BVerwG Beschluss v. - 9 B 8/23

Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 8 A 21.40034 Urteil

Gründe

1Der Kläger wendet sich dagegen, dass der Verwaltungsgerichtshof seine Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau einer Staatsstraße mit der Begründung abgewiesen hat, der Klagevortrag sei nach § 6 UmwRG präkludiert, weil die zehnwöchige Klagebegründungsfrist am abgelaufen, die Klagebegründung jedoch erst am bei Gericht eingegangen sei. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision, mit der er das Vorliegen von Verfahrensfehlern und eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht, hat keinen Erfolg.

21. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

3Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Anwendung des § 6 UmwRG gegen den allgemeinen Verfahrensgrundsatz des fairen Verfahrens verstoßen.

4Der Anspruch auf ein faires Verfahren leitet sich als "allgemeines Prozessgrundrecht" aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ab und verlangt, dass das Gericht das Verfahren so gestalten muss, wie die Beteiligten es von ihm erwarten dürfen (vgl. - BVerfGE 78, 123 <126> m. w. N.). Ihm kommt insbesondere dort eine eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung zu, wo keine spezielleren Verfahrensgarantien greifen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 BN 18.10 - juris Rn. 33 und vom - 5 B 2.12 - juris Rn. 11). Im vorliegenden Zusammenhang, in dem der Kläger die Auslegung und Anwendung der Präklusionsvorschrift des § 6 UmwRG kritisiert, geht es der Sache nach vor allem um das verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf rechtliches Gehör, das eine spezifische Ausprägung des Grundsatzes des fairen Verfahrens darstellt ( u. a. - GRUR 2023, 549 Rn. 112).

5Präklusionsvorschriften schränken die Möglichkeit zur Wahrnehmung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Prozess ein, weshalb Auslegung und Anwendung von prozessualen Präklusionsvorschriften verfassungsrechtlich an Art. 103 Abs. 1 GG zu messen sind (vgl. nur - juris Rn. 7 m. w. N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er gewährt den Beteiligten aber keinen Schutz dagegen, dass das Gericht ihr Vorbringen aus Gründen des materiellen oder formellen Rechts unberücksichtigt lässt, und steht der Einführung einer gesetzlich geregelten Präklusion nicht entgegen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt aber (jedenfalls) dann vor, wenn die Anwendung der Präklusionsvorschrift offenkundig unrichtig ist ( - BVerfGE 69, 145 <148 f.> und Kammerbeschluss vom - 1 BvR 1155/18 - juris Rn. 12; vgl. auch - GRUR 2022, 1550 Rn. 11 m. w. N.). Dass ein solcher Fall hier vorliegt, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen.

6a) Soweit die Beschwerde darauf gestützt wird, das Gericht habe bei der Verneinung einer genügenden Entschuldigung der Verspätung nicht ausreichend gewürdigt, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers in einem Parallelverfahren rechtzeitig Akteneinsicht beantragt habe, was auch dem hiesigen Kläger zuzurechnen sei, diese Akteneinsicht aber erst sechs Wochen und zwei Tage nach Antragstellung gewährt worden sei und diese Verzögerung in den Risiko- und Verantwortungsbereich des Gerichts falle, das sich zur Erfüllung seiner Verpflichtung nach § 100 VwGO des Beklagten bedient habe, lässt sich daraus eine offenkundig unrichtige Handhabung der Präklusionsvorschrift nicht herleiten. Denn ungeachtet der Frage, welche Relevanz einem in einem anderen Verfahren eines anderen Klägers gestellten Akteneinsichtsantrag für das streitgegenständliche Verfahren zukommen kann, liegt dieser Rüge jedenfalls ein unzutreffendes Verständnis von Sinn und Zweck der Klagebegründungsfrist des § 6 UmwRG und von der Bedeutung der Akteneinsicht in diesem Zusammenhang zugrunde.

7Gemäß § 6 Satz 1 UmwRG hat eine Person oder eine Vereinigung innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben; Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, sind grundsätzlich nur zuzulassen, wenn die Verspätung entschuldigt ist (§ 6 Satz 2 UmwRG i. V. m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, besteht der Zweck dieser Vorschrift darin, zur Straffung des Gerichtsverfahrens beizutragen, indem der Prozessstoff zu einem frühen Zeitpunkt handhabbar gehalten (vgl. 9 A 8.17 - BVerwGE 163, 380 Rn. 14) und der mit der Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch alsbald hinreichend umrissen wird ( 7 A 14.93 - Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 23 S. 53 zur Parallelvorschrift des § 5 Abs. 3 VerkPBG). Danach hat der Kläger innerhalb der Begründungsfrist fundiert die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen zu benennen und den Prozessstoff dergestalt darzulegen, dass für das Gericht und die übrigen Beteiligten klar und unverwechselbar feststeht, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten eine behördliche Entscheidung angegriffen wird (vgl. 9 A 7.19 - BVerwGE 170, 138 Rn. 16 ff. auch zur Vereinbarkeit der Frist mit Unionsrecht).

8Der Gesetzgeber hat die Klagebegründungsfrist nicht von einer vorherigen Kenntnis der Verwaltungsvorgänge abhängig gemacht, sondern - nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Gesetzes - allein an den Zeitpunkt der Klageerhebung angeknüpft und damit zum Ausdruck gebracht, dass er diesen Zeitraum ungeachtet der Frage einer Akteneinsicht regelmäßig als ausreichend ansieht. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass potentielle Kläger in aller Regel die Möglichkeit hatten, sich in Ausübung ihrer Beteiligungsrechte schon während des Verwaltungsverfahrens mit dem Inhalt der geplanten Entscheidung vertraut zu machen und etwaige Bedenken in den Entscheidungsprozess einzubringen. Dementsprechend sieht § 6 Satz 4 UmwRG eine Fristverlängerung nur im Fall einer fehlenden Beteiligungsmöglichkeit vor.

9Vor diesem Hintergrund ist der Umstand einer fehlenden oder nicht zeitnah gewährten Akteneinsicht für sich allein nicht geeignet, eine verspätete Klagebegründung zu entschuldigen; dies gilt auch für komplexe Planungsvorhaben. Von einem Kläger kann erwartet werden, dass er innerhalb der Klagebegründungsfrist zumindest das vorträgt, was ihm auch ohne Einsicht in die Verwaltungsvorgänge auf der Grundlage seiner Beteiligung am Verwaltungsverfahren und der Behandlung seiner Einwendungen im Planfeststellungsbeschluss bekannt ist, und auf diese Weise den Prozessstoff in den Grundzügen fixiert, anstatt das Gericht und die übrigen Beteiligten über die Klagegründe vollständig im Unklaren zu lassen (vgl. 7 A 14.93 - Buchholz 442.08 § 36 BBahnG S. 53 f. und vom - 11 A 6.97 - Buchholz 310 § 87b VwGO Nr. 3 S. 5, jeweils zur - kürzeren - Klagebegründungsfrist des § 5 Abs. 3 VerkPBG). Aus der vom Kläger angeführten Begründung des Gesetzgebers für die Neufassung des § 6 UmwRG ergibt sich nichts anderes. Soweit darin der Fall angesprochen wird, dass einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Akteneinsicht nicht rechtzeitig entsprochen wird (BT-Drs. 18/12146 S. 16), wird dies nur im Kontext der Regelung in § 6 Satz 4 UmwRG als möglicher Fristverlängerungsgrund thematisiert, nicht jedoch als Entschuldigungsgrund im Sinne des § 6 Satz 2 UmwRG.

10Für den Kläger ergeben sich daraus keine unzumutbaren Anforderungen. Mit der Klageerhebung hat er zum Ausdruck gebracht, mit der im Planfeststellungsbeschluss getroffenen Entscheidung nicht einverstanden zu sein, wobei er den Inhalt dieser Entscheidung kannte und sich bewusst sein musste, worin seine Bedenken im Kern bestanden und welchen seiner Einwendungen nicht Rechnung getragen worden war. Zumindest hierzu hätte er fristgerecht vortragen können und müssen. Eine rein spekulative Klageerhebung in der Hoffnung, einen Gegenstand der Beschwer erst nachträglich in den Verwaltungsvorgängen zu finden, schützt das Gesetz nicht ( 7 A 14.93 - Buchholz 442.08 § 36 BBahnG S. 53 zu § 5 Abs. 3 VerkPBG). Die Klagebegründungsfrist und die damit einhergehenden Substantiierungserfordernisse sind vielmehr gerade bei Klagen gegen komplexe Infrastrukturvorhaben erforderlich, um den Prozessstoff rechtzeitig in einer Weise zu fixieren, die ein ordnungsgemäßes gerichtliches Verfahren überhaupt erst ermöglicht (vgl. dazu ausführlich 9 A 1.21 - BVerwGE 176, 94 Rn. 11 ff.).

11Der Kläger geht somit zu Unrecht davon aus, dass (allein) wegen der im Parallelverfahren beantragten Akteneinsicht der Zeitablauf bis zum Eingang der Akten entschuldigt sei. Verzögerungen infolge nicht zeitnah erfüllter Akteneinsichtsgesuche sind als solche kein Entschuldigungsgrund (vgl. - BauR 2022, 1492 <1495>; Guckelberger, NuR 2020, 655 <656>; zu weitgehend daher Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 6 UmwRG Rn. 7 und Marquard, NVwZ 2019, 1162 <1166>; unklar Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Januar 2023, § 6 UmwRG Rn. 81), sondern können vielmehr nur insoweit relevant sein, als sich die Klagebegründung gerade auf Umstände stützt, die sich (nur) aus den Verwaltungsvorgängen ergeben. Insofern muss der Kläger, der die Entschuldigungsgründe bei verspätetem Vorbringen von sich aus darzulegen hat (vgl. 9 B 66.19 - juris Rn. 10; Bunge, UmwRG, 2. Aufl. 2019, § 6 Rn. 30), konkret aufzeigen, an welchem Vortrag er durch eine verzögerte Übersendung des Verwaltungsvorgangs gehindert gewesen sein könnte (vgl. 4 A 13.20 - juris Rn. 13). Das Absehen von jeglicher Begründung innerhalb der Klagebegründungsfrist lässt sich mit dem Verweis auf fehlende oder eingeschränkte Akteneinsicht jedenfalls nicht pauschal entschuldigen.

12Von diesen Grundsätzen ist auch der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen. Seine Argumentation, dem Kläger, der sich im Anhörungsverfahren mit Einwendungen beteiligt hatte, seien die Tatsachen, durch die er sich beschwert fühlte und die zur Begründung seiner Klage dienen konnten, aufgrund der Kenntnis des Planfeststellungsbeschlusses und der ausgelegten und im Internet abrufbaren Planunterlagen bekannt gewesen und er habe auch ohne vorherige Akteneinsicht erkennen können, welchen seiner Einwände mit welcher Begründung nicht Rechnung getragen worden sei, und hätte hierzu innerhalb der Klagebegründungsfrist vortragen können (UA Rn. 42 f. im Verfahren 8 A 21.40033, auf die im streitgegenständlichen Urteil Rn. 40 verwiesen wird), ist nicht zu beanstanden.

13Soweit der Verwaltungsgerichtshof im Übrigen selbständig tragend darauf abgestellt hat, es sei weder dargelegt noch erkennbar, aus welchen Gründen die nach Erhalt der elektronischen Behördenakte verfügbare Zeit für die Begründung der Klage nicht ausgereicht habe (UA Rn. 40 in Verbindung mit Rn. 44 der Begründung zu 8 A 21.40033), ist auch dies nicht (offenkundig) fehlerhaft. Die Beschwerde setzt sich mit dieser Argumentation nicht auseinander.

14b) Dass der Verwaltungsgerichtshof die Voraussetzungen des § 6 Satz 3 UmwRG i. V. m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO, wonach die Präklusion nicht eintritt, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne die Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln, verneint hat, lässt ebenfalls keinen (offenkundigen) Fehler erkennen.

15Die vom Kläger formulierte Prämisse, nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens sei dem Gericht ein größerer Aufwand bei der Ermittlung des Sachverhalts zuzumuten, wenn dem Kläger in einer dem Gericht zurechenbaren Weise Akteneinsicht nicht rechtzeitig gewährt werde, trifft nicht zu. Denn ihr liegt wiederum das aufgezeigte Fehlverständnis von der Bedeutung der Akteneinsicht für die Wahrung der Klagebegründungsfrist zugrunde.

16Der Hinweis des Klägers, er habe als Beteiligter im Verwaltungsverfahren seine Einwendungen substantiiert und schlüssig vorgetragen, genügt ebenfalls nicht, um einen geringen Ermittlungsaufwand für das Gericht darzulegen.

17Die Vorschrift des § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und betrifft den Fall, dass die gesetzlich normierte Mitwirkungspflicht des Klägers im Einzelfall ihre Bedeutung verliert, weil sich der Sachverhalt so einfach darstellt, dass er ohne nennenswerten Aufwand von Amts wegen ermittelt werden kann. Dies ist gerade bei Planfeststellungsverfahren in der Regel nicht der Fall (Bunge, UmwRG, 2. Aufl. 2019, § 6 Rn. 31). Denn weder ist es bei umfangreichen Akten - auch vorliegend ging es nach Angaben des Klägers um knapp 4 000 Seiten Behördenakten - einfach, die Einwendungen eines Klägers herauszufinden, noch geben diese Einwendungen sicheren Aufschluss darüber, ob und inwieweit der Kläger an ihnen festhalten und welche Beanstandungen er gegen die konkret im Planfeststellungsbeschluss getroffene Entscheidung erheben will (vgl. 11 A 6.97 - Buchholz 310 § 87b VwGO Nr. 3 S. 6.; - BauR 2022, 1492 <1496>). Auch die vom Kläger nach § 6 Satz 1 UmwRG geforderte Klagebegründung kann sich nicht auf die pauschale Bezugnahme auf die im Planfeststellungsverfahren erhobenen Einwände oder deren wörtliche Wiederholung beschränken, sondern muss sich mit dem Inhalt des Planfeststellungsbeschlusses auseinandersetzen ( 4 A 16.16 - Buchholz 451.17 § 43e EnWG Nr. 2 Rn. 37 und vom - 9 A 7.19 - BVerwGE 170, 138 Rn. 17). Hierüber Spekulationen anzustellen, ist nicht Aufgabe des Gerichts im Rahmen der Sachverhaltsermittlung.

18Vor diesem Hintergrund geht auch die Auffassung des Klägers fehl, es sei bereits dann von einem geringen Ermittlungsaufwand für das Gericht auszugehen, wenn sich aus den Verwaltungsakten ergebe, aus welchen tatsächlichen Gründen eine Entscheidung angegriffen werde (vgl. Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Januar 2023, § 6 UmwRG Rn. 85; a. A. Marquard, NVwZ 2019, 1162). Die Annahme, das Durcharbeiten der Verwaltungsakten sei für das Gericht bereits für die Prüfung der Zulässigkeit eines Rechtsbehelfes notwendig, ist unzutreffend.

19Im Übrigen argumentiert der Kläger widersprüchlich, wenn er sich einerseits darauf beruft, er habe erst aufgrund der Akteneinsicht die Klage begründen können, wobei der ihm zur Verfügung stehende Zeitraum von mehr als dreieinhalb Wochen nicht ausgereicht habe, zugleich aber geltend macht, das Gericht hätte ohne großen Ermittlungsaufwand die Klagegründe aus den Verwaltungsvorgängen entnehmen können.

20c) Auch die Rüge des Klägers, das Gericht habe durch widersprüchliches Verhalten gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, weil es dem Kläger nach einem Hinweis auf das Fristversäumnis später die Gelegenheit gegeben habe, sich inhaltlich zur Sache zu äußern, und dadurch den Eindruck erweckt habe, nicht mehr von einer Verfristung auszugehen, zeigt keinen Verfahrensfehler auf.

21Es ist schon nicht ersichtlich, welches Verhalten konkret verfahrensfehlerhaft gewesen sein soll. Nach Eingang der Klagebegründung am und dem - vermutlich durch den Hinweis des Gerichts im Parallelverfahren veranlassten - weiteren Schriftsatz vom zur Entschuldigung der Verspätung haben sich die Beteiligten schriftsätzlich zur Frage der Präklusion nach § 6 Satz 1 UmwRG ausgetauscht. Mit Schriftsatz vom hat der Beklagte sodann (erneut) auf die seiner Auffassung nach eingetretene Präklusion verwiesen und ausdrücklich - und durch Fettdruck und Unterstreichung deutlich hervorgehoben - "rein vorsorglich" zur Klagebegründung inhaltlich Stellung genommen. Dieser Schriftsatz wurde dem Kläger vom Gericht "mit der Bitte um Kenntnisnahme und etwaige Äußerung" übermittelt. Soweit der Kläger dies als ausdrücklichen Hinweis, sich inhaltlich zur Klageerwiderung zu äußern, interpretiert hat, entspricht dies nicht dem objektiven Erklärungsinhalt des gerichtlichen Übersendungsschreibens. Vor Eingang einer Reaktion des Klägers hat das Gericht sodann im Mai 2022 zur mündlichen Verhandlung am geladen und im Vorfeld der Verhandlung am auf die seiner Auffassung nach eingetretene Präklusion hingewiesen, woraufhin die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet haben. Dass das Gericht durch diesen Verfahrensablauf - wie vom Kläger beanstandet - aktiv eine überflüssige zeitintensive Auseinandersetzung des Prozessbevollmächtigten des Klägers mit den Ausführungen in der Klageerwiderung zur Sache veranlasst haben könnte, ist nicht ersichtlich.

22Im Übrigen ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht, inwieweit das Vorgehen des Gerichts für den aus Sicht des Klägers negativen Ausgang des Verfahrens ursächlich gewesen sein soll. Mit dem Vortrag, er hätte, wenn das Gericht sich klar positioniert hätte, kostensparende Prozesshandlungen in einem frühen Stadium des Verfahrens vornehmen können, spricht der Kläger wohl die Möglichkeit einer Klagerücknahme an, die jedoch genauso wenig wie das angefochtene Urteil zum Erfolg der auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gerichteten Klage geführt hätte. Zudem hätte der Kläger auch auf den Hinweis vom noch reagieren und das Verfahren aus Kostengründen vor Erlass eines Urteils beenden können. Hiervon hat er keinen Gebrauch gemacht.

232. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

24Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, legt die Beschwerde nicht dar.

25Die Fragen,

ob eine verspätete Vorlage der Klagebegründung dann ausreichend entschuldigt ist, wenn trotz beantragter Akteneinsicht bei Klageerhebung diese in einer dem Gericht zurechenbaren Weise erst sechs Wochen und zwei Tage nach Antragstellung gewährt wird, und

inwieweit ein dem Gericht zurechenbares Behördenverschulden bei der Entschuldigung der Verspätung im Sinne von § 6 Satz 2 UmwRG i. V. m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zu berücksichtigen ist,

bedürfen, soweit sie nicht nur auf die konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls zielen, sondern auch verallgemeinerungsfähige Fragestellungen erkennen lassen, nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie höchstrichterlich bereits geklärt sind oder sich auf der Grundlage des Gesetzes und der bisherigen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lassen.

26So sind Sinn und Zweck der Klagebegründungsfrist des § 6 Satz 1 UmwRG (und der vergleichbaren Fristvorschriften in weiteren Fachgesetzen) sowie die daraus resultierenden Anforderungen an Inhalt und Substantiierung der Klagebegründung in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. die Ausführungen zu 1. sowie zuletzt ausführlich 9 A 1.21 - BVerwGE 176, 94 Rn. 11 ff. m. w. N.). Höchstrichterlich ist auch entschieden, dass ein fristgerechter Vortrag im Regelfall voraussetzt, dass sich der Rechtsanwalt umgehend Akteneinsicht verschafft und es zu seinen Aufgaben gehört, die Unterlagen noch innerhalb der Klagebegründungsfrist zu sichten und rechtlich zu durchdringen ( 9 B 66.19 - juris Rn. 25). Ungeachtet der Frage, welche Anforderungen in diesem Zusammenhang an die Bemühungen des Rechtsanwalts um eine zeitnahe Akteneinsicht zu stellen sind, hat das Bundesverwaltungsgericht zudem zur sechswöchigen Klagebegründungsfrist des § 5 Abs. 3 VerkPBG ausgeführt, dass auch ohne Kenntnis der Verwaltungsvorgänge innerhalb der Frist zumindest all das vorgetragen werden muss, was auf der Grundlage der Beteiligung im Verwaltungsverfahren und der Kenntnis von Planfeststellungsbeschluss und Planunterlagen möglich ist ( 7 A 14.93 - 442.08 § 36 BBahnG S. 53 f. und vom - 11 A 6.97 - Buchholz 310 § 87b VwGO S. 5). Im Hinblick auf den vergleichbaren Gesetzeszweck kann für die zehnwöchige Klagebegründungsfrist des § 6 Satz 1 UmwRG nichts anderes gelten.

27Daraus folgt, dass der Hinweis auf eine fehlende oder unzureichende Akteneinsicht von vornherein nicht geeignet ist, das Ausbleiben jeglicher Begründung innerhalb der Klagebegründungsfrist pauschal zu entschuldigen. Im Übrigen ist es eine Frage des jeweiligen Einzelfalls, inwieweit die konkreten Umstände der Gewährung von Akteneinsicht einen verspäteten Vortrag zu einzelnen Rügepunkten entschuldigen können.

283. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 34.2.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:050723B9B8.23.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-46415