BGH Urteil v. - VIII ZR 201/22

Darstellung von Urteilsgründen im Berufungsurteil; arglistige Täuschung bei fehlender Angabe kurzer Besitzzeit

Gesetze: § 540 Abs 1 S 1 Nr 1 ZPO, § 540 Abs 1 S 2 ZPO, § 545 Abs 1 ZPO, § 559 Abs 1 S 1 ZPO

Instanzenzug: LG Wiesbaden Az: 1 S 14/21vorgehend AG Wiesbaden Az: 91 C 2330/20 (37)

Tatbestand

1Der Beklagte erwarb von dem Kläger ein Gebrauchtfahrzeug zum Preis von 4.500 € unter Ausschluss der Gewährleistung. Dabei wies der Kläger den Beklagten nicht darauf hin, dass er das Fahrzeug erst wenige Tage zuvor von einem Händler erworben und lediglich im Rahmen einer Probefahrt genutzt hatte.

2Mit Schreiben vom erklärte der Beklagte den Rücktritt vom Kaufvertrag sowie vorsorglich dessen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und forderte den Kläger unter Fristsetzung zur (Rück-)Zahlung des Kaufpreises sowie zur Erstattung von Aufwendungen in Höhe von insgesamt 8.017,38 € auf.

3Der Kläger erklärte sich daraufhin ohne Anerkennung einer Rechtspflicht mit der Rückabwicklung des Kaufvertrags gegen Zahlung eines Gesamtbetrags von 5.500 € einverstanden und zahlte diesen Betrag an den Beklagten. Der Beklagte erwiderte hierauf, mit diesem Abgeltungsbetrag nicht einverstanden zu sein, und forderte die Zahlung eines Gesamtbetrags in Höhe von 7.300 €. Der Kläger bot dem Beklagten jedoch lediglich die Zahlung weiterer 500 € an.

4Der zuletzt auf Zahlung eines Betrags in Höhe von 4.500 € und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, jeweils nebst Zinsen, gerichteten Klage hat das Amtsgericht, wie aus dessen bei den Akten befindlichen Urteil hervorgeht, überwiegend stattgegeben.

5Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Berufung hat der Beklagte geltend gemacht, der Kläger habe arglistig gehandelt, indem er in der Kaufvertragsurkunde angegeben habe, das Fahrzeug habe während seiner Eigentumszeit keinen Unfallschaden erlitten, obwohl er das Fahrzeug nur wenige Tage zuvor im August 2018 erworben und bis auf eine einstündige Probefahrt nicht genutzt habe. Es handele sich hierbei um eine Behauptung des Klägers "ins Blaue hinein".

6Das Landgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Dabei hat es "von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen" im Berufungsurteil unter Hinweis auf § 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.

Gründe

7Die Revision hat Erfolg.

I.

8Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:

9Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung von 4.500 € gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB gegenüber dem Beklagten zu.

10Ein Rechtsgrund für diese Leistung sei insbesondere nicht in einem zwischen den Parteien vereinbarten Rückgewährschuldverhältnis zu sehen. Eine vertragliche Vereinbarung über die Rückabwicklung des Kaufvertrags sei zwischen den Parteien nicht zustande gekommen.

11Der Kaufvertrag zwischen den Parteien sei auch nicht durch Ausübung eines gesetzlichen Rücktrittsrechts gemäß § 437 Nr. 2, § 323 BGB in ein Rückgewährschuldverhältnis nach §§ 346 ff. BGB umgewandelt worden. Unabhängig von dem Vorliegen eines etwaigen Mangels bestehe ein solches Rücktrittsrecht nicht, da die Haftung wirksam ausgeschlossen worden sei. Auf diesen Haftungsausschluss könne sich der Kläger auch berufen, da er weder den Mangel arglistig verschwiegen noch eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen habe (§ 444 BGB).

12Aus dem Umstand, dass der Kläger angegeben habe, das Fahrzeug sei während seiner Eigentumszeit unfallfrei gewesen, könne nicht auf ein arglistiges Verschweigen des Mangels geschlossen werden. Vorliegend sei kein Mangel verschwiegen worden, sondern der Umstand, dass die Eigentumszeit nur wenige Tage betragen habe und das Fahrzeug mit Ausnahme einer Probefahrt nicht genutzt worden sei. Entgegen der Auffassung des Beklagten hätte der Kläger ihm diesen Umstand nicht mitteilen müssen. Bei einem Privatkauf obliege es dem Käufer, Nachfragen zu den für ihn relevanten Umständen zu stellen. Komme es ihm auf die Dauer des Besitzes an, so habe er diese zu erfragen. Es gebe keine Aufklärungspflicht hinsichtlich eines solchen Umstands seitens des Verkäufers.

II.

131. Die Revision ist zulässig und insbesondere in vollem Umfang statthaft (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Einzelrichterin hat die Revision ohne Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zugelassen (vgl. hierzu Senatsurteil vom - VIII ZR 355/18, NJW 2020, 1947 Rn. 12; Senatsbeschluss vom - VIII ZR 304/19, juris Rn. 8; jeweils mwN).

142. Die Revision hat auch in der Sache Erfolg. Sie ist schon deshalb begründet, weil das Berufungsurteil eine der Vorschrift des § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO genügende Darstellung der Urteilsgründe vermissen lässt.

15a) Nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO kann in einem Berufungsurteil der Tatbestand durch die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil der ersten Instanz, verbunden mit erforderlichen Berichtigungen, Änderungen und Ergänzungen, die sich aus dem Vortrag der Parteien und aus einer etwaigen Bezugnahme auf Schriftsätze vor dem Berufungsgericht ergeben, ersetzt werden. Die Einhaltung dieser Voraussetzungen ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Inhalt eines Berufungsurteils nicht entbehrlich. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des Gesetzes, sondern auch und vor allem aus seinem Sinn, trotz der Erleichterungen bei der Abfassung von Berufungsurteilen die revisionsrechtliche Nachprüfung zu ermöglichen. Lässt ein Berufungsgericht - wie hier - die Revision zu oder unterliegt das Berufungsurteil der Nichtzulassungsbeschwerde, müssen sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung aus dem Urteil oder - im Falle des § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO - aus dem Sitzungsprotokoll so erschließen, dass eine revisionsrechtliche Nachprüfung möglich ist. Außerdem muss das Berufungsurteil erkennen lassen, von welchem Sach- und Streitstand das Berufungsgericht ausgegangen ist, und die Anträge, welche die Parteien im Berufungsverfahren gestellt haben, müssen zumindest sinngemäß deutlich werden. Denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, den Sachverhalt und das genaue Begehren selbst zu ermitteln, um abschließend beurteilen zu können, ob die Revision begründet ist (vgl. , NJW-RR 2022, 877 Rn. 14; vom - VIII ZR 93/20, NJW-RR 2021, 1016 Rn. 11; vom - VIII ZR 242/16, DAR 2018, 78 Rn. 4 mwN; vom - VIII ZR 3/17, NZM 2017, 732 Rn. 7 f. mwN).

16Fehlen im Berufungsurteil die entsprechenden Darstellungen, leidet es an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel; das Revisionsgericht hat das Urteil in einem solchen Fall grundsätzlich aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (vgl. , aaO Rn. 15; vom - VIII ZR 93/20, aaO Rn. 12; vom - VIII ZR 3/17, aaO Rn. 9 mwN).

17b) Den beschriebenen Erfordernissen wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Nachdem das Berufungsgericht die Revision selbst zugelassen hat, lagen - entgegen dessen rechtsirriger Annahme - die Voraussetzungen nach § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO für ein Absehen von der durch § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO vorgeschriebenen Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen nicht vor (vgl. , NJW-RR 2021, 1016 Rn. 13; vom - VIII ZR 3/17, NZM 2017, 732 Rn. 10; vom - VI ZR 22/16, NJW 2017, 3449 Rn. 8). Das Berufungsurteil gibt zwar die im Berufungsverfahren gestellten Anträge der Parteien und auch das zweitinstanzliche Parteivorbringen wieder. Es lässt aber nicht hinreichend erkennen, von welchem Sach- und Streitstand das Berufungsgericht ausgegangen ist.

18aa) Dem Berufungsurteil lassen sich insbesondere die in erster Instanz getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht entnehmen. Es lässt die erforderliche Bezugnahme auf die Feststellungen des Amtsgerichts vermissen und enthält auch weder eine eigenständige Wiedergabe der von der Vorinstanz zugrunde gelegten Tatsachen noch der von den Parteien erstinstanzlich gestellten Anträge.

19bb) Die notwendigen tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung lassen sich auch nicht hinreichend deutlich aus den übrigen Urteilsgründen erschließen oder zumindest sinngemäß entnehmen (vgl. , aaO Rn. 14; vom - VI ZR 22/16, aaO Rn. 10; jeweils mwN). Aus den Gründen des Berufungsurteils geht lediglich hervor, dass die Parteien um die Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 4.500 € an den Kläger als Verkäufer streiten, den dieser zuvor im Zuge von Verhandlungen über eine (einvernehmliche) Rückabwicklung des zwischen den Parteien geschlossenen Fahrzeugkaufvertrags nach einem von dem Beklagten erklärten Rücktritt vom Vertrag beziehungsweise einer von diesem erklärten Anfechtung wegen arglistiger Täuschung an diesen zurückgezahlt hatte. Ferner lässt sich der Begründung entnehmen, dass das Amtsgericht dem Kläger einen solchen Anspruch nebst Zinsen unter Ablehnung einer von dem Beklagten erklärten Aufrechnung mit einer auf Aufwendungsersatz gerichteten Gegenforderung zuerkannt hat. Weitere Angaben - etwa zum konkreten Inhalt des zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrags, namentlich zum Kaufgegenstand und dessen Beschaffenheit sowie zu dem von dem Berufungsgericht erwähnten Haftungsausschluss - fehlen dagegen ebenso wie Angaben zu dem streitigen Vorbringen der Parteien in der ersten Instanz sowie zum Grund und zur Höhe des zur Aufrechnung gestellten Aufwendungsersatzanspruchs.

20Hinsichtlich der erstinstanzlich gestellten Anträge der Parteien lässt sich dem Berufungsurteil lediglich sinngemäß entnehmen, dass der Kläger einen Anspruch auf Rückzahlung eines Betrags in Höhe von 4.500 € nebst Zinsen geltend gemacht und der Beklagte die Klageabweisung beantragt hat. Aus dem Berufungsurteil erschließen sich zudem nicht die Entscheidungsgrundlagen bezüglich der Nebenforderungen.

21cc) Nach alledem genügt das Berufungsurteil nicht den Anforderungen einer ausreichenden Darstellung des Streitgegenstands und seiner tatsächlichen Grundlagen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

III.

221. Dem Berufungsurteil fehlt somit bereits die für die revisionsrechtliche Nachprüfung nach § 545 Abs. 1, § 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage. Daher ist es nach § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (vgl. , NJW-RR 2022, 877 Rn. 25; vom - VIII ZR 93/20, NJW-RR 2021, 1016 Rn. 17; vom - VIII ZR 242/16, DAR 2018, 78 Rn. 6 mwN; vom - VIII ZR 3/17, NZM 2017, 732 Rn. 13).

232. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

24a) Unter Zugrundelegung der dem Berufungsurteil zu entnehmenden Feststellungen hat das Berufungsgericht - entgegen der Auffassung der Revision - frei von Rechtsfehlern angenommen, dass die Parteien eine Vereinbarung über die Rückzahlung des Kaufpreises an den Beklagten nicht getroffen haben. Die dahingehende - nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegende (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsurteil vom - VIII ZR 300/21, NJW-RR 2022, 1666 Rn. 14 mwN) - Auslegung der wechselseitigen Erklärungen der Parteien im Zusammenhang mit dem von dem Beklagten erklärten Rücktritt ist nicht zu beanstanden.

25b) Das Berufungsgericht hat auch - jedenfalls unter Zugrundelegung der von ihm bisher getroffenen Feststellungen - ohne Rechtsfehler ein arglistiges Verschweigen von Unfallschäden durch Angaben seitens des Klägers "ins Blaue hinein" verneint (vgl. hierzu , NJW 1981, 1441 unter II 2 a; vom - V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn. 28; vom - V ZR 38/18, NJW 2019, 2380 Rn. 33; vom - V ZR 73/18, WM 2020, 2235 Rn. 25). Ein solche Angabe kann insbesondere nicht in der Erklärung des Klägers gesehen werden, das Fahrzeug sei während seiner Besitzzeit unfallfrei gewesen, ohne dass er auf den Erwerb des Fahrzeugs erst wenige Tage vor der Veräußerung an den Beklagten und die Fahrzeugnutzung, die lediglich im Rahmen einer einstündigen Probefahrt erfolgte, hingewiesen hätte. Durch die Bezugnahme auf seine Besitzzeit hat der Kläger - entgegen der Ansicht der Revision - klar zu erkennen gegeben, dass er nur für diesen Zeitraum Angaben zur Unfallfreiheit des Fahrzeugs machen wollte. Dass das Fahrzeug während dieses Zeitraums einen Unfall erlitten hätte, wird aber von der Revision nicht aufgezeigt und ist auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts auch sonst nicht ersichtlich.

26c) Soweit die Revision eine Aufklärungspflicht des Klägers aufgrund der aus dem Senatsurteil vom (VIII ZR 38/09, NJW 2010, 858) herzuleitenden Grundsätze als gegeben erachtet, ist jedenfalls unter Zugrundelegung der bisherigen von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht zu erkennen, dass hier eine vergleichbare Fallgestaltung gegeben wäre.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:190723UVIIIZR201.22.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-45973