Einführung des Erfahrungsstufensystems im niedersächsischen Besoldungsrecht; Entschädigung wegen altersdiskriminierender Besoldung
Leitsatz
1. Das niedersächsische Erfahrungsstufensystem knüpft mit dem Rückgriff allein auf die tatsächlich abgeleistete Dienstzeit typisierend an ein zulässiges besoldungsrechtliches Differenzierungsmerkmal im Sinne des Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG an, das regelmäßig ein geeignetes Mittel ist, die Berufserfahrung zu honorieren. Die biologische Alterung ist kein Umstand, der an diesem Erfahrungssatz ernstliche Zweifel aufkommen lässt.
2. Die zum Besoldungsaufstieg in der Niedersächsischen Besoldungsordnung A führenden Erfahrungszeiten sind unter Berücksichtigung des dem Landesgesetzgeber zustehenden weiten Gestaltungsspielraums nicht in einem Umfang festgelegt, dass der in typisierender und generalisierender Weise angenommene stufenweise Erfahrungszuwachs nicht mehr von den tatsächlichen Verhältnissen gedeckt ist und deshalb nur noch ein höheres Lebensalter zu einer höheren Einstufung in der Besoldung führt.
Gesetze: Art 6 Abs 1 EGRL 78/2000, Art 3 Abs 1 GG, § 7 BesG ND 2017, § 25 Abs 1 S 1 BesG ND 2017, Anl 5 BesG ND 2017, § 108 BG ND 2009, § 109 Abs 1 BG ND 2009, § 109 Abs 2 BG ND 2009, § 115 Abs 1 BG ND 2009
Instanzenzug: OVG Lüneburg Az: 5 LB 59/20 Urteilvorgehend VG Oldenburg (Oldenburg) Az: 6 A 6629/16
Gründe
1Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen altersdiskriminierender Besoldung.
21. Der 1984 geborene Kläger steht im Amt eines Polizeioberkommissars (Besoldungsgruppe A 10) im Dienst des beklagten Landes. Der Beginn seines Besoldungsdienstalters wurde auf den festgesetzt. Auf dieser Grundlage wird er die Endstufe seiner Besoldungsgruppe am erreichen.
3Im November 2014 beantragte der Kläger eine Entschädigung wegen altersdiskriminierender Besoldung rückwirkend ab dem .
4Die im Dezember 2016 erhobene Untätigkeitsklage des Klägers blieb ohne Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe für den Zeitraum ab dem weder einen Anspruch auf Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz noch einen Zahlungsanspruch nach den Grundsätzen des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs. Mit der am in Kraft getretenen Neuregelung des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes sei der Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung rückwirkend zum beseitigt worden. Die mit der Einführung des niedersächsischen Erfahrungsstufensystems verbundene mittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters sei durch ein rechtmäßiges Ziel, die Honorierung der Berufserfahrung, sachlich gerechtfertigt. Der Rückgriff auf das Dienstalter sei ein angemessenes Mittel und gehe nicht über das zur Erreichung des Ziels Erforderliche hinaus. Insbesondere sei der Landesgesetzgeber nicht verpflichtet gewesen, die Erfahrungsstufen nach verschiedenen Laufbahnen zu differenzieren. Auch sei die altersbedingte Rückentwicklung der Leistungsfähigkeit kein Umstand, der ernstliche Zweifel daran aufkommen lasse, dass das niedersächsische Erfahrungsstufensystem nicht geeignet sei, Berufserfahrung zu honorieren. Die biologisch bedingte Abnahme der Leistungsfähigkeit mit höherem Lebensalter sei von der sich aus der Berufserfahrung ergebenden Fähigkeit, Arbeit besser verrichten zu können, zu unterscheiden. Innerhalb des an der Länge einer bestimmten Dienstzeit ausgerichteten Erfahrungsstufensystems habe eine Gegenrechnung der abnehmenden körperlichen Leistungsfähigkeit im Lebensalter gegen die während der Dienstzeit fortlaufend hinzugewonnene Berufserfahrung nicht zu erfolgen. Darüber hinaus habe der Besoldungsgesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, wonach es ihm unbenommen bleibe, auf die Länge der Dienstzeit pauschal für die jeweilige Besoldungsgruppe abzustellen, ohne altersbedingte körperliche Veränderungen zu berücksichtigen. Die vom niedersächsischen Gesetzgeber vorgenommene Typisierung sei nicht evident sachwidrig.
52. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Die Revision ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
6Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom - 2 B 5.19 - Buchholz 232.01 § 26 BeamtStG Nr. 11 Rn. 6).
7Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen,
"ist es rechtmäßig, zur Klärung der Frage, ob das beamtenrechtliche Erfahrungsstufensystem des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes vom bezüglich der Besoldungsgruppen A 9 und A 10, bei denen Bezügesteigerungen für Zeiträume von 26 Jahren vorgesehen sind, im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Ermessens angemessen und erforderlich im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG ist, allein auf die durch die Dauer der Tätigkeit wachsende Berufserfahrung abzustellen, die aufgrund höheren Lebensalters abnehmende körperliche und geistige Leistungsfähigkeit aber unberücksichtigt zu lassen?",
"ist es geboten, zur Klärung der Frage, ob das beamtenrechtliche Erfahrungsstufensystem des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes vom bezüglich der Besoldungsgruppen A 9 und A 10, bei denen Bezügesteigerungen für Zeiträume von 26 Jahren vorgesehen sind, ernstliche Zweifel daran begründet, ob dieses zur Erreichung des Ziels, die Fähigkeit seine Arbeit besser zu verrichten, geeignet ist (Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG), nicht nur auf die durch die Dauer der Tätigkeit wachsende Berufserfahrung, sondern auch auf die aufgrund höheren Lebensalters abnehmende körperliche und geistige Leistungsfähigkeit abzustellen?",
"ist es rechtmäßig, zur Klärung der Frage, ob das beamtenrechtliche Erfahrungsstufensystem des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes vom bei Beamten in einer Laufbahn der Fachrichtung Polizei der Besoldungsgruppen A 9 und A 10, bei denen Bezügesteigerungen für Zeiträume von 26 Jahren vorgesehen sind, im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Ermessens angemessen und erforderlich im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG ist, allein auf die durch die Dauer der Tätigkeit wachsende Berufserfahrung abzustellen, die aufgrund höheren Lebensalters abnehmende körperliche Leistungsfähigkeit aber unberücksichtigt zu lassen?",
betreffen revisibles Recht, führen aber nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Fragen lassen sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und den dazu ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des Berufungsurteils eindeutig beantworten, ohne dass es dafür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
8a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. , Palacios de la Villa - Rn. 68, vom - C-45/09, Rosenbladt - Rn. 41 und vom - C-501/12 u. a., Specht u. a. - Rn. 46, 49) können die Mitgliedstaaten im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303 S. 16) - RL 2000/78/EG - Maßnahmen im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik vorsehen, die Ungleichbehandlungen wegen des Alters einschließen. Sie verfügen nicht nur bei der Entscheidung darüber, welches konkrete Ziel von mehreren sie dabei verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der zu seiner Erreichung geeigneten Maßnahmen über ein weites Ermessen.
9Dabei hat der Gerichtshof (vgl. , Danfoss - Rn. 24, vom - C-17/05, Cadman - Rn. 34 ff., 40 und vom - C-501/12 u. a., Specht u. a. - Rn. 48 ff.) anerkannt, dass die Honorierung der von einem Arbeitnehmer erworbenen Berufserfahrung, die es diesem ermöglicht, seine Arbeit besser zu verrichten, in der Regel ein legitimes Ziel der Entgeltpolitik ist. Der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters ist in der Regel als Mittel zur Erreichung dieses Ziels geeignet und damit angemessen, weil das Dienstalter mit der Berufserfahrung einhergeht, die den Arbeitnehmer im Allgemeinen befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten. Deshalb hat der Arbeitgeber nicht besonders darzulegen, dass der Rückgriff auf dieses Kriterium zur Erreichung des genannten Ziels in Bezug auf einen bestimmten Arbeitsplatz geeignet ist. Anders liegt es nur, wenn der Arbeitnehmer Anhaltspunkte liefert, die geeignet sind, ernstliche Zweifel in dieser Hinsicht aufkommen zu lassen. Wird zur Festlegung des Entgelts ein System beruflicher Einstufung verwendet, dem eine Bewertung der zu verrichtenden Arbeit zugrunde liegt, braucht dabei nicht nachgewiesen zu werden, dass ein individuell betrachteter Arbeitnehmer während des einschlägigen Zeitraums eine Erfahrung erworben hat, die es ihm ermöglicht hat, seine Arbeit besser zu verrichten. Die Art der zu verrichtenden Arbeit ist objektiv zu berücksichtigen. Allerdings ist im Fall einer angemessenen Maßnahme weiter zu prüfen, ob diese unter Berücksichtigung des dem Mitgliedstaat zuerkannten weiten Ermessens im Sinne des Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG auch erforderlich ist. Nach dem unionsrechtlichen Begriffsverständnis ist ein Mittel erforderlich, wenn es nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinausgeht. Insoweit hat der Gerichtshof festgestellt, dass eine nationale Regelung diese Grenze überschreitet, wenn die bei der Einstellung eines Beamten stattfindende Einstufung in eine Grundgehaltsstufe anhand des Lebensalters erfolgt. Die Anknüpfung an das Lebensalter geht über das hinaus, was zur Erreichung des legitimen Ziels - der Berücksichtigung der Berufserfahrung - erforderlich ist.
10b) Nach diesen Grundsätzen, denen der Senat folgt und die seiner Rechtsprechung zugrunde liegen (vgl. 2 C 3.13 - BVerwGE 150, 255 <zur Neuordnung des sächsischen Besoldungsrechts> und vom - 2 C 6.13 - BVerwGE 150, 234 <zur Neuordnung des sachsen-anhaltinischen Besoldungsrechts> sowie Beschluss vom - 2 B 7.18 - Buchholz 245 LandesBesR Nr. 21 Rn. 36 <zur baden-württembergischen Richterbesoldung nach Erfahrungsstufen>), ist mit den Regelungen über die Besoldung der niedersächsischen Beamten in § 7 und § 25 Abs. 1 i. V. m. Anlage 5 des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes vom (Nds. GVBl. 2016, 308; Nds. GVBl. 2017, 64 - NBesG) keine Ungleichbehandlung wegen des Alters im Sinne des Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG verbunden.
11Dabei ist zu berücksichtigen, dass es dem weiten Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Wahl der Maßnahmen zur Erreichung ihrer Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik entspricht, dass das nationale Verfassungsrecht dem Gesetzgeber bei den Regelungen des Besoldungsrechts einen weiten Gestaltungsspielraum einräumt. Dieser gilt sowohl hinsichtlich der Struktur als auch hinsichtlich der Höhe der Besoldung. Deshalb ist gerichtlich nicht zu überprüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat. Es kann, sofern nicht von der Verfassung selbst getroffene Wertungen entgegenstehen, nur die Überschreitung äußerster Grenzen beanstandet werden, jenseits derer sich gesetzliche Vorschriften bei der Abgrenzung von Lebenssachverhalten als evident sachwidrig erweisen. Dem Gesetzgeber steht es im Besonderen frei, aus der Vielzahl der Lebenssachverhalte die Tatbestandsmerkmale auszuwählen, die für die Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgebend sein sollen. Ihm muss zugestanden werden, auch das gesamte Besoldungsgefüge und übergreifende Gesichtspunkte in den Blick zu nehmen. Jede Regelung des Besoldungsrechts muss zwangsläufig generalisieren und typisieren und wird in der Abgrenzung unvermeidbare Härten mit sich bringen. Die sich daraus ergebenden Unebenheiten, Friktionen und Härten müssen grundsätzlich hingenommen werden, sofern sich für die Gesamtregelung ein vernünftiger Grund anführen lässt (stRspr, vgl. nur u. a. - BVerfGE 139, 64 Rn. 94; Beschlüsse vom - 2 BvL 7/98 - BVerfGE 103, 310 <320> und vom - 2 BvL 16/02 - BVerfGE 110, 353 <364 f.>).
12Ziel des in § 7 und § 25 Abs. 1 i. V. m. Anlage 5 NBesG neu geregelten Besoldungssystems ist die Honorierung der Berufserfahrung. Dies ergibt sich aus dem klaren Wortlaut des § 25 Abs. 1 Satz 1 NBesG und aus seinem Sinn und Zweck, die sich der Entstehungsgeschichte eindeutig entnehmen lassen. Nach dem Wortlaut der Norm erfolgt die Zuordnung eines Beamten zu einer Besoldungsstufe nach der Dauer seiner dienstlichen Erfahrung. Dies entspricht der Intention des Landesgesetzgebers, wonach das bisherige, auf dem sog. Besoldungsdienstalter beruhende Besoldungssystem durch ein Modell abgelöst werden sollte, das sich allein nach dem Kriterium der Berufserfahrung bestimmt. Im Hinblick darauf sollte die bisherige Verfahrensweise des Ansteigens der Grundgehälter in der Besoldungsordnung A durch einen individuellen, am Dienstalter orientierten Aufstiegsrhythmus ersetzt werden. Dass mit der Beibehaltung der vormaligen Tabellenstruktur zugleich eine Verminderung des Lebenseinkommens vermieden werden sollte, diente dem Zweck, den Besitzstand bereits ernannter Beamter zu wahren (LT-Drs. 17/3512 S. 131 f.).
13Mit dem Rückgriff allein auf die tatsächlich abgeleistete Dienstzeit knüpft der Landesgesetzgeber typisierend an ein zulässiges besoldungsrechtliches Differenzierungsmerkmal im Sinne des Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG an, das regelmäßig ein geeignetes Mittel ist, die Berufserfahrung zu honorieren. Die Beschwerdebegründung zeigt keine Situation auf, die ernstliche Zweifel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs an dem von ihm aufgestellten Erfahrungssatz aufkommen lassen (vgl. , Cadman - Rn. 34 ff., 40). Mit dem Verweis auf den biologischen Alterungsprozess stellt die Beschwerde den dem Erfahrungssatz zugrunde liegenden Lebenssachverhalt und damit die Anwendbarkeit des Erfahrungssatzes nicht in Abrede. Der Erfahrungssatz geht gerade davon aus, dass Beamte mit ihrer erstmaligen Einstellung ungeachtet ihres Einstellungsalters Berufserfahrung erwerben, die nach Maßgabe der absolvierten Dienstzeit und damit des fortschreitenden biologischen Alters zunimmt (vgl. u. a., Specht u. a. - Rn. 50). Umstände, die aufgrund ihrer Atypik den regelmäßig gerechtfertigten Schluss nicht mehr hinreichend sicher erscheinen lassen, zeigt die Beschwerde nicht auf.
14Das niedersächsische Erfahrungsstufensystem stellt nach dem Verständnis der Richtlinienbestimmung auch eine erforderliche Maßnahme dar. Das Besoldungssystem geht nicht über das zur Erreichung des Ziels Erforderliche hinaus. Unter Berücksichtigung des dem niedersächsischen Besoldungsgesetzgeber zustehenden weiten Gestaltungsspielraums sind die zum Besoldungsaufstieg führenden Erfahrungszeiten nicht in einem Umfang festgelegt, dass der in typisierender und generalisierender Weise angenommene stufenweise Erfahrungszuwachs nicht mehr von den tatsächlichen Verhältnissen gedeckt ist und deshalb nur noch ein höheres Lebensalter zu einer höheren Einstufung führt.
15Der Landesgesetzgeber hat bezogen auf die jeweiligen Besoldungsgruppen die Erfahrungsstufen unterschiedlich gestaffelt, wobei das Grundgehalt je nach Stufe nach unterschiedlichen Zeitabständen von zunächst zwei bis später vier Jahren steigt. Die honorierbare Erfahrungszeit ist in den jeweiligen Besoldungsgruppen unterschiedlich begrenzt. Frühestens nach 14 Jahren und spätestens nach 28 Jahren findet keine weitere Steigerung der Besoldung wegen erworbener Erfahrung mehr statt, in der Besoldungsgruppe des Klägers, Besoldungsgruppe A 10, nach 26 Jahren Dienstzeit (vgl. § 25 Abs. 1 i. V. m. Anlage 5 NBesG).
16Die Einschätzung des niedersächsischen Gesetzgebers, dass mit den für die jeweiligen Besoldungsgruppen pauschal festgelegten Abschnitten der Dienstzeit typischerweise - wenn auch mit zunehmender Dauer verlangsamt und bei niedrigen Besoldungsgruppen früher endend - ein Zuwachs an Berufserfahrung einhergeht, die im Allgemeinen im Vergleich zu Dienstjüngeren zur besseren Verrichtung der Arbeit führt, erweist sich nicht als evident sachwidrig. Der Gesetzgeber war nicht gehindert, die bis zur Novellierung des Besoldungsrechts geltende Tabellenstruktur (Dauer von zwei, drei und vier Jahren) in das Erfahrungsstufensystem mit der plausiblen Erwägung zu übernehmen, dass der Erfahrungsgewinn in den ersten Berufsjahren schneller erfolge als später (vgl. LT-Drs. 17/3512 S. 131). Auch die vormalige Besoldungstabelle ermöglichte den stufenweisen Aufstieg in der Besoldungsgruppe nach Maßgabe der Berufserfahrung. Der Aufstieg knüpfte an das fortschreitende Lebensalter und damit an das Dienstalter an. Der Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG lag allein darin, dass die erstmalige Einstufung in eine bestimmte Stufe einer bestimmten Besoldungsgruppe eines Beamten ohne jede Berufserfahrung anhand seines Lebensalters vorgenommen wurde und damit über das verfolgte Ziel der Berücksichtigung der Berufserfahrung hinausging (vgl. u. a., Specht u. a. - Rn. 50 und 51; 2 C 3.13 - Buchholz 245 LandesBesR Nr. 8 Rn. 15).
17Weiter hat der Landesgesetzgeber die unterschiedliche Stufenzahl und das Erreichen des Endgrundgehalts nach unterschiedlich langen Zeiträumen nachvollziehbar damit begründet, dass sich der mögliche Erfahrungszuwachs in der Dienstzeit nach den zu erfüllenden Dienstaufgaben bestimmt, folglich in höheren, mit schwierigen Aufgaben betrauten Besoldungsgruppen auch länger substanziell neue Berufserfahrungen gewonnen werden können (vgl. LT-Drs. 17/3512 S. 131). Davon ausgehend ist seine Einschätzung nicht zu beanstanden, dass im gehobenen Dienst in den Besoldungsgruppen A 9 und A 10 über eine Dienstzeit von 26 Jahren honorierbare Berufserfahrungen erworben werden können, die grundsätzlich befähigen, Arbeit besser zu verrichten. Im Hinblick auf das von Beamten des gehobenen Dienstes zu bewältigende Aufgabenspektrum in unterschiedlichen Aufgabenbereichen ist es nicht sachfremd, typischerweise einen Erfahrungszuwachs über einen Zeitraum anzunehmen, der sich auch im Fall vorgezogener Altersgrenzen bei Polizeivollzugsbeamten (§ 109 Abs. 1 und 2 NBG) oder bei Beamten des Feuerwehrdienstes (§ 115 Abs. 1 NBG) auf etwa zwei Drittel bis sieben Zehntel der gesamten Dienstzeit dieser Beamten erstreckt.
18Eine Sachwidrigkeit folgt auch nicht daraus, dass für die Laufbahnen der Fachrichtung Polizei eine niedrigere Einstellungshöchstaltersgrenze für den Vorbereitungsdienst von 32 Jahren und für das Probebeamtenverhältnis von 35 Jahren wegen der besonderen körperlichen Anforderungen an die Polizeitätigkeit gilt (vgl. § 108 NBG). Dies zwingt den Gesetzgeber nicht, bei der Besoldungsstufung den Grad der körperlichen Beanspruchung oder der körperlichen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Die in den Laufbahnen der Fachrichtung Polizei zu verrichtenden Tätigkeiten sind ihrer Art nach objektiv durch eine Wechselbeziehung zwischen körperlich anspruchsvollen Aufgaben, die von lebensjüngeren Beamten zu erfüllen sind, und körperlich weniger anspruchsvollen Aufgaben gekennzeichnet (vgl. LT-Drs. 18/149 S. 32). Deshalb ist es nicht zu beanstanden, wenn der Normgeber im Rahmen seines weiten Ermessens generalisierend und pauschalierend die Dienstbiographie in den Blick nimmt und auf den in den jeweiligen Tätigkeitszeiträumen erlangten Erfahrungszuwachs abstellt.
19Das niedersächsische Erfahrungsstufensystem führt nicht zu einer Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) der Gruppe der Beamten gegenüber der Gruppe der Tarifbeschäftigten des Landes, die spätestens nach einer anforderungsgerecht absolvierten Zeit von 15 Berufsjahren die Endstufe der Entgelttabelle erreichen (vgl. § 16 TV-L). Wegen der strukturellen Unterschiede sind Tarifvertragsrecht und Besoldungsrecht nicht vergleichbar.
20c) Das Vorbringen der Beschwerdebegründung, das Berufungsgericht habe den Rechtssatz gebildet, jegliche Berufserfahrung führe automatisch zu besserer Arbeit, und dabei verkannt, dass es bei dem Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters als besoldungsrechtliches Differenzierungsmerkmal Grenzen gebe, ist unrichtig. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der niedersächsische Gesetzgeber zwischen den einzelnen Besoldungsgruppen und den damit einhergehenden beruflichen Herausforderungen, die zu unterschiedlich langen Erfahrungszuwachsen führen, unterschieden und die Erfahrungszeit begrenzt hat, indem er die Dienstzeit nicht bis zur regulären Pensionierung als zu honorierende Erfahrungszeit ausgestaltet, sondern auf höchstens 28 Jahre beschränkt hat. Das so ausgestaltete Erfahrungsstufensystem hat das Berufungsgericht unter Zugrundelegung der von der Beschwerde zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteile vom - C-17/05, Cadman - Rn. 34 ff. und vom - C-501/12 u. a., Specht u. a. - Rn. 48 ff.) - entscheidungstragend auch - im Hinblick auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unbeanstandet gelassen (vgl. UA S. 51 ff., 57 f.).
213. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 sowie § 39 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:270723B2B46.22.0
Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 10 Nr. 41
VAAAJ-47855