BSG Beschluss v. - B 5 R 26/23 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Begründung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache durch eine materiell-rechtlich oder verfahrensrechtlich willkürlich fehlerhafte Entscheidung - Verfahrensfehler - gerügter Ermessensfehler des LSG im vereinfachten Beschlussverfahren

Gesetze: § 62 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 543 Abs 2 S 1 Nr 1 ZPO, Art 103 GG

Instanzenzug: Az: S 10 R 202/15 Urteilvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 16 R 555/19 Beschluss

Gründe

1I. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung vom bis zum anstelle der für diese Zeit nur noch gewährten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

2Der 1957 geborene Kläger bezog von der Beklagten zunächst ab eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. In der Zeit vom bis zum gewährte die Beklagte ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit und ab dem eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Anträge des Klägers auf Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom und Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Seit dem steht der Kläger im Bezug einer Altersrente für langjährig Versicherte.

3Nach Einholung zweier medizinischer und eines berufskundigen Gutachtens hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das LSG hat ein weiteres medizinisches Gutachten sowie eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen eingeholt. Mit Beschluss vom hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dem Kläger stehe im streitbefangenen Zeitraum keine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Er habe noch über ein mindestens sechsstündiges Restleistungsvermögen jedenfalls für leichte körperliche und seinem Ausbildungsniveau entsprechende Arbeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen verfügt. Die Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen seien überzeugend. Ein Bedürfnis, den im Berufungsverfahren beauftragten Sachverständigen zur mündlichen Erörterung seines Gutachtens zu laden, habe nicht bestanden.

4Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG Beschwerde zum BSG eingelegt. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung, eine Divergenz und Verfahrensmängel geltend.

5II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Beschwerdebegründung legt einen Revisionszulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 SGG nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dar. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

61. Eine grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan.

7Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. In der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten revisiblen Norm iS des § 162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (stRspr; s etwa Senatsbeschluss vom - B 5 R 291/21 B - juris RdNr 7 mwN).

9Der Kläger legt jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht anforderungsgerecht dar. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort nicht außer Zweifel steht, sich zB nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nicht bereits höchstrichterlich entschieden ist ( - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung getroffen wurde oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die nunmehr maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl zB - juris RdNr 9 mwN). Dem wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht.

10Er führt diverse Rechtsprechung des BSG zum Anhörungserfordernis nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG an. So sei geklärt, dass die Vorschrift Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots der Gewährung rechtlichen Gehörs und daher weit auszulegen sei. Auch sei geklärt, dass bei Änderung der Prozesslage eine erneute Anhörung erforderlich sei. Es sei aber - soweit ersichtlich - bislang keine Entscheidung zum notwendigen Inhalt der Anhörungsmitteilung ergangen. Damit wertet der Kläger nicht hinreichend die höchstrichterliche Rechtsprechung aus. Das BSG hat sich bereits vielfach auch mit den inhaltlichen Voraussetzungen der Anhörungsmitteilung auseinandergesetzt. Die Anhörungspflicht gebietet es danach insbesondere, dass der Berufungskläger über die Absicht des Gerichts informiert wird, ohne mündliche Verhandlung im Beschlussverfahren zu seinen Ungunsten zu entscheiden (stRspr; zB - juris RdNr 12; - SozR 3-1500 § 153 Nr 9 S 27 = juris RdNr 12). Die Gründe, warum das Gericht die Berufung für unbegründet hält, müssen - auch in der Verfahrenskonstellation des § 153 Abs 4 SGG - den Beteiligten nicht mitgeteilt werden (vgl - juris RdNr 27; - juris RdNr 10; vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 153 RdNr 19; Burkiczak in jurisPK-SGG, Stand , § 153 RdNr 134). Das BVerfG hat befunden, dass eine Anhörungsmitteilung darüber, dass ein Rechtsschutzgesuch einstimmig für unbegründet gehalten und das Gericht durch Beschluss ohne vorherige mündliche Verhandlung entscheiden wird, ohne dass die Rechtsansicht des zur Entscheidung berufenen Senats enthalten ist, nicht gegen Art 103 Abs 1 GG verstößt (vgl - BVerfGE 74, 1 = juris RdNr 15). Das BSG hat auch bereits entschieden, dass weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage besteht noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Rahmen der mündlichen Verhandlung oder einer sie ersetzenden Anhörung die endgültige Beweiswürdigung bereits darzulegen. Konkrete Hinweise sind - zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung - lediglich dann geboten, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (vgl - juris RdNr 4 mwN). Damit setzt sich die Beschwerdebegründung in keiner Weise auseinander, sodass es an der erforderlichen inhaltlichen Durchdringung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der dortigen tragenden Argumentation fehlt (vgl zu diesem Erfordernis - juris RdNr 15 mwN). Die ausführliche Darlegung der Anforderungen, die nach eigener Auffassung des Klägers an eine Anhörungsmitteilung zu stellen sind, vermag die notwendige Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG und des BVerfG nicht zu ersetzen.

12Es kann offenbleiben, ob der Kläger damit Rechtsfragen, die eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG begründen könnten, bezeichnet. Eine solche Rechtsfrage muss eine vom Einzelfall losgelöste (abstrakt-generelle) Frage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Vorschrift (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht aufwerfen (stRspr; zB - juris RdNr 11). Der Kläger legt jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen auch an dieser Stelle nicht anforderungsgerecht dar.

13Der Kläger führt unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG aus, dass die Entscheidung, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zurückzuweisen, nur auf fehlerhaften Ermessensgebrauch überprüft werden könne. Bislang gebe es aber keine Entscheidungen dazu, wie ein LSG seine Ermessensentscheidungen zu begründen habe. Insbesondere sei nicht geklärt, ob es rechtmäßig sei, dass LSGe die Begründung ihrer Ermessensentscheidung auf die Feststellung beschränkten, dass der gesetzliche Tatbestand erfüllt sei. Auch liege keine Entscheidung vor, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung solange zu unterstellen sei, wie die getroffene Entscheidung noch vertretbar sei.

14Der Kläger räumt damit zunächst selbst ein, dass der Maßstab für die Überprüfung des Ermessens bereits höchstrichterlich festgelegt ist (vgl aktuell - juris RdNr 13 mwN; s auch - juris RdNr 4 ff mwN). Auch hat das BSG bereits die Kriterien näher beschrieben und etwa für den Fall einer groben Fehleinschätzung gefordert, dass bei Abwägung aller zu berücksichtigenden Umstände die Wahl des vereinfachten Verfahrens ohne mündliche Verhandlung unter keinen Umständen zu rechtfertigen ist ( aaO, RdNr 4 mwN, zu weiteren Kriterien vgl RdNr 5 mwN; insbesondere - SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38 f; vgl auch die zahlreichen Nachweise bei Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 153 RdNr 15). Soweit die Fragen des Klägers auf den Umfang der Begründungspflicht des LSG abzielen, führt er bereits nicht aus, an welcher bzw welchen Vorschrift(en) eine solche Begründungspflicht gemessen werden könnte. Das BVerwG hat zu der insoweit inhaltsgleichen Vorschrift des § 130a Satz 1 VwGO im Übrigen entschieden, dass die Ermessensentscheidung des Berufungsgerichts ausreichend begründet ist, wenn es in den Beschlussgründen darlegt, es sei einstimmig der Auffassung, dass eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich und die Berufung unbegründet sei. Eine darüber hinausgehende Begründung verlange das Gesetz nicht ( 4 B 4.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr 33 = juris RdNr 6; 1 B 358.01 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr 57 = juris RdNr 3). Auch dazu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht.

16d) Soweit der Kläger der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung deshalb zumessen will, weil sich die angefochtene Entscheidung als "objektiv willkürlich" darstelle und es "nicht zweifelhaft" erscheine, dass das BVerfG sie auf eine Verfassungsbeschwerde hin aufheben würde, ist die Beschwerde gleichfalls unzulässig. Der Kläger bezieht sich auf eine Entscheidung des BGH, wonach in seltenen Ausnahmefällen unter den genannten Umständen auch Rechtsfehler im Einzelfall eine grundsätzliche Bedeutung der Sache iS des § 543 Abs 2 Satz 1 Nr 1 ZPO begründen können ( - BGHZ 152, 182 = juris RdNr 32 ff). Ob eine - materiell- oder verfahrensrechtlich - willkürlich fehlerhafte Entscheidung ausnahmsweise auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG begründen kann, bedarf hier keiner Erörterung. Der Kläger erfüllt jedenfalls weder die Anforderungen des BGH an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung in solchen Fallgestaltungen noch die für eine Grundsatzrüge wegen vermeintlichen Verstoßes einer revisiblen Norm gegen Verfassungsrecht.

17Der BGH fordert in der genannten Entscheidung für die ordnungsgemäße Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, dass der Beschwerdeführer angibt, welches Grundrecht verletzt sein soll, in welchem Verhalten des Berufungsgerichts die Verletzung liegen soll, dass die angefochtene Entscheidung darauf beruht und dass unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG nicht zweifelhaft sein kann, dass das angegriffene Urteil einer Nachprüfung durch das BVerfG nicht standhalten würde ( - BGHZ 152, 182 = juris RdNr 36). Zwar behauptet der Kläger eine Verletzung des Willkürverbots, indem das LSG angenommen habe, dass in der mündlichen Verhandlung vor dem SG das Sach- und Streitverhältnis tatsächlich vollständig erörtert worden sei, obwohl es im Protokoll nur formelhaft heiße, das Sach- und Streitverhältnis sei mit den Beteiligten erörtert worden und nach der Rechtsprechung des BSG aus dieser Formulierung gerade nicht geschlossen werden könne, dass tatsächlich eine vollständige Erörterung stattgefunden habe. Es fehlt der Beschwerdebegründung aber an jeglicher Darlegung der besonderen verfassungsrechtlichen Maßstäbe, denen die angefochtene Entscheidung des LSG hier nicht gerecht worden sein könnte. Die Berücksichtigung und Auswertung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu der oder den als verletzt erachteten Verfassungsnormen und die Darlegung in substanzieller Argumentation, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt, ist jedoch Voraussetzung für die Begründung einer auf einen vermeintlichen Verfassungsverstoß gestützten Grundsatzrüge (stRspr; zB bereits - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; aus jüngerer Zeit zB - juris RdNr 9 mwN; vgl auch - juris RdNr 12 mwN).

182. Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungserfordernisse für den ebenfalls geltend gemachten Zulassungsgrund einer Divergenz nicht. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem tragenden abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung besteht folglich nicht schon dann, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Die Beschwerdebegründung muss daher zugleich erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (vgl zB - juris RdNr 6). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

19Der Kläger trägt vor, die Entscheidung des LSG weiche von dem - ab. Den Ausführungen des BSG sei der Rechtssatz zu entnehmen, "(H)eißt es in einem Protokoll einer mündlichen Verhandlung nur pauschal, dass das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten erörtert wurde, ohne dass sich aus dem Protokoll ergibt, welche konkreten Gesichtspunkte des Sach- und Streitverhältnisses tatsächlich erörtert wurden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Sach- und Streitverhältnis tatsächlich erörtert wurde". Das LSG habe zu seiner Gehörsrüge ausgeführt, sein Vorbringen enthalte keine Substanz, sondern erschöpfe sich in Vermutungen, zumal nicht erkennbar sei, dass sich der rechtskundig vertretene Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung um ergänzendes rechtliches Gehör bemüht habe. Dabei könne das LSG nur von folgendem Rechtssatz ausgegangen sein: "Auch wenn es im Protokoll einer mündlichen Verhandlung nur pauschal heißt, dass das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten erörtert wurde und sich diesem nicht entnehmen lässt, welche konkreten Gesichtspunkte des Sach- und Streitverhältnisses tatsächlich erörtert wurden, kann davon ausgegangen werden, dass das Sach- und Streitverhältnis tatsächlich vollständig erörtert wurde."

20Damit hat der Kläger bereits nicht dargelegt, dass das LSG eine von höchstrichterlicher Rechtsprechung abweichende allgemeine Regel aufgestellt hat, die über den konkreten Einzelfall hinaus auch für weitere Sachverhalte gelten soll (vgl zu diesem Erfordernis zB - juris RdNr 16 mwN). Der Kläger versäumt es darüber hinaus, den tatsächlichen und rechtlichen Kontext darzustellen, in dem die angeblich divergierenden Rechtssätze jeweils stehen (vgl hierzu zB - juris RdNr 14 mwN; - juris RdNr 8 mwN). Eine Auseinandersetzung mit dem konkreten Sachverhalt auch der Entscheidung des BSG gehört zu den Mindestvoraussetzungen, um die Entscheidungserheblichkeit der Divergenzrüge prüfen zu können, weil eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen kann, auf den dieselben Rechtsnormen anzuwenden sind (vgl - RdNr 11; - juris RdNr 7; - juris RdNr 14).

213. Der Kläger hat schließlich keinen Verfahrensfehler hinreichend bezeichnet. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dem entspricht die Beschwerdebegründung nicht.

22a) Der Kläger hat eine Verletzung der Anhörungspflicht aus § 153 Abs 4 Satz 2 SGG nicht hinreichend bezeichnet. Er führt aus, eine vollständige Anhörung erfordere danach, dass das Gericht das Sach- und Streitverhältnis erörtere und erkläre, warum es die Berufung für nicht begründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich halte und die in Ausübung seines Ermessens angestellten Erwägungen darstelle. Nur dann könnten die Beteiligten sinnvoll Stellung nehmen. Entsprechende Ausführungen habe das LSG in seiner Anhörungsmitteilung unterlassen, selbst nachdem er mitgeteilt habe, dass ihm eine sinnvolle Stellungnahme nicht möglich sei. Eine fehlerhafte Anhörung hat der Kläger damit nicht dargetan.

23Wesentlich ist insoweit lediglich der Hinweis, dass das LSG die Berufung für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält (stRspr; zB - juris RdNr 12; - SozR 3-1500 § 153 Nr 9 S 27 = juris RdNr 12). Dass das LSG eine solche Mitteilung unterlassen hätte, hat der Kläger selbst nicht behauptet. Mit der Rechtsprechung, wonach die Gründe, warum das Gericht die Berufung für unbegründet hält, den Beteiligten im Rahmen der Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG nicht mitgeteilt werden müssen (vgl erneut - juris RdNr 27; - juris RdNr 4 mwN; - juris RdNr 10; vgl auch - BVerfGE 74, 1 RdNr 15; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 153 RdNr 19; Burkiczak in jurisPK-SGG, Stand , § 153 RdNr 134), setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander. Der Kläger hat deswegen auch die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG; § 62 SGG), der in § 153 Abs 4 Satz 2 SGG seine besondere Ausprägung gefunden hat, nicht anforderungsgerecht bezeichnet.

24b) Die Beschwerde hat auch die behauptete Verletzung von § 153 Abs 4 Satz 1 SGG nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Der Kläger rügt einen Ermessensnichtgebrauch. Im Beschluss des LSG heiße es zwar, dass der Senat nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten habe. Den weiteren schriftlichen Ausführungen des LSG lasse sich eine Ermessensausübung jedoch nicht entnehmen. Dass das LSG sich nicht bewusst gewesen sein sollte, Ermessen ausüben zu müssen, ist angesichts der Formulierung im angefochtenen Beschluss damit nicht nachvollziehbar dargetan.

25Aus dem Beschwerdevorbringen des Klägers ergibt sich auch nicht, dass das LSG mit seiner Entscheidung im vereinfachten Beschlussverfahren ermessensfehlerhaft vorgegangen wäre. Hierzu hätte etwa dargelegt werden müssen, dass das Berufungsgericht, ausgehend von seiner eigenen Rechtsauffassung, die Schwierigkeit des Falles und die Bedeutung von Tatsachenfragen falsch eingeschätzt habe (vgl - juris RdNr 27; - juris RdNr 13). Dies erschließt sich aus der Beschwerdebegründung aber nicht. Der Kläger gibt insoweit lediglich seine eigene Einschätzung - zur Notwendigkeit eines Belastungsgutachtens und der weitergehenden Berücksichtigung seiner Persönlichkeitsstörung - wieder. Aus seinem Vortrag ergibt sich im Wesentlichen, dass er mit der Verfahrensführung des LSG und einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht einverstanden ist und weitere Ermittlungen des LSG für erforderlich hält. Damit macht er im Kern geltend, das LSG habe die Berufung nicht aufgrund der vorliegenden Ermittlungsergebnisse treffen dürfen, und erhebt damit letztlich eine Sachaufklärungsrüge. Deren Darlegungsanforderungen können aber nicht durch eine Rüge in anderer Gestalt umgangen werden, weil andernfalls die Beschränkungen, die § 160 Abs 2 Nr 3 SGG für die Sachaufklärungsrüge normiert, im Ergebnis ins Leere liefen (vgl - juris RdNr 6; - juris RdNr 11).

26Da ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG nicht hinreichend substantiiert dargetan ist, ist auch die hierauf gestützte Rüge einer fehlerhaften Besetzung des Berufungsgerichts aufgrund der Entscheidung durch Beschluss ohne ehrenamtliche Richter unsubstantiiert.

27c) Soweit die Beschwerde vorbringt, das LSG sei der vom Kläger aus § 278 Abs 1 ZPO abgeleiteten Verpflichtung, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken, nicht nachgekommen, fehlt es an jeder näheren Begründung, inwiefern hierin ein im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde rügefähiger Verfahrensmangel liegen könnte. Der Vortrag des Klägers, dass aus seiner Sicht eine gütliche Einigung nicht ausgeschlossen war, ersetzt eine rechtliche Untermauerung der Rüge nicht.

28d) Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel der fehlenden Begründung des Beschlusses ist schließlich ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet. Der Kläger macht geltend, das LSG habe verfahrensfehlerhaft entschieden, weil die angefochtene Entscheidung entgegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG nicht mit Gründen versehen sei. Der Begründung lasse sich nicht entnehmen, dass das LSG sein Ermessen nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG tatsächlich ausgeübt habe. Zudem fehle es auch an einer Begründung, in Bezug auf die Frage, ob ein Belastungsgutachten notwendig sei. Soweit mit diesem Vorbringen eine unzureichende Begründung der Entscheidung des LSG geltend gemacht werden soll, ist damit eine Verletzung des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG nicht dargetan.

29Nach der ausdrücklichen Regelung des § 142 Abs 1 SGG gilt § 136 SGG ausschließlich für Beschlüsse entsprechend, die nach mündlicher Verhandlung ergehen, also gerade nicht für solche nach § 153 Abs 4 SGG (vgl - SozR 3-1500 § 142 Nr 1 S 2 = juris RdNr 11). Einschlägig ist vielmehr § 142 Abs 2 SGG (BSG, aaO, juris RdNr 12; ebenso Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 153 RdNr 22), wonach Beschlüsse zu begründen sind, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über ein Rechtsmittel entscheiden. Dass die angefochtene Entscheidung nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die richterliche Überzeugungsbildung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht maßgebend gewesen sind (vgl BSG, aaO, juris RdNr 13 mwN), trägt der Kläger nicht vor.

30Soweit er eine defizitäre Ermessensentscheidung nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG rügt, führt er selbst aus, dass der Beschluss Ausführungen zum Ermessen und auch dazu enthalte, warum das LSG keinen Anhalt für die Einholung eines Belastungsgutachtens gesehen hat. Der Vortrag des Klägers, das LSG hätte bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung zu dem Ergebnis kommen müssen, dass eine mündliche Verhandlung sinnvoll gewesen sei, ersetzt nicht eine an Sinn und Zweck der Vorschrift sowie der bisherigen Rechtsprechung orientierte Auseinandersetzung mit § 153 Abs 4 Satz 1 SGG. Die Beschwerde legt nicht nachvollziehbar dar, warum die Vorschrift hier eine über die Formulierung in den Beschlussgründen, der Senat sei einstimmig der Auffassung, dass eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich und die Berufung unbegründet sei (vgl zu der gleichlautenden Vorschrift des § 130a VwGO 4 B 4.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr 33 = juris RdNr 6; 1 B 358.01 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr 57 = juris RdNr 3; hierauf Bezug nehmend für das SGG Burkiczak in jurisPK-SGG, Stand , § 153 RdNr 174; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 153 RdNr 22), hinausgehende Begründung verlangen sollte. Auch die Kausalität eines etwaigen Begründungsmangels legt der Kläger nicht dar. Ebenso wenig sind der Beschwerdebegründung hinreichende Darlegungen zu etwaigen Ermessensfehlern zu entnehmen.

31Der Kläger wendet sich vielmehr mit seinem Vortrag im Kern gegen die Beweiswürdigung des LSG. Fragen der Beweiswürdigung im Einzelnen sind im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde aber von vornherein unerheblich, weil nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie Beweiswürdigung) gestützt werden kann (vgl - juris RdNr 14).

32Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:050623BB5R2623B0

Fundstelle(n):
IAAAJ-44916