BGH Beschluss v. - 2 StR 167/23

Konkurrenzen bei versuchter schwerer räuberische Erpressung: Mehrere natürliche Handlungen als sog. rechtliche Bewertungseinheit; mehrere Angriffe auf die Willensentschließung des Opfers als Teilakte einer sukzessiven Tatausführung; Verklammerung von Körperverletzungsdelikten

Gesetze: § 52 StGB, § 223 StGB, § 224 StGB, § 253 StGB, § 255 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Gießen Az: 1 KLs - 501 Js 14238/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Besitz von Betäubungsmitteln, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen, gefährlicher Körperverletzung, Urkundenfälschung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung in drei Fällen und Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die konkurrenzrechtliche Bewertung der Taten 4 und 5 der Urteilsgründe hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

3a) Nach den Feststellungen des Landgerichts versuchte der Angeklagte Ende des Jahres 2020 vom Zeugen P.   Schulden aus einem Drogengeschäft einzutreiben, indem er – zusammen mit anderen – diesem Schläge ins Gesicht versetzte (Fall 4 der Urteilsgründe). Im März des Jahres 2021 versuchte er, nämliche „Schulden“ dadurch vom Zeugen P.   zu erhalten, dass er ihn unter einem Vorwand – ihm 80g Marihuana abkaufen zu wollen – in ein Fahrzeug lockte, ihn darin an einen entfernteren Ort verbrachte, ihm zusammen mit anderen Personen Schläge ins Gesicht versetzte und eine echt aussehende Softair-Maschinenpistole vorhielt (Fall 5 der Urteilsgründe). Der Zeuge P.  , der unter Hinweis auf seine „mächtige“ Familie eine Zahlung verweigerte, konnte fliehen; die zurückgelassenen 80g Marihuana nahm der Angeklagte zum Zwecke des Eigenkonsums an sich.

4b) Ausgehend hiervon besteht zwischen der versuchten räuberischen Erpressung und der versuchten schweren räuberischen Erpressung eine rechtliche Bewertungseinheit, weil es sich um zwei Teilakte einer sukzessiven Tatausführung zur Erreichung eines einheitlichen Erfolges handelt. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt hierzu ausgeführt:

„Mehrere natürliche Handlungen können als eine Tat im Rechtssinne anzusehen sein (sog. rechtliche Bewertungseinheit), wenn sie sich als Teilakte einer sukzessiven Tatausführung darstellen. Für den Straftatbestand der Erpressung ist insoweit anerkannt, dass mehrere Angriffe auf die Willensentschließung des Opfers als eine Tat im Rechtssinne zu werten sind, wenn dabei die anfängliche Drohung lediglich den Umständen angepasst und aktualisiert wird, im Übrigen aber nach wie vor dieselbe Leistung gefordert wird. Dabei stellen ein Wechsel des Angriffsmittels, räumliche Trennungen oder zeitliche Intervalle zwischen den jeweiligen Einzelakten die Annahme einer rechtlichen Bewertungseinheit nicht grundsätzlich in Frage. Diese endet erst dann, wenn der Täter sein Ziel vollständig erreicht hat oder wenn nach den insoweit entsprechend heranzuziehenden Wertungen des Rücktrittsrechts von einem fehlgeschlagenen Versuch auszugehen ist (BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 329/20, juris Rn. 10; vom – 6 StR 11/20, juris Rn. 9; vom – 4 StR 322/17, NStZ 2018, 148; vom – 4 StR 340/13, juris Rn. 9).

Nach diesen Maßstäben besteht zwischen der versuchten räuberischen Erpressung im Fall 4 und der versuchten schweren räuberischen Erpressung im Fall 5 eine rechtliche Bewertungseinheit, weil es sich hierbei um zwei Teilakte einer sukzessiven Tatausführung zur Erreichung eines einheitlichen Erfolges handelt. In beiden Fällen ging es dem Angeklagten um die Bezahlung derselben, aus Betäubungsmittelgeschäften stammenden Geldforderung, die er mehrmals um „Strafzinsen“ erhöhte. Aus seiner Sicht stellte sich der zweite Erpressungsversuch dabei nicht als vollständig neuer Anlauf zur Erreichung des angestrebten Erfolges, sondern als eine Fortführung des ursprünglichen Tatgeschehens dar. Dem steht nicht entgegen, dass zwischenzeitlich mehrere Monate vergingen, in denen der Geschädigte P.   – entgegen der ihm während des ersten Teilakts abgenötigten Zusage – keine Zahlungen an den Angeklagten leistete und dessen Kontaktversuche ignorierte (vgl. UA S. 16 f.). Der Angeklagte ging nämlich weiter davon aus, seine – nun nochmals erhöhte – Forderung immer noch durchsetzen zu können, wobei sein modifizierter Tatplan nunmehr den Einsatz erheblicher Gewalt vorsah (UA S. 17, 23 f.).

Beendet war die rechtliche Bewertungseinheit erst, als der Erpressungsversuch im Verlauf des zweiten Teilaktes endgültig fehlschlug. Anders als noch im Fall 4 lehnte der Geschädigte eine Zahlung nun ausdrücklich ab, verwies darauf, dass auch seine Familie „mächtig“ sei, und schaffte es, aus der von dem Angeklagten und den nicht revidierenden Mitangeklagten T.   und L.   herbeigeführten Bemächtigungslage zu entkommen (UA S. 18 f.). Wie sich jedenfalls dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen lässt, sah der Angeklagte damit keine Möglichkeit mehr, seine Forderung noch durchzusetzen, nachdem selbst die Entführung des – zwischenzeitlich gefesselten – Geschädigten, die Bedrohung mit einer Softair-Waffe und wiederholte Schläge sich als erfolglos erwiesen hatten. Dass der Angeklagte glaubte, er könne den Geschädigten noch mit anderen zur Verfügung stehenden Mitteln, etwa durch eine erneute Entführung, zur Zahlung bewegen, ist auszuschließen.“

5c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO wie aus der Beschlussformel ersichtlich. Durch die rechtliche Bewertungseinheit der versuchten schweren räuberischen Erpressung werden die in den Fällen 4 und 5 der Urteilsgründe begangenen Körperverletzungsdelikte ebenfalls zur Tateinheit verklammert. Dadurch, dass der Angeklagte die vom Zeugen P.   zurückgelassenen Betäubungsmittel zum Zwecke des Eigenkonsums in Besitz nahm, hat er sich diese im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG in sonstiger Weise verschafft; der Besitz (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG) tritt dahinter zurück (vgl. Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 983).

6d) Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen 4 und 5 der Urteilsgründe nach sich. Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) steht der Verhängung einer höheren als der im Fall 5 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe nicht entgegen; es führt bei einer richtigerweise statt Tatmehrheit anzunehmenden Tateinheit lediglich dazu, dass die Summe der betroffenen bisherigen Einzelstrafen bei der Bemessung der neu festzusetzenden Einzelstrafe nicht überschritten werden darf (vgl. , NStZ-RR 2023, 202).

72. Auch der Einzelstrafausspruch zu Fall 9 der Urteilsgründe, in dem sich der Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Zeugen D.    und S.   schuldig gemacht hat, hält sachrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat insoweit zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass er „mit einer weiteren Person aus seiner Gruppe die Geschädigten, die lediglich einen Geburtstag feiern wollten und keinerlei Anlass für einen Konflikt boten, ohne jeglichen objektiven Grund angegriffen und körperlich verletzt“ habe. Damit hat sie einen nicht gegebenen Strafmilderungsgrund strafschärfend herangezogen. Dies ist rechtsfehlerhaft (vgl. , BGHSt 34, 345, 350; Beschluss vom – 3 StR 106/10). Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich der Rechtsfehler auf die Höhe der verhängten Einzelstrafe ausgewirkt hat.

83. Die Aufhebung der Einzelstrafaussprüche zieht auch die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich.

94. Die Feststellungen sind von den aufgezeigten Wertungsfehlern unberührt und auch ansonsten rechtsfehlerfrei getroffen. Sie haben Bestand.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:040723B2STR167.23.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-46441