Tatrichterliche Feststellungen im Rahmen der Zuwiderhandlung gegen Gewaltschutzanordnung; Entscheidung über Unterbringung in Entziehungsanstalt
Gesetze: § 1 Abs 1 S 1 GewSchG, § 4 S 1 GewSchG, § 46 StGB
Instanzenzug: LG Halle (Saale) Az: 5 KLs 1/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Nötigung (Fall III.1), wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz in vier Fällen (III.2), wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit Körperverletzung (Fall III.4) und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, ihn im Übrigen freigesprochen und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Während die Verfahrensrüge aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts versagt, halten sowohl Schuld- als auch Strafausspruch der materiell-rechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
31. Das Landgericht hat in den Fällen III.2 keine ausreichenden Feststellungen zur rechtlichen Wirksamkeit der einstweiligen Gewaltschutzanordnung getroffen.
4a) Den Urteilsgründen lässt sich lediglich entnehmen, dass es dem Angeklagten durch einstweilige Anordnung vom , ihm zugegangen am , bis zum nach „§ 1 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 3 jeweils auch in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 (GewSchG)“ untersagt war, unter Verwendung von „Ferntelekommunikationsmitteln“ Kontakt zu der Geschädigten aufzunehmen. Hiergegen verstieß der Angeklagte, indem er diese am 12., 16., 19. und über ihren Festnetzanschluss anrief und in zwei Fällen ehrverletzende Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterließ.
5b) Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG setzt jedoch voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen ohne Bindung an die amtsgerichtliche Entscheidung (vgl. , BGHSt 59, 94) eigenständig feststellt (vgl. ). Dies ist nicht geschehen.
62. In den Fällen III.1 und III.4 hat das Landgericht bei der Bestimmung des Strafrahmens zu Lasten des Angeklagten im Fall III.1 berücksichtigt, dass es „keine Anhaltspunkte dafür (gebe), dass der Angeklagte (…) bei der Tatbegehung aufgrund seines Drogenkonsums enthemmt war“, und im Fall III.4, dass nicht „von einer eingeschränkten Steuerungsfähigkeit aufgrund von Betäubungsmittelkonsum (…) ausgegangen werden (könne).“ Hinsichtlich dieser Wendungen kann der Senat auch im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht ausschließen, dass die Strafkammer das bloße Fehlen eines Strafmilderungsgrundes straferschwerend berücksichtigt hat (vgl. ).
73. Die teilweise Aufhebung des Schuld- und Strafausspruchs entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Darüber hinaus kann der Senat aufgrund fehlender Feststellungen zu den Tatzeitpunkten betreffend das (vgl. zur Zäsurwirkung früherer Verurteilungen ) nicht überprüfen, ob eine Einbeziehung der hierdurch ausgeurteilten und noch nicht erledigten Freiheitsstrafen und die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe nach § 55 StGB jedenfalls mit der für die Tat III.4 verhängten Freiheitsstrafe rechtsfehlerfrei unterblieben ist (vgl. mwN).
II.
8Das Urteil hat ferner keinen Bestand, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist.
9Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
„Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der Angeklagte zu Beginn des Jahres 2017 erneut Betäubungsmittel (Crystal Meth und Heroin), nachdem er mehrere Jahre abstinent gelebt hatte (UA S. 8, 28). Am Abend oder unmittelbar vor der Tat zu Ziffer III.4 hat er nach eigenen Angaben Heroin konsumiert und die Tat überdies begangen, um weitere Betäubungsmittel (zum Eigenverbrauch) zu erwerben (UA S. 23, 26). Dies drängte zu der Prüfung, ob die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gegeben sind (vgl. , NStZ-RR 2009, 59 […]). Dem steht nicht entgegen, dass die Voraussetzungen des § 21 StGB für die Tat zu Ziffer III.4 rechtsfehlerfrei verneint wurden (vgl. , NStZ-RR 2001, 12). Über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – neu verhandelt und entschieden werden.“
10Dem schließt sich der Senat an.
11Anhaltspunkte dafür, dass die weiteren Voraussetzungen der Maßregel nicht vorliegen, sind nicht ersichtlich. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO); er hat die Nichtanordnung des § 64 StGB durch das Landgericht auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen.
12Der Strafausspruch, soweit er Bestand hat, bleibt hiervon unberührt. Denn der Senat kann angesichts der Zweispurigkeit von Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung (vgl. ) ausschließen, dass die Strafkammer im Fall der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt auf niedrigere Freiheitsstrafen erkannt hätte.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:210323B6STR19.23.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-47926