Instanzenzug:
Gründe
Zur Vorlagefrage
15Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass endgültig stillgelegte Kraftfahrzeuge, die ein Unternehmen von in Art. 314 der Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Personen erworben hat und die „zum Ausschlachten“ verkauft werden sollen, ohne dass die verwertbaren Teile aus den Fahrzeugen entnommen wurden, Gebrauchtgegenstände im Sinne der erstgenannten dieser Bestimmungen darstellen.
16Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass sowohl aus der Sachverhaltsdarstellung als auch aus der Vorlagefrage hervorgeht, dass IT Fahrzeuge mit Totalschaden erwirbt, die deshalb endgültig stillgelegt sind. Wie ebenfalls aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, können diese Fahrzeuge daher nur als Wracks oder für eine weitere Verwendung der Teile, aus denen sie bestehen („Weiterverkauf zum Ausschlachten“) weiterverkauft werden und nicht, um in ihrem derzeitigen Zustand wiederverwendet oder instandgesetzt zu werden, wobei sich die Frage des vorlegenden Gerichts nur auf den Fall des Weiterverkaufs „zum Ausschlachten“ bezieht.
17Nach dieser einleitenden Erwägung ist darauf hinzuweisen, dass „Gebrauchtgegenstände“ nach Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie „bewegliche körperliche Gegenstände [sind], … die in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind“.
18In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, dass dieser Begriff bewegliche körperliche Gegenstände, die in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind, einschließt, wenn sie von einem anderen Gegenstand stammen, dessen Bestandteile sie waren, und dass für die Einordnung als „Gebrauchtgegenstand“ nur erforderlich ist, dass dem gebrauchten Gegenstand weiterhin die Funktionen zukommen, die er im Neuzustand hatte, und dass er daher in seinem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar ist (vgl. u. a. Urteil vom , Sjelle Autogenbrug, C-471/15, EU:C:2017:20, Rn. 31 und 32).
19Außerdem hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Anwendung der Regelung der Differenzbesteuerung nicht zwangsläufig eine Identität zwischen dem angekauften und dem verkauften Gegenstand voraussetzt. Insbesondere hat der Gerichtshof bestätigt, dass diese Regelung auf den Wiederverkauf von Teilen, die vom Steuerpflichtigen selbst aus einem von ihm erworbenen Altfahrzeug entnommen wurden, anwendbar ist, da ein Kraftfahrzeug aus einzelnen Teilen besteht, die zusammengefügt wurden und die wieder voneinander getrennt und in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung wiederverkauft werden können (vgl. u. a. Urteil vom , Sjelle Autogenbrug, C-471/15, EU:C:2017:20, Rn. 36 und 37).
20Es trifft zu, dass sich das Ausgangsverfahren im Unterschied zu der Rechtssache, in der das genannte Urteil ergangen ist, durch die Tatsache auszeichnet, dass der steuerpflichtige Wiederverkäufer die Teile nicht aus dem endgültig stillgelegten Fahrzeug entnommen hat, das er erworben hat, um seinerseits die Teile wiederzuverkaufen, sondern das Fahrzeug in seinem derzeitigen Zustand „zum Ausschlachten“ wiederverkauft hat, d. h. für eine weitere Verwendung der Teile dieses Fahrzeugs als Ersatzteile.
21Allerdings kann dieser Unterschied, wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen ausführt, nicht zu der Annahme führen, dass die Argumentation des Gerichtshofs im Urteil vom , Sjelle Autogenbrug (C-471/15, EU:C:2017:20), nicht auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende übertragen werden könnte.
22Es ist nämlich die in Rn. 16 des vorliegenden Urteils festgestellte Tatsache zu berücksichtigen, dass die von einem steuerpflichtigen Wiederverkäufer wie IT erworbenen Fahrzeuge endgültig stillgelegt sind und daher nicht wiederverkauft werden können, um in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung wiederverwendet zu werden. Da das Fahrzeug als solches als beweglicher körperlicher Gegenstand per definitionem in seinem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung nicht erneut verwendbar im Sinne von Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist, sind für die Prüfung, ob es als Gebrauchtgegenstand angesehen und ob demnach darauf die Differenzbesteuerung angewandt werden kann, nur die Bestandteile des Fahrzeugs zu berücksichtigen, die im Rahmen eines Wiederverkaufs durch den steuerpflichtigen Wiederverkäufer an andere Personen erneut verwendbar sind.
23Eine Auslegung, nach der ein endgültig stillgelegtes Fahrzeug als Gebrauchtgegenstand unter die Regelung der Differenzbesteuerung fallen kann, weil manche seiner Bestandteile erneut verwendbar sind, steht mit dem Ziel dieser Regelung in Einklang, das nach dem 51. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie darin besteht, u. a. Doppelbesteuerungen zu vermeiden, die sich aus dem Umstand ergeben können, dass zum einen im Verkaufspreis dieser Bestandteile schon zwangsläufig die Mehrwertsteuer berücksichtigt wurde, die im Vorfeld durch eine Person, die unter Art. 314 dieser Richtlinie fällt, beim Kauf des Fahrzeugs entrichtet wurde, und zum anderen dieser Betrag weder von dieser Person noch vom steuerpflichtigen Wiederverkäufer abgezogen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Sjelle Autogenbrug, C-471/15, EU:C:2017:20, Rn. 39 und 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24Im vorliegenden Fall muss das vorlegende Gericht für die Prüfung, ob die von IT wiederverkauften Fahrzeuge unter die Regelung der Differenzbesteuerung fallen können, prüfen, ob diese Fahrzeuge gemäß der in Rn. 18 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung noch Bestandteile enthielten, die die Funktionen behalten haben, die sie im Neuzustand hatten, und die daher in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind.
25Des Weiteren muss das vorlegende Gericht prüfen, ob diese Fahrzeuge nicht in Wirklichkeit verkauft wurden, um einfach verschrottet oder in einen anderen Gegenstand umgewandelt zu werden. Ein Fahrzeug, aus dem die Bestandteile, die die Funktionen behalten haben, die sie im Neuzustand hatten, vom Käufer nicht entnommen werden, um in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendet zu werden, bleibt nämlich nicht in seinem Wirtschaftszyklus und kann daher nicht in den Genuss der Differenzbesteuerung kommen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , E LATS, C-154/17, EU:C:2018:560, Rn. 34).
26Im Rahmen dieser Prüfung muss das vorlegende Gericht alle objektiven Umstände berücksichtigen, unter denen der Wiederverkauf erfolgt ist. Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, haben die in der Mehrwertsteuerrichtlinie verwendeten Begriffe nämlich objektiven Charakter und sind unabhängig von Zweck und Ergebnis der betreffenden Umsätze anwendbar (Urteil vom , E LATS, C-154/17, EU:C:2018:560, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27Während die Berücksichtigung der Absicht eines an einem Geschäft beteiligten Steuerpflichtigen, abgesehen von Ausnahmefällen, mit den Zielen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems unvereinbar ist, kann das vorlegende Gericht hingegen objektive Faktoren wie die Präsentation und den Zustand der Fahrzeuge, den Gegenstand des Vertrags, den Wert, zu dem die Fahrzeuge verkauft wurden, die Abrechnungsmethode oder auch die wirtschaftliche Tätigkeit der Person, die die Fahrzeuge erworben hat, berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , E LATS, C-154/17, EU:C:2018:560, Rn. 36 und 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
28Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass endgültig stillgelegte Kraftfahrzeuge, die ein Unternehmen von in Art. 314 dieser Richtlinie genannten Personen erworben hat und die „zum Ausschlachten“ verkauft werden sollen, ohne dass die verwertbaren Teile aus den Fahrzeugen entnommen wurden, Gebrauchtgegenstände im Sinne von Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 dieser Richtlinie darstellen, wenn sie zum einen noch Teile enthalten, die die Funktionen behalten haben, die sie im Neuzustand hatten, so dass sie in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendet werden können, und zum anderen feststeht, dass diese Fahrzeuge aufgrund einer solchen Wiederverwendung der Teile in ihrem Wirtschaftszyklus geblieben sind.
Kosten
29Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
ist dahin auszulegen, dass
endgültig stillgelegte Kraftfahrzeuge, die ein Unternehmen von in Art. 314 dieser Richtlinie genannten Personen erworben hat und die „zum Ausschlachten“ verkauft werden sollen, ohne dass die verwertbaren Teile aus den Fahrzeugen entnommen wurden, Gebrauchtgegenstände im Sinne von Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 dieser Richtlinie darstellen, wenn sie zum einen noch Teile enthalten, die die Funktionen behalten haben, die sie im Neuzustand hatten, so dass sie in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendet werden können, und zum anderen feststeht, dass diese Fahrzeuge aufgrund einer solchen Wiederverwendung der Teile in ihrem Wirtschaftszyklus geblieben sind.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
FAAAJ-43235