Gesetze: § 263 StGB
Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 49 KLs 22/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit Missbrauch von Titeln und Berufsbezeichnungen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es von einer Adhäsionsentscheidung abgesehen. Hiergegen richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird. Die Beschwerdeführerin beanstandet, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft eine Betrugsstrafbarkeit verneint; ferner sei die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß §§ 73, 73c StGB anzuordnen gewesen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Der mehrfach unter anderem wegen Betruges und Urkundenfälschung vorbestrafte Angeklagte war als Rettungshelfer ehrenamtlich für den Ortsverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in H. tätig. Im Frühjahr 2019 bewarb sich der Angeklagte, der ein Studium der Sozialpädagogik abgebrochen und nie Medizin studiert hatte, auf die Stelle eines stellvertretenden Rotkreuzarztes. Zum Beleg für seine vermeintliche Befähigung legte er eine von ihm am Computer hergestellte, angeblich von einer niederländischen Universität ausgestellte Studienbescheinigung vor, wonach er den Studiengang Medizin mit erfolgreicher Prüfung absolviert habe und berechtigt sei, die Berufsbezeichnung Arzt zu tragen. Im September 2019 wurde er daraufhin von der Mitgliederversammlung des Ortsverbandes zum stellvertretenden Rotkreuzarzt gewählt. In den folgenden Monaten fuhr er als Arzt unter anderem bei Einsätzen in einem Rettungswagen des DRK mit und trat dabei als „Dr. K. “ auf (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
4Um zudem als Notarzt eingesetzt zu werden, stellte der Angeklagte unter Verwendung des Wappens der Ärztekammer N. ein mit „Bestätigung über Ablegung einer Weiterbildungsprüfung“ überschriebenes Dokument her, das wie ein Originalschreiben der Ärztekammer oder dessen Ablichtung aussah. Das Schreiben endete mit einem vermeintlichen Stempelaufdruck der Ärztekammer und einer nicht lesbaren Unterschrift eines vermeintlichen Prüfungsausschussvorsitzenden, die der Angeklagte hinzugefügt hatte und die dem Schreiben den Anschein eines eigenhändig durch ein Mitglied der Prüfungskommission unterschriebenen Zeugnisses verlieh. Dieses legte er Ende Juli oder Anfang August 2020 dem Notfallsanitäter des Ortsverbandes vor und erweckte dadurch bei diesem den Eindruck, dass er die dafür erforderlichen Prüfungen bestanden habe und „Arzt für Notfallmedizin“ sei. In der Folgezeit trat der Angeklagte bei Einsätzen des DRK mehrfach als Notarzt „Dr. K. “ auf und ordnete unter anderem die Einnahme von Medikamenten gegenüber Patienten an (Fall II. 2. der Urteilsgründe).
5Am schloss der DRK-Kreisverband H. mit der Stadt H. einen zuvor von dem Angeklagten auf Seiten des DRK ausgehandelten Vertrag über die Durchführung von COVID-19-Tests, zur Bereitstellung von zwei Personen (Arzt/Ärztin und geeignetes medizinisches Fachpersonal), zur Einsatzplanung und Durchführung der Testungen, zur Beschaffung von Schutzausrüstungen und zur Schulung des eingesetzten Personals. Im Rahmen der Testungen sollte das DRK die Probeentnahmen in Form von Abstrichen übernehmen; die Untersuchung der Proben erfolgte in einem Labor. Die vertragliche Vereinbarung beruhte auf der Vorstellung des Gesundheitsamtes, dass Abstriche nur durch ärztliches Personal vorgenommen werden durften. Gedacht wurde dabei von den Vertragsparteien an den Angeklagten als einzigen zur Verfügung stehenden Arzt des DRK H. . Für die Durchführung der Abstriche und die dadurch entstehenden Personal- und Materialkosten zahlte die Stadt dem DRK eine pauschale Vergütung von zunächst 140 € pro Stunde; der Stundensatz wurde einvernehmlich auf zunächst 180 € und sodann auf 210 € pro Stunde erhöht. Zur Erfüllung dieser vertraglichen Verpflichtungen beauftragte das DRK ‒ mündlich ‒ den Angeklagten, der – einem Subunternehmer gleich – entgeltlich für das DRK tätig werden und das von der Stadt geforderte Personal anwerben sollte. Der Angeklagte organisierte in der Folgezeit die Durchführung der Testungen und verpflichtete die hierzu erforderlichen Mitarbeiter. In Einzelfällen nahm der Angeklagte auch selbst Abstriche vor. Im Wesentlichen beschränkten sich seine Aufgaben auf den administrativen und kaufmännischen Bereich; eine Ausbildung als Arzt war dafür objektiv nicht erforderlich. Seine gleichwohl als „Arztleistungen“ bezeichneten Aufwände rechnete der Angeklagte gegenüber dem DRK-Kreisverband H. ab, der insgesamt mindestens 500.000 € an den Angeklagten überwies. Diese Kosten stellte das DRK seinerseits – mit Aufschlägen in Höhe von insgesamt etwa 150.000 € – der Stadt H. in Rechnung, die diese Beträge auch jeweils zahlte.
6Anfang September 2020 bestand wegen der pandemiebedingten Belastungen im Gesundheitsamt der Stadt H. Bedarf an „zusätzlichem medizinischem Sachverstand“. Die auf Seiten der Stadt zuständige Zeugin M. hoffte, den Angeklagten als zusätzlichen Arzt für das Gesundheitsamt zu gewinnen, und bot ihm daher den Abschluss eines befristeten Anstellungsvertrags an; der Angeklagte lehnte dieses Angebot ab. Er handelte mit der Zeugin M. jedoch eine weitere Ergänzungsvereinbarung aus, die am unterzeichnet wurde. Danach verpflichtete sich das DRK gegenüber der Stadt, ihr ab dem bis zum einen Arzt oder eine Ärztin mit einer Arbeitszeit von 39 Wochenstunden zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug verpflichtete sich die Stadt H. , dem DRK für die Gestellung des Arztes eine monatliche Pauschale von 6.300 € zu zahlen, die neben die bisherigen Zahlungen treten sollte. Der zusätzlich an das DRK zu zahlende Geldbetrag war dabei an den für die Anstellung eines Arztes üblicherweise anfallenden Kosten orientiert. Bei Abschluss dieser Vereinbarung war allen Beteiligten klar, dass es sich bei dem Arzt, der auf dieser Grundlage für die Stadt tätig werden sollte, um den Angeklagten handelte. Er sollte weiterhin „ausschließlich zu organisatorischen Aufgaben im Bereich der Pandemiebekämpfung“ eingesetzt werden. Der Angeklagte, der sich mündlich gegenüber dem DRK verpflichtete, der Stadt als „Arzt im Infektionsschutz zur Bekämpfung der Pandemie“ zur Verfügung zu stehen, erhielt vom DRK ‒ zusätzlich ‒ eine monatliche Pauschale in Höhe von 6.000 €.
7Nach Abschluss der Vereinbarung erstellte der Angeklagte wiederum unter dem Wappen der Ärztekammer N. ein als „Bestätigung über Ablegung der Facharztprüfung“ überschriebenes und seiner Gestaltung nach für Außenstehende wie ein Originalschreiben oder eine Ablichtung eines Originalzeugnisses aussehendes Schreiben, wonach er die Facharztprüfung der Fachrichtung Psychiatrie bestanden habe. Auch dieses Schreiben endete mit einem vermeintlichen Stempelaufdruck der Ärztekammer und einer nicht lesbaren Unterschrift eines Prüfungsausschussvorsitzenden und erweckte dadurch den Eindruck eines echten Zeugnisses. Der Angeklagte legte es dem Gesundheitsamt zusammen mit der bereits zuvor erstellten Bestätigung seiner Weiterbildungsprüfung zum Arzt für Notfallmedizin vor. Wie von dem Angeklagten erwartet, ging die Stadt H. , nachdem sie die Bewerbungsunterlagen erhalten hatte, davon aus, dass der Angeklagte inzwischen ausgebildeter Facharzt sei. Die Personalabteilung stimmte daraufhin dem Ergänzungsvertrag mit dem darin vereinbarten Arztgehalt zu.
8Im Gesundheitsamt der Stadt H. verfügte der Angeklagte seit Sommer oder Herbst 2020 über ein eigenes Büro, an dessen Tür sichtbar ein Schild mit seinem Namen und einem Doktortitel angebracht war. Zur Unterstützung des Gesundheitsamtes erstellte der Angeklagte unter anderem – ohne dazu verpflichtet zu sein – eine psychiatrische Stellungnahme zur Frage der gesundheitlichen Eignung einer Lehramtsanwärterin für eine Verbeamtung und führte Plausibilitätskontrollen an Todesbescheinigungen durch, die er mit seinem Namenskürzel abzeichnete (Fall II. 3. der Urteilsgründe).
9Ende August oder Anfang September 2020 kamen Zweifel an der Arzteigenschaft des Angeklagten auf. Vor diesem Hintergrund wurde er vom Vorstand des H. er DRK aufgefordert, entsprechende Unterlagen vorzulegen. Der Angeklagte meinte daher nun, einen Nachweis einer Approbation zu benötigen, und erstellte zu deren Fälschung am Computer ein Dokument, das den Anschein einer echten, von einem Beamten der Bezirksregierung A. unterschriebenen Approbationsurkunde erweckte. Nachdem er dieses dem Ortsverband übermittelt hatte, ging der Angeklagte bis zu seiner Festnahme am weiter seiner Tätigkeit für das Gesundheitsamt der Stadt H. nach (Fall II. 4. der Urteilsgründe).
102. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1, 1. und 3. Var. StGB in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit Missbrauch von Titeln und Berufsbezeichnungen gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB gewertet.
11Eine Strafbarkeit wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB hat das Landgericht verneint. Weder dem DRK noch der Stadt H. sei durch die vom Angeklagten initiierten Vertragsabschlüsse ein Vermögensschaden entstanden. Der Angeklagte sei weder leistungsunwillig gewesen noch seien die von ihm erbrachten „Dienstleistungen“ wirtschaftlich wertlos oder minderwertig gewesen. Eine schadensgleiche Vermögensgefährdung liege auch nicht darin, dass der Angeklagte bei den Vertragsabschlüssen seine Vorstrafen verheimlicht habe, da er keine besondere Vertrauensstellung im Hinblick auf das Vermögen des DRK oder der Stadt H. innegehabt habe. Ein Vermögensschaden sei auch nicht deshalb gegeben, weil der Angeklagte seine Arbeit nicht oder nicht brauchbar erbracht habe. Eine besondere Ausbildung, insbesondere die Befähigung zum Führen eines Titels als Arzt sei für die von ihm erbrachten Leistungen nicht erforderlich gewesen. Die ihm gewährte Vergütung sei zudem angemessen und nicht mit Blick auf eine besondere Vertrauenswürdigkeit oder Zuverlässigkeit besonders hoch gewesen.
12Die Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, dass der Angeklagte das Honorar, das er vom DRK erhalten habe, nicht unmittelbar aus der Tat erlangt habe, sondern aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Stadt und dem DRK-Kreisverband. Diese seien erst durch die „Vermarktung“ der Urkundenfälschungen und des Titelmissbrauchs zustande gekommen.
II.
13Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.
141. Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Anfechtung des Schuldspruchs im Fall II. 3. der Urteilsgründe und – dies nachziehend – den Gesamtstrafausspruch sowie die unterbliebene Einziehungsanordnung beschränkt (§ 344 Abs. 1 StPO).
15a) Zwar hat die Revisionsführerin einen umfassend formulierten Revisionsantrag gestellt. Eine Nr. 156 Abs. 2 RiStBV berücksichtigende Auslegung der Revisionsbegründung (vgl. dazu , NStZ-RR 2022, 201, 202; Urteil vom – 4 StR 468/14, NStZ-RR 2015, 88, 89; Urteil vom – 2 StR 90/14, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 21) ergibt aber, dass sich die Staatsanwaltschaft nur gegen die Verurteilung des Angeklagten wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Missbrauch von Titeln und Berufsbezeichnungen im Fall II. 3. der Urteilsgründe wendet und die Verurteilungen in den Fällen II. 1., 2. und 4. der Urteilsgründe von ihrem Rechtsmittelangriff ausnehmen will. Denn in ihren Einzelausführungen macht die Beschwerdeführerin lediglich geltend, dass der Angeklagte im Hinblick auf das Aushandeln der Verträge zwischen dem DRK-Kreisverband und der Stadt H. vom 14. Juli und (Fall II. 3. der Urteilsgründe) auch wegen Betrugs hätte verurteilt werden müssen.
16b) Diese Revisionsbeschränkung ist auch wirksam.
17aa) Ein Rechtsmittel kann nach § 344 Abs. 1 StPO auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Damit hat der Gesetzgeber dem Rechtsmittelberechtigten eine prozessuale Gestaltungsmacht eingeräumt, deren Ausübung im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren ist (vgl. − 5 StR 206/19, NStZ 2020, 182 Rn. 16; Beschluss vom – 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155, 159 f. mwN). Eine Rechtsmittelbeschränkung ist danach wirksam, wenn der nach dem Willen des Rechtsmittelführers neu zu verhandelnde Entscheidungsteil nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt rechtlich und tatsächlich selbstständig geprüft und beurteilt werden kann (st. Rspr.; vgl. − 5 StR 206/19, NStZ 2020, 182 Rn. 17; Beschluss vom – 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155, 159 f.; Urteil vom – 1 StR 93/14 Rn. 58; Urteil vom – 2 StR 572/53, BGHSt 2, 252; Franke in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 15 mwN). Richtet sich der Revisionsangriff gegen eine abgeurteilte Tat, die Bestandteil eines mehraktigen einheitlichen geschichtlichen Vorgangs ist, der weitere abgeurteilte Taten enthält, ist diese Beschränkung in der Regel wirksam, wenn es sich um selbstständige Taten im Sinne des § 53 StGB handelt (st. Rspr.; vgl. , BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Abgabe 2; Beschluss vom – 4 StR 184/71, BGHSt 24, 185, 187 f.; Beschluss vom – 2 StR 129/67, BGHSt 21, 256, 258; Franke, aaO, Rn. 21, jew. mwN).
18bb) Danach ist eine isolierte Anfechtung der Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 3. der Urteilsgründe unter den hier gegebenen Umständen wirksam möglich.
19(1) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den Fällen II. 1. bis 4. der Urteilsgründe um mehrere zueinander in Tatmehrheit im Sinne von § 53 Abs. 1 StGB stehende Taten handelt. Dem steht nicht entgegen, dass der jeweils mit ausgeurteilte Tatbestand des § 132a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB grundsätzlich eine Mehrheit natürlicher Betätigungen, die auf demselben Entschluss beruhen, zu einer einheitlichen Straftat zusammenfasst, sofern nicht die zeitlichen Abstände zwischen den von dem Täter gewählten Gelegenheiten oder die Verschiedenheit der Sachlagen die Annahme einer Mehrheit von Taten begründen (vgl. Rn. 7; Urteil vom – 2 StR 366/64; Urteil vom – 2 StR 488/62 Rn. 2). Denn der Tatbestand des § 132a StGB ist nach der Strafandrohung den §§ 267 und 263 StGB nicht gleichwertig und kann deshalb keine Klammerwirkung für in Realkonkurrenz begangene Betrugstaten oder Urkundenfälschungen entfalten (vgl. Rn. 10; Beschluss vom ‒ 1 StR 568/96). Auch ist es nicht der Fall, dass der Angeklagte im Fall II. 3. der Urteilsgründe nicht mehr allein wegen Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB bestraft werden könnte, wenn der neue Tatrichter im zweiten Rechtsgang weder einen tateinheitlich begangenen Betrug noch – was fernliegt – eine tateinheitlich begangene Urkundenfälschung feststellen sollte. Denn die zusätzlich zu dem jeweils gesondert verwirklichten Straftatbestand der Urkundenfälschung handlungseinheitlich hinzutretenden Fälle des Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB sind nicht Teil der tatbestandlichen Handlungseinheit, zu der die verbleibenden Missbrauchshandlungen zusammengefasst werden. Diese ist deshalb insoweit einer selbstständigen Aburteilung zugänglich (vgl. , NJW 2016, 657 Rn. 35 ff.; siehe dazu auch ‒ 5 StR 539/93, BGHSt 39, 390, sowie zu einem anderen Fall, , NJW 1973, 335, 336).
20(2) Die erforderliche Trennbarkeit liegt auch im Verhältnis zu dem nicht angegriffenen Schuldspruch im Fall II. 4. der Urteilsgründe vor. Das Landgericht ist insoweit nur von einer Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Missbrauch von Titeln und Berufsbezeichnungen ausgegangen. Eine Strafbarkeit wegen Betrugs, die nach den Grundsätzen über den sog. Sicherungsbetrug von einer Betrugsstrafbarkeit im Fall II. 3. der Urteilsgründe abhängig sein könnte (vgl. dazu , NJW 2018, 3253, 3257 Rn. 42; Urteil vom – 3 StR 178/13, BGHR StGB § 263a Konkurrenzen 2; Urteil vom – 2 StR 69/07, NStZ 2008, 396, 397; jew. mwN), hat die Kammer nicht angenommen. Die Verurteilung im Fall II. 4. der Urteilsgründe ist daher unabhängig davon, ob sich der Angeklagte im Fall II. 3. der Urteilsgründe wegen Betruges strafbar gemacht hat.
212. Die Revision hat im beschränkten Anfechtungsumfang Erfolg.
22Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich im Fall II. 3. der Urteilsgründe nicht wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, weil es am Eintritt eines Vermögensschadens fehle, hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
23a) Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die irrtumsbedingte Vermögensverfügung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt (sogenanntes „Prinzip der Gesamtsaldierung“; vgl. nur ‒ 4 StR 396/21, wistra 2022, 471; Beschluss vom – 2 StR 422/12, NStZ 2013, 711, 712; Beschluss vom – 5 StR 685/81, BGHSt 30, 388, 389; Beschluss vom – 1 StR 606/60, BGHSt 16, 220, 222; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 263 Rn. 111 mwN). Wurde der Getäuschte zum Abschluss eines Vertrages verleitet (Eingehungsbetrug), sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung (st. Rspr.; vgl. , NStZ 2020, 291, 293 Rn. 29; Urteil vom ‒ 1 StR 702/95, BGHSt 45, 1, 13; Urteil vom – 4 StR 71/62, BGHSt 17, 254, 255).
24b) Gemessen hieran ist die tatgerichtliche Wertung, es sei weder dem von dem Angeklagten über seine Arzteigenschaft getäuschten DRK, noch der insoweit durch den Angeklagten getäuschten Stadt H. ein Vermögensschaden entstanden, auf der Grundlage der lückenhaften Feststellungen nicht nachvollziehbar; dies gilt jedenfalls, soweit es die Ergänzungsvereinbarung vom betrifft.
25aa) Danach verpflichtete sich das DRK gegenüber der Stadt H. ausdrücklich dazu, ihr einen Arzt zu stellen, ohne entsprechend objektiv leistungsfähig zu sein, weil der dafür vorgesehene Angeklagte kein Arzt war. Als Gegenleistung sollte ein Betrag in Höhe von monatlich 6.300 € entrichtet werden. In Umsetzung dieser Vereinbarung verpflichtete sich der Angeklagte gegenüber dem DRK, als Arzt bei der Stadt H. tätig zu werden, ohne über die hierzu erforderliche und – soweit ersichtlich – vertraglich geschuldete berufliche Qualifikation zu verfügen. Bei dieser Sachlage liegt die Annahme eines Negativsaldos sowohl zum Nachteil des DRK wie auch der Stadt H. nahe. Abweichendes lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Eine bestimmte Eingrenzung der auf dieser Vertragsgrundlage geschuldeten Tätigkeiten ist den Urteilsfeststellungen, die den Vereinbarungsinhalt nur auszugsweise wiedergeben, nicht zu entnehmen. Vielmehr deutet der in den Urteilsgründen wiedergegebene Vereinbarungstext darauf hin, dass das vom Angeklagten zu erfüllende Leistungsspektrum offen gestaltet war und daher auch Tätigkeiten erfasste, die nur von einem Arzt ausgeübt werden konnten. Zweck der Vereinbarung war es aus Sicht der Stadt H. , durch die Mitarbeit des Angeklagten die (einzige) Ärztin des Gesundheitsamtes im Bereich des Infektionsschutzes zu entlasten. Die dem DRK von der Stadt H. zugesagte Vergütung orientierte sich dabei ausdrücklich an den für die Anstellung eines Arztes anfallenden Kosten. Dafür, dass vom Vertragsinhalt wenigstens auch ärztliche Leistungen erfasst waren, spricht zudem die von der Strafkammer festgestellte Vertragspraxis, soweit sie zwischen den Parteien in Vollzug der Vereinbarung vom „gelebt“ wurde. Danach erbrachte der Angeklagte jedenfalls auf einem Teilgebiet auch Leistungen, die einem Arzt vorbehalten waren, nämlich die von ihm verfasste fachärztliche Stellungnahme zur Frage der gesundheitlichen Eignung einer Lehramtsanwärterin. Soweit das Landgericht dieser Tätigkeit jeden Indizwert für die vertraglich geschuldeten Leistungen abspricht, ist dies nicht nachvollziehbar.
26Gleiches gilt für die tatgerichtliche Feststellung, allen Beteiligten sei bei Abschluss der Ergänzungsvereinbarung „klar“ gewesen, dass der Angeklagte von der Stadt „weiterhin ausschließlich zu organisatorischen Aufgaben im Bereich der Pandemiebekämpfung und nicht für medizinische Leistungen“ habe eingesetzt werden sollen. Insoweit kann nicht nachvollzogen werden, dass und auf welche Weise diese – in einem auf die Gestellung eines Arztes gerichteten Vertrag objektiv nicht naheliegende – Beschränkung auf nicht medizinische Leistungen Eingang in die Ergänzungsvereinbarung vom gefunden haben könnte. Die Annahme, dass der Angeklagte allein das bisher von ihm erbrachte Leistungsspektrum fortführen sollte, stünde im Übrigen in einem durch die Urteilsgründe nicht aufgelösten Widerspruch zu dem Umstand, dass diese Ergänzungsvereinbarung vor dem Hintergrund eines bei der Stadt bestehenden Bedarfs an zusätzlichem medizinischen Sachverstand geschlossen wurde und noch während der Laufzeit der ursprünglichen Vereinbarung zwischen dem DRK und der Stadt vom wirksam werden sollte.
27bb) Darauf, ob bei der tatsächlichen Ausführung der Verträge von dem Angeklagten auch auf der Grundlage der Ergänzungsvereinbarung ab dem weiterhin nur solche Leistungen abgefordert worden sein mögen, für die es keiner Approbation als Arzt bedurfte, kommt es für die Frage des Eingehungsbetruges nicht an. Ebenfalls rechtlich ohne Belang ist eine etwaige Anfechtbarkeit der zwischen dem DRK und der Stadt H. abgeschlossenen, zuvor durch den Angeklagten ausgehandelten Ergänzungsvereinbarung nach § 123 BGB (vgl. , BGHSt 54, 69 Rn. 160; Beschluss vom – 4 StR 505/69, BGHSt 23, 300, 302 mwN). Denn die Anfechtungsmöglichkeit setzte die Kenntnis von der fehlenden Approbation des Angeklagten voraus. Diese Kenntnis sollte sowohl der Stadt H. als auch dem DRK gerade verborgen bleiben und die Feststellungen legen ‒ obschon sie sich nicht dazu verhalten, ob die Vergütungen im Voraus oder erst am Monatsende zu zahlen waren ‒ nahe, dass bei Vertragsschluss jedenfalls ungewiss war, ob die getäuschten Vergütungspflichtigen (DRK und Stadt) sie vor Erbringung ihrer Gegenleistungen erlangen würden.
28cc) Schließlich kann den Urteilsgründen – auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs – kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass der Angeklagte eine vertraglich geschuldete Leistung tatsächlich erbracht hätte, die die nach den Urteilsfeststellungen zusätzlich, neben der Vergütung der für den Aufbau und Durchführung des Testzentrums sowie der Durchführung der Corona-Tests geschuldete Pauschale von 6.300 bzw. 6.000 € gerechtfertigt hätte. Vielmehr führte der Angeklagte „weiterhin“ die bereits zuvor von ihm erbrachten Tätigkeiten (Testabstriche, Organisation und Vornahme von Reihentestungen, Kontaktnachverfolgung) aus.
29dd) Die tatgerichtliche Annahme, dass auch nach Abschluss der Ergänzungsvereinbarung vom ein Vermögensschaden weder beim DRK noch bei der Stadt H. eingetreten ist, liegt danach fern und hätte einer ins Einzelnen gehenden Erörterung bedurft, an der es fehlt. Angesichts der insgesamt unzureichenden Feststellungen zu den Vertragsgestaltungen im Einzelnen sowie der lückenhaften Beweiserwägungen zu dem ‒ objektiven ‒ Wert der vom Angeklagten erbrachten Leistungen vermag der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler nicht auszuschließen.
30c) Die Aufhebung im Fall II. 3. der Urteilsgründe zieht auch die Aufhebung des für sich genommen rechtsfehlerfreien tateinheitlichen Schuldspruchs wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Missbrauch von Titeln und Berufsbezeichnungen und der dafür verhängten Einzelstrafe sowie der Gesamtstrafe nach sich.
31d) Da demnach in Bezug auf die durch den DRK-Kreisverband gezahlten Gelder eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB in Betracht kommt, kann schließlich auch die Einziehungsentscheidung des Landgerichts nicht bestehen bleiben. Denn die aus einer Betrugstat erlangte Vergütung unterliegt der Wertersatzeinziehung gemäß § 73 Abs. 1 Alt. 2, § 73c Satz 1 Alt. 1 StGB, ohne dass es darauf ankommt, in welcher Höhe insoweit ein Vermögensschaden eingetreten ist (vgl. , NStZ 2011, 83, 85 Rn. 37 ff. mwN).
III.
32Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
33Was die Frage nach einem Vermögensschaden im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB betrifft, wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer auch den Ausgangsvertrag vom und die diesbezüglich zwischen dem Angeklagten und dem DRK getroffenen mündlichen Vereinbarungen genauer als bislang geschehen in den Blick nehmen müssen. Denn nach den bisher getroffenen Feststellungen gingen die Parteien jedenfalls zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon aus, dass die Vornahme von Abstrichen im Rahmen von Testungen auf das Coronavirus nur durch ärztliches Personal vorgenommen werden durfte. Dies entsprach allerdings nicht der geltenden Rechtslage. Denn nach § 24 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe t IfSG in der bis zum geltenden Fassung gab es zu diesem Zeitpunkt lediglich einen Arztvorbehalt für die Feststellung von COVID-19-Erkrankungen, nicht aber für die – hier vereinbarte – vorbereitende Probenentnahme (vgl. Lorenz in Kießling, IfSG, 3. Aufl., § 24 Rn. 4; Lorenz/Bade/Bayer, PharmR 2020, 649, 655 f., jew. mwN). Damit war zwar schon aus diesem Grund für eine mögliche Übertragung der Grundsätze zur formalen Betrachtungsweise beim Abrechnungsbetrug (vgl. dazu − 4 StR 21/14, NStZ 2014, 640 Rn. 31; Urteil vom – 3 StR 161/02, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 62; Beschluss vom – 4 StR 280/94, NStZ 1995, 85 f.; jew. mwN) und der sich daraus ergebenden Nullbewertung kein Raum. Auch spricht hier – anders als möglicherweise für die Zusatzvereinbarung vom – nichts dafür, dass die durch den Angeklagten zu erbringenden Leistungen allein aufgrund von dessen Minderqualifikation auch bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise vollständig wertlos waren (vgl. , BeckRS 2020, 30917 Rn. 6). Das Landgericht wird aber auch hier nochmals zu prüfen haben, ob zwischen der jeweils offensichtlich an Arzthonoraren orientierten Vergütung und dem wirtschaftlichen Wert der versprochenen Leistungen ein Missverhältnis besteht. Dabei wird es in den Blick nehmen müssen, dass einer Testung durch einen Nichtarzt nach der in § 12 Abs. 2 Satz 1 der Coronavirus-Testverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit in der seit dem geltenden Fassung zum Ausdruck gekommenen Wertung ein deutlich geringerer wirtschaftlicher Wert zukam.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:010623U4STR225.22.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-42912