Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Revisibilität landesrechtlicher Regelungen
Gesetze: § 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 162 SGG, § 133 BGB, § 157 BGB, § 112 Abs 1 SGB 5
Instanzenzug: Az: S 6 KR 2789/19 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 10 KR 163/21 KH Urteil
Gründe
1I. Das klagende Krankenhaus behandelte eine bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte vom 19.10. bis stationär und berechnete hierfür 10 679,90 Euro, die die KK zahlte. Die KK beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) am mit der sachlich-rechnerischen Prüfung von OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel) 9-200.6. Der MDK forderte das Krankenhaus auf, bis zum bestimmte, näher bezeichnete Behandlungsunterlagen zu übersenden. Als dies nicht erfolgte, verrechnete die KK 2248,65 Euro mit unstreitigen Vergütungsforderungen des Krankenhauses. Das SG hat die KK zur Zahlung dieses Betrags verurteilt und die Hilfswiderklage der KK abgewiesen. Die Klage sei begründet, weil die Aufrechnungsmöglichkeit nach der "Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V (Prüfverfahrensvereinbarung - PrüfvV) gemäß § 17c Absatz 2 KHG" (PrüfvV 2014) nicht eröffnet sei. Die PrüfvV 2014 finde auf im Jahr 2015 durchgeführte Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit einer Krankenhausrechnung, wie dies hier der Fall sei, keine Anwendung. Das Aufrechnungsverbot des in Nordrhein-Westfalen geltenden Landesvertrags nach § 112 Abs 1 SGB V sei deshalb hier weiter zu beachten. Die Widerklage müsse erfolglos bleiben, weil der Erstattungsanspruch nach § 325 SGB V aF ausgeschlossen sei. Das LSG hat unter Bezugnahme hierauf die Berufung der KK zurückgewiesen und ergänzend näher dargestellt, dass die PrüfvV 2014 auf Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit im Jahr 2015 keine Anwendung finde (Urteil vom ).
2Die KK wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
3II. Die Beschwerde der KK ist unzulässig, soweit sie eine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) wegen des vom LSG angenommenen Aufrechnungsausschlusses rügt. Ihre Begründung entspricht insoweit nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen an den allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 1.). Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet, soweit die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinsichtlich der Anwendbarkeit der PrüfvV 2014 auf sachlich-rechnerische Prüfaufträge im Jahr 2015 geltend gemacht wird (dazu 2.) und daher insgesamt zurückzuweisen.
41. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB - juris RdNr 4 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN).
6Die KK zeigt die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage nicht auf. Grundsätzliche Bedeutung für eine Zulassung der Revision kann nur solchen Fragen zukommen, zu deren Klärung das Revisionsgericht berufen ist (vgl - juris RdNr 7). Insoweit hätte die KK darlegen müssen, ob und inwieweit die von ihr aufgeworfene Frage revisibles Recht betrifft, das einer Überprüfung im Revisionsverfahren zugänglich ist. Daran fehlt es.
7Eine Rechtsfrage ist vom Revisionsgericht klärungsfähig, wenn es über die betreffende Frage konkret sachlich entscheiden kann (vgl - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 8 mwN). Dies ist zum einen dann nicht der Fall, wenn es durch Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz gebunden ist. An einer solchen Entscheidungsbefugnis fehlt es aber auch dann, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage sich weder auf eine Vorschrift des Bundesrechts bezieht noch auf einer im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (§ 162 SGG). Selbst eine inhaltliche Übereinstimmung von landesrechtlichen Bestimmungen aus mehreren Bundesländern reicht nicht aus, um Revisibilität landesrechtlicher Regelungen herbeizuführen. Erforderlich ist es insoweit vielmehr, anhand gleichlautender Normen darzulegen, dass überhaupt eine inhaltliche Übereinstimmung des grundsätzlich nicht revisiblen Rechts besteht sowie dass diese Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt erfolgte und nicht lediglich zufällig ist (vgl nur - SozR 4-2400 § 28e Nr 4 RdNr 29 mwN; - BSGE 132, 178 = SozR 4-5926 § 1 Nr 2, RdNr 22). Eine hiernach grundsätzlich nicht überprüfbare Auslegung einer landesrechtlichen Norm - hier die normenvertragliche Regelung des § 15 Abs 4 Satz 2 im gekündigten, nach Auffassung des LSG in Nordrhein-Westfalen fortgeltenden Landesvertrags nach § 112 Abs 1 SGB V - ist aber am Maßstab von Bundesrecht darauf überprüfbar, ob die Vorinstanz die gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB nicht beachtet oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Die genannten Auslegungsvorschriften verlangen nicht nur, dass der Tatrichter alle für die Auslegung erheblichen Umstände umfassend würdigt, sondern auch, dass er seine Erwägungen in den Entscheidungsgründen nachvollziehbar darlegt. Zumindest die wichtigsten für und gegen eine bestimmte Auslegung sprechenden Umstände sind in ihrer Bedeutung für das Auslegungsergebnis zu erörtern und gegeneinander abzuwägen. Ist die Begründung in diesem Sinne lückenhaft, so leidet die Entscheidung an einem rechtlichen Mangel und bindet das Revisionsgericht nicht. Das gilt erst recht, wenn das Vordergericht eine objektiv willkürliche Auslegung wählt, die nach juristischer Methodik nicht mehr nachvollziehbar ist (vgl - SozR 4-2500 § 109 Nr 59 RdNr 19 mwN).
8Die Beschwerdebegründung enthält hierzu keinerlei Vortrag. Sie verweist nur darauf, dass das BSG in seinem Urteil vom (B 1 KR 31/18 R - BSGE 129, 1 = SozR 4-7610 § 366 Nr 2, RdNr 26) offengelassen habe, ob § 15 Abs 4 Satz 2 des Landesvertrags ein Aufrechnungsverbot enthalte. Bei zutreffender Auslegung des Landesvertrags hätte das LSG die von der KK vorgenommene Aufrechnung nicht als unzulässig qualifizieren dürfen.
10Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann dennoch klärungsbedürftig sein, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl - SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung im Einzelnen darzulegen ist. Nach diesem Maßstab ist eine weitere revisionsgerichtliche Klärung hier nicht mehr erforderlich.
11Schon nach der vor dem ergangenen Rechtsprechung des Senats galt die PrüfvV 2014 - ebenso wie § 275 Abs 1c SGB V aF - bis zum nur für Auffälligkeitsprüfungen betreffend die Wirtschaftlichkeit der Krankenhausbehandlung, nicht dagegen für die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung (ua - juris RdNr 29; - SozR 4-2500 § 301 Nr 8 RdNr 30; - BSGE 130, 299 = SozR 4-2500 § 275 Nr 32, RdNr 12; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Differenzierung vgl BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 318/17, 1 BvR 1474/17, 1 BvR 2207/17 - NJW 2019, 351; zur Anwendbarkeit der PrüfvV 2014 ab dem auch auf Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung vgl - BSGE 133, 126 = SozR 4-2500 § 275 Nr 36,RdNr 13 ff). Insbesondere in seinen Urteilen vom und vom (aaO) hat der Senat darauf verwiesen, dass § 17c Abs 2 Satz 1 KHG die Vertragsparteien der PrüfvV nur dazu ermächtigte, das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V aF zu regeln. Welche Prüfgegenstände eine PrüfvV haben kann, wurde durch § 275 Abs 1c SGB V aF vorgegeben. Anlass zur Schaffung einer PrüfvV hatte der Gesetzgeber gesehen, weil die Vertragsparteien auf Landesebene nicht in allen Bundesländern Verträge insbesondere zur Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung geschlossen hatten und weil bestehende Regelungsinhalte - nach Auffassung des Gesetzgebers - nur sehr allgemein gehalten und oft veraltet seien (vgl BT-Drucks 17/13947 S 38). Der im Schrifttum vertretenen Auffassung, es entspreche dem Willen des Gesetzgebers, "Meinungsverschiedenheiten über Kodier- und Abrechnungsfragen" (Bezugnahme auf BT-Drucks 17/13947 S 38 f) ebenfalls der PrüfvV zu unterstellen, sodass § 275 Abs 1c SGB V aF auch Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit erfassen müsse, hat der Senat ausdrücklich widersprochen, weil sich im Gesetz und in den Gesetzesmaterialien zu § 17c Abs 2 KHG keine Grundlage dafür findet ( und vom , aaO).
12Mit dem Vorbringen der KK in der Beschwerdebegründung vom , die mittelbar diese bisherige Rechtsprechung angreift, hat sich der Senat in der Sache in zwei Ende Januar und Mitte Februar 2022 zugestellten Urteilen vom auseinandergesetzt (B 1 KR 36/20 R - BSGE 133, 126 = SozR 4-2500 § 275 Nr 36, RdNr 13 ff, zur Anwendbarkeit der PrüfvV 2014 auf die ab dem Krankenhaus gegenüber außenwirksam erteilten Aufträge zur sachlich-rechnerischen Prüfung; B 1 KR 43/20 R - SozR 4-2500 § 275 Nr 38 RdNr 14, zur Nichtanwendbarkeit der PrüfvV 2014 auf solche bis zum außenwirksam erteilten Aufträge; zur Anwendbarkeit dieser beiden Rechtsrahmen iVm § 275 Abs 1c SGB V aF in Abhängigkeit von der Erteilung des Prüfauftrags und nicht von dem Beginn der stationären Behandlung vgl - BSGE 130, 299 = SozR 4-2500 § 275 Nr 32, RdNr 14). Die bisherige Rechtsprechung in Bezug nehmend und bekräftigend hat der Senat durch das Urteil vom (B 1 KR 43/20 R - SozR 4-2500 § 275 Nr 38 RdNr 14) nochmals klargestellt, dass bei einem Fragen der Wirtschaftlichkeit und der sachlich-rechnerischen Richtigkeit umfassenden Prüfauftrag im Jahr 2015 die PrüfvV nur auf die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Krankenhausbehandlung Anwendung findet.
13Die von der Beschwerdebegründung vorgebrachten weiteren, noch nicht in seinen vorausgegangenen Entscheidungen ausdrücklich verworfenen Argumente hat der Senat in diesem Urteil vom (B 1 KR 36/20 R - BSGE 133, 126 = SozR 4-2500 § 275 Nr 36, RdNr 13 ff) nunmehr berücksichtigt. Einer weiteren Klärung in einem neuen Revisionsverfahren bedarf es deshalb nicht.
14Dort ist der Senat ebenfalls davon ausgegangen, dass die Vertragsparteien der PrüfvV 2014 von Anfang an neben der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Krankenhausleistungen auch die Prüfung der "Korrektheit deren Abrechnung" im Blick hatten und - anders als die nachfolgende Rechtsprechung des Senats ab Juli 2014 - davon ausgegangen waren, dass auch diese § 275c Abs 1 SGB V unterfällt. Er hat dem aber keine rechtliche Bedeutung beigemessen. Der Senat hat klargestellt, dass die Vertragsparteien damit über die durch § 17c Abs 2 KHG iVm § 275 Abs 1c SGB V aF eingeräumte Ermächtigung hinausgegangen waren und diese Überschreitung erst durch die Anfügung des § 275 Abs 1c Satz 4 SGB V aF durch Art 6 Nr 21a des Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz - KHSG vom , BGBl I 2229) zum mit Wirkung ab diesem Tag legitimiert wurde. Es bedurfte im Nachgang lediglich keiner ausdrücklichen Bestätigung durch die Vertragsparteien mehr.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:110523BB1KR11521B0
Fundstelle(n):
SAAAJ-45980