Betriebsteilübergang - Zuordnung der Arbeitnehmer
Leitsatz
Die Zuordnung der von einem Betriebsteilübergang betroffenen Arbeitsverhältnisse zu dem übergehenden Betriebsteil erfolgt weder vor dem Übergang noch rückblickend nach einem solchen gemäß den Grundsätzen der sozialen Auswahl. Sowohl die Richtlinie 2001/23/EG (juris: EGRL 23/2001) als auch § 613a BGB gewährleisten nur die Kontinuität der bereits zugeordneten Arbeitsverhältnisse.
Gesetze: EGRL 23/2001, EGRL 59/98, § 613a Abs 1 S 1 BGB, § 1 Abs 3 S 1 KSchG, § 17 KSchG, § 134 BGB, § 1 Abs 2 S 1 KSchG
Instanzenzug: Az: 8 Ca 5469/20 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 8 Sa 414/21 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.
2Die Klägerin war seit dem als Flugbegleiterin bei der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden Schuldnerin) mit Sitz in Berlin beschäftigt. Diese Fluggesellschaft führte mit geleasten Flugzeugen neben dem eigenwirtschaftlichen Flugbetrieb auch noch Flüge im sog. Wet Lease für Unternehmen der Lufthansa-Gruppe, insbesondere für die Eurowings GmbH (im Folgenden Eurowings), durch. Die Schuldnerin stellte dabei die von ihr selbst geleasten Flugzeuge (sog. Head Lease) Eurowings als weiterer Leasingnehmerin (sog. Sub Lease) mit Besatzung, Wartung und Versicherung zur Verfügung. Für ihren gesamten Flugbetrieb unterhielt die Schuldnerin Stationen an verschiedenen Flughäfen, ua. in Düsseldorf, dem Dienstort der Klägerin.
3Durch den „Tarifvertrag Personalvertretung (TVPV) für das Kabinenpersonal der Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG“ (im Folgenden TVPV) war bei der Schuldnerin gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG für das Kabinenpersonal die Personalvertretung Kabine (im Folgenden PV Kabine) errichtet. § 74 TVPV regelt in Anlehnung an das Anhörungsverfahren des Betriebsrats in § 102 BetrVG die Anhörung der PV Kabine vor Erklären einer Kündigung. Vergleichbares galt für den Bereich Cockpit und die dort errichtete Personalvertretung Cockpit (PV Cockpit). Für den Bereich Boden bestand ein Betriebsrat.
4Auf den Insolvenzantrag der Schuldnerin hin ordnete das zuständige Insolvenzgericht zunächst die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten am zum vorläufigen Sachwalter. Am unterzeichneten der Executive Director der persönlich haftenden Gesellschafterin der Schuldnerin, der Generalbevollmächtigte der Schuldnerin und der Beklagte für die Schuldnerin eine Erklärung, wonach der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin zum stillgelegt werden sollte. Am beschloss der vorläufige Gläubigerausschuss die vollständige Betriebseinstellung zum und wies die vorläufige Eigenverwaltung an, die erforderlichen Maßnahmen umzusetzen.
5Das Insolvenzgericht eröffnete mit Beschluss vom das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin in Eigenverwaltung und bestellte den Beklagten zum Sachwalter. Dieser zeigte noch am gleichen Tag gemäß § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO drohende Masseunzulänglichkeit an und stellte ua. die Klägerin von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.
6Zum wurde der Flugbetrieb eingestellt. Die für dessen Aufrechterhaltung erforderlichen Lizenzen und Genehmigungen erloschen mit Ablauf des .
7Mit Beschluss vom hob das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung auf, ordnete das (Regel-)Insolvenzverfahren an und bestimmte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.
8Mit Schreiben vom kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum . Im hiergegen gerichteten Kündigungsschutzverfahren hat der Senat am ein Anerkenntnisurteil erlassen (- 6 AZR 689/19 -). Dem Anerkenntnis des Beklagten lag die zwischenzeitlich zu dem Personalabbau bei der Schuldnerin ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde. Danach war die Kündigung unwirksam, weil die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige nicht ordnungsgemäß iSd. § 17 Abs. 3 KSchG erstattet worden war (vgl. zu Piloten: - BAGE 169, 362; - 8 AZR 215/19 - BAGE 170, 98; vgl. zu Flugbegleitern: - BAGE 170, 244).
9In Kenntnis der Ergebnisse der Verfahren - 6 AZR 146/19 - und - 8 AZR 215/19 - sowie der hierzu jeweils am Tag der Urteilsverkündung veröffentlichten Pressemitteilungen des Bundesarbeitsgerichts Nr. 7/20 und Nr. 11/20 leitete der Beklagte mit Schreiben vom ein neues Konsultationsverfahren (§ 17 Abs. 2 KSchG) gegenüber der PV Kabine ein. Er verwies dabei auf die „fortgesetzte Betriebsstilllegung aufgrund des ursprünglichen Stilllegungsbeschlusses“ und legte den Stand der Stilllegung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin, insbesondere die vollständige Einstellung des Flugbetriebs, dar. Deswegen sei beabsichtigt, vorsorglich alle noch nicht rechtskräftig beendeten Arbeitsverhältnisse erneut zu kündigen. Im Bereich Kabine betreffe dies bezogen auf die Station Düsseldorf 268, nach einer späteren Ergänzung 295 Beschäftigte. Eine Sozialauswahl werde nicht erforderlich sein. Der Beklagte legte der Personalvertretung eine Auflistung vor, aus der die Berufsgruppen bzw. Tätigkeiten der Beschäftigten, deren Geschlecht, Alter, Familienstand und Staatsangehörigkeit hervorgingen. In dieser Liste war das Alter der Klägerin mit 41 Jahren statt korrekt mit 44 Jahren angegeben.
10In der Folgezeit korrespondierten die PV Kabine und der Beklagte mehrfach miteinander. Dabei verlangte die PV Kabine ergänzende Informationen und stellte Nachfragen. Der Beklagte ergänzte seine Angaben und ging - aus Sicht der PV Kabine allerdings unzureichend - auf die Nachfragen ein. Am fand zudem eine Telefonkonferenz statt.
11Der Beklagte legte der PV Kabine schließlich im Hinblick auf deren Fragen zur „Klärung eines Betriebsteilübergangs“ mit Schreiben vom noch eine Liste der in den einzelnen Stationen vormals im Wet Lease eingesetzten Mitarbeiter vor und bot der PV Kabine eine abschließende ergebnisoffene Erörterung am 3. oder an. Nachdem diese hierauf nicht reagiert hatte, teilte ihr der Beklagte mit Schreiben vom mit, dass er „keine Möglichkeit der Wiedereröffnung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin in tatsächlicher Hinsicht“ sehe. Er habe sich daher entschlossen, die Kündigungen der noch nicht rechtskräftig beendeten Arbeitsverhältnisse zu wiederholen. Zudem erklärte er das Konsultationsverfahren für beendet. Dem widersprach die PV Kabine.
12Mit Schreiben vom hörte der Beklagte unter Wiederholung seiner Absichten und ergänzender Bezugnahme auf die im Konsultationsverfahren erteilten Auskünfte die PV Kabine zu der geplanten Kündigung aller Beschäftigten im Bereich Kabine an (§ 74 TVPV). Die Sozialdaten der Betroffenen wurden in einer Anlage mitgeteilt. Mit Schreiben vom erwiderte die PV Kabine, sie sei insbesondere bezüglich eines möglichen Betriebsübergangs und der daraus folgenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nicht ausreichend informiert worden. Im Hinblick darauf legte der Beklagte zur Klarstellung eine modifizierte Mitarbeiterliste vor. Die PV Kabine hielt im Schreiben vom an ihrer Position fest.
13Am erstattete der Beklagte bei der Agentur für Arbeit Düsseldorf auf dem von der Bundesagentur für Arbeit erstellten Formular eine Massenentlassungsanzeige bezüglich der Beschäftigten, welche von der Schuldnerin deren früherer Station Düsseldorf zugeordnet worden waren. Außerdem legte er der Anzeige ein Anschreiben bei, in welchem er die Gesamtsituation, den bisherigen Verlauf des Insolvenzverfahrens sowie die Gründe für die zu erklärenden Kündigungen aller verbliebenen 358 Beschäftigten der Station Düsseldorf (davon Cockpit 64, Kabine 294) darstellte. In einer als Anlage der Massenentlassungsanzeige beigefügten Liste teilte der Beklagte die Berufsgruppen und Sozialdaten der Betroffenen mit. Hinsichtlich der Beteiligung der verschiedenen Personalvertretungen wurde der jeweilige Schriftverkehr im Konsultations- und Anhörungsverfahren vorgelegt und das Ergebnis der Konsultationsverfahren, im Fall der PV Kabine unter Vorlage des Schreibens des Beklagten vom , mitgeteilt. Die Agentur für Arbeit Düsseldorf bestätigte mit Schreiben vom den Eingang der vollständigen Massenentlassungsanzeige am .
14Mit Schreiben vom kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin nach § 113 InsO zum . Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer am beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage gewandt.
15Der Beklagte erklärte mit Schreiben vom sowie vom nach erneuter Beteiligung der PV Kabine und Erstattung weiterer Massenentlassungsanzeigen vorsorglich zwei weitere Kündigungen zum bzw. . Die Klägerin hat auch diese Kündigungen im vorliegenden Verfahren angegriffen.
16Sie hat bezüglich der Kündigung vom die Auffassung vertreten, diese sei wegen eines Teilbetriebsübergangs auf die Luftfahrtgesellschaft Walter mbH (im Folgenden LGW) erklärt worden und deshalb unwirksam. Die LGW habe an Stelle der Schuldnerin das Wet Lease für die Eurowings fortgeführt. Der Beklagte hätte daher zumindest im Rahmen einer sozialen Auswahl entscheiden müssen, welche Arbeitnehmer dem Wet Lease zuzuordnen gewesen wären. Bei ihr, der Klägerin, wäre dies der Fall gewesen. Die Unwirksamkeit der Kündigung folge weiterhin aus der inhaltlich fehlerhaften Massenentlassungsanzeige, welche zudem bei einer unzuständigen Agentur für Arbeit erstattet worden sei. Sie gehe zwar davon aus, dass sie in der der Anzeige beigefügten Mitarbeiterliste unter Ziffer 266 genannt sei, da dies die einzige aufgeführte Flugbegleiterin mit Wohnsitz A sei. Allerdings sei ihr Geburtsdatum falsch, so dass sie „streng genommen“ von der Massenentlassungsanzeige nicht nur falsch, sondern gar nicht erfasst sei. Der Beklagte sei zudem unzutreffend davon ausgegangen, dass die vormalige Station in Düsseldorf nach wie vor der maßgebliche Betrieb sei. Nach Auflösung der Stationen dürfe nicht mehr auf die frühere betriebliche Struktur, sondern müsse auf die im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bestehende Struktur abgestellt werden. Die Massenentlassungsanzeige hätte sich auf alle verbliebenen Beschäftigten beziehen und bei der für den Unternehmenssitz in Berlin zuständigen Agentur für Arbeit eingereicht werden müssen. Die weiteren Kündigungen vom und vom hält die Klägerin ebenfalls für unwirksam.
17Die Klägerin hat beantragt
18Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Kündigungen seien wegen der schon von der Schuldnerin beschlossenen und tatsächlich erfolgten Stilllegung des Flugbetriebs sozial gerechtfertigt. Nach dem - 6 AZR 235/19 - BAGE 170, 244) habe weder ein Teilbetriebsübergang auf die LGW stattgefunden noch sei eine soziale Auswahl erforderlich gewesen. Die Massenentlassung sei ordnungsgemäß gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt worden. Die Abweichung aufgrund der Angabe des Lebensalters der Klägerin mit 41 Jahren statt zutreffend mit 44 Jahren sei unerheblich und habe die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit nicht beeinflusst. Zudem führe das Fehlen der sog. Soll-Angaben nach der Entscheidung des - 2 AZR 467/21 -) nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Das Gleiche müsse dann auch bei fehlerhaften Soll-Angaben gelten.
19Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
Gründe
20Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Kündigung vom ist wirksam. Die - wie bereits die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben - nur für den Fall des Obsiegens mit dem Hauptantrag gestellten, auf die Kündigungen vom sowie bezogenen Hilfsanträge (vgl. zur Auslegung als Haupt- und Hilfsantrag - Rn. 38, BAGE 175, 94) fielen dem Senat demzufolge nicht zur Entscheidung an.
21I. Der die Kündigung vom betreffende (Haupt-)Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Diese Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum aufgelöst.
221. Die Kündigung, bei der es sich nicht um eine unzulässige Wiederholungskündigung handelt (dazu - Rn. 37), ist wegen der bereits zum erfolgten Stilllegung des Flugbetriebs durch dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gerechtfertigt.
23a) Dabei hat der Beklagte in zulässiger Weise das von der Schuldnerin bereits 2017 beschlossene Stilllegungskonzept umgesetzt. Dies hat der Senat bezüglich der Kündigungen vom Januar 2018 bereits entschieden und dabei klargestellt, dass es zu keinem Betriebs(teil)übergang iSv. § 613a Abs. 1 BGB auf die LGW gekommen ist (vgl. - Rn. 57 ff., 89 ff., BAGE 170, 244).
24b) Für die streitgegenständliche Kündigung gilt nichts Anderes. Der Beklagte hat sich nach seinem Vortrag und ausweislich der Schreiben an die PV Kabine unverändert die Stilllegungsentscheidung der Schuldnerin zu eigen gemacht und auf dieser Grundlage im Jahr 2020 lediglich Nachkündigungen erklärt. Diese waren zur Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung notwendig geworden, weil die ersten Kündigungen aus formalen Gründen unwirksam waren. Das hat der Senat in einem Parallelverfahren bereits entschieden ( - Rn. 32 ff.). Die Einstellung des Flugbetriebs hat damit das Beschäftigungsbedürfnis für das Kabinenpersonal, dem die Klägerin angehörte, endgültig entfallen lassen. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten sind nicht ersichtlich.
252. Die Kündigung scheitert nicht an einer fehlerhaften Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. In Folge der Betriebsstilllegung wurden keine Flugbegleiterinnen mehr beschäftigt, so dass sich eine Sozialauswahl erübrigte. Der Beklagte ist entgegen der Auffassung der Revision auch nicht gehalten gewesen, unter Anwendung der in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG enthaltenen Grundsätze der sozialen Auswahl diejenigen Beschäftigten zu bestimmen, die dem Wet Lease zuzuordnen sind. Unabhängig davon, dass es mangels Zuordnung von fliegendem Personal zu keinem Betriebs(teil)übergang auf die LGW hinsichtlich der im Wet Lease eingesetzten Beschäftigten gekommen ist (dazu - Rn. 75 ff., BAGE 170, 244), kann eine übergangsfähige wirtschaftliche Einheit nicht dadurch geschaffen werden, dass die mangelnde Zuordbarkeit durch eine betriebsbezogene Sozialauswahl substituiert wird. § 613a BGB ist anders als § 1 Abs. 3 KSchG kein Sozialschutz, der sicherstellen soll, dass die Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer erfolgt, den sie am wenigsten belastet (Schubert ZESAR 2019, 153, 157). Sowohl die Richtlinie 2001/23/EG als auch § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB wollen nur die Kontinuität der einer wirtschaftlichen Einheit bereits zugeordneten Arbeitsverhältnisse gewährleisten ( - [Ellinika Nafpigeia] Rn. 41; - C-458/12 - [Amatori ua.] Rn. 51; grundlegend 24/85 - [Spijkers] Rn. 11; vgl. auch - [Klarenberg] Rn. 51; - Rn. 80, aaO). Darum können die bei einem Betriebsteilübergang auf den Erwerber übergehenden Arbeitnehmer nicht nach den Grundsätzen der Sozialauswahl, die unter allen Arbeitnehmern des bisherigen Betriebs durchzuführen wäre, ermittelt werden. Erst recht kann die Zuordnung nicht durch eine erst nach dem Betriebsübergang durchzuführende „nachträgliche“ Sozialauswahl erfolgen. Vielmehr gehen die dem Betriebsteil zugeordneten Arbeitsverhältnisse ipso iure auf den Erwerber über. Diese Arbeitnehmer sind damit aus dem die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG begrenzenden „Restbetrieb“ ausgeschieden (vgl. - Rn. 80 mwN, aaO; - 8 AZR 215/19 - Rn. 157, BAGE 170, 98; aA noch - Rn. 57 ff. mwN).
263. Die Kündigung vom ist Teil einer anzeigepflichtigen Massenentlassung iSv. § 17 Abs. 1 KSchG. Der Beklagte hat zu Recht dieses Verfahren bezogen auf die Station Düsseldorf durchgeführt.
27a) Das in § 17 KSchG geregelte Verfahren bei Massenentlassungen verlangt vom Arbeitgeber die in Abs. 2 normierte Konsultation der zuständigen Arbeitnehmervertretung (idR des Betriebsrats) einerseits und die in Abs. 1 und Abs. 3 geregelte Anzeige gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit andererseits. Beide Pflichten sind auch vor einer Betriebsstilllegung zu erfüllen (vgl. - Rn. 30 mwN, BAGE 169, 362; - 6 AZR 459/18 - Rn. 40, BAGE 167, 102). Dies gilt ebenso bei Nachkündigungen ( - Rn. 44).
28b) Der Beklagte hat vorliegend eine nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG anzeigepflichtige Massenentlassung beabsichtigt. Als Betrieb iSv. § 17 Abs. 1 KSchG, dessen Verständnis wegen Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 98/59/EG (sog. Massenentlassungsrichtlinie, im Folgenden MERL) unionsrechtlich determiniert ist, ist dabei entgegen der Auffassung der Revision die frühere Station Düsseldorf anzusehen. Von den ehemals knapp 360 Beschäftigten, welche dieser Station zugeordnet und deren Arbeitsverhältnisse noch nicht beendet waren, sollten alle nahezu zeitgleich entlassen werden, soweit nicht behördliche Zustimmungsverfahren zu durchlaufen waren. Der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG ist damit bezogen auf den Zeitraum von 30 Kalendertagen überschritten.
29aa) Bezogen auf die im November 2017 und Januar 2018 erklärten Kündigungen hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Station der Schuldnerin am Flughafen Düsseldorf für das dorthin zugeordnete Personal den Betrieb iSd. MERL und damit des § 17 KSchG darstellte ( - Rn. 114 ff., BAGE 170, 244; - 6 AZR 146/19 - Rn. 36 ff., BAGE 169, 362; zur Station Köln vgl. - Rn. 173 ff., BAGE 170, 98; kritisch Moll RdA 2021, 49, 52).
30bb) Gleiches gilt auch bezüglich der Nachkündigungen, welche wegen der Unwirksamkeit der ersten Kündigungen erklärt wurden. Dabei ist ohne Belang, dass die Station Düsseldorf ebenso wie die anderen Stationen als „unterscheidbare Einheit“ im Zeitpunkt des Kündigungszugangs im August 2020 nicht mehr existierte. Entscheidend ist, dass die Beschäftigten der vormaligen Station Düsseldorf bis dahin keiner anderen Organisationseinheit zugeordnet worden waren. Für das fliegende Personal, welches nicht in der Zentrale in Berlin mit Abwicklungsarbeiten betraut wurde, verblieb es daher formell bei der zuletzt maßgeblichen Stationszugehörigkeit, auch wenn es überwiegend schon zum freigestellt worden war. Ein organisatorischer Bezug zum Unternehmenssitz in Berlin wurde für diese Beschäftigtengruppe nicht mehr begründet. Damit blieb auch der örtliche Kontext zu Düsseldorf gewahrt. Die durch die Schließung der Station in Düsseldorf ausgelöste Massenentlassung hat nach der Konzeption der MERL und des § 17 Abs. 1 KSchG auch nach der Betriebsstilllegung allein dort ihre sozioökonomischen Auswirkungen, so dass das Massenentlassungsverfahren nach wie vor in der aufgelösten Struktur durchzuführen war. Das hat der Senat bereits entschieden ( - Rn. 43) und hält daran ungeachtet der gegen diese Entscheidung erhobenen Verfassungsbeschwerde (- AR 980/23 -) fest. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf es auch im vorliegenden Verfahren nicht. Der Betriebsbegriff der MERL ist durch dessen Rechtsprechung hinreichend geklärt (vgl. die Nachweise bei - Rn. 33, BAGE 169, 362; die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, ua. -). Die Unterordnung des Sachverhalts unter diesen Betriebsbegriff ist Sache der nationalen Gerichte ( - [Lyttle ua.] Rn. 52; - C-80/14 - [USDAW und Wilson] Rn. 70).
314. Der Beklagte hat das Konsultationsverfahren wirksam durchgeführt. Er hat es gegenüber der auf tarifvertraglicher Grundlage gebildeten PV Kabine als zuständiger Arbeitnehmervertretung ordnungsgemäß am eingeleitet und dieser die nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG erforderlichen Informationen erteilt. Der Beklagte hat mit der PV Kabine ausreichend gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG beraten und durfte die Konsultation mit dem Schreiben vom beenden. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend entschieden. Fehler im Konsultationsverfahren hat auch die Klägerin auf das Vorbringen des Beklagten hin nicht substantiiert gerügt.
325. Die Kündigung ist nicht gemäß § 17 Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam. Die Massenentlassungsanzeige vom wurde vor Erklärung der streitgegenständlichen Kündigung ordnungsgemäß bei der zuständigen Agentur für Arbeit Düsseldorf erstattet.
33a) Der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG maßgebliche Betrieb befand sich in Düsseldorf (vorstehend unter Rn. 28, 30). Demnach war die Agentur für Arbeit Düsseldorf für das auf die Station Düsseldorf bezogene Anzeigeverfahren nach § 17 Abs. 3 KSchG zuständig. Die weitergehenden Rügen der Revision sind unbegründet.
34aa) Die Revision missversteht die Entscheidung des Zweiten Senats des - 2 AZR 276/16 - BAGE 157, 1). Aus ihr folgt nicht, dass die Anzeige nach Auflösung der Betriebsstruktur bei einer Nachkündigung nicht mehr bei der für den früheren Betriebssitz zuständigen Agentur für Arbeit erstattet werden dürfe. Vielmehr hat der Zweite Senat es lediglich gebilligt, wenn aus Gründen der Absicherung identische Anzeigen bei mehreren in Betracht kommenden Agenturen erstattet werden. Das hat der Senat bereits entschieden ( - Rn. 70; vgl. auch schon - Rn. 125, BAGE 170, 244).
35bb) Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit trifft § 17 KSchG selbst keine ausdrückliche Regelung. Aus dem Zweck des Anzeigeverfahrens folgt aber, dass die Anzeige bei der Agentur für Arbeit zu erstatten ist, bei der es zu den innerhalb der Sperrfrist zu bewältigenden sozioökonomischen Auswirkungen kommt (vgl. - [Junk] Rn. 47 f.). Diese treten nach der Vorstellung der MERL typischerweise am Sitz des Betriebs auf, dessen örtliche Gemeinschaft von der Massenentlassung betroffen ist. Dort bzw. in dessen räumlicher Nähe wohnen die Arbeitnehmer, melden sich arbeitsuchend und würden den Arbeitsmarkt und damit auch die sozialen Verhältnisse belasten ( - Rn. 78, BAGE 169, 362). Für die durch die Massenentlassung verursachten Vermittlungsbemühungen macht es keinen Unterschied, ob der Betrieb noch existiert oder vollständig stillgelegt wurde. Entscheidend ist, dass der zuständigen Behörde iSv. Art. 4 Abs. 2 der MERL ermöglicht wird, nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen, also die besonderen sozioökonomischen Auswirkungen zu bewältigen, die solche Entlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten sozialen Umgebung hervorrufen können (vgl. - [Lyttle ua.] Rn. 32; - C-270/05 - [Athinaïki Chartopoiïa] Rn. 28; - Rn. 23).
36b) Die Anzeige vom enthält die nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG erforderlichen Angaben bezüglich des Konsultationsverfahrens mit der PV Kabine. Sie beinhaltet auch die nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG erforderlichen Angaben und stellt dabei aus den genannten Gründen zutreffend auf die vormalige Station Düsseldorf ab ( - Rn. 73 ff., 77). Das ist zwischen den Parteien nicht streitig.
37c) Der Beklagte hat im Rahmen der Mitteilung der Sozialdaten auch die sog. Soll-Angaben nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG gemacht. Dass er dabei das Lebensalter der Klägerin falsch angegeben hat, führt nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige.
38aa) Entsprechend der den Senat bindenden (§ 559 Abs. 2 ZPO) Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Beklagte die Klägerin in der als Anlage 2 der Massenentlassungsanzeige beigefügten Mitarbeiterliste unter der Ziffer 266 als zu entlassende Mitarbeiterin genannt, ihr Geburtsdatum aber falsch angegeben. Davon geht auch die Klägerin selbst aus. Sie schlussfolgert dies daraus, dass die dort aufgeführte Flugbegleiterin die einzige mit Wohnsitz in A, ihrem Wohnsitz, ist. Soweit die Revision vorbringt, die falsche Altersangabe führe dazu, dass die Klägerin „streng genommen“ von der Anzeige gar nicht erfasst sei, bringt sie damit nur zum Ausdruck, dass fehlerhafte Soll-Angaben hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen für die Wirksamkeit der Anzeige wie eine unterbliebene Anzeige zu behandeln seien.
39bb) Die fehlerhafte Angabe des Lebensalters der Klägerin berührt im vorliegenden Fall nicht die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige.
40(1) Die Anzeigepflicht dient arbeitsmarktpolitischen Zwecken. Sie soll es der Agentur für Arbeit ermöglichen, durch geeignete Maßnahmen Belastungen des Arbeitsmarkts zu vermeiden oder zumindest zu verzögern, die Folgen der Entlassungen für die Betroffenen zu mildern und für deren anderweitige Beschäftigung zu sorgen (vgl. - [Junk] Rn. 47; vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Pikamäe vom - C-134/22 - Rn. 34; ebenso - Rn. 133, BAGE 170, 244; - 6 AZR 146/19 - Rn. 75, BAGE 169, 362; - 6 AZR 459/18 - Rn. 28, BAGE 167, 102; - 2 AZR 276/16 - Rn. 24, BAGE 157, 1; - 6 AZR 601/14 - Rn. 27, BAGE 154, 53). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union betrifft die MERL die sozioökonomischen Auswirkungen, die Massenentlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten sozialen Umgebung hervorrufen können. Diese sollen aufgefangen werden, indem der Arbeitgeber nicht nur Arbeitnehmervertreter konsultiert, sondern auch die zuständige Behörde unterrichtet, bevor er die betroffenen Arbeitnehmer entlässt (vgl. - [Lyttle ua.] Rn. 32; - C-270/05 - [Athinaïki Chartopoiïa] Rn. 28).
41(2) Das Fehlen der Sollangaben nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG führt nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige und damit nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung ( - Rn. 13 ff., 19 ff.). Gleiches muss dann auch für fehlerhafte Soll-Angaben gelten.
42(3) Unabhängig davon ist im vorliegenden Fall die fehlerhafte Angabe des Lebensalters der Klägerin marginal. Für die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit ist es nicht von Relevanz, ob die zu vermittelnde Person 41 oder 44 Jahre alt ist. Der Altersunterschied ist nicht so erheblich, als dass er sich vor dem Hintergrund des dargestellten Zwecks der Anzeigepflicht auf die Abgangschance aus Arbeitslosigkeit und damit auf die von der Agentur für Arbeit ins Auge zu fassenden Maßnahmen auswirken könnte. So unterscheidet auch die Bundesagentur für Arbeit in ihren Statistiken (zB Monatsberichte, Berichte: Analyse Arbeitsmarkt - Chancen und Risiken am Arbeitsmarkt nach Personengruppen) idR zwischen den Altersgruppen der unter 25-Jährigen, der 25- bis 55-Jährigen und der über 55-Jährigen.
436. Die Kündigung scheitert schließlich nicht an einer fehlerhaften Anhörung der PV Kabine (§ 74 TVPV) vor Erklärung der Kündigung (vgl. dazu - Rn. 84 f.). Die Revision hat die zutreffenden Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, wonach die von der Klägerin gerügten Fehler nur die erneute Anhörung vor Erklärung der Kündigung vom betrafen, nicht angegriffen.
44II. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:110523.U.6AZR267.22.0
Fundstelle(n):
BB 2023 S. 1715 Nr. 29
DB 2023 S. 2947 Nr. 50
NJW 2023 S. 10 Nr. 30
NJW 2023 S. 3311 Nr. 45
ZIP 2023 S. 1660 Nr. 31
HAAAJ-42887