BGH Beschluss v. - I ZB 69/22

Vollstreckung einer kommunalen Gebührenforderung: Anforderungen an den elektronisch einzureichenden Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher zur Abnahme der Vermögensauskunft

Leitsatz

Bei der Vollstreckung einer kommunalen Gebührenforderung bedarf der elektronisch einzureichende Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher zur Abnahme der Vermögensauskunft nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen keines Dienstsiegels.

Gesetze: § 130a ZPO, § 130d ZPO, § 576 Abs 1 ZPO, § 753 ZPO, § 3a Abs 1 S 1 VwVG NW vom , § 3a Abs 2 S 1 VwVG NW vom , § 3a Abs 3 S 1 VwVG NW vom , § 3a Abs 4 VwVG NW vom , § 5a Abs 1 S 2 Nr 2 VwVG NW vom , § 3 Abs 2 S 2 VwVG NW vom , § 5a Abs 1 S 5 VwVG NW vom , § 5a Abs 4 S 1 VwVG NW vom , § 5a Abs 4 S 2 VwVG NW vom

Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 1 T 113/22 Beschlussvorgehend AG Hagen (Westfalen) Az: 44 M 536/22

Gründe

1I. Die für die Stadt Hamm als Gläubigerin tätige Stadtkasse betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung wegen rückständiger Musikschulgebühren.

2Mit Schreiben vom beantragte die Stadtkasse die Abnahme der Vermögensauskunft und bei unentschuldigtem Fernbleiben der Schuldnerin den Erlass eines Haftbefehls. Der Antrag ist maschinenschriftlich mit dem Namen der verantwortlichen Person, jedoch nicht mit einem Dienstsiegel versehen. Er wurde elektronisch über das besondere elektronische Behördenpostfach übersandt.

3Der Gerichtsvollzieher lehnte die Durchführung der beantragten Zwangsvollstreckungsmaßnahme aufgrund des fehlenden Dienstsiegels ab.

4Das Amtsgericht hat die hiergegen gerichtete Erinnerung der Gläubigerin zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Vollstreckungsauftrag weiter.

5II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Gerichtsvollzieher habe den Vollstreckungsauftrag zu Recht abgelehnt, weil dieser nicht mit einem Dienstsiegel versehen sei. Bei Vollstreckungsanträgen in der Verwaltungsvollstreckung werde gemäß § 5a Abs. 4 Satz 1 VwVG NW die Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung ersetzt durch die schriftliche Erklärung der Vollstreckungsbehörde über die Vollstreckbarkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedürfe ein solcher Vollstreckungsauftrag einer Unterschrift und eines Dienstsiegels. Dies gelte entgegen dem missverständlich formulierten § 5a Abs. 4 VwVG NW nicht nur für Vollstreckungsanträge, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellt worden seien. Mit der elektronischen Übermittlung nach Maßgabe des § 130a ZPO habe die Gläubigerin lediglich das prozessuale Schriftlichkeitsgebot gewahrt. Das Anbringen eines Dienstsiegels werde dadurch nicht entbehrlich. Es gebe über die Unterschriftsleistung hinaus dem Empfänger die Gewähr dafür, dass die für die Wirksamkeit der Erklärung maßgebenden Vorschriften eingehalten seien.

6III. Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

71. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist es unschädlich, dass die sofortige Beschwerde nicht begründet worden ist. § 571 Abs. 1 ZPO schreibt eine Begründung nicht zwingend vor. Es genügt daher, dass das Rechtsschutzbegehren erkennbar ist (, juris Rn. 2; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 571 Rn. 1; Jänich in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 571 Rn. 3). Dies ist hier schon aufgrund der Begründung der Erinnerung der Fall.

82. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.

9a) Der mit der Rechtsbeschwerde gerügte Verstoß gegen das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen unterliegt gemäß § 576 Abs. 1 ZPO der Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, weil es sich hierbei um Vorschriften handelt, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus erstreckt.

10b) Das im Zeitpunkt der Stellung des Vollstreckungsauftrags geltende Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen ist mit Wirkung vom durch das Gesetz zur Änderung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW und weiterer Vorschriften vom (GV. NRW. 2023, 230) geändert worden. Sowohl nach altem als auch nach neuem Verwaltungsvollstreckungsrecht kann die Vollstreckungsbehörde den Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsbeamten der Justizverwaltung mit der Abnahme der Vermögensauskunft beauftragen (§ 3 Abs. 2 Satz 2, § 5a Abs. 1 Satz 5 VwVG NW aF/§ 3a Abs. 1 Satz 1, § 5a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwVG NW nF). Dabei tritt nach altem wie nach neuem Recht der Auftrag der Vollstreckungsbehörde, der eine Erklärung über die Vollstreckbarkeit, die Höhe und den Grund der Forderung enthalten muss, an die Stelle der Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung (§ 5a Abs. 4 Satz 1 VwVG NW aF/§ 3a Abs. 3 Satz 1 VwVG NW nF).

11c) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts bedurfte es nach dem im Zeitpunkt der Stellung des Vollstreckungsauftrags geltenden alten Recht keines Dienstsiegels.

12aa) Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 VwVG NW aF unterliegt die Vollstreckung durch Vollstreckungsbeamte der Justizverwaltung den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Kraft dieser Verweisung gilt für die Einreichung des Vollstreckungsauftrags die Vorschrift des § 753 ZPO, die in Absatz 4 Satz 2 auf § 130a ZPO und die auf dieser Grundlage erlassene Rechtsverordnung sowie in Absatz 5 auf § 130d ZPO verweist. Nach § 130d Satz 1 ZPO hat die Einreichung schriftlich einzureichender Anträge - um einen solchen handelt es sich bei dem vorliegenden Vollstreckungsauftrag - durch eine Behörde in elektronischer Form zu erfolgen.

13bb) Nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO entspricht der Vollstreckungsauftrag den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert oder (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist. Weitere Formerfordernisse bestehen nicht. Insbesondere können die nach der Senatsrechtsprechung geltenden Anforderungen für einen in Papierform eingereichten Vollstreckungsantrag zur Beitreibung von Gerichtskosten nach § 7 Satz 1 und 2 JBeitrG (Beschluss vom - I ZB 27/14, DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 12 f. und 16]) auf einen elektronisch eingereichten Vollstreckungsantrag nicht übertragen werden. Dieser bedarf mithin auch keines Dienstsiegels (vgl. , juris Rn. 22, 32).

14cc) Ein solches Erfordernis lässt sich - entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts - auch nicht der Vorschrift des § 5a VwVG NW aF entnehmen. Ein Dienstsiegel ordnet § 5a Abs. 4 Satz 2 VwVG NW aF zwar für Vollstreckungsaufträge an, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellt werden. Diese Vorschrift betrifft die Verwendung technischer Einrichtungen, die nach vorher festgelegten Parametern autonom, als ohne weiteres menschliches Einwirken funktionieren (zu § 35a VwVfG vgl. BeckOK.VwVfG/Prell, 59. Edition [Stand ], § 35a Rn. 5). Der vorliegend zu betrachtende Vollstreckungsauftrag ist nicht mittels solcher Einrichtungen erstellt worden. Aus der Vorschrift des § 29 Abs. 3 GBO lässt sich entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nichts anderes ableiten. Sie beruht auf Besonderheiten des Grundbuchverfahrens und ist daher auf andere Fälle nicht übertragbar.

15d) Nach neuem Landesvollstreckungsrecht unterliegt die Vollstreckung durch Vollstreckungsbeamte der Justizverwaltung gemäß § 3a Abs. 2 Satz 1 VwVG NW nF den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, soweit nicht dieses Gesetz etwas anderes bestimmt. Die Vorschrift des § 3a Abs. 4 VwVG NW nF sieht vor, dass der Auftrag der Vollstreckungsbehörde als elektronisches Dokument zu erstellen und zu übermitteln ist (Satz 1) und dass es keiner Unterschrift und keines Siegels bedarf (Satz 2). Die Anforderungen an die Übermittlung als elektronisches Dokument ergeben sich aus den über die Verweisung in § 3a Abs. 2 Satz 1 VwVG NW nF berufenen Vorschriften der § 753 Abs. 4 und 5, §§ 130a und 130d ZPO (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zur Änderung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW und weiterer Vorschriften, Landtag Nordrhein-Westfalen Drucks. 18/3391, S. 34 f.). Die Regelung über die Entbehrlichkeit des Dienstsiegels in § 3a Abs. 4 Satz 2 VwVG NW nF geht allerdings diesen Vorschriften kraft gesetzlicher Anordnung in § 3a Abs. 2 Satz 1 VwVG NW nF ("soweit nicht in diesem Gesetz … etwas Anderes geregelt ist") vor. Damit ist nach neuem Recht die vorliegende Streitfrage dahingehend entschieden, dass es keines Dienstsiegels bedarf.

163. Bislang fehlen allerdings hinreichende Feststellungen dazu, ob die Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO erfolgt ist.

17a) Nach § 6 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) können Behörden zur Übermittlung elektronischer Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg bei Einhaltung bestimmter Anforderungen ein besonderes elektronisches Behördenpostfach nutzen. Unter anderem muss nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV feststellbar sein, dass das elektronische Dokument vom Postfachinhaber versandt wurde.

18Die Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs durch eine berechtigte Person wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis bestätigt. Dabei handelt es sich um eine elektronische Signatur, die an eine Nachricht angebracht wird, wenn das Versandpostfach nach Authentifizierung und Identifizierung des Postfachinhabers in einem sicheren Verzeichnisdienst geführt wird und der Postfachinhaber zum Zeitpunkt der Erstellung der Nachricht sicher an dem Postfach angemeldet ist. Ob das eingegangene Dokument über einen sicheren Übermittlungsweg versandt worden ist, lässt sich (allein) anhand eines Prüfvermerks, Transfervermerks oder Prüfprotokolls zuverlässig erkennen, nicht aber aus dem Dokument selbst (vgl. , juris Rn. 19 mwN).

19b) Das Beschwerdegericht hat das Vorliegen eines vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises für den Vollstreckungsauftrag bislang nicht festgestellt. Diese Feststellungen wird es nachzuholen haben.

20IV. Der Senat kann daher nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 4 ZPO).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:010623BIZB69.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 10 Nr. 32
WM 2023 S. 1469 Nr. 31
UAAAJ-44750