Keine Anwendung der Drei-Tage-Bekanntgabefiktion nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO bei Weitergabe von Sendungen Berliner Finanzämter
an das Landesverwaltungsamt Berlin und fehlender Dokumentation des wirklichen Tags der Aufgabe zur Post
Leitsatz
1. Ein Steuerpflichtiger, der nicht den Zugang des Verwaltungsakts an sich bestreitet, sondern lediglich behauptet, ihn nicht
innerhalb des Drei-Tages-Zeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erhalten zu haben, hat sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen
zu substantiieren, um Zweifel an der gesetzlichen Bekanntgabefiktion zu begründen. Ein Eingangsvermerk, wie etwa ein Eingangsstempel
oder eine anwaltliche oder steuerberaterliche Versicherung reichen dafür nicht aus, ebenso wie allgemeine Hinweise auf gehäufte
Unregelmäßigkeiten der Postbeförderung (hier: in Berlin).
2. Der Senat teilt nicht die Auffassung des 7. Senats des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg (, EFG 2023 S. 81; Revision anhängig, Az beim BFH VI R 18/22), wonach im Einzelfall durch Beweisaufnahme
festgestellt werden müsse, ob zum Zustellzeitpunkt an der Anschrift des Zustellungsadressaten innerhalb der konkreten Dreitagesfrist
planmäßig an zwei aufeinanderfolgenden Tagen bzw. regelmäßig an einem Werktag keine Postzustellung stattgefunden hat.
3. Wenn anhand des Poststempels oder sonst des Datums des Bescheids oder der Einspruchsentscheidung ein gegenüber dem vermuteten
dreitägigen Postlauf nicht nur ein um einige Tage, sondern ein auf elf Tage verlängerter Postlauf vorliegt, trifft den Steuerpflichtigen
die Obliegenheit, diesen Umstand umgehend dem Finanzamt anzuzeigen und sich mit diesem über die zu beachtende Frist zu verständigen.
4. Die Drei-Tage-Bekanntgabefiktion greift nur dann ein, wenn feststeht, wann der mit einfachem Brief übersandte Verwaltungsakt
tatsächlich zur Post aufgegeben worden ist. Lässt sich das Datum der Aufgabe zur Post nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts
feststellen, ist die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht anwendbar. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige seiner
Substantiierungslast hinsichtlich eines verspäteten Zugangs des Verwaltungsakts nicht nachgekommen ist.
5. Die Übergabe einer Postsendung durch ein Berliner Finanzamt an das Landesverwaltungsamt Berlin, welches den Postversand
für die gesamte Berliner Verwaltung organisiert, ist keine Aufgabe zur Post im Sinne des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO. Die Aufgabe
zur Post besteht vielmehr darin, dass das Landesverwaltungsamt die Sendung dem von ihm beauftragten Postdienstleister übergibt.
6. Dokumentiert ein Berliner Finanzamt zwar den Tag der Weggabe an das Landesverwaltungsamt, dokumentiert dieses aber seine
Aufgabe zur Post in keiner Weise, so steht der Tag der Aufgabe zur Post nicht fest.
7. Wenn ein Finanzamt die Aufgabe zur Post an eine andere Behörde delegiert, muss es auch die Dokumentation der Aufgabe zur
Post entsprechend delegieren oder anderweitig für einen geeigneten Nachweis Sorge tragen. Haben weder das Landesverwaltungsamt
noch das Berliner Finanzamt irgendwelche Bemühungen zur unschwer möglichen Beweisvorsorge entfaltet, sieht sich das Gericht
nicht gehalten, von Amts wegen den Tag der Aufgabe zur Post zu ermitteln.
Fundstelle(n): IAAAJ-44057
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