BGH Beschluss v. - 6 StR 312/23

Instanzenzug: LG Frankfurt (Oder) Az: 24 KLs 4/23nachgehend Az: 6 StR 114/24 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), so dass es auf die Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt.

21. Nach den Feststellungen forderte der Angeklagte die im Tatzeitraum zehnjährige Geschädigte    B.     auf, seinen erigierten Penis anzufassen und bis zum Samenerguss an diesem zu manipulieren (Fall II.1.2.1 der Urteilsgründe). Bei anderer Gelegenheit, etwa ein bis zwei Jahre später, legte er sich entkleidet neben die Geschädigte ins Bett und begann, seinen Penis an ihrem nackten Oberschenkel zu reiben. Als er ein Bein zwischen ihre Beine schob, stand sie auf und verließ das Schlafzimmer (Fall II.1.2.2 der Urteilsgründe). Im Frühjahr 2017 wollte der Angeklagte mit ihrer 2005 geborenen jüngeren Schwester – der Nebenklägerin     E.   – im gemeinsamen Kinderzimmer Geschlechtsverkehr ausüben. Er positionierte sie im Vierfüßlerstand vor sich auf der Matratze, streifte sich ein Kondom über den erigierten Penis und rieb diesen an deren Unterleib.   B.    erwachte und teilte mit, sie werde ihrer Mutter über das Geschehen berichten, woraufhin der Angeklagte von der weiteren Ausführung seines Vorhabens abließ (Fall II.1.3 der Urteilsgründe).

32. Die Beweiswürdigung hält – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (st. Rspr.; vgl. etwa , BGHSt 29, 18, 20 f. mwN) – sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„1. Das Landgericht hat seine Feststellungen betreffend die Missbrauchstaten zum Nachteil der Zeugin    B.      allein auf deren Angaben gestützt (UA S. 11). Die diesbezügliche Beweiswürdigung wird indessen nicht den besonderen Anforderungen gerecht, die bestehen, wenn – wie hier – der Angeklagte die Tatvorwürfe in Abrede stellt und weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel neben der einzigen Belastungszeugin nicht vorliegen. In einer solchen Beweiskonstellation müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. Senat, Beschluss vom – 6 StR 448/22 –, juris Rdnr. 5; –, NStZ 2021, 184, 185; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 261 Rdnr. 100). Insbesondere ist es in solchen Fällen regelmäßig erforderlich, die Entstehung und Entwicklung der belastenden Aussage im Urteil zu erörtern (vgl. Senat, Urteil vom – 6 StR 100/20 –, NStZ-RR 2020, 355, 356).

Daran fehlt es vorliegend. Die Jugendschutzkammer hat zwar vor dem Hintergrund der außerordentlichen Beweissituation die Notwendigkeit einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung der Aussage der Zeugin     B.     gesehen, diese jedoch nur lückenhaft abgehandelt. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, wie die Tatvorwürfe Eingang in das Ermittlungsverfahren gefunden haben, ob und gegebenenfalls wie oft die Zeugin durch die Strafverfolgungsbehörden vernommen worden ist und welche Angaben sie dabei gemacht hat. Eine dahingehende Auseinandersetzung war dabei umso mehr geboten, als die Taten II.1.2.1 und II.1.2.2 der Urteilsgründe im Entscheidungszeitpunkt bereits mehr als acht Jahre zurücklagen und erst 2021 außerhalb der Familie zu Tage getreten sein sollen (UA S. 13, 18), ohne dass aus dem Urteil hervorgeht, wodurch die zeitliche Differenz bedingt ist.

Aufgrund dieser Auslassung erweist sich die Aussageanalyse des Landgerichts als unzureichend. Es ist insbesondere nicht möglich, die belastenden Angaben der Zeugin auf ihre Konstanz hin als wesentliches, für die Glaubhaftigkeit einer Aussage sprechendes Merkmal (vgl. KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 261 Rdnr. 121) zu bewerten. Infolgedessen lässt sich auch die tatrichterliche Annahme, die Aussage der Zeugin     B.     sei als glaubhaft anzusehen, durch das Revisionsgericht nicht nachprüfen.

2. Da die Jugendschutzkammer ihre Gewissheit von dem gegen die Zeugin     E.   gerichteten versuchten schweren sexuellen Missbrauch von Kindern (Tat II.1.3 der Urteilsgründe) ebenfalls maßgeblich auf die Angaben der Zeugin      B.     gegründet hat (UA S. 11), sind die hierzu angestellten Beweiserwägungen genauso lückenhaft.“

4Dem schließt sich der Senat an. Die insgesamt recht knappe Aussageanalyse ist auch deshalb defizitär, weil sie sich nicht mit der Detailliertheit und Plausibilität der Aussage auseinandergesetzt hat (vgl. ; vom – 3 StR 302/21, NStZ 2022, 372, 373). Unerörtert geblieben ist zudem der erhebliche Widerspruch, dass die Mutter der Geschädigten     B.     abweichend von ihrer Tochter angegeben hat, diese habe ihr kurze Zeit nach der ersten Tat von dieser berichtet.

53. Das Urteil ist daher aufzuheben. Der Senat weist darauf hin, dass das neue Tatgericht eingehender als bisher geschehen darauf einzugehen haben wird, warum das Verfahren in Bezug auf zwei Taten zum Nachteil von     E.    nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist (vgl. ).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:250723B6STR312.23.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-45819