BGH Urteil v. - 5 StR 17/23

Betäubungsmitteldelikt: Besitz von Drogen in nicht geringer Menge bei Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben

Gesetze: § 29 Abs 1 S 1 Nr 3 BtMG, § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 27 StGB, § 52 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Dresden Az: 17 KLs 436 Js 63663/20

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten (N.         ), zwei Jahren und vier Monaten (G.     ) sowie – unter Strafaussetzung zur Bewährung – von einem Jahr und sechs Monaten (M.   ) verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die mit der Sachrüge geführten Revisionen der Staatsanwaltschaft beanstanden, dass die Angeklagten nicht tateinheitlich auch wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen worden sind und bemängeln die Strafzumessung. Sie haben ganz überwiegend Erfolg.

I.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte eine polizeiliche Vertrauensperson (VP) mit dem Decknamen „Ma.  “ Kontakt zu der gesondert Verfolgten       He.   , die er während einer Drogenentwöhnungstherapie kennengelernt hatte. Sie benannte dem „Ma.  “ gegenüber einen „   J.    “ als Kontaktperson für die Lieferung von Betäubungsmitteln im Kilobereich und gab ihm dessen Telefonnummer. „Ma.  “ und eine Person, die sich als „J.   “ ausgab, trafen sich im Oktober 2020 in D.     . „J.    “ erklärte, er könne ein Kilogramm Crystal für 30.000 Euro beschaffen. Die VP „Ma.  “ zeigte Interesse an dem Geschäft und erklärte, sie werde sich wieder bei „J.   “ melden. Sie hatte die Absicht, die Betäubungsmittel sicherstellen zu lassen und den Täter der Strafverfolgung zuzuführen. Deshalb informierte sie über das Gespräch ihren VP-Führer bei der Polizei.

3Die VP und „J.    “ verabredeten sich für den . Am Treffpunkt traf die VP indes nicht auf diesen, sondern auf den Mitangeklagten D.  , der erklärte, das Geschäft laufe nun über ihn. In einer als Drogendepot und Handelsplatz genutzten Wohnung einigten sich die VP und D.   über den Kauf von einem Kilogramm Crystal zum Preis von 38.000 Euro. Die Übergabe sollte am nächsten Tag stattfinden. Bereits einen Tag zuvor hatte D.   mit dem in dieser Sache bereits rechtskräftig Verurteilten Mah.     Kontakt aufgenommen und ihn mit der Vermittlung einer Crystal-Lieferung in L.    beauftragt. Am einigten sich die VP und D.   schließlich nach erneuten Verhandlungen auf die Lieferung von 600 Gramm Crystal zum Preis von 23.000 Euro. Am frühen Nachmittag dieses Tages wurde der Angeklagte N.           von einer unbekannten Person kontaktiert, die ihm den Auftrag gab, für eine Entlohnung von 1.000 Euro insgesamt 500 Gramm Crystal von L.   nach D.     zu bringen und vom Käufer der Lieferung 13.000 Euro entgegenzunehmen. Die Drogen wurden ihm noch am Nachmittag in der E.    straße übergeben.

4Der Angeklagte N.          , der über keine Fahrerlaubnis verfügte, kontaktierte den gesondert Verfolgten Kh.   , damit dieser ihn nach D.    fahre. Weil er die Drogen nicht in seinem Fahrzeug transportieren wollte, beauftragte N.          den Angeklagten M.     mit dem Transport in einem anderen Fahrzeug für eine Entlohnung von 300 Euro. Am Nachmittag begaben sich N.           und Kh.     in einem weißen Mercedes und M.     und der von diesem mitgenommene Angeklagte G.   in einem schwarzen BMW von L.    nach D.     . Allen Beteiligten war bekannt, dass die Fahrt dem Transport zum Weiterverkauf bestimmter 500 Gramm Crystal diente. Die Drogen befanden sich während der Fahrt in dem vom Angeklagten M.    gesteuerten Fahrzeug versteckt unter einem der vorderen Sitze.

5Beide Fahrzeuge trafen gegen 18.30 Uhr an einen mit dem gesondert Verfolgten Mah.     , einem Bekannten N.           s, vereinbarten Treffpunkt in D.      ein. Mah.     hatte den Angeklagten D.   kurz zuvor persönlich darüber informiert, dass die Lieferung bald eintreffen werde. Mah.    stieg in das Fahrzeug des N.           ein. Beide PKW fuhren zu dem nahe gelegenen Treffpunkt, wo der Mitangeklagte D.   und die VP bereits warteten. N.          und Mah.     gingen zum Fahrzeug der VP, wo auf der Rückbank bereits der Mitangeklagte D.   saß. Auf telefonische Anweisung von N.         brachte der Angeklagte G.     die Drogen aus seinem Fahrzeug zu N.          . Anschließend griff die Polizei im Rahmen des bis dahin überwachten Geschäfts zu. Es wurden 496,51 Gramm Crystal mit einem Wirkstoffgehalt von 276,21 Gramm Methamphetaminbase und 26,32 Gramm Levomethamphetaminbase sichergestellt.

62. Das Landgericht hat nach Vernehmung der VP und des VP-Führers sowie nach Erhebung weiterer Beweise (insbesondere Chatnachrichten) die Behauptung des Mitangeklagten D.  , er sei von der VP zu dem Drogengeschäft gedrängt worden, als widerlegt angesehen und eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation verneint. Die Tatbeiträge der Angeklagten N.       , G.     und M.   hat es als Beihilfe zur vom Angeklagten D.   begangenen Haupttat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet.

II.

7Die Revisionen der Staatsanwaltschaft, mit denen die jeweiligen Schuldsprüche und die darauf aufbauenden Rechtsfolgenaussprüche mit den zugehörigen Feststellungen beanstandet werden, führen zur überwiegenden Aufhebung des Urteils.

81. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen des Landgerichts (vgl. zu deren Relevanz Rn. 28, StraFo 2019, 17) liegen die Voraussetzungen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation (vgl. hierzu zuletzt , NStZ 2023, 243; EGMR, Urteil vom – 40495/15, NJW 2021, 3515; Schneider NStZ 2023, 325; Fischer GA 2023, 263, jeweils mwN) nicht vor. Anlass zur weiteren freibeweislichen Klärung besteht nicht (vgl. Rn. 29, NStZ 2018, 355). Gegenteiligen Bekundungen des Mitangeklagten D.   hat die Strafkammer aus nachvollziehbaren Gründen nicht geglaubt, so dass es nicht darauf ankommt, dass sich die von der behaupteten Provokation weder unmittelbar noch mittelbar (im Sinne einer Fortsetzung von Druckausübung) betroffenen Angeklagten N.           , G.     und M.     ohnehin nicht selbst auf ein derartiges Verfahrenshindernis berufen könnten (vgl. hierzu Rn. 40 ff., NStZ 2023, 243).

92. Die Schuldsprüche können keinen Bestand haben, weil das Landgericht seiner Kognitionspflicht (§ 264 StPO) nicht gerecht geworden ist. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihren Revisionen zu Recht, dass die Strafkammer die angeklagte Tat bei den Angeklagten N.         , G.      und M.     nicht unter dem Gesichtspunkt des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) geprüft hat, obwohl die Feststellungen dazu Anlass bieten.

10a) Besitz von Betäubungsmitteln bedeutet ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis verbunden mit einem Besitzwillen, der darauf gerichtet ist, sich die ungehinderte Einwirkung auf die Sache zu erhalten (vgl. , NStZ 2020, 41 mwN). Hierbei ist weder die tatsächliche Dauer der Sachherrschaft alleine entscheidend (vgl. mwN) noch steht ein Handeln unter polizeilicher Observation der Annahme von Besitz entgegen (vgl. , NStZ-RR 2008, 212). Abzugrenzen sind allerdings kurze Hilfstätigkeiten ohne Herrschaftswillen (, NStZ 2020, 41 mwN).

11b) Nach diesen Kriterien liegt nahe, dass der Angeklagte N.          bereits mit der Übernahme der Drogen in der L.   er E.     straße und die Angeklagten G.     und M.     anschließend während der Fahrt nach D.     bis zur Übergabe dort Betäubungsmittel in nicht geringer Menge besessen haben. Weil das Landgericht die festgestellte Tat entgegen § 264 StPO nicht unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt geprüft hat, unterliegt der zu einem möglichen Besitz in Tateinheit stehende – für sich gesehen rechtsfehlerfreie – Schuldspruch wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge der Aufhebung, was den ausgeurteilten Rechtsfolgen die Grundlage entzieht.

12c) Die Feststellungen sind vom Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen. Insoweit bleiben die Revisionen der Staatsanwaltschaft, in denen ausdrücklich die Aufhebung der zum Rechtsfolgenausspruch zugehörigen Feststellungen begehrt wird, erfolglos.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:050723U5STR17.23.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-44661