Weiträumiges Tätigkeitsgebiet – ein offenes Feld?
BFH zum Fall eines Hamburger Hafenarbeiters
Der „Pendlerpauschale“ wird ein gewisser Lenkungszweck nicht abgesprochen werden können. Gerade in Zeiten hoher Energiekosten deckt der Satz der Entfernungspauschale die entstehenden Aufwendungen oftmals nicht ab. Eine sachliche Berechtigung mag man darin sehen, dass dem Steuerpflichtigen bei den immer gleichen Wegen zur Arbeit möglicherweise Optionen zur Reduktion seiner Aufwendungen eröffnet sind: Fahrgemeinschaften oder der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel könn(t)en hierfür Beispiele sein – die im Grundsatz als vom Transportmittel unabhängig ausgestaltete Pauschale tut dann ihr Übriges. Dieser Blickwinkel zeigt sich denn auch in den Anwendungsfällen der Entfernungspauschale, kommt diese doch beispielsweise bei der meist auf längere Zeit angelegten doppelten Haushaltsführung sowie der sicherlich als Regelfall zu bezeichnenden „normalen Arbeit“ an der ersten Tätigkeitsstätte zum Tragen. Oder zudem bei den insoweit sehr ähnlich liegenden Konstellationen des typischerweise arbeitstäglichen dauerhaften Aufsuchens eines Sammelpunkts oder eines weiträumigen Tätigkeitsgebiets (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG).
Zum Fall eines Hafenarbeiters, der im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung bei verschiedenen Einzelbetrieben im Hamburger Hafen tätig ist, hat der BFH mit Urteil VI R 4/21 vom entschieden, dass dieser nicht in einer von der Beschränkungsregelung erfassten Art und Weise in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet arbeitet. Hintergrund ist, dass der Steuerpflichtige im Streitjahr 2015 aufgrund (jeweils tagesaktueller) Weisungen in ortsfesten betrieblichen Einrichtungen von (vier) Kunden seines Arbeitgebers innerhalb des Hamburger Hafengebiets eingesetzt worden war. Solche Fälle würden von der Vorschrift zum weiträumigen Tätigkeitsgebiet nicht erfasst, selbst wenn den Mitarbeitern ein bestimmtes Gebiet zugewiesen ist und sie dort – ohne eine erste Tätigkeitsstätte zu haben – in verschiedenen ortsfesten betrieblichen Einrichtungen tätig werden. Dem stehe nicht entgegen, dass in der Gesetzesbegründung zur Reisekostenreform (BT-Drucks. 17/10774 S. 13) beispielhaft davon ausgegangen wird, dass die Regelung u. a. auf Hafenarbeiter anwendbar sein soll. Der Senat brauchte deshalb auch nicht zu entscheiden, ob der Hamburger Hafen mit seiner Gesamtfläche von 7.200 ha (größer als das Gebiet vieler Kommunen) überhaupt ein weiträumiges Tätigkeitsgebiet im Normsinne sein könne. Eine plakative Gleichsetzung der Art „Hafenarbeiter und Hafen = weiträumiges Tätigkeitsgebiet“ gibt es also nicht.
Wie der Streitfall zeigt, kann es sich durchaus um erkleckliche Volumina handeln. Dort ging es um 16.728 Fahrtkilometer außerhalb und 6.708 km innerhalb des Hafens. In den allermeisten Umständen, die man sich zum Themenkomplex ausmalen kann, wird die vom höchsten deutschen Finanzgericht eingenommene Position für die Steuerpflichtigen günstiger sein. Anders als bei einer stärker ausgedehnten Auslegung der Vorschrift werden sie sich seltener auf eine Beschränkung ihres Werbungskostenabzugs durch die Entfernungspauschale verweisen lassen müssen. Um die in der Überschrift aufgeworfene Frage zu beantworten: Für den BFH ist das weiträumige Tätigkeitsgebiet wohl doch eher ein relativ kleines respektive eingeengtes Feld.
Lukas Hilbert
Fundstelle(n):
NWB 2023 Seite 1809
NWB LAAAJ-42825