OFD Karlsruhe - S 0284

Öffentliche Zustellung bei unbekanntem Aufenthalt des Empfängers / der Empfängerin (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 VwZG)

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1 Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung

Die öffentliche Zustellung ist als „letztes Mittel“ der Bekanntgabe nur zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger / der Empfängerin in anderer Weise zu übermitteln.

Allgemeine Ermittlungspflichten

Der Aufenthaltsort des Empfängers / der Empfängerin ist nicht schon deshalb unbekannt, weil das Finanzamt seine / ihre Anschrift nicht kennt. Die Anschrift muss vielmehr allgemein unbekannt sein (, BStBl II 2000 S. 560). Dies ist durch eine Erklärung der zuletzt zuständigen Meldebehörde oder in anderer geeigneter Weise zu belegen. Die bloße Feststellung, dass sich der Empfänger / die Empfängerin bei der Meldebehörde abgemeldet hat, ist nicht ausreichend.

Das Finanzamt muss daher, bevor es durch öffentliche Bekanntmachung zustellt, die nach Sachlage gebotenen und zumutbaren Ermittlungen nach dem Aufenthaltsort anstellen. Dazu gehören insbesondere Nachforschungen bei der Meldebehörde, u.U. auch die Befragung Angehöriger oder bisheriger Vermieter des Empfängers / der Empfängerin. Auch Hinweisen auf den mutmaßlichen neuen Aufenthaltsort muss durch Rückfrage bei der dortigen Meldebehörde bzw. anderen Einrichtungen oder Personen nachgegangen werden.

Spezielle Ermittlungspflichten bei vermutetem Auslandsaufenthalt

Geht das Finanzamt davon aus, dass sich der Empfänger / die Empfängerin in einem bestimmten Land aufhält, ohne die dortige Anschrift zu kennen, muss es im Vorfeld einer öffentlichen Zustellung wegen unbekannten Aufenthaltsorts versuchen, die gültige ausländische Anschrift im Wege des zwischenstaatlichen Informationsaustauschs zu ermitteln. Erst wenn feststeht, dass eine Anschriftenermittlung auf diesem Wege nicht möglich oder fehlgeschlagen ist, darf das Finanzamt zur öffentlichen Zustellung übergehen (, BStBl II 2010 S. 732).

Die Anforderungen an die Behörde, den Aufenthaltsort des Empfängers / der Empfängerin ermitteln zu müssen, dürfen aber im Einzelfall nicht überspannt werden. Eine Rechtspflicht der zustellenden Behörde, Anschriften im Ausland zu ermitteln, ist regelmäßig zu verneinen, wenn ein Fall der "Auslandsflucht" vorliegt oder wenn sich der Empfänger / die Empfängerin beim inländischen Melderegister "ins Ausland" ohne Angabe einer Anschrift abmeldet. Das Finanzamt ist in diesen Fällen vorrangig nur zu Ermittlungsmaßnahmen im Inland verpflichtet. Gleiches gilt, wenn sich der Empfänger / die Empfängerin in einer Weise verhält, die auf seine / ihre Absicht schließen lässt, den Aufenthaltsort zu verheimlichen (vgl. a.a.O.).

Fehlerfolgen

Ist das Finanzamt seiner Ermittlungspflicht nachgekommen, ist die öffentliche Zustellung zulässig, auch wenn das Ergebnis der Ermittlungshandlungen (z.B. infolge unrichtiger Auskunft) falsch war (, BFH/NV 1991 S. 13). Verletzt das Finanzamt seine Ermittlungspflicht, ist die öffentliche Zustellung unwirksam, aber nach § 8 VwZG heilbar (, BFH/NV 1992 S. 81), z.B. durch Übergabe einer Fotokopie des vollständigen Bescheides an den Empfänger / die Empfängerin (vgl. a.a.O.).

2 Durchführung der öffentlichen Zustellung

Die Anordnung der öffentlichen Zustellung trifft ein zeichnungsberechtigter Bediensteter (§ 10 Abs. 1 Satz 2 VwZG).

Die öffentliche Zustellung erfolgt grundsätzlich durch Bekanntmachung einer Benachrichtigung an der Stelle, die von der Behörde hierfür allgemein bestimmt ist (§ 10 Abs. 2 Satz 1 VwZG). Diese Stelle kann auch der Internetauftritt der Behörde sein. Die Finanzämter in Baden-Württemberg machen die Benachrichtigung auf ihrem jeweiligen Internetauftritt bekannt ( Az. O 2000/55 – St 325 O 2200/132 – OPH 325).

Die Benachrichtigung hat die Funktion einer Erklärung, mit der die Zustellung beurkundet wird. Sie muss deshalb das zugestellte Schriftstück konkretisieren und damit einen Nämlichkeitsnachweis erbringen. Hierfür sieht § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 VwZG die Angabe des Datums und des Aktenzeichens des Dokuments vor. Der Nämlichkeitsnachweis kann somit nur über die Vergabe eines zusätzlichen Aktenzeichens (zur Steuernummer) für jedes öffentlich zuzustellende Dokument erreicht werden. Für die Bildung des zusätzlichen Aktenzeichens gelten die Ausführungen im AEAO zu § 122, Nr. 3.1.1.1 entsprechend.

Die zu § 15 VwZG a.F. ergangene Rechtsprechung, wonach der Vermerk über den Tag des Aushangs und den Tag der Abnahme jeweils die volle Unterschrift des zuständigen Beamten erfordert (, BStBl II 1985 S. 597), ist durch die im JStG 2022 eingeführte Sonderregelung in § 122 Abs. 5 Satz 4 AO überholt. Die Anordnung und die Dokumentation der öffentlichen Zustellung können danach auch elektronisch erfolgen.

Für eine wirksame Bekanntgabe muss die Benachrichtigung zwei Wochen auf den Internetseiten online sein, weil das Dokument erst nach Ablauf von zwei Wochen nach Bekanntmachung der Benachrichtigung als zugestellt gilt (§ 10 Abs. 2 Satz 6 VwZG; AEAO zu § 122, Nr. 3.1.5.5). Das gilt auch dann, wenn der Empfänger / die Empfängerin vor Fristablauf beim Finanzamt erscheint und ihm / ihr das zuzustellende Schriftstück ausgehändigt wird. Die Aushändigung ist elektronisch zu vermerken. Eine Veröffentlichung über die Mindestfrist hinaus ist unschädlich. Die Löschung der Veröffentlichung kann daher erst nach 21 Tagen erfolgen.

Wegen weiterer Einzelheiten des elektronischen Verfahrens wird auf die Az. O 2000/55 – St 325 O 2200/132 – OPH 325 verwiesen.

3 Tag der Zustellung

Die Frist des § 10 Abs. 2 Satz 6 VwZG bestimmt sich nach § 108 Abs. 1 AO i. V. mit §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Danach ist bei ihrer Berechnung der Tag des Aushangs nicht mitzurechnen. Der letzte Tag der Frist gilt als Tag der Bekanntgabe. § 108 Abs. 3 AO ist anwendbar.

Auch im Fall der Aushändigung des zuzustellenden Schriftstücks an den Empfänger / die Empfängerin vor Ablauf der Frist verbleibt es bei dem durch § 10 Abs. 2 VwZG bestimmten Zustellungstag.

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