Instanzenzug: Az: 34 KLs 10/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum besonders schweren Raub und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Während der Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lässt, hält der Strafausspruch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
3a) Bereits die Strafrahmenwahl begegnet bei beiden abgeurteilten Taten durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4aa) Das Landgericht hat gemäß § 49 Abs. 1 StGB im Fall 1 der Urteilsgründe aufgrund der vertypten Strafmilderungsgründe des § 27 StGB und des § 21 StGB den Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB doppelt sowie im Fall 3 der Urteilsgründe jenen des § 29a Abs. 1 BtMG aufgrund der auch hier bejahten verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten (§ 21 StGB) einfach gemildert. Derart ist die Strafkammer verfahren, nachdem sie ausgeführt hatte, dass die Taten unter Verbrauch (allein) des vertypten Strafmilderungsgrundes des § 21 StGB als minder schwere Fälle gemäß § 250 Abs. 3 StGB und gemäß § 29a Abs. 2 BtMG bewertet werden „könnten“. Die von ihr herangezogenen Strafrahmen hat sie jedoch als „zur Findung einer tat- und schuldangemessenen Strafe besser geeignet“ bezeichnet, da diese „offener“ mit einem größeren „Spektrum“ zwischen den jeweiligen Mindest- und Höchststrafen seien. Zudem komme bei dem Angeklagten von vornherein im Fall 1 der Urteilsgründe keine Strafe unter sechs Monaten – dem Mindeststrafmaß des doppelt gemilderten Regelstrafrahmens gegenüber drei Monaten bei dem einfach gemilderten Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB – sowie im Fall 3 der Urteilsgründe keine Strafe „am ganz unteren Ende des Strafrahmens“ von hier je drei Monaten Freiheitsstrafe in Betracht.
5bb) Diese Erwägungen sind rechtsfehlerhaft. In Fällen, in denen mehrere Strafrahmen zur Verfügung stehen, ist das Tatgericht zwar nicht gehalten, den für den Angeklagten günstigeren Strafrahmen heranzuziehen. Es hat aber im Rahmen einer Gesamtabwägung zu prüfen und darzulegen, welchen Strafrahmen es nach den konkreten Umständen des Einzelfalls für angemessen hält (vgl. ‒ 4 StR 488/22 Rn. 4; Beschluss vom – 4 StR 272/22 Rn. 12 mwN; Beschluss vom – 1 StR 10/14 Rn. 6; Urteil vom – 3 StR 54/13 Rn. 5). Die Ausführungen des Landgerichts erschöpfen sich hingegen darin, die verfügbaren Strafrahmen abstrakt zu beziffern, bereits mit der größeren Amplitude die „bessere“ Eignung zur Straffindung zu verbinden und daher die für den Angeklagten günstigeren Strafrahmen in einem minder schweren Fall nicht anzuwenden. Damit hat die Strafkammer eine unzulässige Mathematisierung an die Stelle der rechtlich gebotenen Gesamtwürdigung gesetzt. In deren Rahmen ist der anwendbare Strafrahmen vielmehr anhand von Erwägungen festzulegen, die an die jeweils bedeutsamen Umstände des Einzelfalls anknüpfen, wie sie sich insbesondere aus dem Tatbild und der Täterpersönlichkeit ergeben können (vgl. hierzu auch Rn. 6).
6Folglich sind auch die Hinweise der Strafkammer unzureichend, dass keine Einzelstrafen unter einer der bzw. im Bereich der Mindeststrafen in Betracht kämen. Hiermit ist im Fall 1 der Urteilsgründe bereits kein Argument dagegen verbunden, dass eine im unteren Bereich des Strafrahmens anzusiedelnde Strafe im Allgemeinen die Anwendung des – vom Landgericht nicht herangezogenen – Strafrahmens mit der niedrigeren Untergrenze nahelegt (vgl. Rn. 12 mwN). Denn das Landgericht hat mit der hier verhängten Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten den unteren Bereich der in Betracht kommenden Strafrahmen nicht verlassen. Erst recht konnte der bloße Hinweis auf eine Mindeststrafhöhe die Strafkammer nicht davon entbinden, die keineswegs nur hiervon abhängige Strafrahmenwahl anhand einer Gesamtabwägung nach den vorstehenden Maßgaben vorzunehmen. Dies gilt auch im Fall 3 der Urteilsgründe, in dem sich die Mindeststrafen der in Betracht kommenden Strafrahmen ohnehin decken.
7cc) Im Fall 3 der Urteilsgründe hat die Strafkammer dem Angeklagten zudem rechtsfehlerhaft – was auch in die konkrete Strafbemessung Eingang gefunden hat – angelastet, dass das von ihm gehandelte und besessene Amphetamin ein Betäubungsmittel ist, das „in den mittleren Gefährlichkeitsbereich oberhalb etwa von Cannabisprodukten und unterhalb etwa von Heroin“ einzuordnen ist. Damit hat die Strafkammer das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes straferschwerend gewertet. Die mindere Gefährlichkeit einer „weichen“ Droge wie Cannabis kann bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigt werden (vgl. Rn. 11; Beschluss vom – 1 StR 72/16 Rn. 12). Dem bloßen Fehlen eines solchen Strafmilderungsgrundes bei einem Betäubungsmittel mittlerer Gefährlichkeit wie Amphetamin darf hingegen keine straferhöhende Wirkung beigemessen werden (vgl. mwN).
8b) Auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe weist Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
9aa) Die Gesamtstrafenbildung nach § 54 Abs. 1 StGB ist ein eigenständiger Zumessungsakt, bei dem vor allem das Verhältnis der einzelnen Taten zueinander, ihre größere oder geringere Selbständigkeit, die Häufigkeit der Begehung, die Gleichheit oder Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter und der Begehungsweisen sowie das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts zu berücksichtigen sind (vgl. Rn. 4 mwN). Das Tatgericht braucht zwar insoweit wie bei den Einzelstrafen nur die bestimmenden Zumessungsgründe im Urteil darzulegen; eine erschöpfende Darstellung ist nicht erforderlich. Allerdings ist der Gesamtstrafenausspruch umso eingehender zu begründen, je mehr sich die Gesamtstrafe der oberen oder unteren Grenze des Zulässigen nähert (st. Rspr.; vgl. etwa Rn. 7; Urteil vom – 4 StR 481/16 Rn. 23; Urteil vom – 3 StR 171/09 Rn. 8; Beschluss vom – 4 StR 74/94, BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 8). Fehlt es in einem solchen Fall an einer näheren Begründung, ist die Besorgnis gerechtfertigt, dass sich das Tatgericht bei der Bemessung der Gesamtstrafe nicht an den hierfür maßgeblichen Kriterien, sondern rechtsfehlerhaft an der Summe der Einzelstrafen orientiert hat (vgl. Rn. 4; Beschluss vom – 1 StR 417/16).
10bb) So liegt es hier. Das Landgericht hat aus Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von einem Jahr und neun Monaten (Fall 3) und einem Jahr und sechs Monaten (Fall 1) eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren gebildet. Diese liegt nur zwei Monate unter dem nach § 54 Abs. 2 Satz 1 StGB i.V.m. § 39 StGB zulässigen Höchstmaß. Gleichwohl hat die Strafkammer zur Begründung lediglich ausgeführt, unter erneuter Abwägung der bei der Einzelstrafbemessung erörterten Gesichtspunkte eine „maßvolle Erhöhung“ der Einsatzstrafe vorzunehmen. Diese in anderen, einfach gelagerten Fällen nicht zu beanstandende Vorgehensweise (vgl. Rn. 10; Urteil vom – 4 StR 568/17 Rn. 22 f.) genügt hier mit Blick auf die Annäherung an die Höchststrafe nicht den dargelegten Begründungsanforderungen.
11c) Auf diesen Rechtsfehlern beruht der gesamte Strafausspruch. Der Senat vermag ungeachtet der an sich maßvollen Einzelstrafen bereits nicht sicher auszuschließen, dass das Landgericht bei Anwendung der für den Angeklagten günstigeren Strafrahmen auf mildere Einzelfreiheitsstrafen erkannt hätte.
122. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat ebenfalls keinen Bestand, denn die erforderliche hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Behandlung im Sinne von § 64 Satz 2 StGB ist nicht belegt.
13a) Anordnung und Vollzug der Maßregel setzen die konkrete Aussicht voraus, die süchtige Person zu heilen und über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den Rauschmittelkonsum zu bewahren. Erforderlich ist eine Prognose, dass bei erfolgreichem Verlauf die Gefährlichkeit aufgehoben oder deutlich herabgesetzt wird, und dass sich in Persönlichkeit und Lebensumständen des Täters konkrete Anhaltspunkte finden, die einen solchen Verlauf erwarten lassen ( Rn. 3). Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung kann diese Prognose nicht stützen ( ‒ 4 StR 54/18 Rn. 17; Urteil vom ‒ 1 StR 51/18 Rn. 14). Notwendig ist eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs ( Rn. 3; Beschluss vom – 4 StR 147/19 Rn. 3). Dabei ist der Tatrichter gehalten, das Risiko eines Scheiterns der Behandlung in den Blick zu nehmen und die im Urteilszeitpunkt gegebenen prognosegünstigen gegen die prognoseungünstigen Faktoren in die Beurteilung einzubeziehen und gegeneinander abzuwägen ( Rn. 3; Beschluss vom – 2 StR 28/22 Rn. 8; Beschluss vom – 4 StR 92/15 Rn. 15).
14b) Diesem Maßstab werden die Erwägungen der Strafkammer nicht gerecht. Sie lassen als einen erheblichen prognoseungünstigen Faktor (vgl. Rn. 6 mwN) die langjährige polyvalente Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten außer Betracht, der nach den Feststellungen bereits als Jugendlicher erstmals Cannabis und seit seinem 20. Lebensjahr zusätzlich täglich bis zu zwei Gramm Amphetamin konsumierte. Darüber hinaus ist die Annahme des Landgerichts, die erforderliche Therapiemotivation des Angeklagten könne geweckt werden (womit ein prognosekritischer Umstand entfiele), nicht nachvollziehbar begründet. Denn die Strafkammer hat insofern „vor allem“ auf die mögliche Entlassung zum Halbstrafentermin als Anreiz zur Mitarbeit in der Therapie abgestellt. Diese Erwägung vermag der Senat schon deshalb nicht nachzuvollziehen, weil sich die Urteilsgründe nicht zu einer voraussichtlichen Therapiedauer verhalten.
153. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass das nun zur Entscheidung berufene Tatgericht infolge der hier gebotenen Aufhebung aller dem Rechtsfolgenausspruch zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) auch über die Voraussetzungen und die Anwendbarkeit von § 21 StGB – ohne jede Bindung an das insoweit nicht mehr existente erste Urteil (vgl. Rn. 14 mwN) – neu zu befinden haben wird.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:060623B4STR144.23.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-42999