BGH Beschluss v. - 5 StR 550/22, 5 StR 39/23

Anforderungen an den Ablehnungsbeschluss hinsichtlich Beweisanträgen wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit; qualifizierte Konnexität

Gesetze: § 26a Abs 1 StPO, § 26a Abs 2 S 1 StPO, § 27 StPO, § 244 Abs 3 S 1 StPO, § 244 Abs 3 S 3 Nr 2 StPO, § 244 Abs 6 S 1 StPO, § 338 Nr 3 StPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Instanzenzug: Az: 534 KLs 20/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten H.    wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in Tateinheit mit besonders schwerer Bestechung und mit Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und die Angeklagte Z.   – nachdem es deren Verfahren aus dem ursprünglich gemeinsam geführten herausgetrennt hatte – wegen Einschleusens von Ausländern in Tateinheit mit besonders schwerer Bestechlichkeit und Urkundenfälschung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es gegen beide Angeklagte Einziehungsentscheidungen getroffen.

2Nach den übereinstimmenden Feststellungen verschaffte der Angeklagte H.    gemeinschaftlich mit weiteren Personen ausländischen Staatsangehörigen einen scheinlegalen Aufenthalt in der Bundesrepublik, um sich dadurch eine fortlaufende und nicht unerhebliche Einnahmequelle zu erschließen; dazu veranlassten sie die behördliche Eintragung von Niederlassungserlaubnissen in die Reisepässe der Ausländer, indem der jeweilige Pass mit einem widerrechtlich ausgefüllten Blankoaufenthaltstitel versehen, anschließend beschädigt und beim zuständigen Konsulat gegen einen neuen eingetauscht wurde. In den ausgeurteilten Fällen übertrug die im Bürgeramt R.             beschäftigte Angeklagte Z.   unter Vermittlung des Angeklagten H.     den vermeintlichen Aufenthaltstitel schließlich in den neuen Reisepass, und zwar ohne die an sich erforderliche persönliche Anwesenheit des Passinhabers oder eines Vertreters. Diesen „Zusatzservice“ einer Titelübertragung ohne persönliche Anwesenheit mussten die „Kunden“ gesondert vergüten. Die Angeklagte Z.   erhielt für die Übertragung des vermeintlichen Aufenthaltstitels ihrerseits ein Entgelt. Auch sie wollte sich dadurch eine fortlaufende und nicht unerhebliche Einnahmequelle verschaffen.

3Die auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben mit einer inhaltlich identisch erhobenen Beweisantragsrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

41. Zu Recht machen die Beschwerdeführer geltend, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Einvernahme des Zeugen B.   abgelehnt.

5a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zu Grunde:

6Die Beschwerdeführer haben in der Hauptverhandlung die Vernehmung des Zeugen zum Beweis der Tatsache beantragt, dass er bei seiner Titelübertragung im Bürgeramt R.             persönlich vorstellig gewesen sei und den angeblichen „Zusatzservice“ nicht in Anspruch genommen habe. Das Landgericht hat das Verfahren daraufhin hinsichtlich des den Zeugen B.   betreffenden Anklagevorwurfs nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und die Beweisanträge wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, Rückschlüsse dergestalt, dass „Kunden“ auch in weiteren von der Anklage umfassten Fällen persönlich im Bürgeramt anwesend waren, seien zwar möglich, die Strafkammer beabsichtige aber nicht, sie zu ziehen, weil bei vorläufiger Würdigung der bisherigen Beweisaufnahme ausschließlich Beweismittel vorlägen, nach denen kein weiterer „Kunde“ persönlich im Bürgeramt anwesend gewesen sei.

7b) Die Rüge ist zulässig erhoben.

8Insbesondere war es gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht geboten, die Vernehmungsprotokolle des Mitangeklagten S.    und des Zeugen Bo.  vorzulegen. Deren Aussage, der „Zusatzservice“ einer Titelübertragung ohne persönliche Anwesenheit der „Kunden“ sei in allen den Anklagevorwurf bildenden Fällen unter Mitwirkung der Angeklagten erfolgreich durchgeführt worden, ergibt sich bereits aus den dem Senat auf die Sachrüge hin zugänglichen Urteilsgründen. Zur Prüfung der mit der Angriffsrichtung einer unzulänglichen Begründung der Ablehnungsentscheidung erhobenen Rüge bedarf es der Kenntnis des Inhalts der Angaben der gesondert Verfolgten mithin nicht.

9c) Die Rüge ist auch begründet.

10aa) Die Ablehnungsentscheidung des Landgerichts genügt nicht den Begründungsanforderungen an einen Beschluss nach § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO.

11Insoweit gilt: Der Ablehnungsbeschluss muss einerseits den Antragsteller über den Standpunkt des Gerichts informieren und ihm dadurch ermöglichen, sein weiteres Prozessverhalten auf die durch die Ablehnung seines Antrags entstandene Verfahrenslage einzustellen, und andererseits das Revisionsgericht in die Lage versetzen, die Ablehnungsentscheidung zu überprüfen (vgl. nur , NStZ 2000, 267, 268). Im Falle der Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit hat das Tatgericht deshalb mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum es aus der unter Beweis gestellten Tatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Tatgericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Überzeugungsbildung ohne Einfluss geblieben ist (vgl. etwa , NStZ 2014, 110, 111; Urteil vom – 3 StR 497/10, NStZ 2011, 713, 714 jeweils mwN).

12Diesen Anforderungen wird der angegriffene Ablehnungsbeschluss nicht gerecht. Das Landgericht begnügt sich zur Begründung der tatsächlichen Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache letztlich mit dem pauschalen Hinweis, dass nach der bisherigen Beweisaufnahme ausschließlich Beweismittel vorlägen, nach denen kein weiterer „Kunde“ persönlich im Bürgeramt anwesend gewesen sei. Weder macht es die maßgeblichen Beweismittel namhaft noch legt es auch nur ansatzweise dar, weshalb die Beweistatsache nicht geeignet sei, seine auf diese Beweismittel gestützte Überzeugung zu erschüttern. Damit bleiben die genauen Beweiserwägungen des Landgerichts intransparent.

13bb) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die Angeklagten bei rechtsfehlerfreier Entscheidung über den Beweisantrag erfolgreicher als geschehen hätten verteidigen können und das Landgericht zu einer anderen, den die Tatvorwürfe bestreitenden Angeklagten günstigeren Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen gelangt wäre.

142. Nach alledem kommt es auf die gleichfalls erfolgversprechenden Beweisantragsrügen der Beschwerdeführer betreffend den Zeugen G.    (vgl. hierzu Antragsschrift des Generalbundesanwalts im Verfahren 5 StR 39/23) ebenso wenig an wie auf die weiteren Verfahrensbeanstandungen und die jeweils erhobene Sachrüge.

15Insoweit sieht der Senat allerdings Veranlassung für folgende Hinweise:

16a) Soweit die Strafkammer den von beiden Beschwerdeführern gestellten Antrag auf Vernehmung der Zeugin K.    mit der Begründung als bloßen Beweisermittlungsantrag behandelt hat, es sei „nicht nachvollziehbar, warum die benannte Zeugin die Beweisbehauptungen bestätigen können sollte“, denn diese widersprächen „diametral den bisherigen Beweisergebnissen“, ist dies rechtsfehlerhaft. Denn damit hat das Landgericht dem Antrag seine Beweisantragsqualität letztlich unter Verweis auf die Rechtsfigur der sogenannten qualifizierten oder erweiterten Konnexität bei fortgeschrittener Beweisaufnahme (vgl. zum Begriff etwa Rn. 23, NJW 2021, 3404, 3406; BeckOK StPO/Bachler, 48. Ed., § 244 Rn. 25 mwN) abgesprochen. Nach der umfassenden Neuregelung des Beweisantragsrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom (BGBl. I 2019 S. 2121, 2122) mit der Legaldefinition des Beweisantrags in § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO werden solche weitergehenden Anforderungen an die Konnexität indes nicht (mehr) gestellt (BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 188/21 Rn. 22 ff., NJW 2021, 3404; vom – 5 StR 450/21 Rn. 10, NStZ 2022, 763). Ihr Fehlen kann mithin die von der Strafkammer vorgenommene Einstufung als bloßen Beweisermittlungsantrag nicht rechtfertigen.

17b) Zu Recht beanstandet die Angeklagte Z.   mit ihrer Rüge nach § 338 Nr. 3 StPO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dass die abgelehnten Mitglieder der erkennenden Strafkammer ihr zweites Ablehnungsgesuch, mit dem sie geltend gemacht hat, ihr sei durch willkürliche Verwerfung des vorangegangenen Ablehnungsgesuchs wegen Verschleppungsabsicht gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO bereits im Ablehnungsverfahren der gesetzliche Richter entzogen worden, wiederum wegen Verschleppungsabsicht gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig verworfen haben.

18Denn die Wahl des Verfahrens nach § 26a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO als Ausnahme von dem in § 27 StPO erfassten Regelfall der Entscheidung ohne die Mitwirkung des abgelehnten Richters darf nicht dazu führen, dass der abgelehnte Richter sein eigenes Verhalten beurteilt und sich damit gleichsam zum „Richter in eigener Sache“ aufschwingt. Die Beteiligung eines Richters an der Entscheidung über ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch ist vielmehr auf Fälle echter Formalentscheidungen und die Verhinderung eines offensichtlichen Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt; sie setzt voraus, dass keine Entscheidung in der Sache getroffen wird und scheidet dementsprechend aus, wenn ein auch nur geringfügiges Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich ist. Das war hier der Fall, weil sich die Strafkammer in der Entscheidung über das zweite Ablehnungsgesuch mit ihrer Behandlung des ersten Ablehnungsgesuchs auseinandergesetzt hat. Jedenfalls bei einer willkürlichen oder die Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erheblich missachtenden Überschreitung des durch § 26a StPO abgesteckten Rahmens begründet bereits dies den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO, ohne dass es auf die sachliche Berechtigung der Ablehnungsgründe ankommt (vgl. zum Ganzen nur BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216, 218 ff.; vom – 4 StR 443/07, NStZ 2008, 523, 524 jeweils mwN).

19c) Die Urteilsgründe sind so abzufassen, dass die tatgerichtliche Entscheidung nachvollziehbar und einer – auf die Sachrüge durchzuführenden – revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglich ist (; Beschluss vom – 3 StR 364/12, NStZ-RR 2013, 78, 79). Dem werden die angegriffenen Urteile nicht gerecht, soweit das Landgericht die Angaben des Mitangeklagten S.    und des Zeugen Bo.  ungeachtet dessen für glaubhaft erachtet, dass diese sich „bezüglich weiterer Umstände außerhalb des Kerngeschehens in einigen Punkten widersprechen“ und „beide im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung in einigen Punkten die Unwahrheit gesagt haben“. Der Senat kann die Beweiswürdigung des Landgerichts mangels Darstellung der konkreten Defizite in den Aussagen dieser beiden zentralen Beweispersonen revisionsrechtlich nicht überprüfen (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts im Verfahren 5 StR 39/23).

20d) Schließlich erweist sich auch die Beweiserwägung des Landgerichts als nicht unbedenklich, es hätte für die Angeklagte Z.   im Falle eines gegen sie gerichteten Komplotts nahegelegen, über     Ke.   herauszufinden, wen er als Vertreter der „Kunden“ ins Bürgeramt geschickt habe; denn es oblag nicht der Angeklagten, sie möglicherweise entlastende Beweismittel herbeizuschaffen, sondern vielmehr der Staatsanwaltschaft (§ 160 Abs. 2 StPO) und nach Eröffnung des Hauptverfahrens der Strafkammer (§ 244 Abs. 2 StPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:070823B5STR550.22.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-47749