechtskonform auszulegen (, GRUR 2015, 811 [juris Rn. 9] = WRP 2015, 969 - Mundspüllösung II). Nach Art. 1 Nr. 2 Buchst. b Fall 1 der Richtlinie 2001/83/EG sind Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG (umgesetzt durch § 2 Abs. 3a AMG) gilt diese Richtlinie in Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von "Arzneimittel" als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftsrechtliche Vorschriften geregelt ist.

102. Nach den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Senats aufgestellten Grundsätzen ist der Begriff des Arzneimittels weit auszulegen. Dies gilt auch für Funktionsarzneimittel im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG (vgl. , Slg. 2007, I-7609 [juris Rn. 31] - Antroposana; , GRUR-RR 2013, 272 [juris Rn. 7] mwN). Dass ein Funktionsarzneimittel gegeben ist, muss von demjenigen dargelegt und im Fall des Bestreitens bewiesen werden, der sich darauf beruft (vgl. , GRUR 2016, 302 [juris Rn. 13] = WRP 2016, 191 - Mundspüllösung III, mwN). Die Prüfung, ob das in Rede stehende Produkt ein Funktionsarzneimittel darstellt, ist Aufgabe der Gerichte der Mitgliedstaaten (vgl. , GRUR 2012, 1167 [juris Rn. 35] = WRP 2013, 175 - Chemische Fabrik Kreussler; BGH, GRUR-RR 2013, 272 [juris Rn. 7]). Fehlen wissenschaftliche Erkenntnisse, die eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung belegen, kann nicht von einem Funktionsarzneimittel ausgegangen werden (vgl. EuGH, GRUR 2012, 1167 [juris Rn. 30] - Chemische Fabrik Kreussler, mwN; PharmR 2023, 160 Rn. 44 - Bundesrepublik Deutschland [Nasentropfen]).

11Zweckdienliche Anhaltspunkte zur Konkretisierung des Begriffs der "pharmakologischen Wirkung" im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG können den unter Geltung der Richtlinie 93/42/EWG vom über Medizinprodukte von einer europäischen Expertengruppe aus Behörden- und Industrievertretern unter Federführung der Europäischen Kommission entwickelten Leitlinien zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten ("Medical Devices: Guidance document - Borderline products, drug-delivery products and medical devices incorporating, as integral part, an ancillary medicinal substance or an ancillary human blood derivative", MEDDEV 2.1/3 rev 3; nachfolgend: MEDDEV-Leitlinien) entnommen werden (vgl. , GRUR 2010, 1026 [juris Rn. 17] = WRP 2010, 1393 - Photodynamische Therapie; Urteil vom - I ZR 204/09, PharmR 2011, 299 [juris Rn. 14] mwN; zu den Leitlinien zur Abgrenzung der Richtlinie 76/768/EWG über kosmetische Mittel von der Richtlinie 2001/83/EG über Arzneimittel vgl. EuGH, GRUR 2012, 1167 [juris Rn. 21 bis 27] - Chemische Fabrik Kreussler; BGH, PharmR 2016, 82 [juris Rn. 11] - Chlorhexidin, mwN), die als solche allerdings nicht rechtlich bindend sind (vgl. EuGH, GRUR 2012, 1167 [juris Rn. 23] - Chemische Fabrik Kreussler). In diesen Leitlinien, die zwischenzeitlich durch die Leitlinien "Guidance on borderline between medical devices and medicinal products under Regulation (EU) 2017/745 on medical devices" (MDCG 2022-5) abgelöst worden sind, heißt es:

"Pharmacological means" is understood as an interaction between the molecules of the substance in question and a cellular constituent, usually referred to as a receptor, which either results in a direct response, or which blocks the response to another agent. Although not a completely reliable criterion, the presence of a dose-response correlation is indicative of a pharmacological effect.

Zu Deutsch: "Pharmakologische Mittel" meint eine Wechselwirkung (Interaktion) zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil, gewöhnlich als Rezeptor bezeichnet, die entweder in einer direkten Reaktion (Antwort) resultiert oder die Reaktion (Antwort) auf ein anderes Agens blockiert. Das Vorhandensein einer Dosis-Wirkungs-Beziehung stellt dabei, obwohl kein vollständig vertrauenswürdiges Kriterium, einen Hinweis auf einen pharmakologischen Effekt dar.

123. Das Berufungsgericht ist von den dargestellten Grundsätzen ausgegangen und hat angenommen, den streitgegenständlichen Produkten komme eine pharmakologische Wirkung zu.

13Zur Begründung hat das Berufungsgericht auf die Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Bezug genommen und ausgeführt, bei dem Hauptwirkstoff der Produkte handele es sich um D-Mannose, einen Einfachzucker, der für den menschlichen Stoffwechsel eine hohe Bedeutung habe, und zwar insbesondere bei der Glykosylierung von Molekülen. Diese würden Bakterien nutzen, um an menschliche Schleimhäute oder andere Oberflächen anzudocken. Die Bakterien verfügten zu diesem Zweck über Adhäsine. Bei den Escherichia coli-Bakterien sitze am Ende der sogenannten Fimbrien das Adhäsin FimH. Mittels des FimH hefteten sich die Fimbrien an die Blasenwand an und verhinderten, dass die Bakterien durch den Urinfluss ausgespült würden. Außerdem setze das FimH nach der Anheftung der Bakterien an die Oberfläche der Blasenschleimhaut auch den biochemischen Prozess in Gang. Es komme zu einer Transkription verschiedener Gene und zu verschiedenen biochemischen Vorgängen in der Wirtszelle, die letztlich zu einer Art Auftrennung der Zellmembran und zu einem Einschließen des Bakteriums in die menschliche Zelle führten.

14Die Hauptwirkung von D-Mannose liege darin, sich im Urin an das FimH zu binden und so die Bindung zwischen dem FimH und den mannosehaltigen Strukturen an der Harnblasenwand zu blockieren. Indem die weitere Interaktion zwischen dem bakteriellen FimH und körpereigenen Zellen blockiert werde, werde in die physiologischen Abläufe des Bakteriums und in die pathophysiologischen Abläufe der Harnwegsinfektion eingegriffen. Seitens des Bakteriums sei als Antwort auf die Bindung von FimH an mannosehaltige Strukturen eine Änderung der Transkription verschiedener Gene zu beobachten. Dies lasse sich im Sinne der Definition der MEDDEV-Leitlinien am ehesten dahin interpretieren, dass die D-Mannose auf FimH-Adhäsine als Blockade der Antwort auf ein anderes Agens wirke. D-Mannose verursache eine Blockierung physiologischer Vorgänge der Bakterien, die mit einer Bindung an die Zellen der Menschen einhergingen, durch die spezifische Bindung an Zellstrukturen dieser Bakterien. Durch die Blockierung der Bindung zwischen dem FimH auf dem Bakterium und den mannosylierten Strukturen auf der Harnblasenwand bleibe die biochemische Reaktion zwischen dem Bakterium und der Wirtszelle aus. Es bestehe eine Wechselwirkung zwischen D-Mannose-Molekülen und einem zellulären Bestandteil. Die Bakterienzelle reagiere offensichtlich mit biochemischen Prozessen auf die Bindung zwischen FimH und D-mannosehaltigen Oberflächenstrukturen. Ob die Bindung der D-Mannose an das Bakterium reversibel sei, sei nicht erheblich.

154. Indem sich das Berufungsgericht auf den Standpunkt gestellt hat, D-Mannose wirke auf FimH-Adhäsine im Sinne der MEDDEV-Leitlinien als Blockade der Antwort auf ein anderes Agens, hat es die zweite Alternative der dortigen Definition des Begriffs der "pharmakologischen Wirkung" als erfüllt angesehen, die eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil, gewöhnlich als Rezeptor bezeichnet, voraussetzt, die die Antwort bzw. Reaktion ("response") auf ein anderes Agens ("to another agent") blockiert. Zu klären ist, ob das Berufungsgericht dabei ein zutreffendes Verständnis des Begriffs der pharmakologischen Wirkung zugrunde gelegt hat.

16a) Die Revision meint, der Wirkstoff D-Mannose trete entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bereits nicht in Wechselwirkung mit einem zellulären Bestandteil. Eine Wechselwirkung setze eine wirkstoffinduzierte irreversible Interaktion zwischen der Substanz und einem zellulären Bestandteil aufgrund einer vorherigen Bindung voraus. Eine physikalisch reversible Bindung begründe demgegenüber nur eine Wechselbeziehung, die kein hinreichendes Merkmal für die erforderliche chemisch-pharmakologische Wechselwirkung darstelle. Dass und welche Prozesse zwischen D-Mannose und dem Bakterium ausgelöst würden, sei nicht festgestellt. Die Substanz interagiere weder mit einem schädlichen Botenstoff noch mit einer menschlichen Zielzelle in relevanter Weise, sondern bewirke lediglich, dass der schädliche Botenstoff unverändert aus dem Körper ausgeschwemmt werde. Eine bloß (reversible) Bindung an ein Bakterium könne nicht mit einer Bindung an eine menschliche Zielzelle gleichgesetzt werden.

17aa) Im Ausgangspunkt unzutreffend macht die Revision geltend, es sei nicht festgestellt, dass - und wenn ja, welche - Prozesse zwischen D-Mannose und dem Bakterium ausgelöst würden.

18(1) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Bakterienzelle reagiere mit biochemischen Prozessen auf die Bindung zwischen FimH und D-mannosehaltigen Oberflächenstrukturen; es werde in die physiologischen Abläufe des Bakteriums und in die pathophysiologischen Abläufe der Harnwegsinfektion eingegriffen, und seitens des Bakteriums sei als Antwort auf die Bindung von FimH an mannosehaltige Strukturen eine Änderung der Transkription verschiedener Gene zu beobachten. Damit hat das Berufungsgericht in Ausübung der ihm obliegenden tatgerichtlichen Würdigung ausführlich dargelegt, dass und in welcher Weise das Bakterium auf D-Mannose reagiert.

19(2) Der Sachverständige, auf dessen Feststellungen das Berufungsgericht Bezug genommen hat, hat darüber hinaus allerdings auch bekundet, es sei anzunehmen, dass auch die Bindung zwischen FimH und gelösten D-Mannose-Molekülen zumindest einen Teil der biochemischen Prozesse für eine Gewebeinvasion initiiere, die jedoch frustran seien und nicht identisch sein könnten mit der Antwort auf die Bindung an D-mannosehaltige Oberflächenstrukturen menschlicher Zellen. Ausgehend davon ist nicht festgestellt, dass die vom Berufungsgericht geschilderte Wechselwirkung, nämlich das Ingangsetzen biochemischer Prozesse als Reaktion der Bakterienzelle auf die Bindung an D-Mannose, ursächlich ist für die intendierte Hauptwirkung der in Frage stehenden Substanz, nämlich die Blockade der Bindung der Bakterienzellen an die Blasenwand. Ob eine solche Ursächlichkeit Voraussetzung dafür ist, dass der Substanz eine pharmakologische Wirkung zukommen kann, lässt sich der Definition der pharmakologischen Wirkung in den MEDDEV-Leitlinien nicht entnehmen und bedarf der Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union.

20(3) Darüber hinaus hat der Sachverständige ausgeführt, dass (auch) die reversible Bindung zwischen D-Mannose und den Bakterien mit der Bildung von Wasserstoffbrückenbindungen einhergehe, was nicht als ein rein mechanischer oder physikalischer Mechanismus anzusehen sei. Die spezifische Bindung von FimH mit den glykosylierten Strukturen an der Zelloberfläche des Harntrakts initiiere vielmehr biochemische Veränderungen der Bakterienzelle. Auch diese vom Sachverständigen geschilderte Bildung von Wasserstoffbrückenbindungen könnte aus Sicht des Senats eine Wechselwirkung im Sinne der Definition der pharmakologischen Wirkung in den MEDDEV-Leitlinien darstellen, die auch ursächlich für die intendierte Hauptwirkung der in Frage stehenden Substanz wäre. Ob dies zutrifft, ist ebenfalls klärungsbedürftig.

21bb) Ohne Erfolg wendet die Revision gegen die Bewertung des Berufungsgerichts ein, die Bindung an ein Bakterium könne nicht mit der Bindung an eine menschliche Zielzelle gleichgesetzt werden. Durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Senats ist geklärt, dass eine Substanz, deren Moleküle keine Wechselwirkung mit einem zellulären Bestandteil eines Menschen aufweisen, gleichwohl aufgrund ihrer Wechselwirkung mit anderen im Organismus des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteilen wie Bakterien, Viren oder Parasiten bewirken kann, dass physiologische Funktionen beim Menschen wiederhergestellt, korrigiert oder beeinflusst werden. Auch eine Substanz, deren Moleküle keine Wechselwirkung mit einem zellulären Bestandteil des Menschen aufweisen, kann danach ein Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG darstellen (vgl. EuGH, GRUR 2012, 1167 [juris Rn. 31 f.] - Chemische Fabrik Kreussler; BGH, GRUR 2010, 1026 [juris Rn. 17] - Photodynamische Therapie; GRUR 2015, 811 [juris Rn. 4 und 9] - Mundspüllösung II).

22cc) Der Revision dürfte auch insoweit nicht zu folgen sein, als sie sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichts wendet, wonach es für das Bestehen der erforderlichen Wechselwirkung nicht darauf ankomme, ob die Verbindung zwischen D-Mannose und dem Bakterium (also zwischen der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil) reversibel sei.

23(1) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist bislang nicht geklärt, nach welchen Kriterien pharmakologische und nicht-pharmakologische Mittel in Fällen abgegrenzt werden können, in denen die in Frage stehende Substanz - wie im Streitfall - von der Zielzelle nicht absorbiert wird, sondern nur eine temporäre Anbindung erfolgt (vgl. dazu BVerwG, ZMGR 2021, 380 [juris Rn. 11 f.]; PharmR 2021, 593 [juris Rn. 10 f.]). Der in den MEDDEV-Leitlinien enthaltenen Definition lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, die auf das Erfordernis einer dauerhaften Bindung schließen lassen könnten. Dies spricht dafür, dass die Ansicht des Berufungsgerichts zutrifft, wonach es im Falle des Bestehens einer solchen Wechselwirkung auf die Frage der Reversibilität der mit einem Zellbestandteil eingegangenen Bindung nicht ankommt. Auch hierzu bedarf es einer Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union.

24(2) Anders als die Revision meint, wirft der Streitfall nicht die Frage auf, ob eine pharmakologische Wirkung auch im Fall einer bloßen Anlagerung des Wirkstoffs am Äußeren der Zelle angenommen werden kann, wenn dies nicht zu einer Änderung des Zustands oder einer Funktion der Zelle führt. Das Berufungsgericht hat Letzteres nicht festgestellt, sondern vielmehr ausgeführt, dass seitens des Bakteriums als Antwort auf die Bindung von FimH an mannosehaltige Strukturen eine Änderung der Transkription verschiedener Gene zu beobachten sei, und dass die Bakterienzelle mit biochemischen Prozessen auf die Bindung zwischen FimH und D-mannosehaltigen Oberflächenstrukturen reagiere. Damit hat es eine Änderung der Funktion der Bakterienzelle und die wirkstoffinduzierte Auslösung einer biochemischen Reaktion im Zellinneren bejaht.

25b) Die Revision wendet gegen die Ansicht des Berufungsgerichts außerdem ein, eine pharmakologische Wirkung sei auch deshalb nicht gegeben, weil Folge der - unterstellten - Wechselwirkung nicht im Sinne der Definition der MEDDEV-Leitlinien die Blockade eines anderen Agens sei.

26aa) Die Revision meint, die zweite Alternative der Definition der "pharmakologischen Wirkung" der MEDDEV-Leitlinien solle Fälle erfassen, in denen es zwar an einer unmittelbaren Reaktion im Sinne der ersten Alternative fehle, jedoch mittelbar infolge der Bindung an eine Zielzelle eine (schädliche) Reaktion auf einen anderen Botenstoff blockiert werde. Die Definition enthalte aber keine "Generalklausel", nach der es ausreiche, wenn überhaupt mittelbar die Reaktion einer menschlichen Zielzelle verhindert werde, unabhängig davon, wie dieses Ziel erreicht werde. Bei dem blockierten Stoff müsse es sich um ein Agens handeln, also einen Stoff, der eine bestimmte (schädliche) Wirkung auf eine Zielzelle ausüben solle. Außerdem müsse das blockierte Agens von dem an der Wechselwirkung beteiligten zellulären Bestandteil verschieden sein, da die Blockade eines "anderen" Agens erforderlich sei. Beides sei nicht der Fall. Blockiert werde nicht die Blasenschleimhaut, sondern das Bakterium selbst. Soweit hierdurch einer Entzündung der Blasenschleimhaut entgegengewirkt werde, handele es sich nicht um die Reaktion eines anderen Agens, sondern die eines anderen Rezeptors. Den Produkten komme daher keine pharmakologische Wirkung zu.

27bb) Klärungsbedürftig ist, ob in der vom Berufungsgericht festgestellten Wirkweise von D-Mannose die Blockade der Antwort auf ein Agens im Sinne der Definition der MEDDEV-Leitlinien gesehen werden kann, oder ob darin vielmehr - wie die Revision meint - die Blockade der Antwort auf einen Rezeptor liegt und deshalb die Voraussetzungen für das Vorliegen einer pharmakologischen Wirkung nicht erfüllt sind.

28(1) Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, D-Mannose verursache eine Blockierung physiologischer Vorgänge der Bakterien, die mit einer Bindung an die Zellen des Menschen einhergingen, durch die spezifische Bindung an Zellstrukturen dieser Bakterien. Der Wirkstoff blockiere die Bindung zwischen dem FimH auf dem Bakterium und den mannosylierten Strukturen auf der Harnblasenwand. Dies könne im weiteren Sinn als Blockade der Antwort auf ein anderes Agens interpretiert werden. Als anderes Agens, zu dem die Reaktion des FimH blockiert wird, hat das Berufungsgericht damit Bestandteile menschlicher Zellen, nämlich Glykoproteine auf Zellmembranen der Harnwege, angesehen. Um beantworten zu können, ob dies zulässig ist, bedarf es einer näheren Konkretisierung des in den MEDDEV-Leitlinien verwendeten Begriffs des "Agens".

29(2) Legte man das von der Revision vertretene Begriffsverständnis zugrunde, nach dem es sich bei einem Agens um einen Stoff handelt, der eine bestimmte Wirkung auf eine Zielzelle ausüben soll, dürfte sie zu Recht einwenden, dass Glykoproteine auf den Zellmembranen der Harnwege nicht als Agens angesehen werden können, weil von ihnen keine Wirkung (etwa auf andere Zellen) ausgeht.

30(3) Aus Sicht des Senats erscheint das vom Berufungsgericht vertretene weite Begriffsverständnis allerdings überzeugend. Es spricht einiges für einen weit gefassten Begriff des "Agens", der allgemein einen Bindungspartner beschreibt, ohne Vorgaben zur stofflichen oder strukturellen Beschaffenheit dieses Bindungspartners zu machen. Naheliegend erscheint, dass der Bindungspartner seinen Ursprung auch im menschlichen Körper haben kann.

31Viele Arzneimittel wirken nämlich in der Weise, dass sie die Reaktion eines zellulären Bestandteils auf Bestandteile des menschlichen Körpers blockieren. Als Beispiel hat der Sachverständige Beta-Blocker angeführt, die die Bindung des körpereigenen Adrenalins an die Adrenozeptoren (Rezeptoren im innervierten Gewebe) blockierten. Auch dabei erfolgt keine Blockade der Reaktion auf ein anderes Agens im Sinne des von der Revision vertretenen engeren Begriffsverständnisses. Darüber hinaus hat der Sachverständige auf Agentien hingewiesen, die im Rahmen der Therapie von Infektionen mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) untersucht würden. So genannte Attachment-Inhibitoren blockierten dabei die für eine Infektion notwendige Bindung von glykosylierten Proteinen des HI-Virus an Oberflächenstrukturen menschlicher Zellen. Der Hauptwirkungsmechanismus sei die Blockade einer Bindung zwischen Erreger und menschlicher Zelle. Als Agens wäre auch in diesem Fall die menschliche Zelle beziehungsweise der auf der Zelle als molekularer Bindungspartner dienende Rezeptor anzusehen.

32cc) Soweit die Revision betont, das blockierte Agens müsse von dem an der Wechselwirkung beteiligten zellulären Bestandteil verschieden sein, weil in der Definition der "pharmakologischen Wirkung" in den MEDDEV-Leitlinien von einem "anderen" Agens die Rede sei, vermag sie die Argumentation des Berufungsgerichts nicht zu entkräften. Dieses hat unter die maßgebliche Definition subsumierend festgestellt, dass D-Mannose (die in Frage stehende Substanz) die Bindung zwischen dem FimH auf dem Bakterium (Rezeptor) und den mannosylierten Strukturen auf der Harnblasenwand (anderes Agens) blockiert. Auch nach dem Verständnis des Berufungsgerichts ist das blockierte Agens daher von dem an der Wechselwirkung beteiligten zellulären Bestandteil verschieden.

335. Die Beantwortung der Vorlagefrage ist entscheidungserheblich.

34a) Die Revision der Beklagten hat insbesondere nicht bereits deshalb Erfolg, weil das Berufungsgericht eine fehlerhafte Gesamtabwägung durchgeführt hätte.

35aa) Für die Beurteilung der Frage, ob Produkte, die eine physiologisch wirksame Substanz enthalten, Funktionsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG sind, bedarf es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Senats einer sorgfältigen Prüfung des jeweiligen Einzelfalls, bei der neben den pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften des Produkts auch alle seine weiteren Merkmale wie seine Zusammensetzung, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken zu berücksichtigen sind, die seine Verwendung mit sich bringen kann (vgl. , Slg. 2009, I-3785 = GRUR 2009, 790 [juris Rn. 18] - BIOS Naturprodukte; EuGH, GRUR 2012, 1167 [juris Rn. 33 f.] - Chemische Fabrik Kreussler, mwN; BGH, PharmR 2016, 82 [juris Rn. 12] - Chlorhexidin).

36bb) Das Berufungsgericht hat dies zugrunde gelegt und ausgeführt, im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung sprächen insbesondere die Modalitäten des Gebrauchs für eine Einstufung der Produkte als Funktionsarzneimittel. Wie es bei Arzneimitteln üblich sei, würden die Produkte unter Beifügung eines Beipackzettels verbreitet, in dem auf die Dosierung und Anwendung hingewiesen werde. Sie würden in einer auch bei Medikamenten üblichen Darreichungsform vertrieben. Außerdem sollten sie zur unterstützenden Behandlung einer Krankheit angewandt werden. Es werde auf Nebenwirkungen wie Unverträglichkeit, Übelkeit, Blähungen und weichen Stuhl hingewiesen. Der Umfang der Verbreitung sei erheblich. Auch wenn zahlreiche Kriterien ebenso auf Medizinprodukte zuträfen, so dass die Abgrenzung in erster Linie aufgrund der Feststellung von pharmakologischen Eigenschaften zu erfolgen habe, ergebe die Gesamtabwägung, dass die Produkte Arzneimittel seien.

37cc) Die gegen diese tatgerichtliche Würdigung gerichteten Angriffe der Revision verfangen nicht. Das Berufungsgericht hat die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Senats gebotene Gesamtabwägung unter Einbeziehung der hierfür maßgeblichen Kriterien in aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandender Weise vorgenommen. Dabei hat es entgegen der Ansicht der Revision nicht den unzutreffenden Rechtssatz zugrunde gelegt, ein Produkt sei stets ein Funktionsarzneimittel, wenn es pharmakologische Wirkung habe. Soweit die Revision außerdem geltend macht, das Berufungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass das Fehlen von Verwendungsrisiken gegen eine Einstufung als Funktionsarzneimittel spreche, stimmt dies nicht mit der von der Revision hingenommenen Feststellung des Berufungsgerichts überein, wonach den Produkten verschiedene, im einzelnen aufgezählte Nebenwirkungen zukommen.

38b) Die Beantwortung der Vorlagefrage ist außerdem vorgreiflich für die weitere Rüge der Revision, mit der sie sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichts wendet, die Produkte stellten bei bestimmungsgemäßem Gebrauch physiologische Funktionen des Menschen in signifikanter Weise wieder her, korrigierten oder beeinflussten diese.

39aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Senats kann ein Produkt nur als Funktionsarzneimittel angesehen werden, wenn es aufgrund seiner Zusammensetzung und bei bestimmungsgemäßem Gebrauch physiologische Funktionen des Menschen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung in signifikanter Weise wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen kann (vgl. EuGH, GRUR 2012, 1167 [juris Rn. 30 und 35] - Chemische Fabrik Kreussler; BGH, GRUR-RR 2013, 272 [juris Rn. 7]; PharmR 2016, 82 [juris Rn. 12] - Chlorhexidin, jeweils mwN).

40bb) Das Berufungsgericht hat dies bejaht und zur Begründung ausgeführt, durch das Blockieren des FimH auf der Bakterienoberfläche werde die Bindung der Bakterien an die Zellmembran unterbunden, was die biochemische Reaktion des Bakteriums und der Wirtszelle ausfallen lasse, so dass die physiologische Funktion des menschlichen Körpers beeinflusst werde, indem der Beginn oder das Fortschreiten der Entzündung der Harnwege gehemmt werde. Dass der klinische Stellenwert der Therapie und der Prävention mangels ausreichender Datenlage unklar bleibe, stehe nicht entgegen. Es sei nach den Feststellungen des Sachverständigen zweifelsfrei nachgewiesen, dass sich D-Mannose an FimH binde und somit in die physiologischen Abläufe des Bakteriums und die pathophysiologischen Abläufe der Harnwegsinfektion eingreife.

41cc) Hiergegen macht die Revision geltend, die einer therapeutischen oder präventiven Wirkung inhärente Beeinflussung physiologischer Funktionen allein reiche für die Annahme eines Funktionsarzneimittels nicht aus; vielmehr sei erforderlich, dass der angestrebte therapeutische Zweck durch einen erheblichen Eingriff in die physiologischen Funktionen des menschlichen Körpers erreicht werden solle, der seinerseits als pharmakologisch zu qualifizieren sei. Bei D-Mannose, die sich lediglich auf physikalischem Weg reversibel an Bakterien binde, ohne diese abzutöten, und auch nicht mit der menschlichen Blasenschleimhaut interagiere, sei das nicht der Fall.

42dd) Nach der zuvor dargestellten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union setzt die für die Annahme eines Funktionsarzneimittels erforderliche signifikante Beeinflussung physiologischer Funktionen eine pharmakologische Wirkung (oder eine immunologische oder metabolische Wirkung, die im Streitfall allerdings nicht in Rede stehen) voraus (vgl. EuGH, GRUR 2012, 1167 [juris Rn. 30] - Chemische Fabrik Kreussler, mwN). Die pharmakologischen (oder immunologischen oder metabolischen) Eigenschaften eines Erzeugnisses sind nämlich der Faktor, auf dessen Grundlage, ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses, zu beurteilen ist, ob es im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG im oder am menschlichen Körper zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der physiologischen Funktionen angewandt werden kann (, Slg. 2007, I-9811 [juris Rn. 59] = EuZW 2008, 56 - Kommission/Deutschland; EuGH, EuZW 2009, 545 [juris Rn. 20] - BIOS Naturprodukte, jeweils mwN). Unterstellt man, dass das Berufungsgericht zu Recht von einer pharmakologischen Wirkung ausgegangen ist, ist seine Würdigung, die Produkte stellten physiologische Funktionen des Menschen in signifikanter Weise wieder her, korrigierten oder beeinflussten diese, aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

43c) Eine Beantwortung der Vorlagefrage ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil neben der Einstufung der streitgegenständlichen Produkte als Funktionsarzneimittel auch deren Einordnung als Präsentationsarzneimittel in Betracht käme (vgl. dazu EuGH, PharmR 2023, 160 Rn. 49 bis 51 - Bundesrepublik Deutschland [Nasentropfen]). Im Revisionsverfahren ist allein zu prüfen, ob ein Funktionsarzneimittel vorliegt, weil das Berufungsgericht die Verurteilung nur hierauf gestützt hat. Im Übrigen könnte die Verurteilung auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens eines Präsentationsarzneimittels aufrechterhalten werden, weil das Berufungsgericht insoweit keine hinreichenden Feststellungen getroffen hat.

44d) Dass die Rechtsansicht des Berufungsgerichts mit der Einschätzung der Europäischen Kommission übereinstimmt, wie sie in deren Manual zu Borderline-Produkten (Version 1.22 [05-2019] unter 4.20) zum Ausdruck kommt, macht eine Beantwortung der Vorlagefrage schließlich ebenfalls nicht obsolet. In diesem Manual wird die Anwendung von D-Mannose zur Verhinderung von Harnwegsinfektionen als Beispiel für eine pharmakologische (und nicht physikalische) Wirkung eines Arzneimittels genannt. Die in dem Manual ausgedrückten Ansichten der Kommission sind aber nicht bindend (zu einer möglichen Tendenz bei der Einordnung der Produkte vgl. Anhalt/Sachs in Anhalt/Dieners, Medizinprodukterecht, 2. Aufl., § 3 Rn. 20). Vielmehr wird dort ausdrücklich darauf verwiesen, dass allein der Gerichtshof der Europäischen Union eine maßgebliche Interpretation des Gemeinschaftsrechts vornehmen kann (Nr. 8 der Einleitung).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:140923BIZR4.21.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-49291