Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs bei einer Kapitalgesellschaft
Leitsatz
1. Die tatsächliche und vollständige Rückgängigmachung im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) setzt grundsätzlich die Löschung einer zugunsten des Ersterwerbers eingetragenen Auflassungsvormerkung voraus.
2. Die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist allerdings nur dann ausgeschlossen, wenn der Ersterwerber bei der Rückgängigmachung des Grundstückserwerbs den aufgrund der Auflassungsvormerkung bestehenden Anschein einer Rechtsposition in seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat.
3. Ist die Ersterwerberin eine Kapitalgesellschaft, muss sie sich die Interessen ihrer Gesellschafter beziehungsweise Geschäftsführer zurechnen lassen.
Gesetze: GrEStG § 16 Abs. 1 Nr. 1;
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I.
1 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) —eine GmbH— wurde durch notariell beurkundeten Vertrag vom gegründet. Die beiden zu gleichen Teilen beteiligten Gesellschafter waren die F-GmbH und die E-GmbH. Gesellschafter der F-GmbH waren zu gleichen Teilen die Herren H und I. Gesellschafter der E-GmbH war Herr G. Dieser war ab Januar 2017 mittelbar über eine GmbH & Co. KG als deren alleiniger Kommanditist und Gesellschafter der Komplementär-GmbH an der E-GmbH beteiligt. Zu alleinvertretungsberechtigten und von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs befreiten Geschäftsführern der Klägerin waren die Herren G und H bestellt.
2 Die Klägerin erwarb als GmbH in Gründung mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom Grundbesitz zu einem Kaufpreis in Höhe von 6.330.000 €. Zugunsten der Klägerin wurde eine Auflassungsvormerkung bewilligt und im Grundbuch am eingetragen. Mit Bescheid vom setzte das damals zuständige Finanzamt gegen die Klägerin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Grunderwerbsteuer in Höhe von 379.800 € (6.330.000 € x 6 %) fest.
3 Mit notariell beurkundetem Vertrag vom schloss die Klägerin —vertreten durch ihre einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer G und H— mit der Verkäuferin auf ihre Kosten einen Vertrag über die Aufhebung des Grundstückskaufvertrags vom . Unter § 2 des Aufhebungsvertrags wurde die seinerzeit erklärte Auflassung aufgehoben und die Verkäuferin verpflichtet, den bereits gezahlten Kaufpreis an die Klägerin zurückzuzahlen. Unter § 3 des Aufhebungsvertrags beantragten die Vertragsbeteiligten mit der Bewilligung der Klägerin die Löschung der Auflassungsvormerkung. Unter § 6 des Aufhebungsvertrags wurde die Notarin beauftragt, den Aufhebungsvertrag dem Grundbuchamt und dem Finanzamt erst vorzulegen, sobald ihr die Rückzahlung des Kaufpreises an die Klägerin nachgewiesen worden sei. Eine Rückzahlung des Kaufpreises erfolgte trotz Anmahnungen der Klägerin nicht.
4 Mit notariell beurkundeten Kaufverträgen vom wurden die ursprünglich von der Klägerin erworbenen Grundstücke durch die Herren G und H von der ehemaligen Verkäuferin erworben. Der Kaufpreis betrug insgesamt 6.330.000 € und wurde seitens der Neuerwerber durch Zahlung unmittelbar an die Klägerin erbracht. Hinsichtlich dieser Grundstückserwerbe erfolgten —nicht streitgegenständliche— Grunderwerbsteuerfestsetzungen.
5 Mit Schreiben vom wurde die Löschung der zugunsten der Klägerin eingetragenen Auflassungsvormerkung beim Grundbuchamt durch die Notarin beantragt. Die Löschung der Auflassungsvormerkung im Grundbuch erfolgte am .
6 Am beantragte die Klägerin beim seinerzeit zuständigen Finanzamt die Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung vom nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG). Mit Bescheid vom lehnte der nunmehr zuständige Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt —FA—) die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids vom ab.
7 Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom ) wies das Finanzgericht (FG) die Klage als unbegründet zurück. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 393 veröffentlicht.
8 Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie vertritt die Auffassung, die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung vom nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG lägen vor, da der Erwerbsvorgang binnen zwei Jahren rückgängig gemacht worden sei. Grund für die Rückgängigmachung sei unter anderem gewesen, dass die Klägerin nicht in der Lage gewesen sei, die für die intendierte Projektentwicklung nötige Finanzierung über Fremdkapital oder Eigenkapital durch die Gesellschafter aufzubringen.
9 Die Verkäuferin habe mit Abschluss des Aufhebungsvertrags vom wieder uneingeschränkt über ihre Grundstücke verfügen können. Sie sei in der Lage gewesen, bei Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegebenenfalls im Wege eines abgekürzten Zahlungsweges die Löschung der Auflassungsvormerkung zu erreichen. Die Auflassungsvormerkung selbst habe keine Rechtswirkungen mehr entfaltet und der Klägerin keine verwertbare Rechtsposition vermittelt. Das Grundbuch sei ab Erteilung der Löschungsbewilligung unrichtig geworden. Die Verkäuferin hätte es jederzeit berichtigen lassen können, eine Mitwirkung der Klägerin sei dafür nicht erforderlich gewesen. Zudem habe die Klägerin weder tatsächlich an den Zweitverträgen mitgewirkt, noch daran mitwirken müssen.
10 Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom und der Einspruchsentscheidung vom zu verpflichten, den Grunderwerbsteuerbescheid vom aufzuheben.
11 Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe
II.
12 Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung für den Grundstückserwerb vom nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG im Streitfall nicht erfüllt sind.
13 1. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird eine Steuerfestsetzung auf Antrag aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang vor dem Übergang des Eigentums am Grundstück auf den Erwerber durch Vereinbarung der Vertragspartner innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht wird.
14 a) „Rückgängig gemacht“ ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 242, 177, BStBl II 2014, 588, Rz 11 und vom - II R 10/16, BFHE 262, 465, BStBl II 2019, 176, Rz 14).
15 b) Wird im Zusammenhang mit der Aufhebung eines Kaufvertrags über ein Grundstück dieses weiterveräußert, ist für die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG entscheidend, ob für den früheren Erwerber trotz der Vertragsaufhebung die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem „rückgängig gemachten“ Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben war (vgl. , BFHE 242, 177, BStBl II 2014, 588, Rz 12 und vom - II R 10/16, BFHE 262, 465, BStBl II 2019, 176, Rz 15).
16 2. Die tatsächliche und vollständige Rückgängigmachung im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG setzt grundsätzlich die Löschung einer zugunsten des Ersterwerbers eingetragenen Auflassungsvormerkung voraus.
17 a) Die Auflassungsvormerkung beeinträchtigt die Verkehrsfähigkeit eines Grundstücks unabhängig vom Fortbestand des zivilrechtlichen Übereignungsanspruchs (, BFHE 220, 555, BStBl II 2008, 882, unter II.1.). Die Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit entfällt erst dann, wenn der Erwerber des Grundstücks dem Veräußerer eine Löschungsbewilligung in grundbuchrechtlich gebotener Form erteilt hat und der Veräußerer im Verhältnis zum Erwerber darüber frei und ohne Einflussnahme seitens des Erwerbers verfügen kann (vgl. , BFHE 220, 555, BStBl II 2008, 882, unter II.1.). Bis dahin geht von der eingetragenen Auflassungsvormerkung ein Rechtsschein aus, der dem Erwerber ermöglicht, auf die Weiterveräußerung Einfluss zu nehmen.
18 b) Ist die Löschungsbewilligung nach § 19 der Grundbuchordnung (GBO) zwar erteilt, der Antrag auf Löschung nach § 13 GBO jedoch —wie im Rechtsverkehr üblich— schuldrechtlich noch von der Rückzahlung des ursprünglich gezahlten Kaufpreises abhängig, kann der ursprüngliche Veräußerer im Verhältnis zum Erwerber noch nicht frei über das Grundstück verfügen. Üblicherweise wird dies im Rechtsverkehr dadurch bewirkt, dass der Notar von beiden Vertragsparteien beauftragt wird, die Löschungsbewilligung für die Auflassungsvormerkung dem Grundbuchamt erst dann vorzulegen, wenn der Kaufpreis zurückgezahlt wurde. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Veräußerer das nach Erteilung der Löschungsbewilligung für die Auflassungsvormerkung unrichtige Grundbuch unter Missachtung dieser schuldrechtlichen Absprache berichtigen lassen könnte. Solange er dazu im Innenverhältnis nicht berechtigt ist und die Auflassungsvormerkung auch tatsächlich nicht löschen lässt, hat er seine ursprüngliche Rechtsposition noch nicht wiedererlangt. Umgekehrt kann der Erwerber, solange die Auflassungsvormerkung im Innenverhältnis schuldrechtlich zu Recht besteht und noch eingetragen ist, weiter Einfluss auf die Weiterveräußerung nehmen.
19 3. Die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist allerdings nur dann ausgeschlossen, wenn der Ersterwerber nach der Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs die verbliebene Rechtsposition oder den Anschein der Rechtsposition auch in seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat (vgl. , BFHE 242, 177, BStBl II 2014, 588, Rz 14 und vom - II R 10/16, BFHE 262, 465, BStBl II 2019, 176, Rz 17).
20 a) Übt der Ersterwerber bei der erneuten Veräußerung eine ihm aus dem Erwerbsvorgang verbliebene Rechtsposition oder deren Anschein tatsächlich nicht aus (so z.B. bei der Benennung eines Ersatzkäufers allein aufgrund des Verlangens des Verkäufers, vgl. ) oder handelt der Ersterwerber insoweit im ausschließlichen Interesse eines Dritten, steht dies einer Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht entgegen. Handelt der Ersterwerber dagegen zumindest auch im eigenen Interesse, sind die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht erfüllt (vgl. ).
21 b) Eine Kapitalgesellschaft als Ersterwerberin muss sich dabei die Interessen der für sie handelnden Personen zurechnen lassen. Dies gilt nicht nur für das Handeln eines Alleingesellschafters (vgl. zur Zurechnung der Interessen des Alleingesellschafters ). Eine Verwertung im eigenen wirtschaftlichen Interesse liegt auch dann vor, wenn die Aufhebung des ursprünglichen Erwerbsvorgangs im Interesse des Geschäftsführers der Kapitalgesellschaft erfolgt (vgl. , BFH/NV 2006, 1700).
22 c) Ob ein Ersterwerber die ihm verbliebene Rechtsposition oder deren Anschein auch im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Tatsachen festzustellen.
23 4. Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist das FG im Streitfall zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin trotz Aufhebung des ursprünglichen Kaufvertrags und Erteilung der Löschungsbewilligung für die eingetragene Auflassungsvormerkung Einfluss auf die Weiterveräußerung nehmen konnte und diese Einflussmöglichkeit auch in ihrem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat. Diese tatsächliche Würdigung ist möglich, verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze und bindet daher den Senat im Revisionsverfahren (§ 118 Abs. 2 FGO; vgl. , Rz 41).
24 a) Im Zeitpunkt des Erwerbs der Grundstücke durch die Herren G und H am war zugunsten der Klägerin noch die Auflassungsvormerkung aus dem ursprünglichen Kaufvertrag im Grundbuch eingetragen. Sie vermittelte zumindest den Rechtsschein, dass der Klägerin weiterhin ein Übereignungsanspruch zustand. Damit konnte die Klägerin Einfluss auf die Weiterveräußerung nehmen. Die bereits erteilte Löschungsbewilligung steht —entgegen der Auffassung der Klägerin— dem nicht entgegen, denn die Veräußerin durfte im Verhältnis zur Klägerin bis zur Rückzahlung des Kaufpreises davon keinen Gebrauch machen. Die Rückzahlung des Kaufpreises an die Klägerin war zum Zeitpunkt des Erwerbs des Grundstücks durch G und H jedoch noch nicht erfolgt. Sie wurde erst nach dem Abschluss des Kaufvertrags vom von den Neuwerbern G und H im abgekürzten Zahlungsweg durch die Zahlung des Kaufpreises an die Klägerin erbracht. Erst zu diesem Zeitpunkt waren die schuldrechtlichen Voraussetzungen für die Löschung der Auflassungsvormerkung erfüllt.
25 b) Die Klägerin hat den Anschein der ihr verbliebenen Rechtsposition aufgrund der noch nicht gelöschten Auflassungsvormerkung auch im eigenen wirtschaftlichen Interesse verwertet. Das FG ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Veräußerung der Grundstücke an die Geschäftsführer und mittelbaren Gesellschafter der Klägerin letztlich der Verwirklichung des von der Klägerin betriebenen Bauprojekts diente. Diesbezüglich muss sich die Klägerin als Kapitalgesellschaft das Handeln ihrer Geschäftsführer zurechnen lassen.
26 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2023:U.250423.IIR38.20.0
Fundstelle(n):
BStBl 2023 II Seite 1018
BB 2023 S. 2005 Nr. 36
BB 2023 S. 2341 Nr. 41
BFH/NV 2023 S. 1273 Nr. 10
BFH/PR 2023 S. 376 Nr. 12
BFH/PR 2023 S. 376 Nr. 12
DB 2023 S. 2161 Nr. 37
DB 2023 S. 2853 Nr. 49
DB 2023 S. 2854 Nr. 49
DStR 2023 S. 1931 Nr. 35
DStR 2023 S. 1933 Nr. 35
DStRE 2023 S. 1151 Nr. 18
EStB 2023 S. 387 Nr. 10
ErbStB 2023 S. 311 Nr. 11
ErbStB 2023 S. 312 Nr. 11
GStB 2023 S. 47 Nr. 12
GmbH-StB 2023 S. 306 Nr. 10
GmbH-StB 2023 S. 307 Nr. 10
GmbHR 2024 S. 109 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 36/2023 S. 2464
NWB-Eilnachricht Nr. 36/2023 S. 2464
StuB-Bilanzreport Nr. 18/2023 S. 759
StuB-Bilanzreport Nr. 18/2023 S. 759
ZIP 2023 S. 2698 Nr. 51
WAAAJ-47405