BSG Beschluss v. - B 2 U 50/22 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Unzulässigkeit - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Zulassungsgrund der Divergenz - Darlegungserfordernis - Feststellung einer Hepatitis-B-Impfung als Arbeitsunfall

Gesetze: § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 162 SGG

Instanzenzug: Az: S 10 U 62/17 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 10 U 675/19 Urteil

Gründe

1I. Die Beteiligten streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Verfahren im Wesentlichen über einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung einer Hepatitis-B-Impfung als Arbeitsunfall mit einer Myelitis als Erstschaden und einer Multiplen Sklerose (MS) als Folgeschaden. Die Klägerin wendet sich hierbei ua gegen die Annahme eines Überprüfungsantrags durch die Beklagte.

2Die im Anschluss an ein erfolgloses Verwaltungsverfahren (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ) erhobene Klage hat das SG abgewiesen (Gerichtsbescheid vom ). Das LSG hat nach Durchführung weiterer Ermittlungen die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ).

3Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG rügt die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG und das Vorliegen von Verfahrensmängeln.

4II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ordnungsgemäß dargelegt bzw bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

51. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit, also Entscheidungserheblichkeit, sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, die sog Breitenwirkung, darlegen (stRspr; zB - juris RdNr 6; - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 5 mwN; - juris RdNr 5 mwN).

7Damit fehlt es an einer klar formulierten abstrakt-generellen Rechtsfrage zur Auslegung, Anwendbarkeit oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Die Frage lässt schon offen, welche Normen zur Überprüfung gestellt werden sollen. Nicht ausreichend sind zudem Fragestellungen, deren Beantwortung - wie vorliegend - von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt; denn im Kern zielen Rechtsfragen iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG auf die Entwicklung abstrakter Rechtssätze durch das BSG ab. Rechtsfragen sind regelmäßig nur solche des materiellen oder des Verfahrensrechts, die mit Mitteln juristischer Methodik beantwortet werden können. Kann dagegen über eine Frage Beweis erhoben werden, so handelt es sich typischerweise um eine Tatfrage, die das Revisionsgericht nicht beantworten kann und darf (vgl - juris RdNr 9; - juris RdNr 11; - juris RdNr 7; - SozR 4-1500 § 160a Nr 40 RdNr 5; Karmanski in Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, 3. Aufl 2023, § 160 RdNr 29; jeweils mwN).

8Soweit die Beschwerdebegründung im Weiteren auf die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) sowie darauf bezogene Rechtsprechung des BSG abstellt, folgt daraus auch nicht sinngemäß die Bezeichnung einer geeigneten Rechtsfrage zu einer revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG). Bei den (bis Ende 2008 geltenden) AHP handelt es sich um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und nach der Rechtsprechung des BSG um sog antizipierte Sachverständigengutachten. Solange sie den aktuellen medizinischen Erfahrungsstand repräsentierten, waren sie von den Sachverständigen zu berücksichtigen und flossen in die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) der Gerichte ein ( - SozR 4-3851 § 60 Nr 4 RdNr 39 mwN). Auch wenn es sich um sog generelle Tatsachen handelt, können Fehler bei deren Ermittlung allenfalls mit der Sachaufklärungsrüge (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 103 SGG) geltend gemacht werden (zB ; s auch - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 24 mwN; - SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 8 ff).

9Unabhängig hiervon zeigt die Beschwerdebegründung auch die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht auf. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit der einschlägigen Rechtsprechung substantiiert auseinandersetzen (stRspr; zB - juris RdNr 9 mwN; - juris RdNr 11 mwN). Die AHP sind seit dem abgelöst durch die auf der Grundlage des § 30 Abs 16 (ursprünglich Abs 17) Bundesversorgungsgesetz (BVG) erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom (BGBl I 2412; zuletzt geändert durch Art 27 des Gesetzes vom , BGBl I 2652). Die Klägerin weist zudem selbst auf das Urteil des 9. Senats des BSG hin. Danach sind alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands bezogen auf den konkret verwendeten Impfstoff zu beantworten ( - SozR 4-3851 § 60 Nr 4 RdNr 42 mwN). Die Beschwerdebegründung lässt offen, inwieweit vor diesem Hintergrund weitergehender Klärungsbedarf besteht und aus welchen Gründen die für das soziale Entschädigungs- und das Schwerbehindertenrecht zusammengefassten AHP im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung Geltung beanspruchen könnten (vgl hierzu - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1, juris RdNr 13).

10Die Beschwerdebegründung wendet sich im Kern gegen die durch die Vorinstanzen vorgenommene Beweiswürdigung iS von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG. Hierauf kann eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision jedoch nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Die Beschränkung von Verfahrensrügen kann auch nicht durch eine Rüge in anderer Gestalt umgangen werden (stRspr; zB - juris RdNr 12 mwN; - juris RdNr 8 mwN; - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7).

11Dass die Klägerin die Entscheidung der Vorinstanz für falsch hält, insbesondere weil das LSG die Möglichkeiten einer unbekannten Ursache und einer schicksalhaften Erkrankung für so wahrscheinlich hält, dass es die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Impfung als Auslöser für die Gesundheitsschäden der Klägerin verneint, betrifft die Beweiswürdigung (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG, § 128 Abs 1 Satz 1 SGG) und geht im Übrigen über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Rüge eines bloßen Rechtsanwendungsfehlers nicht hinaus (vgl - juris RdNr 19; - juris RdNr 6; - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).

122. Die Klägerin bezeichnet auch nicht hinreichend eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).

13Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG zu demselben Gegenstand abweicht. Ferner ist näher zu begründen, weshalb diese Aussagen nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (vgl - juris RdNr 13 ff; - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6; jeweils mwN; - juris RdNr 14). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht infrage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird. Denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (zB - juris RdNr 6; - juris RdNr 14; - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 = juris RdNr 13; jeweils mwN).

14Diese Darlegungserfordernisse erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Sie gibt bereits aus den Entscheidungsgründen der herangezogenen Urteile des BSG nur vereinzelte und isolierte Passagen zu den Bedingungen eines Arbeitsunfalls iS von § 8 Abs 1 SGB VII ( - juris RdNr 11; - SozR 4-2700 § 8 Nr 31 RdNr 9), zur rechtlichen Bindungswirkung eines Verwaltungsaktes ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 23; - RdNr 13) und zur Auslegung einer behördlichen Äußerung als Verwaltungsakt sowie der diesbezüglichen Feststellungslast ( - SozR 3-1300 § 50 Nr 13 = juris RdNr 21; - BSGE 133, 172 = SozR 4-2700 § 180 Nr 2 = juris RdNr 11) wieder. Die Begründung versäumt es hierbei, den Kernlebenssachverhalt jedenfalls der herangezogenen Entscheidungen des BSG darzustellen. Denn eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung kann nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen, auf den dieselben Rechtsnormen anzuwenden sind (zB - juris RdNr 15; - juris RdNr 7 f; - juris RdNr 14; jeweils mwN). Es genügt nicht, wie vorliegend, isoliert einzelne Passagen der bundesgerichtlichen Entscheidungen zu zitieren und losgelöst von ihrem Bezugsrahmen zu behaupten, es handele sich dabei um einen tragenden höchstrichterlichen Rechtssatz (zB - juris RdNr 15; - juris RdNr 10; - juris RdNr 10 mwN; - SozR 1500 § 160a Nr 21 S 28 = juris RdNr 2).

153. Die Beschwerdebegründung bezeichnet auch einen Verfahrensmangel nicht hinreichend (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

16Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist - außer im Fall von absoluten Revisionsgründen - die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.

17a) Zur Begründung trägt sie vor, dass das LSG die Berufung fehlerhaft nicht als unzulässig verworfen, sondern über einen Streitgegenstand entschieden habe, über den im Verwaltungsverfahren nicht entschieden worden sei. Sie stützt dies auf die Annahme auch des LSG, der Antrag der Klägerin von April 2016 sei von der Beklagten zu Recht als Überprüfungsantrag behandelt worden. Es habe sich jedoch um einen neuen Antrag gehandelt. Es fehle somit an einer Prozessvoraussetzung. Damit legt die Klägerin indes nicht schlüssig den sinngemäß gerügten Verfahrensmangel eines Sach- statt Prozessurteils dar (zB - juris RdNr 6 mwN; - juris RdNr 7; - BSGE 1, 283). Hier hat die Beklagte nach dem Vortrag in der Beschwerdebegründung über das Antragsbegehren der Klägerin von April 2016 inhaltlich durch Bescheid (vom ) und Widerspruchsbescheid (vom ) entschieden, wenn auch nicht im Sinne der Klägerin. Daher lag eine Verwaltungsentscheidung als Prozessvoraussetzung vor. Soweit die Klägerin sich gegen die Behandlung ihres Begehrens von April 2016 als Überprüfungsantrag auch durch das LSG wendet, rügt sie die inhaltliche Richtigkeit dessen Entscheidung. Der Vortrag einer Unrichtigkeit der Berufungsentscheidung stellt indes keinen Zulassungsgrund iS von § 160 Abs 2 SGG dar (vgl dazu 1.). Unabhängig davon zeigt die Beschwerdebegründung nicht schlüssig auf, dass die Entscheidung des LSG auf dem Vorgehen beruhen könnte. Insoweit trägt sie selbst vor, dass das LSG die Form des Antrags von April 2016 als nicht entscheidungserheblich gewertet hat. Soweit die Klägerin rügt, das LSG habe dabei die von der Einordnung als Neu- oder Überprüfungsantrag abhängige Dauer der Nachzahlung übersehen, enthält sie keinen Vortrag zur Entscheidungserheblichkeit der Frage der Nachzahlungen im gegenständlichen, auf Feststellungen gerichteten Verfahren.

18Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auch rügt, das LSG hätte ihren Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Umdeutung ihres Antrags von April 2016 in einen Überprüfungsantrag richtigerweise als Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom verstehen müssen (§ 55 Abs 1 Nr 4 SGG, § 123 SGG), bezeichnet sie ebenfalls keinen Verfahrensmangel. Die Beschwerdebegründung zeigt hierzu bereits nicht die ein solches Begehren stützenden Tatsachen schlüssig auf. Unabhängig davon wäre auch Vortrag zu einem möglichen Beruhen des Mangels erforderlich gewesen. Dazu verhält sich die Beschwerdebegründung jedoch nicht, sie trägt insbesondere nicht vor, woraus sich das sowohl auch bei § 55 Abs 1 Nr 4 SGG erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin ergibt und sich damit die Annahme des LSG, es handele sich um ein unzulässiges Feststellungsbegehren nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG, auf die Entscheidung ausgewirkt haben könnte.

19b) Die Beschwerdebegründung rügt ferner eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG; § 62 SGG) wegen eines Überraschungsurteils. Mit ihrem Vortrag zeigt die Klägerin einen Verfahrensmangel nicht schlüssig auf. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gebietet, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG).

20Dem Gebot ist indes Genüge getan, wenn die Beteiligten die maßgeblichen Tatsachen erfahren und ausreichend Gelegenheit haben, sachgemäße Erklärungen innerhalb einer angemessenen Frist vorzubringen (stRspr; zB - juris RdNr 16 mwN; - juris RdNr 7). Eine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt dann vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf Gesichtspunkte stützt, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (zB - juris RdNr 8 mwN; - juris RdNr 19 mwN; - juris RdNr 14; BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 2 BvR 1176/20 - juris RdNr 21 und 28; - BVerfGE 86, 133 - juris RdNr 36).

21Umstände, die eine Verletzung des rechtlichen Gehörs begründen könnten, zeigt die Klägerin nicht auf. Sie wendet sich zum einen gegen eine in der mündlichen Verhandlung geäußerte Auffassung des Berufungsgerichts, wonach der Erstschaden ausschließlich vom heutigen Zeitpunkt aus betrachtet und als Beginn der MS und damit insgesamt als MS bezeichnet werden müsse. Hierzu führt die Klägerin indes aus, dass sie hierauf in der mündlichen Verhandlung erwidert und ihre Rechtsauffassung dargelegt habe, dass 1998 keine MS vorgelegen habe. Hiermit zeigt die Klägerin selbst auf, dass sie sich zu der Auffassung des LSG äußern konnte. Sie führt auch nicht an, an entscheidungserheblichem Vortrag gehindert gewesen zu sein. Die Gerichte werden indes durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 2 BvR 613/21 - juris RdNr 4 mwN; - juris RdNr 13 mwN; - juris RdNr 12 mwN).

22Auch mit ihrem weiteren Vortrag zeigt die Klägerin Umstände einer Überraschungsentscheidung nicht schlüssig auf. Sie rügt, das LSG sei in seinem Urteil mit der Annahme, es habe 1998 eine MS vorgelegen, keinem der fünf Sachverständigengutachten gefolgt, ohne vorab darauf hinzuweisen. Die Klägerin zeigt schon nicht auf, dass die gerügte Annahme des LSG für sie überraschend sein konnte. Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; zB ; - juris RdNr 8 mwN; - juris RdNr 19 mwN; BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 2 BvR 1176/20 - juris RdNr 21 und 28). Die Klägerin führt indes dazu selbst aus, dass der Standpunkt des LSG zur Bezeichnung des Erstschadens Gegenstand der mündlichen Verhandlung war und sie sich dort hierzu auch geäußert hat. Aus welchen Gründen sie angesichts dieses Verfahrensablaufs, insbesondere ihres selbst angeführten Vorbringens, davon ausgehen durfte, dass das LSG ihrer Auffassung folgen werde, legt die Klägerin nicht dar. Dies hätte insbesondere deshalb näherer Erläuterung bedurft, weil auch die Klägerin mehrere Sachverständigengutachten zitiert, auf die die Annahme des LSG gestützt ist.

23Dass das LSG im Ergebnis bei der Würdigung aller Umstände ihrer Auffassung nicht gefolgt ist, betrifft die nicht anfechtbare Beweiswürdigung sowie die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall (vgl dazu 1.).

24Ungeachtet alldem lässt die Beschwerdebegründung nicht erkennen, inwieweit das Urteil des LSG auf dem gerügten Verstoß beruhen könnte, obwohl das LSG nach den wiedergegebenen tragenden Entscheidungsgründen sowohl für den Fall einer isolierten Myelitis als auch einer MS den Ursachenzusammenhang mit der angeschuldigten Impfung verneint hat.

25Schließlich bezeichnet die Klägerin einen Gehörsverstoß auch nicht durch den Hinweis, es seien Informationen kurzfristig in das Verfahren eingeführt worden. Soweit sie sich hiermit auf die Übersendung von Unterlagen fünf Tage vor der mündlichen Verhandlung bezieht, schildert sie im Weiteren selbst, dass sie hierzu noch vor der mündlichen Verhandlung umfassend Stellung genommen hat.

264. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

275. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

286. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.Roos                Hüttmann-Stoll                Karl

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:120423BB2U5022B0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-43318